• Keine Ergebnisse gefunden

Der Ausgangspunkt: Das Ethik-Komitee als säkulares Gremium

Im Dokument Ethik als Kommunikation (Seite 73-77)

Zum Selbstverständnis von Theologen in Klinischen Ethik- Ethik-Komitees

1. Der Ausgangspunkt: Das Ethik-Komitee als säkulares Gremium

Die Teilnahme von Theologinnen und Theologen an Klinischen Ethik-Komitees kann als selbstverständlich gelten; zumindest im Fall der vier im vorliegenden Projekt beobachteten Komitees. Ihre Beteiligung wurde von den übrigen Mitgliedern nie infragegestellt und zum Teil sogar besonders begrüßt.1 Das scheint auf den ersten Blick vielleicht nicht selbstverständlich, denn eine explizit religiöse Kommunikation ist in den Komitees letztlich kaum zu beobachten gewesen.

1 Eine knappe Bemerkung hinsichtlich der Verwendung des Begriffs des Theologen: Die in den Klinischen Ethik-Komitees mitwirkenden Theologinnen und Theologen waren zum größten Teil Krankenhausseelsorgerinnen und -seelsorger (mehrheitlich evangelisch), die mitunter auch noch das Pfarramt in einer Kirchengemeinde führten. Daneben nahmen ein akademischer Theologe und ein Religionslehrer teil. Diese zehn Personen waren auf die vier Komitees in etwa gleich verteilt.

Gemeinsam war allen, einerseits als Vertreter der Institution Kirche aufzutreten und durchaus als solche auch in die Komitees mit hinzu geladen worden zu sein, andererseits ein theologisches Studium absolviert zu haben. Durch diese beiden Merkmale einer Minimaldefinition ist der folgende Gebrauch des Begriffs des Theologen im ersten Zugriff bestimmt.

Weder lässt sich dort ein signifikanter Gebrauch religiöser Sprache und Symbolik ausmachen, noch werden Theologinnen und Theologen auf ihre Profession als solche hin ausdrücklich angesprochen, noch ergeben sich häufig Erörterungen kirchlicher Stellungnahmen.

Dieses weitgehende Nichtvorkommen explizit religiöser Rede liegt nicht unwesentlich in den kommunikativen Rahmenbedingungen begründet: In den meisten Komitees wird nach einem bestimmten kommunikationspraktischen Grundmuster zu agieren versucht, das in einer Ausrichtung des gesamten Beratungsunternehmens auf diskursive Konsensbildung hin besteht.2 Dabei kann keine bestimmte professionsspezifische Perspektive so zum Tragen kommen, wie das in ihrem originären Handlungskontext der Fall ist. Die jeweiligen Eigenlogiken werden im Komitee gleichsam gebrochen an der Forderung nach multidisziplinärer Beratung der gegebenen Problembestände. So kann etwa der Arzt hier nicht nur die ärztlich-medizinischen Indikatoren gelten lassen, die Pflege nicht bloß auf karitative Beweggründe abstellen oder der Geschäftsführer allein den ökonomisch bestimmten Blickwinkel aufrechterhalten. Gleichgültig aus welcher beruflichen Perspektive: alle Beteiligten sind gefordert, sich zu diesem Sachverhalt konstruktiv in Beziehung zu setzen, wenn sie an der Arbeit im Komitee sinnvoll teilnehmen möchten.3 Angesichts des Aufbaus und der anvisierten Kommunikationsverfahren von Klinischen Ethik-Komitees hat sich für Matthias Kettner deshalb auch eine Analyse aus diskursethischer Perspektive nahe gelegt.4 Er benennt fünf Parameter, mittels derer die dortige diskursive Be-ratung bewertet und verbessert werden kann: vernünftige Bedürfnisartikulation, Neutralisierung von Machtdifferenzen, strategiefreie Aufrichtigkeit, Horizontver-schmelzung und Betroffeneninklusion. Besonders die vernünftige Bedürfnis-artikulation und die mögliche Horizontverschmelzung der Diskursteilnehmer weisen auf Kommunikationsbedingungen hin, die weltanschaulich gebundene Stellungnahmen (z.B. religiöse Bekenntnisse) größtenteils ausschließen. Dem haben sich auch die beteiligten Theologinnen und Theologen zu stellen. Warum aber kann dann ihre Anwesenheit als eine Art »Gütesiegel« angesehen werden obwohl es nicht offensichtlich ist, inwiefern Theologen als Theologen sprachlich in Erscheinung treten? Es erscheint doch verwunderlich, dass die ethische Fallbearbeitung im Gremium zwar dezidiert religiöse Thematisierungen weit einschränkt, jedoch Vertreter der religiösen Hauptorganisationen als Mitglieder gern gesehen sind.

