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Antinomien der Praxis klinischer Ethikberatung

Im Dokument Ethik als Kommunikation (Seite 39-43)

für Konflikte zwischen der Leitung des Hauses und den Mitarbeitern sowie für Probleme im Verhältnis zwischen dem ärztlichen und dem pflegerischen Bereich.

Charakteristischer Weise operieren die beteiligten Professionen mit durchaus unterschiedlichen Bestimmungen des Ethikbegriffs.34 Überdies fällt auf, dass es den meisten Beteiligten nicht gelingt, die spezifisch ethischen Fragestellungen von den genuin medizinischen und medizinrechtlichen Aspekten zu trennen. Ver-fahren der Urteilsbildung im Kontext interdisziplinärer Beratungsgremien gründen also, so das Fazit, weniger auf dem methodisch kontrollierten Vollzug ethisch reflektierter Problembearbeitung, als vielmehr auf der Erschließungskraft jener multiperspektivischen Herangehensweise als solcher.

Die moralisch-ethische Kommunikation hat ihren Zweck demnach nicht zuerst in einem Ziel außerhalb ihrer selbst, wie es das Wunschbild einer definitiven Erledigung struktureller Problemzusammenhänge suggeriert, sondern gewinnt ihre operationale Bestimmung vor allem daraus, dass es gelingt, die standpunkt-differente Beurteilung organisationaler Konfliktlagen unter faktisch unhintergeh-baren, tendenziell asymmetrischen Interaktionsbedingungen in Disziplinen überschreitender Weise zur Sprache zu bringen. Erreichbares Ziel ist entspre-chend nicht so sehr die Problemlösung, als vielmehr die Problembeschreibung.

Die Ethik fungiert im Zuge dessen vor allem als eine Chiffre der Thematisierung.

Hierzu transponiert sie die sachlich konfligierenden Problembestimmungen in eine alltagssprachliche Begrifflichkeit und schafft auf ihre Weise so etwas wie eine symbolische Repräsentanz des bestehenden Asymmetrieverhältnisses. Dergestalt macht sie die Differenz der Standpunkte transparent, ohne sie de facto zu tilgen.

Gerade dadurch jedoch, so der Eindruck, versichern sich die einzelnen Diskurs-beteiligten, dass der subjektiv empfundenen Verwickeltheit klinischer Handlungs- und Entscheidungssituationen eine „objektive“ Komplexität der Sachverhalte entspricht.

unterschiedlichen Professionen mittels der Institutionalisierung moralisch-ethischer Kommunikationsprozesse zu beheben, zu einer neuerlichen Asym-metrie, nämlich der zwischen der Binnenperspektive und der Außenwahrnehmung ethischer Beratungsgremien.

Diese sekundäre Asymmetrie – als solche ist sie methodisch noch weitgehend unreflektiert – vermittelt sich den Mitgliedern der Ethik-Komitees als »Resonanz-problem«. D.h. sowohl bei Patienten und Angehörigen als auch bei den übrigen Klinikmitarbeitern, die nicht selbst am Diskurs des Beratungsgremiums beteiligt sind, bleibt der Erschließungswert solcher Veranstaltungen vielfach unklar. Einer prinzipiellenBefürwortungder ExistenzvonBeratungsgremienan Kliniken,die bei entsprechenden Befragungen zutage tritt, steht eine weitgehende Folgenlosigkeit der vom Komitee produzierten Voten und Stellungnahmen gegenüber. Damit tritt nun erneut jene Ungleichgewichtigkeit klinischer Interaktions- und Kommuni-kationsbedingungen in den Blick, deren Aufhebung sich die Installation inter-disziplinärer Ethikberatung zur Aufgabe gesetzt hat.

Verfahren der ethischen Konfliktthematisierung – darin liegt eine Korrektur ihrer derzeit sehr hoch eingeschätzten Problemlösungskompetenz – sind im Hinblick auf die ihnen zugeschriebene Integrations- und Entlastungswirkung nahezu ausschließlich auf die unmittelbar diskursbeteiligten Personengruppen begrenzt.

