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Der Fall Gantenbein: die desintegrative Selbstverortung

Im Dokument Ethik als Kommunikation (Seite 77-80)

Zum Selbstverständnis von Theologen in Klinischen Ethik- Ethik-Komitees

2. Komiteebezogene Rollenwahrnehmungen von Theologen in Klinischen Ethik-Komitees

2.1 Der Fall Gantenbein: die desintegrative Selbstverortung

Uneindeutigkeit im Sinne von Beliebigkeit, sondern im Sinne der soziologischen Teilunsichtbarkeit ihres Expertengegenstandes.

2. Komiteebezogene Rollenwahrnehmungen von Theologen in

dritte Begründung für ihren Entschluss, die gegenüber den ersten beiden Punkten wesentlich prinzipieller gefasst ist.

Zunächst äußert sie: „Weil ich immer denke, wenn die jetzt dich sowieso nicht richtig brauchen, warum sollte ich da eigentlich immer mein Krams mit einbringen“. Ihr Versuch, sich innerhalb des Gremiums integrativ zu verorten, wird unterlaufen von dem generellen Gefühl des Nichtgebrauchtwerdens. Dieses macht sich für sie aber nicht allein daran fest, als evangelische Pfarrerin in einem katholischen Krankenhaus bzw. dessen Ethik-Komitee nicht genügend Beteiligungsmöglichkeit zu finden. Sondern sie wendet ihre Argumentation auf die allgemeine Frage hin: „wie kann man das theologisch sehen“. Letztlich sei es demnach nicht so sehr ein Problem für sie als evangelische Pfarrerin, als vielmehr für sie als Theologin. An anderer Stelle kann sie dann auch den Vertretern der katholischen Konfession vorwerfen – und daran wird deutlich, inwiefern sie hierin tatsächlich ein prinzipielleres Problem hinsichtlich des Ethik-Komitees erblickt –, sich nicht genügend „als“ Theologen zu profilieren. Sie beansprucht also die allgemeine Wahrnehmung der theologischen (=explizit religiösen) Position als eine den anderen Fachvertretungen analoge. Dazu kommt es nun aber nicht, was eben zu jener Konsequenz führt, die Mitarbeit letztlich aufgeben zu wollen.

Im Blick auf ihre Funktion im Ethik-Komitee äußert Frau Gantenbein weiter:

Meine Idee ist eigentlich gewesen, dass ich unter anderem deshalb ins Ethik-Komitee gehe, weil ich dann auch meine theologisch-ethischen Standpunkte einbringen will natürlich. Ich finde das manchmal sehr begrenzt. Es wird also fast nie :angefragt, dass mal jemand fragt:

was sagen Sie denn als Pastorin dazu, und dann wenn, dann muss ich das immer selber machen. Das finde ich ein bisschen :schade. (E-HT-1, 670-675)

Das fällt im Grunde runter, wenn man’s nicht selber einbringt. Also gut, man muss dann selber gucken, wo das jetzt passen könnte, aber ich denke so, man könnte das in der Gesprächsstruktur auch noch mal stärker differenzieren und auch wirklich mal gucken, dass man die einzelnen Berufsgruppen tatsächlich stärker einbezieht und das dann auch, ne, also so wie [bei] Hansen [sc. der Patientenvertreterin]: was sagen sie als Patientin, wie erleben sie das, oder was sagen die Juristen, aber auch, was sagen die Theologen, also ich hab mir das beim Ethik-Komitee tatsächlich ’n bisschen breiter vorgestellt. (...) Oder die medizinischen Standpunkte, die sind eigentlich viel wichtiger als alles andere, also das, ne? Wie oft da halt irgendwas erklärt wird, wie man dies und das macht, und wie das und das heißt, und wie [sie]

die und die Krankheit verstehen. Aber es ist mir noch nicht passiert, dass mal jemand [fragt]:

also, was sagen sie denn aus der theologischen Sicht dazu? Ja, also, wenn ich das nicht einbringe, da ich ja nun nicht ein schweigsamer Mensch bin, mach ich das wohl auch, aber, und ich finde dann den Part [der katholischen Kollegin] wirklich schwach. Also ich hab sie noch nicht als Theologin erlebt bisher, sag ich jetzt einfach mal so. (E-HT-1, 703-729)

