• Keine Ergebnisse gefunden

Einverständnis trotz Differenz. Die befriedende Funktion ethischer Kommunikation

Im Dokument Ethik als Kommunikation (Seite 147-151)

Zum ethischen Sinn moralischer Kommunikation in Klinischen Ethik-Komitees

3. Einverständnis trotz Differenz. Die befriedende Funktion ethischer Kommunikation

Dass der ethische Sinn von Kommunikation in Klinischen Ethik-Komitees vor allem darin liegt, die Differenz unterschiedlicher Perspektiven auf ein moralisches Problem anerkennungsfähig zu machen, ist zunächst nicht mehr als eine These, die sich der Beobachtung dieser Kommunikation verdankt. Demgegenüber steht z.B. Düwels Diktum, wonach er in dem oben geschilderten Konfliktfall „den Verdacht nicht los [wird], dass die Station das Ethik-Komitee instrumentalisiert.“

Fungierte dieses also letztlich doch im Krankenhaus wie ein moralisches Tribunal?

In einem Interview zu seinem beruflichen Selbstverständnis als Geschäftsführer, das ein dreiviertel Jahr nach dem ‚Fliegengitterfall‛ stattfand, hat Herr Düwel dazu folgende Aussagen gemacht.

Interviewer: Wie würden Sie inklusive oder auch abgerechnet dieses speziellen Falls, an dem Sie das gerade geschildert haben, so das Verhältnis zwischen Leitlinien, Ethik-Komitee und Direktorium beschreiben? Da gibt es ja Zusammenhänge, wechselseitige Beeinflussungen.19 Düwel: Insgesamt denke ich schon, dass dieses Verhältnis recht ausgewogen ist. Also die – das Leitbild an sich ist ja nun eine, eine, eine feststehende Größe, [zugleich] sicherlich auch veränderbar. Es wird auch irgendwann, ob das dieses Jahr geschehen wird oder nächstes Jahr sei dahin gestellt, äh, auf [der Ebene unseres Dachverbands] die Frage aufgeworfen werden und auch beantwortet werden müssen: Wollen wir dieses Leitbild noch einmal evaluieren, muss es ergänzt werden, überarbeitet werden, wenn ja durch wen und in welchen Punkten? Das steht sicherlich auf der Tagesordnung für dieses oder spätestens :nächstes Jahr. Insofern ist es keine feststehende Größe. Ich denke, dass letztlich das Ethik-Komitee, mhm, einen, eine, ein Stellenwert hat in der Umsetzung, in der Spürbarkeit, im Erleben, in

19 Zuvor hatte Herr Düwel davon berichtet, dass das Krankenhaus Horntal sich an der Entwicklung eines Leitbildes auf der Ebene des Dachverbands beteiligt hatte. Der „spezielle Fall“, von dem in der Frage an Düwel die Rede ist, bezieht sich auf seine Schilderung des Falls einer Schwangerschaftsunterbrechung im Krankenhaus Horntal, die im Klinischen Ethik-Komitee Gegenstand einer Beratung war, was Düwel als ausgesprochen hilfreich empfand. (vgl. E-HT-9, 691-802)

der Umsetzung dieses Leitbildes – hat es einen Stellenwert, ist es :spürbar. Es wird sichtbar für den Mitarbeiter, aber auch sicherlich für den Patienten dieses Hauses, in dem er einen Gesprächspartner findet, indem er sich erst einmal artikulieren kann, wo er auch das Gefühl hat, zu Recht das Gefühl hat: Ich werde jeder hier, mhm, wahrgenommen, ich werde ernst genommen, und ich werde in gewisser Weise auch :neutral behandelt oder=oder=oder wahrgenommen. Nicht gleich in einem Rollenverständnis: Geschäftsführer oder behandeln-der Arzt obehandeln-der, mhm, Pflegegesetz, wo ja gleich ein – in allen Beziehungen, die ich versucht hatte darzustellen, tendenziell erst mal oder könnte tendenziell ja schon ein gewisses :Konfliktpotential drin sein. Hier werde ich also im Ethik-Konzil erst mal :neutral, äh, wahrgenommen. Und ich habe die Möglichkeit, es auch auf einer neutralen Bühne darzubieten, ohne dass es gleich zu Angriff und Verteidigung kommt. [Interviewer: Mhm.]

