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Gewährsmann Maturana, hinter die Überlegungen des späten Kant (Kant 1799;

Im Dokument Das Argument 178/198 (Seite 32-36)

1936; 1938) und des späten Husserl (Husserl 1950; 1973) zurück. Es lassen sich plausible Argumente gegen die sozialtheoretische Verwendung des Bewußtseins begriffs anführen; wenn man sie akzeptiert, sollte man überhaupt auf den Bewußtseinsbegriff verzichten und ihn nicht nur in seiner Funktion einschränken.

DieAbschaffung desSubjekts in den Schranken der Subjektphilosophie 861 Sozialphänomenologie

Luhmanns Bewußtseinskonzeption leitet sich, wie auch seine philosophie geschichtliche Perspektive, ausder Phänomenologie her. Deren philosophische

Konzeption begreift die Ideengeschichte einzig in der Funktion, Vorläufer der Phänomenologie zu sein. Von dieser Rekonstruktion zehrt Luhmanns Theorie

geschichte, so daß sich andere Positionen vor dem phänomenologischen Blick rechtfertigen müssen. Dabei unterstellt Luhmann, es hätte mit einerVerlagerung der Abstraktion sein Bewenden: Anstelle auf das transzendentale Subjekt wäre auf dasSystem hinzu abstrahieren. Statt der transzendentalen Phänomenologie

des reinen Ego hätten wir dann die transzendentale Systemtheorie.

Verwunderlich bleibt die Annahme, es ließen sich die phänomenologischen Deskriptionen umstandslos systemtheoretisch transponieren, indem sie auf die Systemlogik umgestelltwerden. Luhmannbenötigtdas Kritisierte, denn er muß dessen Richtigkeitunterstellen, um es zu generalisieren. So findetsich denn alles Phänomenologische verteilt und verdoppelt auf Bewußtsein und Gesellschaft wieder ein, die Logik des Bewußtseins und die der Gesellschaft verfahren iso morph zueinander. Dabeiattestiert Luhmannder Bewußtseinsphilosophie, keine eigentliche Intersubjektivitätstheorie ausbilden zu können. Aber deren Kern punkt, die Deduktion des Alter ego, ist ein erkenntnistheoretisches Thema, das sich erst nachträglich stellt — trotz Descartes, Fichte und Husserl. Auch bei ih nen entwickelt sich die Intersubjektivitätsproblematik als Konsequenz ihrer ur sprünglichen Theoreme. Wasder modernen Subjektivitätstheorie als Stärke aus gelegt worden ist — Unüberbietbarkeit der Gewißheit, Letztbegründung, Sub jektivität, Individualität, Rationalität, Universalität, Autonomie, Selbstbestim mung —wird ihr in neueren Interpretationen als Hybris der Selbstermächtigung ausgelegt; nicht zuletzt weil sie den Anderen theoretisch beherrschen wolle. Die ausgezeichnete Stellung des cartesianischenCogito in der Phänomenologie be dingt gerade die Kritik in der Form der abstrakten Negation. Nur wo die theoreti sche Zentralposition mit einem universellen Prinzip besetzt ist, läßt sich durch eine radikale Umwertung genereller Gewinn erzielen, ohne doch eingreifend etwas zu ändern. Deswegen wird das Ego cogito der Phänomenologie angegrif fen, aber nur um es auszutauschen.

Die Bewußtseinsphilosophie, so Luhmann, sei konstitutiv nicht in der Lage, das Soziale zu begreifen. Sie könne »die Eigenständigkeit der Sozialdimension und die ihr zugeordnete Unendlichkeit ichhafter Innenhorizonte nicht formulie ren« (Luhmann 1984, 129). Die Anlehnung an die Phänomenologie rächt sich, denn Luhmannn verläßt sich auf Theoriemomente, die gegen das Soziale konzi piert worden sind. Luhmann argumentiert mit der Phänomenologie gegen sie;

seine Explikation des Sozialen treibt ihn in die phänomenologische Monadolo gie, deren Sozialtheorie durch ihr a-soziales transzendentales Ego konterkariert wird. Was die Phänomenologie an Intersubjektivität gewinnt, verliert sie an Sub jektivität, an sich selbst. Intersubjektivität kann nur dadurch erzielt werden, daß die konstitutiven Leistungen des Subjektes eingeschränkt werden. Aber damit wird die gesamte Theorie gefährdet, weil ihre prinzipiellen Prämissen aufge hoben werden. Wie Husserl an der Intersubjektivitätsproblematik scheitert, so

