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theoretisch bestimmt: Das System erhält sich identisch durch die Differenz zu seiner Umwelt. Entscheidend sei für die Systemtheorie die Differenz vonIdenti

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tät und Differenz, von Selbstreferenz und Fremdreferenz, und nicht die Identität vonIdentität und Differenz, wiees Hegel konzipiert. Luhmann reproduziert die

phänomenologischen Unterscheidungen, die sich entlang der Differenz von Im

manenz und Transzendenz des Bewußtseins in der Form der Intentionalität — daß Bewußtsein immer Bewußtsein von etwas ist — organisieren, und generali siert sie zur binären Differentialität; so wird etwa die Lebenswelt als vergessene Ur-Differenz von Vertraut und Unvertraut rekonstruiert.

Der von Luhmanndes öfterenangeführte systemtheoretische Imperativ »Draw

a distinetion!« impliziert aberebenso wieseinRekurs auf die ursprüngliche Dif

ferenz unerkannt und unbemerkt die Repräsentationstheorie des vorstellenden Denkens. Zur Abwehr der Reifikation der differentiellen Verhältnisse als ontisch

wird die Differenz als Operation eingeführt. Wie in der Erkenntnistheorie die Subjekt-Objekt-Relation keine Beziehung zweier Gegenstände ist, so werden in

der Differenz auch nichtzwei Gegenstände in ein reales Verhältnis gebracht. Die

operative Relationierung wird in der Phänomenologie als Intentionalität des Be

wußtseins, als universale Sinnkonstitution, bestimmt. Diese Operationalität ver bindet Luhmann mit Husserl, dessen Phänomenologieein prominentes Beispiel

für den Übergang vom Substanzbegriff zum Funktionsbegriff darstellt.

Husserls auch außerphilosophisch wirkungsmächtiges Werk »Die Krisis der

europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie« (Hus

serl 1954)traf bei seiner erneuten Veröffentlichung 1954mit seiner Kritik an den neuzeitlichen Wissenschaften und ihrem Technizismus im Namen der sinnerfüll

ten Lebenswclt auf eine wiederbelebte Technologie- und Technokratie-Debatte;

die Verbreitung der Phänomenologie nachdem Zweiten Weltkrieg ist vondieser Rezeption der Lebenswelt-Thematik nicht zu trennen. Husserl argumentiert ge gen den Sinnverlust der modernen rationalen Wissenschaften, der mit ihrer er höhten Leistungsfähigkeit durch Symbolisierung und Idealisierung einhergeht.

Was auf der einen Seite an wissenschaftlichen Resultaten und technischen Erfol

gen gewonnen werde, ginge auf der anderen Seite an Anschaulichkeit und

Ver-stehbarkeit verloren. Aber Husserl will die moderne Wissenschaftlichkeit nicht

verabschieden, sondern verteidigen, denn sie bedürfte nur der Korrektur durch die transzendentale Phänomenologie. Generelle Technikkritik wird zur generel len Rechtfertigungder Technik; es kommt nur darauf an, die Operation phäno menologisch zu legitimieren, den Sinn des Verfahrens zu restituieren. Die Korrektur wird aber nur dadurch möglich, daß die Phänomenologie vor aller phänomenologischen Technik der Beschreibung und Anschauung prinzipiell Technisierung ist: Die Gegebenheitsweise eine Phänomens bestimmt seine Scinsweise. Wie etwas prozessiert, bestimmt das Was. Der Schlüssel für das Ver stehen der autonomen Sachlogik moderner Wissenschaften taugt daher auch für das Verstehen der autonomen Sachlogik moderner Bürokratie — beide als Ratio nalisierungseffekte der Moderne begriffen.

Die Technizität der konstitutiven Operation eines Systems läßt die Deskription dialektisch werden. Der technische Prozeß ist faktisch endlich, weil alle realen Prozesse zeitlich wie matcrial limitiert sind, und ideal unendlich, weil jede

Die Abschaffung des Subjekts in den Schranken der Subjektphilosophie 865 Operation der Möglichkeit nach unendlich oft reproduzierbar sein muß. Erst seine Idee ermöglicht faktisches Prozessieren,weder wiederholt sich Wirkliches noch wäre Identität überhaupt möglich, gäbe es nicht die ideale Voraussetzung der Identität. Verfahren wie Resultat eines technischen Prozesses müssen als je identisch angesehen werden, damit ihre Anwendbarkeit garantiert ist. Identität ist nicht nur Resultat, sondern vor allem Voraussetzung, ohne die die technische Bcherrschbarkeit realer Prozesse unmöglich wäre. Die Idee des technischen Pro zesses beansprucht idealisierte Bedingungen, die real nicht einzuholen sind. Die systemtheoretische Antinomie, zwischen Realität und Idealität vermitteln zu müssen, kehrt wieder. Die Termini der Systemtheorie werden zugleich als Be griff und als Idee verwendet. Durch den Vorrang der Idee ist die Vorherrschaft der Gesellschaft als Idee möglicher Kommunikation vor jeglicher faktischen Interaktion theoretisch erzwungen. Der Institutionalismus ist durch die Logik der Systemtheorie angelegt. Etwaige Restbestände materialer oder substantialer Sittlichkeit wie Leitideen oder Führungssysteme, die auch schon vom Funktiona lismus affiziert sind, werden zu schematisierten Leitdifferenzen transformiert.

