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Ethik als Kommunikation von Handlungskontingenz

Im Dokument Ethik als Kommunikation (Seite 151-155)

Zum ethischen Sinn moralischer Kommunikation in Klinischen Ethik-Komitees

4. Ethik als Kommunikation von Handlungskontingenz

Abwägungsprozesses nicht auf der Ebene moralischer Gründe, sondern differenter moralischer Intuitionen ansiedelt, bleibt doch richtig, dass der damit kommunikativ in Gang gesetzte Prozess einer wechselseitigen Perspektiven-übernahme den Blick auf die Frage hin lenkt, an welcher Stelle trotz Differenz in der situativen Bewertung eines individuellen Falles die Gemeinsamkeiten bestehen. Im Horntaler Ethikdisput werden diese vor allem über die Form und die Selbstzwecklichkeit der Kommunikation sichtbar: Die Tatsache, dass miteinander geredet wird, hat einen höheren Stellenwert als das Streben nach einer Verbindlichkeit, die sich in ganz bestimmten „Voten“ niederschlägt. Respekt, nicht unbedingt Einverständnis ist das wichtigste Ziel einer derartigen Kommunikation, was – auf einer höheren Ebene – durchaus auch begründungs-fähig ist, wenn der Geschäftsführer Herr Düwel z.B. feststellt, dass es legitimerweise mehrere und verschiedene „Rationalitäten eines Denkens“ (Düwel) gibt.

Gibt es denn keine zustimmungspflichtigen Gründe, die als moralische Position des Klinik-Komitees und in Reaktion auf das letztlich ja von allen mehr oder weniger als Verhängnis qualifizierte Handeln im „Fliegengitterfall“ hätten festgehalten werden können?

Man gewinnt den Eindruck, dass die Mitglieder des Ethik-Komitees, obwohl sie mehrheitlich emotional sehr berührt waren, vor einer offenen Konfrontation mit der Klinikleitung zurückschreckten. Der Primat, auch künftig kooperativ zusammenarbeiten zu können, hatte letztlich das Agieren aller am Gespräch Beteiligten bestimmt, zumal in der konkreten Angelegenheit ein Handlungsbedarf ohnehin nicht mehr bestand. Aber auch im Falle einer zeitnahen Ethikberatung hätte ein Konsens über die Gründe pro oder contra Anbringung eines Fliegengitters möglicherweise nicht gefunden werden können. Im Ergebnis wäre das Ethik-Komitee, sofern ein mehrheitliches Votum angestrebt worden wäre, in mindestens zwei Lager auseinandergefallen. ‚Beratung‛ wäre als moralische

‚Entscheidung‛ wahrgenommen worden, der gegenüber sich die Klinikleitung nur durch ausdrückliche Distanzierung – bei offenem ‚Gesichtsverlust‛ – hätte behaupten können. Was hätte das Krankenhaus dabei gewonnen?

Nicht nur die ausdrückliche Geschäftsgrundlage des Horntaler Ethik-Komitees, wie sie im Eingangsvotum ihres Vorsitzenden Grauwald zum Ausdruck kam, sondern auch die spezifisch organisationale Verortung des Komitees, in dem unterschiedliche Hierarchieebenen vertreten sind, machen es unwahrscheinlich, dass in ihm ethische Beratung konkurrierend zur Entscheidungsbefugnis der Geschäftsführung oder der Ärzteschaft auftritt.24 Am Beispiel des ‚Fliegen-gitterfalls‛ wird vielmehr deutlich, dass es vor allem darum geht, trotz konfligie-render Bewertungen gleichwohl miteinander im Gespräch zu bleiben. Insofern bestätigt dieser Fall die These Nassehis, wonach Ethik-Komitees gerade als Institutionen zur Verhinderung von Moral fungieren. Abschließend bleibt noch zu fragen, warum sie sich in dieser Funktion als ethische Einrichtung auszeichnen.