Das denke ich, ist schon mal sehr, sehr positiv. Äh, – was das Direktorium angeht, denke ich und da bin ich davon überzeugt, dass es das Direktorium dieses Entstehen ja letztlich positiv begleitet hat, auch mit initiiert, und von daher natürlich auch der Wirkungsweise oder der Existenz, äh, der Arbeitsweise dieses Ethik-Komitees dem Grunde nach äußerst positiv gegenüber steht. Ich denke, es würde also sehr konfliktträchtig sein können, wenn ein :Teil oder die Gesamtheit des Direktoriums, äh, kritisch oder negativ grundsätzlich erst mal eingestellt wäre dem Ethik-Komitee gegenüber. Dann, denke ich, würde es keine gute Harmonie oder Zusammenarbeit geben. Insofern denke ich aber, ist es hier in dem Hause halt anders. Und von daher akzeptiert auch das Direktorium die Arbeitsweise, die Denkungsweise, äh, des Ethik-Komitees, was nicht immer heißt, dass die Entscheidungen oder die Voten :so waren, wie es sich beispielsweise der Geschäftsführer es, mhm, jetzt unter welchen Kriterien auch immer :gewünscht hätte. Es gab auch durchaus die Situation, wo auch im Ethik-Komitee kontrovers :diskutiert wird [Interviewer: Mhm.] und das soll ja auch so :sein. Aber dennoch denke ich, ist’s auch eine Entscheidung, die, mhm, vom Direktorium oder von einzelnen Mitgliedern des Direktoriums zumindest hinterfragt wird.

Oder, mhm, damit hab ich meine Probleme, mit diesem :Votum. Auch dann sind die Voten akzeptiert worden und letztlich respektiert worden. Und das ist, denke ich, so, dass man da ein durchaus ausgewogenes Arbeitsverhältnis unterstellen kann. (E-HT-9, 769-808)

Der Sinn ethischer Leitlinien im Krankenhaus, das machen die Ausführungen Düwels deutlich, verwirklicht sich vor allem in der Praxis einer belastbaren Kommunikationsatmosphäre. Für ihre Mitglieder fungiert das Klinische Ethik-Komitee als Ort der „Spürbarkeit“ von Leitbildern, deren Tragfähigkeit sich daran misst, inwieweit der einzelne das Gefühl erlebt, „wahrgenommen“ und „ernst genommen“ zu werden. Auffallend ist die Beschreibung persönlicher Achtung als

„neutral“. Düwel präzisiert dies umgehend, wenn er hinzufügt: „nicht gleich in einem Rollenverständnis.“ Im positiven Sinne neutral ist demnach eine gegenseitige Anerkennung der Gesprächsteilnehmer, wenn sie Handlungen oder auch Gesprächsbeiträge nicht sofort auf bestimmte Funktionen der Entscheidungs-träger zurechnet, sondern grundsätzlich die Achtung der Person zur Voraussetzung hat. Diese konkretisiert sich gerade darin, dass im Ethik-Komitee moralische

Urteile – „Angriff und Verteidigung“ – zunächst zurückgestellt werden und der Einzelne auf „neutraler Bühne“, d.h. strikt entlang der Frage, wie Probleme beschrieben werden, agieren kann. Doch was trägt eine derartige Problem-beschreibung für die Frage, wie entschieden werden soll, aus? Düwel macht sich da keine Illusionen. Gerade im Verhältnis von Direktorium und Ethik-Komitee hatte man oft die Erfahrung gemacht, dass deren Entscheidungen sich nicht mit dem Votum des Ethik-Komitees deckten. Gleichwohl: „Auch dann sind die Voten akzeptiert und letztlich respektiert worden.“ Warum diese Differenz zwischen ethischer Fallberatung und Entscheidungsbefugnis der Verantwortlichen letztlich kein sich ausschließender Gegensatz, sondern sehr wohl eine sinnvolle Ergänzung darstellen, machte Düwel im Interview mit folgenden Aussagen deutlich:

