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Arten von Konflikten und Fälle in Klinischen Ethik-Komitees

Im Dokument Ethik als Kommunikation (Seite 157-160)

Die Ethik Klinischer Ethik-Komitees – eine Rekonstruktion

1. Arten von Konflikten und Fälle in Klinischen Ethik-Komitees

Klinische Ethik-Komitees befassen sich in ihrem Arbeitsalltag mit verschiedenen Aufgaben. Neben Fragen der Darstellung nach Außen, wie sie in der Gestaltung von Pinnwänden oder Flyern zum Ausdruck kommen4 und organisatorischen Tätigkeiten, wie der Veranstaltung von Vorträgen und Ethikcafes für das Krankenhaus5 werden vor allem Verfahrensfragen und, sofern sie vorliegen, konkrete Konfliktfälle aus dem Krankenhausalltag besprochen. Die Fragen zu Verfahren und Vorgehensweisen sind, wie im Folgenden nachgezeichnet werden soll, für das Ethikverständnis der Ethik-Komitees wesentlich, insbesondere an den Punkten, wo es um Verfahren für den Arbeitsablauf innerhalb der Komitees selbst geht.6 Konkret zum Tragen kommt das Ethikverständnis an Hand der Fälle, die aus dem Krankenhausalltag an die Ethik-Komitees herangetragen werden. Die Zahl der Fälle ist dabei niedrig – nicht in jeder Sitzung gibt es einen Fall zu besprechen. Aufgabe der Komitees ist je nach Satzung die Bearbeitung des Falls mit dem Ziel der Beratung oder einer Stellungnahme bzw. eines Votums.7 Die Beratung kann dabei zum einen direkt auf Station erfolgen. Hierzu werden spezielle Gremien eingesetzt, die als Moderatoren auf Station ein Problem bearbeiten helfen. Über diese Fälle wird im Ethik-Komitee berichtet und ggf.

nochmals gesprochen.8 Zum anderen kann das Ethik-Komitee auch direkter Ansprechpartner für auftretende Probleme sein. Dazu wird das Problem von einer Sprecherin der Station oder einer betroffenen Person im Ethik-Komitee

4 Die Gestaltung der Außenwirkung ist z.B. in Hochburg (T-HB-15, T-HB-18) und Horntal (T-HT-4) immer wieder Thema.

5 So u.a. in Hochburg (T-HB-17) und Horntal (T-HT-2), wodurch eine Art Krankenhaus-interne Öffentlichkeit hergestellt wird.

6 Innerhalb der Ethik-Komitees werden verschiedene Verfahrensfragen bearbeitet, hierunter fallen die Verfahren des Ethik-Komitees selbst ebenso wie Verfahren, die vom Ethik-Komitee für andere Bereiche des Krankenhauses entwickelt werden wie beispielsweise zur Regelung von Abläufen bei Krisensituationen auf Stationen.

7 In allen untersuchten Ethik-Komitees regelt die Geschäftsordnung das Verfahren zum Erhalt eines Votums und der Beratung.

8 In T-HB-18 wird im Ethik-Komitee von einem solchen Fall berichtet und darüber beraten. In Hochburg gibt es auch ein eigenes Formblatt, um Ethikberatung auf Station anzufordern.

vorgetragen, daran anschließend berät das Komitee über den Fall.9 Eine Situation auf einer Station wird dabei zum Fall für das Ethik-Komitee, wenn er von der Station aus an das Ethik-Komitee herangetragen wird. In der Regel ist dafür ein z.T. diffus-emotionales Unwohlsein bei einem der Beteiligten der Auslöser. Die Situation hat „erhebliche Unruhe hervorgerufen“,10 erscheint so, wie es nicht sein soll, selten hingegen liegt ein Interessenkonflikt mit klaren Konfliktlinien vor. Die besprochenen Fälle erhalten ihr Konfliktpotenzial durch ihre Komplexität und werden meist auch intrapersonal als Konflikt eingeschätzt. D.h. die einzelnen Mitglieder haben keine klare Position in Bezug auf den Fall sondern müssen mittels Abwägung eine für sie problematische Entscheidung fällen, indem z.B.

verschiedene Unsicherheiten gegeneinander abgewogen werden.