Auch wenn die Beratungen des Horntaler Ethik-Komitees oftmals nicht so ausfielen, wie es sich die Geschäftsführung selber gewünscht hätte, hält zumindest der Geschäftsführer selber diese Einrichtung für alternativlos. Wo sonst gibt es im Krankenhaus in formalisierter Gestalt einen Ort, wo der Einzelne eine zumindest partielle Distanz zu seiner eigenen Funktionsrolle aufbauen und es sich leisten kann, sich als „Person“ zu präsentieren? Aber auch die Artikulation einer

„Verzweiflung“ des Pflegepersonals angesichts der Entscheidung des Geschäfts-führers, kein Fliegengitter anzuschaffen, weist darauf hin, das es in Klinischen

Punkt war ja bis zum Schluss offen geblieben. Neben zustimmenden Äußerungen hat es, vor allem seitens der Klinikleitung, sprich Frau Petrovič und Herrn Düwel, wiederholt Bemerkungen gegeben, die diese Alternative deutlich negativ beurteilten. Man müsse sich fragen, fasst Grauwald abschießend zusammen: ‚Wie wollen wir in Zukunft damit umgehen?‛ Damit erklärt er die Sitzung für beendet.“[T-HT-9, 472-490]

24 Vgl. zu diesem Punkt auch die Ausführungen von Julia Inthorn in diesem Band.

Ethik-Komitees nicht so sehr darum geht, moralische Überzeugungen zu formulieren, als erlebte oder widerfahrene Situationen und Wahrnehmungen zu kommunizieren. Will man nun verstehen, warum Personen in ganz bestimmten Handlungskonstellationen so handeln wie sie handeln, dann erscheint es zunächst einmal erhellender, diesen Erfahrungen nachzugehen und davon den Aspekt der Rechtfertigung mittels vernünftiger Gründe, wie sie in moralischen Urteilen explizit werden, zu unterscheiden. Johannes Fischer hat darauf aufmerksam gemacht, dass diese präreflexive Ebene des Wahrnehmens von Situationen für das Zustandekommen von Handlungen sehr viel einflussreicher ist als die nachträg-liche Rationalisierung via Moral. Auch wenn der dafür von Fischer herangezogene Begriff der Intuition insofern missverständlich ist, als er die geschichtliche Vermittlung dieser Handlungsprägungen zumindest begrifflich nicht umfasst,25 bleibt sein Hinweis von zentraler Bedeutung, dass es vor allem sittliche, d.h.

lebensformbezogene Einflüsse sind, die unser Handeln auslösen und seine Richtung bestimmen. Diese Struktur sittlicher Orientierung differenziert Fischer nach drei Ebenen, die aufeinander aufbauen: das Erleben, die Artikulation des Erlebten und das Verstehen des solchermaßen Artikulierten.26

Grundlegend für die Intuition ist das Erleben einer Handlung, wobei wir nicht nur ihren Vollzug erleben, sondern mit ihr zugleich eine bestimmte Qualität verbinden, die zentralen Einfluss darüber hat, welchen Wert wir ihr zumessen.

Nach Fischer hat diese „sittliche Intuition […] offenbar die Struktur, dass nicht einfach etwas, sondern vielmehr etwas in etwas erlebt wird, nämlich das Vorhandensein oder auch das Fehlen von etwas im Vollzug oder Geschehen von etwas anderem. So kann eine Handlung liebevoll oder lieblos, freundlich oder unfreundlich vollzogen werden und je nachdem sind wir ihr intuitiv zugeneigt oder abgeneigt.“27 Erst auf einer weiteren Stufe wird nun dieses „Etwas-in-etwas-Erleben“ von uns mittels narrativer Medien sprachlicher oder bildhafter Art imaginiert und so als eine Artikulation in vermittelter Weise zugänglich. Zu sittlichen Urteilen im eigentlichen Sinne gelangen wir jedoch erst auf der Ebene der Auslegung dieser Artikulationen, die freilich nicht nach moralischen Kriterien selektiert, sondern sich darauf beschränkt, „die Implikationen sittlicher Leitorien-tierung für das Verhalten in gegeben Situationen zu verdeutlichen.“28 Im Unterschied zu moralischen Urteilen bewegen sich diese auf der Ebene des Einzelfalls und lassen deshalb keine allgemeinen Schlüsse zu; gleichwohl vermag

25 Vgl. entsprechende Überlegungen von Reiner Anselm in seiner Rezension von Johannes Fischer (2002): Theologische Ethik. Grundwissen und Orientierung, Stuttgart u.a., in: ZEE 47 (2003), 235-238.