Interviewer: Sie haben geschildert, wie das Ethik-Komitee, ja, die Funktion erfüllt, die einzelnen Tätigkeitsprofile, die berufsspezifischen Ausrichtungen der dort redenden Mitglieder, etwas zu Gunsten einer am Sachproblem orientierten ethischen Diskussion abzumildern. Wenn man nun aber einmal in Rechnung stellt, dass Sie trotz alledem Geschäftsführer sind, wie der Arzt nun als Arzt dort sitzt und der Pfleger als Pfleger. Wie würden sie dann ihre Aufgabe in dem Ethik-Komitee bestimmen?

Düwel: - - - Meine Aufgabe sehe ich sicherlich darin, – ob in der Diskussion oder eben in, in, in meinem Einbringen in diesem Komitee, äh, – zumindestens zu versuchen, ob es immer gelingt, weiß ich nicht, ob es immer richtig ist, weiß ich auch nicht, zumindestens zu versuchen, äh, bestimmte Rahmenbedingungen einfach nicht ganz außer Acht, äh, geraten zu lassen. Es bringt uns letztlich, äh, es wird auch das Ethik-Komitee ja nicht unbedingt weiterbringen, wenn hier in einer Diskussion Wunschbilder oder=oder Wunschvorstellungen plötzlich manifestiert werden, [Interviewer: Mhm.] in der Gestalt, dass man nun sagt:

Gut o.k., wenn bestimmte Dinge da sind, was weiß ich, Patienten im finalen Stadium, dann muss einfach dies und jenes noch, äh, leistbar sein. Es muss, äh, jetzt bin ich polemisch, ich weiß. Es müssen also 27 Leute darum und es muss alles wunderbar kuschelig und was auch immer sein [Interviewer: Mhm.] und darf keine Störung von außen und, äh, so da im Prinzip einfach noch mal drauf hinzuweisen, dass das ’ne Wunschvorstellung ist, was wir hier nicht realisieren können. Denn wir leben ja nun mal nicht auf ’ner Insel.

Wir sind an bestimmte Rahmenbedingungen gebunden, und ich denke, dass das sicherlich, äh, - - die, die=die, vielleicht die Hauptaufgabe ist, die für mich im Ethik-Komitee, äh, anzusprechen ist. Aber genauso wichtig, denke ich, ist es, die – der=der Nutznieß, den ich auch als Geschäftsführer :aus der Mitgliedschaft des Ethik-Komitees ziehe, indem, mhm, – für mich einfach auch deutlich wird, dass diese Rationalität eines gewissen Denkens, was nun mal ’n Betriebswirtschaftler vielleicht in sich hat oder mit sich bringt, äh, in gewissen Positionen halt doch noch mal hinterfragt werden sollte von ihm selbst oder auch von anderen. (E-HT-9, 862-887)

Für Düwel gehört beides zusammen: die Anerkennung von im weiteren Sinne wirtschaftlichen „Rahmenbedingungen“ auf der einen Seite und zugleich –

„genauso wichtig“ – die Bereitschaft, „diese Rationalität eines gewissen Denkens“

zu relativieren. Dass beide Aspekte in konkreten Konfliktsituationen miteinander

kollidieren können, ist für Düwel kein Einwand gegen ihre Zusammengehörigkeit, sondern schlicht der Realität geschuldet: „Denn wir leben ja nun mal nicht auf

’ner Insel.“ In Abgrenzung von einer ethischen Kommunikation, die bloß das moralisch Wünschbare – „Wunschbilder“ – vertritt und sich darin störungsfrei –

„kuschelig“ – einig weiß, versteht der Geschäftsführer des Ethik-Komitees seine Aufgabe in der durchaus konfliktträchtigen Konfrontation von moralischen Ansprüchen und begrenzten Machbarkeiten. Dadurch aber, dass er diese Pragmatik ihrerseits dadurch begrenzt, dass er sie für hinterfragbar erklärt, kann er für sie eine Legitimität beanspruchen, die anerkennungsfähig ist, weil sie Ethik als Fortsetzung von Kommunikation versteht.