Es gibt keine Fälle, die satzungsgemäß im Ethik-Komitee verhandelt werden müssen, ausschlaggebend für eine Fallbesprechung im Ethik-Komitee ist das Entstehen eines Problembewusstseins hinsichtlich des Falls auf Station. Beraten wird beispielsweise über Fälle von medizinisch indizierten Spätabtreibungen, den Umgang mit Selbstmordversuchen oder mit dem Wunsch nach Sterbehilfe von Patienten oder über Probleme zwischen allgemeinen Richtlinien und dem als sinnvoll eingeschätzten Versorgungshandeln am einzelnen Patienten. Die Beurteilung einer Situation als problematisch oder anders als wünschenswert und das Vortragen im Komitee macht ein Problem zu einem Fall für das Komitee und damit zu einem ethischen Problem im Sinn der Klinischen Ethik-Komitees.11 Dabei ist nicht wesentlich, was für eine Art von ethischem oder moralischem Problem vorliegt. In den wenigsten der beobachteten Fälle handelte es sich tatsächlich um einen Wertekonflikt. Zur Einschätzung, wie Fälle an das Ethik-Komitee herangetragen werden, stellt ein Mitglied des Ethik-Komitees in Endheim fest, „dass es im Krankenhaus ganz viele Situationen gäbe, die zwar ethische Grenzsituationen seien, jedoch nicht als solche von den Mitarbeiten erkannt würden.“12 Vielmehr wird ein Fall erst durch die Mittelung an das Ethik-Komitee zu einem ethischen Problemfall, der Fall wird während der Beratung im Ethik-Komitee als ethisches Problem rekonstruiert.13

Die Rekonstruktion des Falls als ethisches Problem geschieht in Form eines Gesprächs über den Fall im Ethik-Komitee. Dabei kommen die verschiedenen

9 Diese Art von Fallbesprechung findet sich in allen untersuchten Komitees, so u.a. in EH-1, T-EH-9, T-HT-13, T-WG-22, T-HB-27.

10 T-HT-9, 94.

11 In allen untersuchten Ethik-Komitees regelt die Satzung, dass Beratung nur in den Fällen erfolgt, in denen der Fall von den Betroffenen an das Ethik-Komitee herangetragen wird. Gleichzeitig gibt es für das Ethik-Komitee die Möglichkeit, den Fall abzulehnen, beispielsweise wenn der Verdacht nahe liegt, das Ethik-Komitee wird im Fall einer persönlichen Auseinandersetzung hinzugezogen und instrumentalisiert.

12 T-EH-5, 59-61.

13 „Gut: wir haben das ethische Problem“ stellt ein Mitglied in Endheim nach der Falldarstellung plakativ fest (T-EH-9, 92).

Sichtweisen auf das Problem zur Sprache und das Problem wird in den verschiedenen Dimensionen dargestellt. Die Sichtweisen der beteiligten Professionen aber auch ggf. der Angehörigen und der Patienten selbst werden dabei so detailliert wie möglich nachvollzogen und in ihrer Bedeutung für den Fall nachgezeichnet. Dabei wird viel Zeit darauf verwendet „die Differenzen zwischen den Positionen darzustellen und den Beteiligten klarzumachen“14 Die Mitglieder der Ethik-Komitees nehmen dabei abwechselnd die verschiedenen Sichtweisen der Beteiligten ein, in der Regel ohne sie zu bewerten. Vielmehr wird den unterschiedlichen Sichtweisen ein eigenständiger Stellenwert zugeschrieben.