26 Vgl. zum Folgenden Fischer, Johannes (2005): Moralische und sittliche Orientierung. Eine metaethische Skizze, in: ThLZ 130. Jg., 471-488, 481ff. unter Hinweis auf Ingolf Dalferth: Die Wirklichkeit des Möglichen, Tübingen 2003.

27 AaO., 481.

28 AaO., 483.

das Verstehen dieser Auslegung gegenüber einer nur intuitiven Verhaltens-orientierung durchaus als Korrektiv zu fungieren.

Betrachtet man nun die einzelnen Gesprächsbeiträge im Horntaler Ethik-Komitee, soweit dies mit Hilfe des Beobachtungsprotokolls und der Einschätzung durch die Interviewauszüge möglich ist, so wird deutlich, dass die jeweiligen Voten sich vor allem auf dieser Ebene des sittlichen Urteils bewegen, in denen Situationseinschätzungen kontrovers diskutiert und durchaus auch (selbst)kritisch korrigiert werden. In ihnen findet der skizzierte Konflikt zwischen emotionaler Betroffenheit und funktional bestimmter Sachlogik insofern eine situations-adäquate Auslegung, als die Mitglieder nicht nur ihre eigenen Wahrnehmungen austauschen, sondern auch die Frage der professionsbedingten Perspektivik reflexiv zum Gegenstand einer ethischen Beratung machen. Damit nehmen sie gegenüber ihrem eigenen Verhalten eine Form der Distanz ein, die Verhalten nicht nur als willentliche Akte moralisch reflektierter Urteilskraft, sondern eben auch als Reaktion auf vorfindliche Kommunikationsstrukturen beschreibbar werden lässt, die nicht allein in der Intentionalität des einzelnen Akteurs aufgeht.

Zwar „verflüssigt“ sich dabei die Zurechenbarkeit individuellen Handelns, insofern dieses nicht mehr exklusiv einem regierenden Willen zugeschrieben werden kann; zugleich erhalten die Diskutanten aber auch die Möglichkeit, anstelle einer zwanghaften ‚Logik‛ der Verhältnisse (und damit der Unterstellung einer hypostasierten Subjektstruktur) eine Anerkennung der Kontingenz menschlicher Interaktion – und Entscheidung ! – in ihre Überlegungen konstitutiv miteinzu-beziehen.

Will man das faktische Agieren von Klinischen Ethik-Komitees verstehen, dann genügt es offensichtlich nicht, Ethik allein auf Moralreflexion zu beschränken.

Denn alltagsweltliche Kommunikation vollzieht sich i.d.R. nicht über moralische Gründe, sondern sittliche Urteile und die sie leitenden Wahrnehmungen und Einstellungen. Deren Zustandekommen ist aber nicht einfach nur biografisch gegeben, sondern entscheidend durch den organisatorischen ‚Rahmen‛ bedingt, innerhalb dessen diese Kommunikation stattfindet. In einem moralischen Sinne

‚gut‛ erscheint mir aber eine solche Ethik zu sein, die diese Perspektivität und Situativität als legitim anerkennt, ohne deshalb die vorhandenen Strukturen einfach als sakrosankt zu erklären. Im Horntaler Ethik-Komitee war es die Juristin, die diese potenzielle Reversibilität von Strukturen und Entscheidungen im Hinblick auf verantwortliches Handeln einklagte, als sie für das Protokoll festhielt:

„Eine Entscheidung in einer Hierarchie ist kein Dogma und kein Gesetz. In der Kommunikation kann und sollte fortgefahren werden.“

Julia Inthorn

Die Ethik Klinischer Ethik-Komitees – eine

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