Entgegen ihrer ursprünglichen Grundintention gerät so die klinische Ethik in die Paradoxie einer vollzugsimmanenten Konfliktreproduktion – und dies nicht allein in materialer, sondern vor allem in formaler Hinsicht. Die Beobachtung zeigt, dass institutionell verankerte Prozeduren ethischer Entscheidungsfindung prinzipiell der Gefahr unterliegen, mit den individuellen Moralen der einzelnen Beteiligten bzw. mit der immanenten Sachlogik professionalisierter Handlungsroutinen zu kollidieren. So kommt es in der Praxis klinischer Ethikberatung zu dem Paradox, dass die im Zuge der Professionalisierung der medizinischen Teildisziplinen entstandenen Entscheidungsprobleme durch die Einrichtung interdisziplinärer Beratungsgremien oft gerade deshalb nicht gelöst werden können, weil die zu diesem Zweck angestrengten Diskurse Probleme eben der Art zu generieren drohen, die sie eigentlich lösen sollen. Das mindert zwar nicht die ihr eignende Kompetenz der Problemidentifikation und Problemexplikation, doch schwebt diese gewissermaßen zwischen den Polen der kommunikativen Selbstvergewisserung und der organisatorischen Selbstverdoppelung.

Derzeit weist sich die klinische Ethik vornehmlich dadurch aus, dass es ihr gelingt, die neuralgischen Punkte aktueller Entwicklungen im Gesundheitssystem öffentlich sichtbar und dadurch kommunizierbar zu machen. In struktureller Hinsicht jedoch stößt sie an Grenzen, die in der besonderen Beziehung von Ethik und Organisationen begründet liegen. Während die strukturelle Entwicklung im Gesundheitswesen in immer stärkerem Maße auf eine Entsubjektivierung, d.h.

Versachlichung der Prozesse hinführt, konzentriert sich die klinische Ethik in erster Linie auf das konkrete Subjekt. Die Subjektorientierung der Ethik

kontrastiert einer Logik zunehmender Objektivierung, welche die Belange des Einzelnen konstitutiv ausblenden muss, wenn sie die ihr eigene Tendenz der Prozessoptimierung effizient betreiben will. Im konkreten Umfeld medizinischer Handlungsabläufe und Entscheidungsfindungen hat sich die Ethik von dieser Tendenz zur Objektivierung bisher nur bedingt freimachen können.

Klinische Ethik-Komitees stellen gewissermaßen den Versuch dar, zwischen Sach- und Subjektbezug medizinischer Praxis zu vermitteln. Dazu dient nach dem oben Gesagten vor allem die dialogische Struktur des interdisziplinären Dialogs, der bei näherer Betrachtung jedoch gar nicht so Hierarchie nivellierend vonstatten geht, wie es qua definitionem der Fall sein sollte. Gerade die paritätische Besetzung des Gremiums trägt dazu bei, dass die mitunter kritikwürdigen Kommunikations-bedingungenim Hausesich innerhalb des Ethik-Komitees wiederholen.So werden beispielsweise Konflikte zwischen dem ärztlichen und dem pflegerischen Bereich oder zwischen der Krankenhausleitung und den Mitarbeitern im Ganzen in dem ethischen Diskurs weder des Dialoges halber ausgesetzt noch irgendwie gelöst, sondern mitunter noch potenziert. Die Egalität der Gesprächsbeteiligten, wie sie die Diskurstheorie zur Voraussetzung erklärt, ist in der Praxis klinischer Ethikberatung nicht schon per se gegeben. Die Absicht, durch die Einrichtung ethischer Beratungsinstanzen zur Enthierarchisierung der Mitarbeiterbeziehungen beizutragen, kann in dem Modus der paritätischen Diskursformation offenbar nicht unmittelbar realisiert werden. An diesem wie auch an den folgenden Punkten gilt: Das, was die Ethik-Komitees dem Ansatz nach intendieren, wird im Vollzug ihrer selbst nicht selten wieder zunichte gemacht. Jeweils handelt es sich um Tendenzen strukturellen Selbstwiderspruchs.

