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Ethische Kommunikation

Im Dokument Ethik als Kommunikation (Seite 124-127)

Ethos und Berufsverständnis in Biografien von Pflegenden

2. Die Beobachtung: Ethische Aspekte in Biografien von Pflegenden

2.2. Werte und moralische Grundorientierungen

2.2.4. Ethische Kommunikation

Die Mitarbeit im Klinischen Ethik-Komitee wird in den meisten Interviews mit dem Anliegen der „Menschlichkeit“ in Zusammenhang gebracht, das vor allem im Umgang mit Patienten und Patientinnen eingefordert wird, aber auch für den Umgang des Personals untereinander eine Rolle spielt. Neben dieser inhaltlichen Grundorientierung und Wertangabe, wie sie oben ausgeführt wurde, lassen sich in den Interviews spezifische Erwartungshaltungen an das Ethik-Komitee erkennen, die sich auf die Kommunikation beziehen. Sie betreffen grundlegende

Eigenschaften und Aufgaben des ethischen Diskurses, wie er für das Ethik-Komitee erwartet wird.

Auf einer allgemeinen Ebene, die nicht explizit auf das Ethik-Komitee bezogen ist, wird zunächst an verschiedenen Stellen folgende Einstellung vertreten:

Werte sind für mich einfach, äh, den Anderen einfach auch zu achten, anzuerkennen, dass, dass man Rücksicht nimmt, vor allen Dingen auch, auf den Anderen,... [B-HT-11, 193-195]

Die Achtung des Anderen wird als grundlegender Wert im Umgang miteinander verstanden. Ähnlich drückt es folgender Interviewausschnitt aus:

Ja, und die Akzeptanz, dass man den Anderen einfach auch so sein lässt, wie er ist, und ihn so akzeptiert, und versucht, dass man sich dann eben arrangiert im, im Berufsleben. Und des, glaube ich, ist auch schon ein Problem. [B-WG-7, 586-588]

Als grundlegender Wert des Miteinanders gilt die wechselseitige Akzeptanz. Damit sind starre Moralkonzepte, die auf die Durchsetzung einmal erkannter Richtigkeiten ausgerichtet sind, für den ethischen Diskurs offensichtlich ungeeignet. Was das für die Aufgabe des Ethik-Komitees bedeutet, zeigt folgender Interviewabschnitt:

Und da ich da auch ziemlich, ähm, :aktiv mitgewirkt habe, bin ich dann also auch gefragt worden, ob ich also auch bereit wäre, in dieser Ethikkommission mitzuwirken, und da habe ich natürlich sofort Ja gesagt, weil ich denke, dass das eine Möglichkeit ist, erstens vielleicht auch gegenüber Problemen :offener zu werden, man hat da teilweise seine eigenen Vor-stellungen, und versucht, sie durchzusetzen und sieht dann nie die Probleme-, wenn man sich selbst, wann man selbst von dem Problem nicht betroffen ist, anders als derjenige, der diese Probleme :hat. Und wenn man die dann auch von dem seiner Seite hört, kann man seinen Horizont erweitern. [B-EH-10, 166-174]

Das Ethik-Komitee wird gerade nicht zur Durchsetzung eigener Ansichten genutzt, sondern als Möglichkeit gesehen, den eigenen „Horizont“ zu erweitern.

Hinter dieser Einstellung steht in der Biografie ein einschneidendes Erlebnis:

Ja, vielleicht könnte ich das noch erzählen, das ist zwar sehr, etwas sehr Persönliches, aber mal so als Vergleich, wie das ist, dass wenn man selbst ein Problem bekommt, oder mit einem Problem-, wie man sich seine Meinung ändert. [...] ich war immer der Meinung, dass eine Ehe etwas Heiliges ist, etwas Besonderes ist, was geschützt werden muss, und für mich war es immer sehr unverständlich, wie jemand sich scheiden lassen kann. Vor allem, die Ehescheidung als Mit-, als Mittel der Wahl, als :erstes Mittel der Wahl zu benutzen und :nie als letztes Mittel der Wahl. Da sieht man jetzt schon, als letztes Mittel der Wahl, dass ich mich schon geändert habe. Und vor, vor einigen Jahren hat mein Onkel [...] aufgrund von großen Eheproblemen und psychischen Problemen Selbstmord begangen. Und bis dahin waren wir dann mittlerweile durch Familiengespräche soweit, dass wir gesagt haben, lass dich doch scheiden. Und :seitdem stehe ich dem ganz anders gegenüber, also viel offener.

