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spielsweise Überschwemmungen auch hierzulande noch als Naturkatastrophen, während der Smog überBuenos Aires schon semantisch erkennbar hausgemacht

Im Dokument Das Argument 178/198 (Seite 52-55)

ist. Die ökologische Realität unsererUmwelt undderen gesellschaftliche Effekte sind also keineswegs gleichzusetzen mit unserer kommunizierten Umweltwahr

nehmung. Es mußmindestens unterschieden werden zwischen bewußten gesell

schaftlichen Reaktionen auf ökologische Zustände und ökologisch verursachten

gesellschaftlichen Veränderungen, und auch dies kann, was die Theorie betrifft,

nicht genügen: Diegesellschaftliche Produktion ökologischer Veränderungen ist

ein Prozeß, der mit der gleichen Gewißheit die Differenz vonSystem und Um

welt sprengt wie ein Eintrag von fünf Gigatonnen C02 pro Jahr (vgl.

Hough-ton/Woodwell 1989, 106ff.) infolge Verbrennung fossiler Energieträger unsere

Die ökologische Krise und die Differenz von System und Umwelt 881 Atmosphäre aufheizt. — Wer Luhmann hier so versteht, daß er dazu aufruft, solche Vorgänge in die öffentliche Diskussion einzubringen, damit sich was ändert, da funktionale Systeme von allein darauf nicht reagieren, folgt einer aus gelegten falschen Fährte. Die Begrenztheit der Reaktion der Exekutive auf Tschernobyl ist ein Beispiel für die von Luhmann konstatierte Einschränkung des Wahrnehmungs- und Möglichkeitsspielraums ausdifferenzierter Systeme. Luh mann geht es aber um die Legitimation dieser Einschränkung: Würde der Staat zu wenig darauf reagieren (zu wenig Resonanz), wäre seine Legitimationsbasis bedroht, würde er zu stark darauf reagieren (zu viel Resonanz; z.B. sofortiger Ausstieg aus der Kernenergie), würde er u.U. die Energiewirtschaft ruinieren, Arbeitslose produzieren und anderes mehr. Es geht Luhmann nicht um ökolo gisch orientierte gesellschaftspolitische Veränderungen und deren Durchset zung, sondern darum, wie sich die herrschende Ordnung trotz selbst erzeugter Krisen und trotz Widerstand dagegen weiter erhalten und reproduzieren kann.

Die Luhmannsche Definition des Begriffs der »ökologischen Gefährdung« läßt sich jedenfalls kaum anders verstehen: »Er soll jede Kommunikation über Um

welt bezeichnen, dieeine Änderung von Strukturen desKommunikationssystems

Gesellschaft zu veranlassen sucht.« (Luhmann 1986,62) Die Umweltgefährdung besteht also in erster Linie im »Rauschen« der ökologischen Kommunikation.

Die Selbstgefährdungder Gesellschaft durch die »basale Anarchie« der Protest

bewegungen erscheint als das wahre Übel. Die selbstdestruktiven Tendenzen der

modernen Gesellschaft werden zu Randerscheinungen, die basale Verursachung dieser Probleme durch Kernstrukturen der bestehenden sozio-ökonomischen

Ordnungen wird gar nicht erst problematisiert.

6. Systemrationalität und ökologische Vernunft

Die modernen Gesellschaften haben die technologischen Fähigkeiten in einem Ausmaß und Umfang entwickelt, daß die sozialen Kompetenzen hinterherhinken, d.h. zur Steuerung der technisch forcierten Veränderungen in Umwelt und Ge sellschaft nicht mehr ausreichen. Daran wird einerseits die Forderung geknüpft,

die überproportional entwickelte technische Vernunft oder instrumentelle Ratio

nalität müsse durch eine kommunikativ zu entwickelnde umfassende Vernunft

bzw. »ökologische Vernunft« eingeholt werden. Andererseits wird der Mangel

eher in ethischenHandlungsorientierungen gesehen, notwendig sei eine Bewußt

seinsänderung als Basis zur Entwicklung einer Umwelt- bzw. Öko-Ethik.

Im Sinne der Systemtheorie Luhmanns ist Vernunft nur als Selbstreferenzdes

Systems —als »Systemrationalität« —zu denken. Diese kann sich folgerichtig nuraufdasOperieren desSystems selbst beziehen und nicht aufseine Umwelt.

Für Luhmann kann »ökologische Vernunft« daher nur in einer systemeigenen

Kontrolle der Rückwirkungen von Umwelt auf Gesellschaft bestehen. Diese ist

aber azentrisch aufgebaut, weil in funktionale Subsysteme differenziert (vgl.

Luhmann 1987), unterliegt somit der jeweiligen Eigenlogik der gesellschaftli chen Subsysteme. Weiterhin ist»ökologische Vernunft« für Luhmann nurdenkbar als je systemspezifische Anstrengung, mögliche Veränderungen der eigenen Systemumwelt zukontrollieren und zukompensieren (vgl. Luhmann 1986,246f).