Mit Blick auf die diskursive Entscheidungsfindung lässt sich der beschriebene Sachverhalt wie folgt reformulieren: Die multiperspektivische Herangehensweise an klinisch-praktische Aufgabenstellungen generiert zum Teil widersprüchliche Entscheidungskriterien und Verhaltensmuster, die sich zudem in der Perspektive des Einzelnen nicht selten überschneiden. Ethische Konflikte zwischen den verschiedenen am klinischen Prozess beteiligten Subjekten sowie Konflikte zwischen einzelnen Beteiligten und der moralischen Selbstdefinition des Hauses bilden das Spannungsfeld klinischen Handelns. Die von Nikolaus Menzel eingeführte Unterscheidung zwischen intrapersonalen und interpersonalen ethischen Konflikten, nach der sich diese „einerseits im entscheidungspflichtigen Subjekt abspielen oder aber zwischen mehreren Subjekten oder Gruppen aufbrechen“35 können, wird daher, den klinischen Kontext betreffend, um den Konflikt zwischen individuellen und institutionellen Moralen ergänzt werden müssen. Individuelle und institutionelle Moral sind nicht in jedem Fall miteinander vereinbar; ähnliches gilt für das jeweilige Standesethos, das den Anforderungen

35 Körtner, Ulrich H.J. (1999): Evangelische Sozialethik. Grundlagen und Themenfelder, Göttingen, 84.

komplexer interdisziplinärer Entscheidungen schwerlich allein aus sich selbst genügen kann. Das Bedürfnis nach ethischer Orientierung tritt, sozial-psychologisch betrachtet, in die Lücke der traditionellen Rollenfixierungen.

Moralkommunikation ersetzt soziale Normierungen. Und überdies werden die, wie es scheint, unvermeidlichen Konflikte zwischen den Moralen der Einzelnen und der Moral der Institution Krankenhaus nicht selten dadurch verstärkt, dass die in Konflikt geratenen Standpunkte sich keineswegs eindeutig auf die einzelnen Diskursteilnehmer abbilden lassen.

Ein lediglich eindimensionales Verständnis des geschilderten Problems greift zu kurz. Vielmehr zeigt sich, dass die als konflikthaft empfundene Differenz zwischen individueller und institutioneller Moral auch in das Bewusstsein des Einzelnen fallen kann. In Anbetracht derart komplexer Bedingungen scheint die Aufgabe eines Ethik-Komitees – das doch dem Anspruch nach die Diversität der verschiedenen Standpunkte auf dem Wege der diskursiven Konsensbildung zu einem vermittelnden Votum bündeln will – schier unlösbar. Welche Maßstäbe ethischer Entscheidungsfindung können bei allen Beteiligten (geschweige denn außerhalb des Beratungsgremiums) als verbindlich gelten? Genau an dieser Stelle entsteht das Problem: Denn gerade das Bestreben, Verbindlichkeit herzustellen, setzt einen Grad an Differenzierung aus sich heraus, der seinerseits der konsensorientierten Urteilsbildung strukturell abträglich ist. Denn die dialogische Gleichgewichtigkeit der Gesprächspartner, die im klinischen Alltag so häufig vermisst wird, kann auch der interdisziplinäre Diskurs nicht ohne weiteres herstellen und die Integration unterschiedlicher Perspektiven unter dem Leitsatz ethischer Konsensbildung bleibt oft nur Wunschdenken. Nach anfänglicher Euphorie kehrt meist Ernüchterung ein. Viele Ethik-Komitees geraten nur wenige Monate nach ihrer Gründung in eine regelrechte Krise.