Und tu die nicht also gleich abwertend behandeln, weil man ja nie weiß, was die in ihrer Ehe durchmachen... [B-EH-10, 197-212]

In diesem biografischen Ausschnitt wird eine moralische Entwicklung beschrieben, die für die Pflegekraft eine entscheidende Einstellungsveränderung mit sich brachte: Moralische Fixierung auf bestimmte Normen wird zu ethischer Reflexion, die an der spezifischen Situation orientiert ist. Diese wurde zunächst für das Ethik-Komitee als Grund der Mitarbeit genannt und hier biografisch plausibilisiert.

Auch in anderen Biografien wird eine ähnliche Einstellung als Grundlage des ethischen Diskurses im Komitee angeführt:

..., also erstmal gehe ich von mir aus, ähm, es kommt jetzt immer drauf an, was es ist, entweder sage ich, also das kann nicht so sein, ne, so, aus meiner Situation raus, und dann denke ich, halt, stopp, so würdest du jetzt reagieren, hör dir doch erstmal die Anderen an, und wenn ich die Argumente dann alle habe, hm, dann vergleiche ich und fange an, und, äh, und sammel so ein bisschen und denke, ja, gut, da solltest du vielleicht doch ein bisschen Abstand von nehmen, [...] ich meine, äh, es gibt halt, wie gesagt, viele Wege, und man muss dann halt auch erstmal gucken, ne, aber, ähm, also, da kann man sehr gut zuhören, und ich finde das auch ganz :wichtig, ich finde das ganz wichtig, von jedem Einzelnen, also seine Argumente zu hören, aus seiner Sicht zu hören, wie er das Ganze sieht, und dann zu sagen, ja gut, also, da kann man dann auf einen gemeinsamen Nenner kommen, da kann ich Abstriche machen, da kann ich´s nicht, und, äh, das finde ich schon ganz wichtig und das bringt mir eigentlich auch sehr viel. [B-HT-11, 232-249 i.A.]

Die eigene Moralvorstellung wird in den Diskurs eingebracht, in dem genauso die Argumente anderer Einstellungen Platz haben. Durch diese Horizontweitung wird ein Abwägen zwischen möglichst vielen Perspektiven und Argumenten möglich, das zu einer gemeinsamen Lösung führen kann, aber nicht unbedingt muss.4

Ein Wandel von Ausgangseinstellungen wird auch in folgendem Interviewausschnitt als positive Voraussetzung des ethischen Diskurses gewertet:

Und ich möchte mich jetzt irgendwie ganz gerne in die Arbeitsgruppe Sterbebegleitung einbringen, weil ich glaube, dass ich einfach durch diese langen Jahre der Betreuung auch ne sehr hohe Kompetenz entwickelt habe, damit umzugehen und vielleicht auch auf einem normalen Level befindliche Ideale, wie es in der Klink ablaufen könnte und sollte. [B-HB-14, 143-147]

Als Kompetenz wird einerseits die Erfahrung im Umgang mit Sterbesituationen verstanden, andererseits die Relativierung von Idealen, die an die Umstände angepasst und somit realistisch handhabbar wurden. Auch hier ist die

4 Vgl. dazu auch: Inthorn in vorliegendem Band.

Voraussetzung des moralischen Wandels eine Relativierung von starren Ausgangseinstellungen. Erst durch sie scheint ethische Arbeit möglich zu sein.

Grundeinstellungen für den ethischen Diskurs im Klinischen Ethik-Komitee sind also die Achtung und Akzeptanz des Anderen, die Horizonterweiterung durch andere Perspektiven und Argumente sowie eine situationsorientierte Ethik, die starre Ideal- bzw. Moralvorstellungen relativieren kann und muss. Diese Erwartungen an das Ethik-Komitee sind zugleich eine Konkretion der inhaltlichen Grundorientierung und Wertsetzung der „Menschlichkeit“, die gegenüber Patientinnen und Patienten genauso wie im Miteinander des Personals gelten soll.

Im Folgenden sollen diese empirischen Ergebnisse in die ethische Theorie eingezeichnet werden und Bezüge zur Professionalisierungsdebatte in der Pflege hergestellt werden, so dass das Geflecht von Ethik und Professionalisierung der Pflege am Ort Klinischer Ethik-Komitees greifbar und konkretisiert werden kann.

Im Dokument Ethik als Kommunikation (Seite 124-127)