Wolfgang van den Daele hat diese Umstellung von moralischer Kommunikation auf Kommunikation über Moral vor allem auf die – expliziten und impliziten – Regeln zurückgeführt, die in ethischen Diskursen jeden einzelnen Sprecher zu einem gewissen Maß an Toleranz nötigen: „Die Einbindung in den Diskurs bewirkt die ‚Einhegung‛ des moralischen Konflikts; sie zwingt Überzeugungs-gegner zwar nicht zum Konsens, aber zum Frieden.“20 Denn wer moralische Argumente zur Diskussion stellt, akzeptiert damit immer schon, dass Moral nur im Plural zu haben ist: „Der Diskurs erzwingt, indem er die Parteien eines moralischen Streits in Begründungen verwickelt, Perspektivenübernahme und reflexive Distanz. Selbst wenn man die Gründe der anderen nicht teilt, muss man sie zur Kenntnis nehmen – und zwar als moralische Gründe, d.h. als Gründe, die aus der Sicht der anderen, für alle einsehbar und verpflichtend sein sollen. Der Diskurs versetzt, solange er währt, die Streitenden in eine hypothetische Beziehung zu ihren eigenen Positionen. Diese müssen gedanklich zwischen verschiedenen Möglichkeiten hin und her gehen. Damit begeben sie sich – unabhängig davon, ob es tatsächlich zu einem Konsens kommt – zumindest auf den Weg zu einem gemeinsamen ‚Überlegungsgleichgewicht‛ (Rawls). In diesem Sinne sind Diskurse Mechanismen der Entfundamentalisierung, sie lassen nicht zu, dass die Streitparteien selbstgenügsam in ihren Überzeugungen hängen bleiben, ohne nach links oder rechts zu schauen.“21 Van den Daeles Referenz auf die von John Rawls profilierte Figur des „reflective equilibrium“ beschreibt treffend, wie im Horntaler Klinik-Komitee die Frage der Moralität einer Entscheidung durch Beschreibung alternativer Möglichkeiten einer besseren Kommunikation zugänglich wurde. Auch wenn man im Unterschied zu van den Daele – und auch zu Rawls22 – die entfundamentalisierende Wirkung dieses

20 van den Daele, Wolfgang (2001): Von moralischer Kommunikation zur Kommunikation über Moral, in: Zeitschrift für Soziologie 30, 4-22, 17.

21 AaO., 19.

22 Rawls selber verortete das „reflective equilibrium“ auf der Ebene der Aushandlung von allgemeinen Gerechtigkeitsprinzipien und „wohlüberlegten Gerechtigkeitsvorstellungen“. Vgl. seine Feststellung: „Diesen Zustand nenne ich Überlegungs-Gleichgewicht. Es ist ein Gleichgewicht, weil schließlich unsere Grundsätze und unsere Urteile übereinstimmen.“ (Rawls, John (1975): Eine

Abwägungsprozesses nicht auf der Ebene moralischer Gründe, sondern differenter moralischer Intuitionen ansiedelt, bleibt doch richtig, dass der damit kommunikativ in Gang gesetzte Prozess einer wechselseitigen Perspektiven-übernahme den Blick auf die Frage hin lenkt, an welcher Stelle trotz Differenz in der situativen Bewertung eines individuellen Falles die Gemeinsamkeiten bestehen. Im Horntaler Ethikdisput werden diese vor allem über die Form und die Selbstzwecklichkeit der Kommunikation sichtbar: Die Tatsache, dass miteinander geredet wird, hat einen höheren Stellenwert als das Streben nach einer Verbindlichkeit, die sich in ganz bestimmten „Voten“ niederschlägt. Respekt, nicht unbedingt Einverständnis ist das wichtigste Ziel einer derartigen Kommunikation, was – auf einer höheren Ebene – durchaus auch begründungs-fähig ist, wenn der Geschäftsführer Herr Düwel z.B. feststellt, dass es legitimerweise mehrere und verschiedene „Rationalitäten eines Denkens“ (Düwel) gibt.

Im Dokument Ethik als Kommunikation (Seite 147-151)