Neben der perspektivischen Differenzierung qua Interdisziplinarität, die in der Praxis der klinischen Ethikberatung zum Problem wird, da sie dem Anspruch der Klärung und Vermittlung der Standpunkte durch eigene Komplexitätsbildung zuwider läuft, steht auch der Transparenzgedanke unter einem ungünstigen Vorzeichen. Ethik im Krankenhaus soll mehr Transparenz der Entscheidungen sicherstellen und dabei selbst transparent bleiben. Aber auch diesem Anspruch stehen strukturelle Gegenläufigkeiten im Wege. Denn das, was innerhalb des Ethik-Komitees passiert, wird außerhalb des Gremiums oft nicht oder nur unzureichend wahrgenommen. Die Vorstellung, ins Krankenhaus hinein zu wirken und damit gewissermaßen eine Dienstleistung für gegenwärtig bzw.

potentiell Betroffene anzubieten, bleibt in den Reihen der Klinikmitarbeiter zumeist ohne wirkliche Resonanz. Tatsächlich muss sich das Ethik-Komitee seine

„Fälle“ überwiegend selber suchen. Die wenigen Anfragen, die von außen kommen, decken bei Weitem nicht die Zahl der als tatsächlich gegeben veranschlagten Konfliktfälle, zu deren Bearbeitung sich das Ethik-Komitee bereithält. Oft besteht außerhalb des Beratungsgremiums nur eine diffuse

Vorstellung von dem, was das Ethik-Komitee für die klinischen Problemstellungen leisten will. Eine erhöhte PR-Aktivität der Komiteemitglieder kann dieses Defizit – bei aller Anstrengung – nur bedingt ausgleichen. Fiktive Fallbesprechungen mit Mitarbeitern unterschiedlicher Stationen des Hauses – eine typische Gegenreaktion auf das so genannte „Resonanzproblem“ – sollen bestehende Hemmschwellen abbauen helfen. Insofern entsteht fast der Eindruck, dass das Ethik-Komitee die Bedingungen, unter denen zu arbeiten es sich selbst für berufen hält, oft allererst herstellen muss. Es wird demnach ein Bedarf an ethischer Fallberatung unterstellt, dem von außerhalb des Beratungsgremiums nur zum Teil entsprochen wird.

Eine grundlegende strukturelle Antinomie besteht, wie gezeigt wurde, darin, dass die sachlogische Komplexität eines durch das Ethik-Komitee bearbeiteten Sachverhaltes durch die Bearbeitung selbst irgendwie reduziert werden soll. Die disziplinenübergreifende Herangehensweise jedoch führt dazu, dass die Beleuch-tung der unterschiedlichen Standpunkte zur Sache den Fall erst in seiner vollen Komplexität hervortreten lassen. Jeder Perspektivenwechsel also, zu dem ja der ethische Diskurs ausdrücklich anleiten will, bringt eine Multiplizierung der Differenzpunkte mit sich. Ärztliches Standesethos, Vorgaben der Klinikleitung, medizinische Erfordernisse und individuelle Einschätzungen stehen mehr oder weniger unverbunden nebeneinander.

An dieser Stelle scheint vor allem der Diskussionsleiter des Ethik-Komitees gefordert. Ihm oder ihr fällt die Aufgabe zu, einen methodisch und organisa-torisch zuverlässig geregelten Fortschritt der Debatte zu erwirken, ohne dass Parteiinteressen oder personbedingte Besonderheiten wie Geschwätzigkeit, Dominanz oder Eloquenz eine Verzerrung der Entscheidungsbildung bewirken.

Außerdem muss zwischen verschiedenen Ebenen der Problemerörterung, etwa den zwischen moralischen Primäreindrücken und einer im engeren Sinne ethisch zu nennenden Reflexionskompetenz ein der Sache förderliches Gleichgewicht gefunden werden. Allerdings wird die Last der Vermittlungsarbeit schwerlich der Diskussionsleitung allein aufzubürden sein.

Im Dokument Ethik als Kommunikation (Seite 39-43)