DAS ARGUMENT 178/1989 ©

862 Klaus Zimmermann kann Luhmann nicht Momente der Ichkonstitution beliebig vervielfältigen, um

das Soziale zu generieren. Die »ichspezifische aktuale Unendlichkeit« des Ich,

»seine transfinite Selbstheit« (ebd., 129) gewönne das Ich »nurin der Kontrastie

rung zu einem anderen Ich(Du) gleicher Art.« Ein verdoppeltes Ich istkein Du.

Die Theoreme, die Luhmann zur Sozialkonstitution verwendet, sind konstitutive

Momente einer Subjektivitätstheorie, die annimmt, sich und die Subjektivität

vom Sozialen abstrahieren zu können.

Luhmanns Hinweise auf die Transzendentalphilosophie sind irreführend, er

fordert Problemlösungen am falschen Ort. Der vermeintliche Mangel Kants,

eine dezidierte Theorie des Selbstbewußtseins nicht aufweisen zu können, ist in seiner unmittelbaren Nachfolge reklamiert worden. Auf diese Theorien bezieht sich Luhmann, auf Konzeptionen, die sich ethisch, ästhetisch, ironisch und ver zweifelt geben—aber nichtsozial. Die Unendlichkeitsspekulation des affirmati ven und sich selbst affirmiercnden Ich — der Selbstheit, des Ganzseins — ist das Wesen einer Philosophie, die sich das Epitheton »bürgerlich« verdient hat.

Nachträgliche Sozialität

Luhmann beschreibt trotzdem Sozialität als sekundär-derivativ. Er argumentiert e contrario: Da die Antithese unmöglich sei, müsse die These wirklich sein.

Seine Konzeptionder Autopoiesis des Bewußtseins nimmt einen geradezu klassi schen Toposauf, wenn sie die Enge des Bewußtseins —daß das Bewußtseinnur einen Inhalt in einem Moment haben kann —als Voraussetzung seines notwendi gen Prozessierens anführt. Erst dieser Mangel konstituiert Sozialität. »Allwis sende psychische Systeme stünden im Verhältnis zueinander in voller Transpa renz und könnten daher keine sozialen Systeme bilden« (Luhmann 1984, 458).

Demnach wäre Sozialität anthropologischsupplementär, denn sie ergänzte einen ursprünglichen Mangel, der niemals auf Dauer zu kompensieren wäre. Der augenblicklich erfassende totale Blick, die reine Intuition, wäre a-sozial und ei nem monologischen theoretischen Subjekt zugehörig — Gott oder das logische Subjekt des Theoretikers.

Dieser Ausgriff von konstitutionellen Beschränkungen auf die Totalität ist schlichtweg Metaphysik. So wie die Autopoiesis denselben cpistemologischen Status wie das cartesische Cogito beansprucht, so entgeht Luhmann auch hier nicht den Konsequenzen seiner Systemtheorie. Die Defizienz des Bewußtseins wird nur in Beziehung auf ihre Negation festgestellt. Das Ideal des sich völlig selbst präsenten Bewußtseins kann nur abstraktiv gebildet werden, wenn alle Einschränkungen des Bewußtseins aufgehoben werden. Aus der Verendlichung der Unendlichkeit wird die Faktizität des Bewußtseins begriffen; nur aus dem Vergleich mit der Allwissenheit läßt sich verstehen, was es heißt, nicht allwis send zu sein. Das Ideal aber impliziert seine Unmöglichkeit — ein sich selbst transparentes Bewußtsein ist nicht vorstellbar, ob es überhaupt möglich wäre, strittig. Es ist nur als Grenzbegriff der aktuellen Bewußtseinsleistung denkbar.

