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Ansprüche an Kommunikationsformen 1 Kommunikation auf gleicher Augenhöhe?

Im Dokument Ethik als Kommunikation (Seite 161-165)

Die Ethik Klinischer Ethik-Komitees – eine Rekonstruktion

3. Ansprüche an Kommunikationsformen 1 Kommunikation auf gleicher Augenhöhe?

Versucht man die Kommunikationsformen innerhalb von Ethik-Komitees zu beschreiben, scheint zunächst ein Blick auf die Besetzung dieser Gremien sinnvoll.

Innerhalb der Ethik-Komitees sind alle zentralen Berufs- bzw. Personengruppen, die auch im Klinikalltag eine Rolle spielen, nämlich Ärzte, Pflegepersonal, Verwaltungsmitglieder, Seelsorger, Patientenfürsprecher, Juristen etc., vertreten.

Zunächst liegt daher die Vermutung nahe, dass innerhalb der Ethik-Komitees ähnliche Konflikte auftreten, wie im Klinikalltag allgemein, dass also auf Grund der Zusammensetzung und den damit verbundenen berufstypischen Interessen und Sichtweisen auf Probleme auch hier Konflikte zwischen Pflegepersonal und Ärzten, Ärzten und Verwaltung etc. die Diskussion bestimmen und die Hierarchieunterschiede zwischen den Berufsgruppen die Kommunikation wesent-lich prägen. Diese Annahme steht in einem Spannungsverhältnis zur Aufgaben-beschreibung der Ethik-Komitees, die diese Unterschiede überbrücken helfen und im interdisziplinären Dialog nach gemeinsam getragenem Konsens suchen sollen.

Im Alltag der Ethik-Komitees zeigt sich, dass die Hierarchieunterschiede in den Diskussionen weiterhin sichtbar bleiben.21 Dies lässt sich an den Gesprächs-anteilen von verschiedenen Berufsgruppen an der Diskussion ablesen wie auch an der Bedeutung, die z.B. pflegerischen Aspekten im Verhältnis zu medizinischen Fragestellungen in konkreten Einzelfällen zugemessen wird.22 Allerdings werden

21 Einer Enthierarchisierung der Kommunikation im Klinikalltag insbes. auf den Stationen leisten die Ethik-Komitees dabei sicher ebenfalls nicht. Entsprechend äußert sich u.a. auch der Seelsorger Possner, der das Ethik-Komitee als weitgehend hierarchiefrei ansieht (E-HB-6, 256f), sich das aber seiner Ansicht nach nicht auf die Stationen übertragen lässt, dort „sticht dann doch einfach der Ober den Unter“ (ebd. 264). Die Außenwirkung der Ethik-Komitees in den Krankenhausalltag hinein, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann, ist allgemein als schwach anzusehen.

22 vgl. T-HT-11, Fußnote 10.

die Hierarchieunterschiede z.T. auch wahrgenommen und thematisiert, d.h. sie werden kommunikativ aufgegriffen und problematisiert.23

Hinzu kommt in einigen Fällen ein direktes Thematisieren der Problematik von Hierarchien auf Station. In diesen Fällen wird die Hierarchisierung als Problem anerkannt und mit Hilfe von Verfahren versucht, hierfür eine Lösung zu finden.24 Zudem verhilft „Ethik“ als Schlagwort innerhalb der Hierarchien dazu, dass Themen als allgemeine Problemfälle angesprochen werden können. Die Existenz des Ethik-Komitee führt in Einzelfällen dazu, dass die durch Hierarchisierung verursachte Unmöglichkeit bestimmte Dinge anzusprechen, mindestens partiell aufgehoben ist und damit Probleme – von allen – angesprochen werden können.

Die Beteiligung aller als potenziell Gleichberechtigte am Gespräch wird als Grundannahme in den Ethik-Komitees geteilt und kann eingefordert werden. Die Möglichkeit auf gleicher Augenhöhe zu kommunizieren, mit dem eigenen Anliegen Gehör zu finden bzw. in Problemfällen einbezogen25 oder informiert zu werden, kennzeichnen formal die Entscheidungsfindungsprozesse in den Komitees. Wenn es irgendwo möglich ist es zu thematisieren, dann im Ethik-Komitee, so das Grundverständnis des Zugangs zur Kommunikation dort. Diese Vorstellung von hierarchiefreier Kommunikation als Mittel der Problembe-wältigung wird auch auf konkrete Fälle wie beispielsweise die Kommunikation zwischen Arzt und Patient übertragen.26