Durch das Medium der Kommunikation ist es den Mitgliedern der Ethik-Komitees möglich, zwischen den verschiedenen Perspektiven der am Konflikt beteiligten zu wechseln. Sie nehmen nicht entsprechend ihrer Professionen eine Fürsprecherrolle ein sondern agieren quasi von einem übergeordneten Standpunkt und wechseln die Perspektive auf den Fall. Der Standpunktwechsel und die Rekonstruktion der verschiedenen Perspektiven und Dimensionen des Problems führen u.U. innerhalb der Aussagen einer Person zu widersprüchlichen Aussagen zu einem Problem. Dieser vermeintliche Widerspruch ist für die Rekonstruktion des Falls in seiner Gesamtheit nötig. Das Gespräch über den Fall dient der Strukturierung und Konstituierung des Problems in seinen verschiedenen Dimensionen.15

Mit Hilfe der Kommunikation über den Fall wird er nicht nur in seiner Vielschich-tigkeit rekonstruiert, die Kommunikation weist bereits auch auf die Art der Wahrnehmung des Falls innerhalb des Komitees hin. Der Fall wird in seinen verschiedenen Facetten betrachtet und die Störung bzw. das daran als problematisch angesehene auf der Ebene der Kommunikation verortet, der Fall wird entsprechend als Kommunikationsproblem rekonstruiert. Das „dialogische Miteinander“16 wird als Kennzeichen der Ethik im doppelten Sinn gewertet, zum einen wird der kommunikative Umgang miteinander im konkreten Fall als Maßstab für den ethisch korrekten Umgang untereinander gesehen, zum anderen wird das Gespräch über den Fall im Ethik-Komitee gleichgesetzt mit der Ethik des Gremiums. Das Problem wird dabei als eine Störung im Kommunikations-ablauf der Station aufgefasst und der Konflikt damit als ein Problem auf formaler Ebene verstanden.17 Dabei können die einzelnen Sichtweisen in ihrer Bedeutung

14 T-HB-18, 158-159.

15 So z.B. in T-HT-13, bei dem es um einen Fall von Spätabtreibung geht, oder T-EH-1, in dem es um den Sterbewunsch einer Patientin geht. Es werden sowohl die psychisch-emotionale Verfasstheit der Patienten als auch medizinische Fragen, Interaktionsprobleme zwischen behandelnden Ärzten und Pflege oder Fragen nach Verfahren thematisiert.

16 T-HB-8, 60.

17 Besonders deutlich hierzu T-HT-9: In diesem Fall lag ein Konflikt zwischen einer Richtlinie der Verwaltung und der aus pflegerischer Sicht notwendigen Anschaffung eines Fliegengitters vor. Die Mitteilung durch die Haustechnik, dass Fliegengitter nicht angebracht werden könnten, führte aus Sicht des Ethik-Komitees zu einem Kommunikationsabbruch zwischen Verwaltung und Pflege.

Kern der Diskussion war, an welchem Punkt und durch wen die Kommunikation wieder

bestehen bleiben, ohne bewertet werden zu müssen, und dennoch das Problem als eine Störung aufgefasst werden. Das Problem wird als Kommunikationsproblem verhandelt und damit als Störung des auf einen Ausgleich hin ausgerichteten Verfahrens verstanden. Es gibt keine Frage nach der Schuld des einzelnen18 oder einer Bewertung von Perspektiven. Das Ethik-Komitee will, wie es bereits in den Satzungen festgelegt ist, nur beratend oder moderierend tätig sein, aber keine Entscheidungen fällen. Die abgegebenen Voten zu den einzelnen Fällen sind als Orientierungshilfen zu verstehen.19 Durch die stellvertretende Kommunikation innerhalb der Komitees werden die verschiedenen Perspektiven wahrgenommen und mit Hilfe des dafür zur Verfügung stehenden Verfahrens stellvertretend zu einem Konsens geführt.20 Kommunikation kann für Klinische Ethik-Komitees als eigenständiger Wert angesehen werden, durch den eine Konfliktlösung prinzipiell möglich erscheint.

Ist eine Problemlage zu einem Fall des Ethik-Komitees geworden, unterliegt seine Bearbeitung und Rekonstruktion Verfahrensregeln, die die Arbeit der Klinischen Ethik-Komitees strukturieren.

Im Dokument Ethik als Kommunikation (Seite 157-160)