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Die im Wirtschaftssystem mögliche ökologische Vernunft ergibt sich dann durch 1. dessen spezifische Beschränkung auf das Kommunikationsmedium Geld mit Zahlungen als kommunikativen Operationen, 2. dessen Systemrationa lität, also Wiederherstellung der eigenen Zahlungsfähigkeit unter Kapitalverwer tung, 3. dessen Selbstregulierung über Markt/Preise und 4. der Wahrnehmung der wirtschaftsexternen gesellschaftlichen Umwelt (ebd., lOIf.). Zwar ist Luh mann gegenüber der Fiktion der Umweltökonomie über den Markt eine ökologi sche Anpassung zu erreichen, ebenso skeptisch wie gegenüber den klassischen Modellen eines sich quasi-automatisch einstellenden internen Gleichgewichts bei gleichzeitiger externer Wohlfahrtsmaximierung, die er als »systeminterne Theorie systeminterner Vorgänge« qualifiziert (ebd., 113, 116). Aber Resonanz auf ökologische Probleme kann es nur geben, wenn sie in den Doppclkrcislauf von »zahlen/nicht zahlen« über Preise eingeführt werden (ebd., 114f.), die Alter native dazu ist »Destruktionder Geldwirtschaftmit unabsehbaren Folgen für das System der modernen Gesellschaft« (ebd., 122). Und dieses gilt es zu schützen.

Folgerichtig kritisiert er das Verursacherprinzip nicht in Hinblick darauf, daß sich ökologische Schäden oft nicht finanziell kompensieren lassen, da sie irre versible Folgen haben, auch nicht, daß es meistens gar nicht zur Anwendung kommt, sondern in Hinblick auf eine von ihm so gesehene willkürliche und sim plifizierende Zuschreibung von Verursachung und damit Verantwortung für die Folgen, was u.U. wirtschaftliche Unternehmungen zugrunde richten könnte (ebd., 30). Auch staatliche Eingriffe sind problematisch, da unrentable Investi tionen oder etwa Steuern die Zahlungsfähigkeit der Wirtschaft belasten, die sie auf ihre Weisedurch Kostenüberwälzung wiederherstellen muß (ebd., 110). Was die Wahrnehmung der ökologischen Umwelt durch die Wirtschaftangeht, ist die se durch die Notwendigkeit, eigene Operationen anschließen zu müssen, be schränkt. Versetzt man sich nun in die Rolle eines Bankers der Weltbank, der soeben dem tropischen Regenwald den Gnadenstoß erteilt, wird mit Luhmann klar: er weiß nicht was er tut, sondern lediglich, was daran zu verdienen ist. In seine Umweltwahrnehmung geht der Wald gar nicht ein, die ökologischen Kon sequenzen seiner Handlungen sind nicht Bestandteil seiner Systemrationalität.

Einzelentscheidungen sind also nur kritisierbar, ob sie der Systemrationalität voll genügen oder nicht, die Systemrationalität als solche bleibt für Luhmann aber altcrnativlos. Mit Luhmann kann man aber noch mehr einsehen (wenn man möchte), nämlich: Als Banker kann man gar nicht wissen, daß man nicht weiß, was man tut, denn ein »System kann nur sehen, was es sehen kann. Es kann nicht sehen, was es nicht sehen kann. Es kann auch nicht sehen, daß es nicht sehen kann, was es nicht sehen kann« (ebd., 52).

Luhmann schränkt damitdie Frage nach ökologischer Vernunft aufdas Problem der Steuerungsfähigkeit ein. Diesentspricht seinem Gesamtprogramm: Die Pro

bleme einerbewußten von Vernunft getragenen Vergesellschaftung werden inder

Systemtheorie auf die Frage der Komplexität der Verhältnisse reduziert. Soziale

Krisensituationen und Entwicklungsprobleme ergeben sich durch mangelnde

Reduktion von Komplexität oder unzureichende Differenzierung. Die Gesell

schaft ist derart differenziert, komplex etc., daß sie kaum zu überschauen, zu

steuern odergarzuändern wäre —diesystemtheoretisch verfahrende Soziologie

Die ökologische Krise unddie Differenz von System und Umwelt 883 sieht folgerichtig ihre Aufgabedarin, diese Verhältnisse transparent zu machen.

Realwidersprüche sind dann methodisch als solche nicht mehr erkennbar. Das Problem scheint lediglich darin zu bestehen, ausreichend komplexe theoretische Konzepte zu entwickeln, mit denen soziale Komplexität aufgeschlüsselt und be arbeitbar wird. Die Widersprüche sind keine realen mehr, sondern solche der Deskription mit Begriffen, die gesellschaftliche Komplexität nicht hinreichend

erfassen.

Die damit getroffene Theorieentscheidung läßt sich durch eine vereinfachte Gegenüberstellung der Argumentationskerne von Systemtheorie und dialek tischer Gesellschaftstheorie verdeutlichen. In der Systemtheorie agieren und reproduzieren sich sozialeSysteme über ihre Elemente, also durch menschliche Kommunikationen bzw. Handlungen, wobei die Individuen selbst aber als Um weltendieser Systemebegriffenwerden. Die mangelnde Kontrolleder jeweiligen Umweltdurch das System führt zu dessen Krisenerscheinungen. Die Aufhebung dieses basalen Integrationsproblems gesellschaftlicher Systeme erhofft sich die

Systemtheorie von einer konsequenten Durchfunktionalisierung aller gesell

schaftlicher Teilbereiche. In der dialektischen Gesellschaftstheorie handeln und kommunizieren Menschen in einem von ihnen selbst erzeugten und organisierten System. Mangelnde Fähigkeiten zu einer bewußten, von Vernunft getragenen

Vergesellschaftung fuhren dazu, daßsieselbst von derunkontrollierten Dynamik des Systems erfaßt werden. Die Aufhebung dieses Systemwiderspruchs, daß ein System, das von Menschen für Menschen und durch Menschen erzeugt wird,

diese selbst in variierendemUmfangbeherrscht, wird über die Eliminierung von sozioökonomischen Ausbeutungs- und Herrschaftsstrukturen angestrebt.

Dieökologischen Probleme der Industriegesellschaft lassen sichnicht einfach

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