3.2 Die Rolle des Vorwissens

Innerhalb des Ethik-Komitees wird von einer nicht-hierarchisch geprägten Sprechsituation ausgegangen, an der sich alle gleichberechtigt beteiligen können bzw. sollen. Allerdings gibt es eine Art Gebot zur Information, das Ethik-Komitee versteht sich als Expertengremium in Sachen Ethik und will nicht „Volkes Stimme hören.“27 Dies führt zu dem Anspruch, dass alle Mitglieder des Ethik-Komitee sich sowohl über medizinische als auch über rechtlich-moralische Fragestellungen informieren und sich dann als Gleichberechtigte auf dem Niveau des Ethik-Komitee an der Diskussion beteiligen.28 Der Anspruch, informiert zu sein, bezieht sich dabei vor allem auf den Kontext Krankenhaus und Krankheit, d.h.

Ausdrücke, die Diagnosen, medizinische Eingriffe oder Krankenhausinterna

23 so in T-WG-8, T-HT-9 oder in T-HT-11, 374.

24 In dem Fall, der in T-HT-9 diskutiert wird, wird das ethische Problem als Kommunikations-abbruch beschrieben. Dabei wird diskutiert, ob das Pflegepersonal auf Grund seiner Stellung in der Krankenhaushierarchie die Kommunikation wieder aufnehmen hätte können.

25 T-WG-5, 257.

26 T-WG-12, hier wird das Problem als nicht funktionierende Kommunikation zwischen Arzt und Patient rekonstruiert.

27 T-WG-10, 96.

28 So gibt die Seelsorgerin beispielsweise an, sich den Pschyrembel gekauft zu haben, um den medizinischen Darstellungen besser folgen zu können. T-HB-19, 42-45.

betreffen, werden als Wissen bei den Teilnehmenden vorausgesetzt. Dagegen werden die im Alltagsverständnis komplexen Sachverhalte, wie bürokratische Sprache, Abkürzungen oder juristische Ausdrücke nicht vorausgesetzt und unproblematisch übersetzt. Hier wird Nachfragen in der Regel sehr positiv und als klärend aufgenommen.29 Im Alltag des Krankenhauses als selbstverständlich vorausgesetztes Spezialwissen wird hingegen auch bei den Externen als Gegeben vorausgesetzt. Je nach Fachgebiet wird ein unterschiedlicher Komplexitätsgrad an Wissen bei allen Teilnehmenden vorausgesetzt. Von diesem – von außen sehr unterschiedlich anmutenden – Niveau ausgehend kann man von einer gleichbe-rechtigten Sprechsituation hinsichtlich des Vorwissens sprechen.

3.3 Verständlichkeit der Kommunikation

Ein weiteres Kennzeichen der formalen Regeln ist der Anspruch an die Verständlichkeit der Kommunikation. Auch wenn bei Einzelnen eine gewisse Scheu davor besteht, nachzufragen, gilt der Satz, dass es dumme Fragen nicht gibt30 in den Ethik-Komitees. Wie an anderer Stelle31 näher erläutert wird, fragen besonders Theologen nach, um Sachverhalte erläutert zu bekommen. Durch die Rückfragen wird sichergestellt, dass alle Mitglieder auf dem gleichen Informations-stand sind und die Einigung auf Grund der vollen Zustimmung aller erfolgen kann.

3.4 Verfahrensfragen als wesentlicher Bestandteil der Diskussionen Die Gesamtkommunikation kann als Ausgleich suchend und auf Konsens ausgerichtet beschrieben werden.32 Ausgleich und Vermittlung durch Kommuni-kation stellen wesentliche Ziele der Fallbesprechungen und Diskussionen dar. In den Diskussionen geht es also nicht um das Durchsetzten von z.B. Standes-interessen oder die Schärfung von Positionen und Argumenten an Hand einer Diskussion. Da es sich bei den Fallbesprechungen häufig um retrospektive Aufarbeitungen von Fällen handelt geht es bei dem Konsens nicht um das Herausarbeiten von Handlungsoptionen oder allgemeinen Richtlinien zum Vorgehen. Der Konsens beinhaltet nichts dergleichen, vielmehr gilt in den meisten Fällen ein Konsens als erreicht, wenn allen Positionen genügend Raum gegeben wurde und ihre Bedeutung für den Fall rekonstruiert wurde. Die Diskussionen sind im Sinne dieses Konsens-Verständnisses zugleich ziel- und ergebnisorientiert und richten sich an den verschiedenen Positionen aus, die für den Fall relevant sind. Die strukturierte, mehrperspektivische Rekonstruktion des