2 Allerdings wird dieser Versuch häufig durch verschiedene Faktoren wieder unterlaufen. Vgl. dazu Ley, Friedrich (2005): Klinische Ethik. Entlastung durch ethische Kommunikation?, in: Ethik in der Medizin 17, 298-309 sowie seinen Beitrag in diesem Band.

3 Vgl. dazu auch den Beitrag von Julia Inthorn in diesem Band.

4 Vgl. Kettner Matthias (1999): Zur moralischen Qualität klinischer Ethik-Komitees. Eine diskursethische Perspektive, in: Klaus-Peter Rippe (Hrsg.): Angewandte Ethik in der pluralistischen Gesellschaft, Freiburg Schweiz, 335-354.

Die Antwort hierauf dürfte darin liegen, dass ein Klinisches Ethik-Komitee die modernen soziokulturellen Verhältnisse – freilich auf eine besondere Weise – im Kleinen abbildet. Nun ist es das Verdienst der neueren religionssoziologischen Arbeiten (etwa Berger, Luckmann oder Luhmann), gezeigt zu haben, inwiefern sich eine Säkularisierung der modernen Gesellschaft nur im weiteren Sinne behaupten lässt. Damit ist nicht von einem generellen Bedeutungsverlust der Religion auszugehen, sondern lediglich von einem weit reichenden sozialen Transformationsprozess. Dieser Vorgang kann im Blick auf Religion bekanntlich als ein doppelter Verselbständigungsprozess beschrieben werden: insofern Religion nun als ein Teilsystem der Gesellschaft erscheint, wird einerseits die Gesamtheit der übrigen sozialen Bereiche jeweils der Religion gegenüber selbständig, andererseits kommt damit auch die Religion zunehmend als eigenständig zu stehen. Infolge dessen erscheint sie dann in zweifacher Form: zum einen ist sie als offizielle Institution organisiert; zum anderen kommt sie zunehmend in der Privatsphäre der jeweiligen Individuen zu stehen. Während sie auf institutioneller Ebene zwar als sichtbare Organisationsform erkennbar bleibt, wird sie auf der anderen Seite immer mehr zur Privatsache und somit zur

„Angelegenheit frei entscheidender singulärer Subjekte“5. So besehen hat Religion – soziologisch betrachtet – letztlich eine sichtbare sowie eine unsichtbare Gestalt, je nachdem ob sie auf institutioneller Ebene oder ob sie beim Individuum aufgesucht wird.

Diese Diagnose wirft Licht nicht nur auf den gesamtgesellschaftlichen Bereich, sondern kann in gewissem Sinne auch für den konkreten Kontext von Klinischen Ethik-Komitees in Anschlag gebracht werden: In allen vier beobachteten Komitees fanden sich (erwünschtermaßen) Theologinnen und Theologen vor. Als Vertreter der Institution Kirche kommt ihnen im Komitee dabei die Funktion zu, als Repräsentanten einer religiösen Organisation aufzutreten.6 Dieser Selbstverständlichkeit theologischer Partizipation korrespondiert aber ein weitgehendes Fehlen jeglicher Art explizit religiöser Thematisierung bzw.

religiöser Kommunikation7. Trotz bzw. gerade wegen der Privatisierung und Individualisierung der Religion, die sie im öffentlichen8 Raum „unsichtbar“9

5 Wagner, Falk (1989): Was ist Theologie, Gütersloh, 458.

6 Das Thema der außerkirchlichen Organisation von Religion kann im Blick auf die untersuchten Ethik-Komitees vernachlässigt werden, da dort als Vertreter religiöser Organisationsformen nur Theologinnen und Theologen vertreten waren.