Frau Gantenbein benennt als anfängliche und immer noch zugrunde liegende Motivation für ihre Beteiligung im Ethik-Komitee den Wunsch,

„theologisch-ethische Standpunkte“ in die Komiteearbeit einbringen zu können. Die Theologin oder der Theologe würden ihrer Ansicht nach überhaupt nur dadurch eine den anderen Berufsgruppen vergleichbare Expertise beisteuern können, indem sie genau solche (normativen) Standpunkte vertreten. Das Theologische rückt bei ihr in diejenige Funktion ein, die bei anderen Berufen das jeweilige Fachwissen besitzt. Dadurch soll eine berufliche Qualifikation begründet werden, durch welche sie als Expertin den anderen Expertenschaften gegenübergestellt werden kann. In nahem Zusammenrücken von Theologie und Kirche überführt sie somit ihr Berufsverständnis in eine vermeintliche Eindeutigkeit.

Schließlich zieht sie einen direkten Vergleich zu den anderen im Komitee vertretenen Personen bzw. Fachvertretern. Besonders im Blick auf die Juristen und die Mediziner erscheint Frau Gantenbein ihre eigene Profession nicht genügend beachtet. Während jene stets aufgefordert seien, die verhandelten Sachverhalte auch aus ihrer besonderen Perspektive zu beleuchten, frage keiner nach ihrer theologischen Betrachtung. Diesen Konflikt versteht sie dezidiert nicht als einen rein persönlichen. Wie ihre Kritik an der katholischen Kollegin deutlich gemacht hat, drückt sich darin ein allgemeines Berufs- bzw. Amtsverständnis im Hinblick auf Theologinnen und Theologen aus.

Obwohl in alledem eine große Unzufriedenheit Frau Gantenbeins hinsichtlich ihrer eigenen Rolle im Klinischen Ethik-Komitee deutlich wird, kann sie das Komitee an sich dennoch als eine nützliche Einrichtung auffassen.

Ich halt den Wert unserer Einrichtung [sc. des Ethik-Komitees] – effektiv klingt immer so ein bisschen nach Wirtschaft –, (…) also ’ne wichtige Einrichtung, die die Möglichkeit hat, viele grundlegende ethische Themen überhaupt erst zur Sprache zu bringen und auch [zu]

bearbeiten. (E-HT-1, 595-600)

Ethische Themen, wie sie innerhalb des Krankenhausalltages auftreten, könnten durch das Ethik-Komitee benannt und angegangen werden.11 Das lasse die Arbeit des Komitees als eine hilfreiche Einrichtung für den gesamten Krankenhauskomplex erscheinen. Allerdings trifft Frau Gantenbein diese positive Bewertung unabhängig davon, ob sie sich selber als einen wichtigen Teil des Gremiums versteht, und dass sie das nicht tut, ist bereits deutlich geworden. Zwar ist für sie das Klinische Ethik-Komitee sinnvoll, aber die Sinnhaftigkeit ihrer eigenen Teilnahme daran bewertet sie enorm kritisch.

Der Theologe oder die Theologin ist nach Frau Gantenbein einzig zuständig für die Grundfragen des christlichen Selbstverständnisses, wie sie in der Theologie präsent und aus starker Rückbindung an die kirchliche Institution legitimiert sind.

Ihre Vorstellung, diese Funktion des Theologen stärker im Komitee implementieren zu können, indem man „das in der Gesprächsstruktur auch noch

11 Zur externen Beschreibung dieser Funktion vgl. den Beitrag von Friedrich Ley in diesem Band.

mal stärker differenziert“, kommt nicht zur Verwirklichung. Das führt Frau Gantenbein letztlich zur eingangs dargestellten Konsequenz, dem Ganzen schließlich den Rücken kehren zu wollen. Die sich einstellenden Probleme im Blick auf die Selbstpositionierung im Klinischen Ethik-Komitee bergen demnach ein enormes Resignationspotential, das die eigene Partizipation quasi von innen heraus gefährdet.

Im Dokument Ethik als Kommunikation (Seite 77-80)