Die Differentialität erfordert, daß die Institutionen erfahrungskonstitutiv sind und nicht die individuellen Handlungen. Darin zeigt sich die Pointe der Bewußt seinskonzeption Luhmanns, denn sie erzwingt logisch notwendig die integrale Stellung des sozialen Systems. Die Systemtheorie integriert Voraussetzungen als Konstitutionsmomente, alle externen Bedingungen werden internalisiert. Der Standpunkt des Systems ist der Immanenzstandpunkt: Was vordem in der Phäno menologie Bewußtsein war, ist nun System.

Differenz

Die Systemtheorie hat also nicht nur erkenntnistheoretische Implikationen, sondern sie deutet erkenntnistheoretische Prämissen und deren ontologische Voraussetzungen sozialtheoretisch. Dabei zeigt die Logik der Differenz ihre prinzipielle Schwäche. Der Versuch, die Momente der Differenz zu explizieren, läßt den Glauben an ihre einfache Handhabung schnell schwinden. Es bedarf eines erheblichen logischen Aufwandes, nicht nur um die Operation der Diffe renz, sondern auch um deren Leistungsfähigkeit zu sichern. Die gesamte Theo rie sozialer Systeme und die ihr folgende Gesellschaftstheorie werden zu ihrer Plausibilisierung benötigt; von ihrem logischen Aufweis ganz zu schweigen. Die

binär codierte Differenz ist Resultat einer sozio-kulturellen Abstraktions

leistung, deren Bedingungen wohl kaum evolutionstheoretisch oder sprachanaly tisch aufzubereiten sind; die Ja-Nein-Unterscheidung kann nicht umstandslos als Ergebnis der Evolution oder als Merkmal sprachlicher Aussagen eingeführt

werden.

Jede Differenz ist auf Einheit angelegt, als reine Differenz auch gar nicht vor stellbar. Die Unterscheidung des Einen vom Anderen ist nur möglich, wenn das

Andere im Einen als Moment des Einen erscheint. Daher sind unter der Voraus

setzung strikter Differenz selbstreferentielle Prozesse prinzipiell geschlossen;

ideale und reale Bedingungen werden marginalisiert und ausgeschlossen. So wird der wahrhaftparadoxeScheinerzeugt, daß das Systemreal, evolutionärund

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logisch vonseinerUmwelt abhängt, es aberals logische Errungenschaft betrach

tet, in einem historisch spätenStadium seineUmwelt abzuschaffen (vgl. Luhmann 1984, 592).

Die einzige Umwelt eines Systems aber ist es selbst. Jedes System ist seine eigene Umwelt, ist sich selbst Umwelt. Die prinzipielle Doppeldeutigkeit der Systemtheorie rührt von ihrem Anspruch her, die interne Verfassung eines Systems extern zu beschreiben, das Subjektive objektiviert darzustellen. Ein Systemjedoch kann sich nicht selbst von anderem unterscheiden, denn es fehlt ihm gerade die Kenntnis der anderen. Die Zuständedes einen sind nicht die Zu stände des anderen. Ein System kann sich nur von dem unterscheiden, was es

selbst nicht ist, aber esistnur, was esist. Alle wohlfeilen Überlegungen hinsicht

lich Tautologie und Paradoxie entkommen nichtder ruinösenIdentitätslogik. Ein System ist Innen ohne Außen, Immanenz ohne Transzendenz. Alles andere ist

erschlichen.

Die unterstellte Pluralität von Systemen in der Umwelt setzt voraus, daß das beobachtende System die anderen Systeme nicht als Systeme begreift, denn ex tern ist die Konstitution eines Systems nicht zu vollziehen. Nicht nur wäre jedes System allein — wenn darunter etwas zu verstehen wäre —, sondern der Plural, der von Systemen spricht, wäre genauso unverständlich wie der Plural von Welt oder Ich. So terminieren alle Systeme in der Umwelt in einem System, sollen sie nicht bizarr unberührt voneinander ihre Kreise ziehen. Identitätsbedingungen lassen sich nicht fallweise aufheben. Deswegen ist auch Fremderfahrung prinzi piell ausgeschlossen, nur Systemassimilation möglich. Das letzte, universale System ist das logische Subjekt, von dem allein in der Systemtheorie die Rede

ist.

Luhmann gelingt es daher nur verbal, den Synthesisgedankenzu verabschie

den, der für die Bewußtseinsphilosophie kennzeichnend ist. Die Überlegenheit

gegenüber dem Synthesisgedanken resultiert aus der Erschleichung der Syn-thesis als Auto-poiesis. Die sich selbst produzierende Einheit beansprucht, so wohl Synthesis als auch Organismus zu sein. Diese Identifikation liegt auf der Linie einer naturalistischen Kantinterpretation, die die biologische Selektions

theorie mit der Erkenntnistheorie verbindet. Die Lehre von der Reduktion von

Komplexität entspringt als legitimer Sproß dieser Vereinigung.