7 Gedacht ist hier etwa an Dogmen, Glaubens- oder Bekenntnissätze oder auch kirchliche Stellungnahmen.

8 In gewisser Hinsicht ergeben sich hier Überschneidungen zu den Überlegungen John Rawls, wie er sie für die politische Öffentlichkeit angestellt hat. Vgl. Rawls, John (1996): Political Liberalism, New York/Chichester/West Sussex. Der von ihm vertretenen Forderung nach einer Enthaltung von weltanschaulich gebundenen Stellungnahmen in öffentlichen Diskursen ließe sich das Fehlen explizit gemachter Religion in den Klinischen Ethik-Komitees analogisieren. Diese Vermutung basiert darauf, dass Klinische Ethik-Komitees einerseits als öffentliche Gremien aufgefasst werden können – denn sie agieren transparent, sind bemüht nach außen hin aufzutreten und sind prinzipiell offen

werden lässt, kommt die »Hintergrunderfüllung« (Arnold Gehlen) letzter Sinnwelten somit als unabdingbarer Bestandteil zu stehen. Das scheint sich im Blick auf die Gesellschaft ebenso durchzuhalten wie für deren „Mikrokosmos“

Klinisches Ethik-Komitee.

Dieser Sachverhalt hat nun freilich Konsequenzen für die Rolle von Theologinnen und Theologen. Da Rollen immer auch durch externe Anforderungen und Zuschreibungsakte gebildet werden, sind sie nicht völlig frei wähl- und gestaltbar.

Wohl eröffnen sie einen Spielraum, der jeweils individuell ausgereizt werden kann.

Aber es gibt Grenzen, über die nicht hinweggegangen werden kann, wenn nicht der Zusammenbruch der mit der bestimmten Rolle zugewiesenen Funktion provoziert werden soll. Im Folgenden wird nun dargestellt werden, wie Theologinnen und Theologen in Klinischen Ethik-Komitees ihre Rolle wahrnehmen, d.h. einerseits wie sie diese auffassen, andererseits wie sie sie ausführen. Es werden zwei Grundmuster zutage treten: zum einen wird ein Fall vorgestellt, in dem eine Theologin permanent darum bemüht ist, sich dadurch als Theologin zu gerieren, dass sie eine Expertenschaft zur Darstellung bringen möchte, die in analoger Weise sichtbar ist wie die ihrer Komiteekollegen. Dabei geht es für sie nicht so sehr darum, diese Vergleichbarkeit etwa durch Rückgriff auf ihre komitee-externen Berufserfahrungen herzustellen, sondern sie möchte auf terminologischer wie gedanklicher Ebene gleichermaßen Theologin sein, wie der Anwalt Anwalt ist, der Geschäftsführer Geschäftsführer, der Arzt Arzt u.s.w.

Wenn aber eingeräumt wird, dass Theologie immer auch und gerade mit Religion zu tun hat, so sind die praktischen Schwierigkeiten vorprogrammiert, die ein solches theologisches Rollenbild verursachen wird. Den anderen Fall bilden letztlich die übrigen der beobachteten Theologen. Bei ihnen lässt sich kein Bestreben finden, eine Expertenrolle zu entwerfen, indem sie ständig religiös ausgewiesene Themen explizit machen. Vielmehr fassen sie ihre Rolle dahingehend auf, dem ganzen Unternehmen Ethik-Komitee unterstützend beizuwirken10 und als Experten fürs Religiöse gleichsam Experten fürs Unsichtbare zu sein. Dass sie keine Expertenschaft wie im ersten Fall anstreben heißt freilich nicht, dass sie kein eindeutiges Rollenbild hätten. Allerdings ist dieses für sie gewissermaßen eindeutig durch Uneindeutigkeit definiert – nicht

für jedermann –, andererseits wird innerhalb der dort stattfindenden Diskurse eine Handlungsentscheidung angezielt, auch wenn sie nur beratender Art sein soll.

Für eine kritische Würdigung der Rawlsschen Konzeption aus theologischer Perspektive vgl. etwa Fischer, Johannes (2004): Theologische Ethik und die Forderung nach Selbstbeschränkung religiöser Überzeugungen im öffentlichen Raum, in: ZEE 48 Jg., 247-266.

9 Die Frage nach der Verlagerung des sozialen Orts von Religion und nach der Möglichkeit zur empirischen Beobachtbarkeit der damit „unsichtbar“ werdenden Religion ist bekanntlich vor allem durch Thomas Luckmann angestoßen worden; vgl. Luckmann, Thomas (21993): Die unsichtbare Religion, Frankfurt a.M..

10 Vgl. dazu den Beitrag von Anne-Kathrin Lück in diesem Band.

Uneindeutigkeit im Sinne von Beliebigkeit, sondern im Sinne der soziologischen Teilunsichtbarkeit ihres Expertengegenstandes.

2. Komiteebezogene Rollenwahrnehmungen von Theologen in

Im Dokument Ethik als Kommunikation (Seite 73-77)