Das Ideal muß einerseits unterstellt werden, sonst wäre es seiner Funktion be raubt, während es andererseits für das endliche Bewußtsein unmöglich zu ver wirklichen ist. Damit beansprucht die Systemtheorie auf der einen Seite, was sie

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sich auf der anderen Seite als limitativ ausgeschlossen anrechnen läßt. Die

Unterstellung der »schlechten« Unendlichkeit des unendlichenProzesses, die die

Unendlichkeit als unbeschränkte Endlichkeit begreift, ist theorietragend. In

ihren Idealisierungenerschleicht sich die Systemtheorie ihre kritische Pointe, in

dem sie ihre Voraussetzungen als Resultate genetisch erzeugt.

Luhmanns Theorie wird durch anthropologische Annahmen gestützt und gesteuert. Dort, wo sie explizit auf die Anthropologie eingeht, gestattet sie sich einen leicht errungenen Sieg, wenn sie eine Wesensanthropologie menschlicher

Eigenschaften widerlegt, die mitihrer Formder Wesensaussage schonden neue ren wissenschaftstheoretischen Bedingungen nicht mehr genügt. Statt dessen

heißt es: »Autopoiesis qua Leben und qua Bewußtsein ist Voraussetzung der Bildung sozialer Systeme, und das heißt auch, daß sozialeSysteme eine eigene Reproduktion nur verwirklichen können, wenn die Fortsetzung des Lebens und des Bewußtseins gewährleistet ist.« (Ebd., 296) Das mag trivial sein, aber nicht trivial wäre es, wenn es gelänge, Leben und Bewußtsein oder organische und psychische Reproduktion nur durch »ausreichendeBeobachtung« (ebd., 296) zu unterscheiden —als wären es unkorrigierbare, unmittelbare Selbstverständnisse, das intuitive Selbstgefühl. Die als selbstverständlich beanspruchte Unterschei dung zwischen Leben und Bewußtsein müßte als notwendiges Moment des Be wußtseinsaufgezeigtwerden. Die Unterscheidung setzt sich selbst voraus. Luh manns grundlegende Annahmen sind unausgewiesen; seine Theoreme bedürfen schon zu ihrer Darstellung der ausgearbeiteten Kultur- und Gesellschaftstheorie.

Darin eine rekursive Tugend der Theorie zu erblicken, verleugnet die Schwäche der Reflexionstheorie, die logisch von ihrem Substanz- und Systembegriff her rührt. Auch sie reflektiert nur das, was sie selbst hervorgerufen haben muß, soll sie möglich sein. So werden die Analysen tautologisch, denn sie bestätigen nur die abstrakte Anthropologie der Systemlogik.

Technizität

Die von der Systemtheorie beanspruchte und doch nur postulierte Unendlichkeit und Totalität des Bewußtseins, die das Maß für das verendlichte, defiziente Be wußtsein stellt, findet in der idealen Unendlichkeit des Sozialen ihr Gegenstück.

Das Soziale ist die Restitution dessen, was dem Bewußtsein ursprünglich nicht gelingt. Soziale Systeme treten mit der Prätention der prinzipiellen idealen All wissenheit auf. Die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen werden sozial-theoretisch eingeholt. Das universale soziale System ist das einzige mögliche logische Subjekt der sozialen Realität. »Im Grunde sind die Begriffe der Totali tät, der Gesellschaft und der Gottheit wahrscheinlich nur verschiedene Aspekte ein- und desselben Gedankens.« (Durkheim 1968, 630f.)

Luhmann beabsichtigt, indem er das Theorem der Leitdifferenz einführt, die universalistischen Ansprüche seiner Theorie einzulösen, die denen des Systems entsprechen. Der Universalismus Hegels wird phänomenologisch aufbereitet.

Die Systemtheorie analysiert nicht mehr das Ganze und die Teile, aus denen es

besteht, sondern siegibt dieÄquivalenzklasse derOperation an, diedie funktio

nale Einheit des Systems garantiert. Die Einheit des Systems wird

differenz-DAS ARGUMENT 178/1989 ©

864 Klaus Zimmermann

theoretisch bestimmt: Das System erhält sich identisch durch die Differenz zu

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