Wie bei der Konstitutionstheorie der Erkenntnis erforderte die Komplexitäts

reduktion einen anschauenden Verstand, dem der Übergang vom ursprünglich

unverbunden gegebenen Mannigfaltigen zum einheitlichen Objekt der verbin denden Bewußtseinsleistung unmittelbar anschaulich einsichtig wäre. Entweder ist der unreduzierte Komplexitätszustand anschaulich, dann ist die angenomme ne Beschränktheit des Systems hinfällig. Oder er ist prinzipiell nicht zugänglich, dann wird die Reduktion unverständlich, weil etwas prinzipiell Unerkennbares nicht als bestimmbar angenommen werden kann. Die Komplexitätsreduktion er möglicht erst Komplexität, sie kommt früher als der Zustand, zu dessen Bewälti gung sie angetreten ist. Nur der reduzierten Komplexität läßt sich entnehmen, was unreduzierte vorher war — wie bei Luhmanns Bewußtseinskonzeption. Da mit ist der Begriff der Komplexitätsreduktion nur erheblich eingeschränkt zu

verwenden.

Die Abschaffung des Subjekts in den Schranken der Subjektphilosophie 867 Die Differenztheoriebleibt wie ihr ZwillingIdentitätstheorie im Formalismus stecken. Beide sind als Theorien abstrakt-formeller Verhältnisse tautologisch.

Begriffsexplikationen werden als sachhaltige Ergebnisse abgeleitet, Reflexions bestimmtheiten als Reflexionsbestimmungen aufgelöst. (Transzendental-)Logi sche Bestimmungen werden realontologisch interpretiert. Die Systemtheorie ist

— nach allem Dargelegten kaum verwunderlich — Substantialismus. Luhmann interpretiert logische Bedingungen als intuitiv, beobachtbar, vorstellbar. Ebenso wie die Phänomenologie Intentionalität als prinzipiell gegeben unterstellt, wird die Differenz von Luhmann als beobachtbar angenommen; dabei beansprucht

die Differenz Identität und setzt Differenz voraus. Die Differenztheorie ist trotz

ihrer Konsequenz zum Scheitern verurteilt. Das Theorem der Gleichursprüng-lichkeit von Identität und Differenz ist zwar selbst different, doch muß es die Ein heit seiner Differenz einschließen. Die eigenen Prämissen müssen sich von der ursprünglichen Differenz unterscheiden und dennoch mit ihr identisch sein. Den Preis für diese logischen Komplikationen bezahlt die Systemtheorie mit ihrem Naturalismus und Objektivismus.

Wäre die differenztheoretisch verfahrende Sozialtheorie kritisch (horribile dictu!) angelegt, lieferte sie das Bild einer Gesellschaft atomisierter Einzelentitä-ten als KommunikationsagenEinzelentitä-ten, die heteronom handelEinzelentitä-ten, und die vorgeordne ten Wahlmöglichkeiten — krypto-existentialistisch —als Ekzeß freier Selbstwahl feiern dürften. Zwar ist es niemandem verwehrt, sich als Kommunikations- oder Konstitutionsmaschine aufzufassen, aber fraglich wäre doch, ob jemand sich bei dieser Selbstbeschreibung selbst erkennt. Diese Problematik wäre vor Luhmann als Entfremdung bezeichnet worden, aber Luhmann verbietet sich und anderen mit dem Begriff auch die Erfahrung der Sache.

Objektivität der Erfahrung

Die sinnhafte Realität des Systems ist negationslos. Der in sich indifferente Sinn nimmt die Position des Seins ein — und ist schließlich dort angelangt, wo er spätestens seit Lotzes »Logik«von 1874 (Lotze 1912) über die Zwischenstationen des Neukantianismus und der Phänomenologiehingelangenwollte. Sinn hat Sein verdrängt, Sinn ist Wesens- oder Reflexionssein. Sinn repräsentiert sein uner kennbares Substrat; so setze »die Genese und Reproduktion von Sinn einen Rea litätsunterbau« voraus, »der seine Zustände ständig wechselt« (Luhmann 1984, 97). Der universelle Heraklitismus des Lebens- oder Bewußtseinsstromes der Lebensphilosophie und Phänomenologie ist wieder erreicht. Der Sinnbegriff re stituiert die Dichotomie von Leben und Form, er begründet den prinzipiellen Dualismusder Systemtheorie. Das Leben vollzieht sich selbst autonom und wird durch die Form distinkt repräsentiert. Die theoretischeBeziehung zu Konzeptio nen von Simmel, Dilthey oder James wäre leicht herzustellen. Während aber diese Philosophen Antinomien und Krisen als Konsequenzen dieses Verhältnis ses befürchten, ist Luhmann hingegen Institutionsoptimist. Die Objektivität des Sinnes wird gegenüber individuellen Selbstinterpretationen abgesichert, denn

sie schützt vor eventuell dräuenden Gefahren der Realität.

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