29 Vgl. dazu u.a. T-HT-3, 64-66, T-WG-07, 66-71, T-WG-22, 241-242.

30 T-WG-14, 147-149.

31 Vgl. dazu den Beitrag von A. Lück in diesem Band

32 Dies entspricht auch den in den Satzungen niedergelegten Zielen, nach denen sich das Ethik-Komitee um Konsens bemühen soll (so in den Satzungen von Wiesengrund, Hochburg, Horntal).

Falls im Kommunikationsprozess und als stellvertretende Kommunikation stellt bereits Verfahren und Zielsetzung der Fallbesprechung dar. In der Regel wird dabei eine Einigung an Hand der zur Verfügung stehenden Verfahren erreicht, der Fall findet dann unter Zustimmung des gesamten Gremiums seinen Abschluss.33 Der Konsens geht entsprechend nicht über den Einzelfall hinaus und beinhaltet auch für den Einzelfall neben einem Votum für mehr Kommunikation in der Regel keine Handlungsoptionen.

Gegenstand der Diskussionen sind neben den konkrete Problemstellungen aus dem Krankenhausalltag auch die Verfahren der Entscheidungsfindung selbst.

Dabei geht es sowohl um interne Verfahrensfragen, die die Sitzungsgestaltung, Redeleitung oder Protokollführung betreffen,34 als auch um Verfahrensfragen im Umgang mit Patienten und Ratsuchenden oder die Befugnis des Ethik-Komitee, Entscheidungen zu treffen.35 Hieran zeigt sich auf einer Metaebene die Bedeutung, die der Kommunikation im Rahmen geregelter Verfahren als Prozess und Ziel durch das Ethik-Komitee zugeschrieben wird.

Ein weiterer Hinweis auf den Stellenwert von Verfahren kann in der Bemühung gesehen werden, die Zuständigkeit für ein Problem im Vorfeld der Diskussionen zunächst zu klären. Bei Fallbesprechungen wird in der Regel als erstes besprochen, welche Einschätzungen der Sachlage vorliegen, welche Entschei-dungsspielräume gegeben sind und wer in der jeweiligen Situation entscheidungs-befugt ist. Hierbei wird sichergestellt, dass es sich tatsächlich um ein Problem handelt, für das das Ethik-Komitee zuständig ist.36 Erst nach diesem Klärungsprozess wird das Problem selbst diskutiert. Für Fälle, in denen das Ethik-Komitee nicht nur beratend tätig ist, sondern eine Entscheidung fällen muss, werden teilweise besondere Verfahren und spezielle Gremien eingerichtet, in denen nach ausführlicher Beratung z.B. durch Abstimmung eine Entscheidung herbeigeführt wird. Auch in anderen Fällen werden gesonderte Gremien eingesetzt, die bestimmte Probleme, Themen oder Verfahrensfragen klären oder bearbeiten sollen.37

33 Dieser Konsens ist nicht als idealer, vernunftgemäßer Konsens im Sinne Habermas zu verstehen.

Die Kommunikation bzw. die Verfahren können durchaus auch auf verdeckten Machtstrukturen beruhen, betroffene Personen sind häufig nicht am Gespräch beteiligt etc.

34 T-HB-1,113, T-WG-5, 37, T-WG-10, 289, 300.

35 T-EH-2, 100ff, T-WG-12, 267-270.

36 Einige Ethik-Komitees arbeiten nach dem Nimwegener Modell, in dem diese Vorgehensweise festgelegt ist (vgl. dazu T-WG-13, 214-215, T-HT-11, 171-176). Zur Klärung der Zuständigkeitsfrage auch: T-HB-8, 39, T-HT-9, 206ff. Zum Nimwegener Modell vgl. auch Steinkamp, Norbert / Gordijn, Bert (Hrsg.) (2003): Ethik in der Klinik – ein Arbeitsbuch. Zwischen Leitbild und Stationsalltag, Neuwied u.a.

37 T-HT-13, T-WG-12, 267f.

Im Dokument Ethik als Kommunikation (Seite 161-165)