• Keine Ergebnisse gefunden

Der Hauptteil des Heftes umfaßt neben einer programmatischen Einleitung des Herausgebers insgesamt sechs Abhandlungen, die eine gewisse thematische Einheit

Im Dokument Das Argument 178/198 (Seite 139-143)

bilden. Diese Beiträge stammen von ausgewiesenen Spezialisten verschiedener

DAS ARGUMENT 178/1989 ©

968 Besprechungen Disziplinen; sie verbinden jeweils detaillierte Quelleninterpretationen mit der Aus wertung und Kritik der modernen Forschung. Hervorheben möchte ich drei Beiträ ge. U. Herrmann diskutiert das Thema Aufklärung als pädagogischer Prozeßin drei facher Hinsicht: als individuellen Prozeß der (Selbst-)Aufklärung des einzelnen Subjekts, als gesellschaftlichen (d.h. vor allem institutionell zu organisierenden und abzusichernden) Prozeß der Völksaufklärung, schließlich auch »als einen gattungs geschichtlichen Prozeß der sich aufklärenden 'Menschheit' als eines 'Subjektes' der Geschichte, deren Verlauf (Prozeß) als Fortschritt (Progreß) entworfen wird.« Diese drei Aspekte sind eng miteinander verflochten und setzen sich in der historischen Wirklichkeit wechselseitig voraus. Freilich, wenn die Bedingungen und Intentionen

individuellen und kollektiven Handelns nicht in Übereinstimmung sind (was häufig

der Fall ist), ist dieser Prozeß der Autklärung durch innere Widersprüche gekenn zeichnet; er droht dann an den gegenläufigen Tendenzen zu scheitern, die er selber

freigesetzt hat. D. Klippel gibteinen Überblick über Politische Theorien im Deutsch

land des 18. Jahrhunderts; er wendet sich gegen die gängige These, die deutsche Aufklärung sei unpolitisch gewesen, und unterscheidet fünf Hauptströmungen poli tischen Denkens. H.E. Bödeker schließlichbeschreibt in seinem Beitrag Aufklärung als Kommunikationsprozeß grundlegende Strukturen des fortschreitenden und sich stetig beschleunigenden gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses: Aufklärung gründete in Kommunikation und produzierte ihrerseits vielfältige, ausführliche und intensive Kommunikation. Bödeker skizziert zunächst die aufklärerische Konzep tion von Kommunikation, um sich dann mit dem Briefwechsel der deutschen Gebil deten zu beschäftigen, dem für die Entfaltung der Aufkärung große Bedeutung zu kam. Anschließend behandelt er das Zeitschriftenwesen, dessen Expansion und den damit verbundenen Strukturwandel: Dies war Voraussetzung für die Entstehung ei nes Kommunikationszusammenhanges, der die territoriale, kulturelle und intellek tuelle Zersplitterung Deutschlands allmählich überwinden half. Neben Briefwechsel und Zeitschriftenpublikation spielten die so vielschichtigen Aufklärungsgesellschaf ten (s. Das Argument 164,605f.) eine außerordentlich wichtige Rolle für den aufklä rerischen Kommunikationsprozeß. Horst Walter Blanke (Bielefeld) Bödeker, Hans Erich, und Ulrich Herrmann (Hrsg.): Aufklärung als Politisie rung — Politisierung der Aufklärung. Felix Meiner Verlag, Hamburg 1987

(302 S., Ln., 98,- DM)

Der Band versammelt Vorträge, die auf der 8. Tagungder Deutschen Gesellschaft fürdie Erforschung des 18. Jahrhunderts imNovember 1983 inWölfenbüttel gehalten worden sind. Leider fehlen einigeder zentralen Beiträge der Tagung, so z.B. der Er öffnungsbeitrag von Rüdiger Bubncr »Säkularisierung und Geschichtserfahrung«,

der an anderer Stelle veröffentlicht worden ist.

Der Prozeß der Aufklärung wurde im 18. Jahrhundert nicht nur von der reflexiven Kraft des Verstandes getragen, sondern er war»vor allem auchdie (Sache) des prak tischen Verhaltens zur Welt und Umwelt, eine alle Lebensbereiche umfassende Re formbewegung« (5). Eine so begriffene Aufklärung war die »Bedingung der Mög

lichkeit für die Herausbildung eines politischen Bewußtseins« (ebd.). Hieraus erge

ben sich zwei zentrale Fragen, die in den meisten Beiträgen behandelt werden: Wie hat die so verstandene Aufklärung »Politisierung« gefördert, und welche Verände rungen hat die Aufklärung dabei selbst erfahren? Die Autoren haben zur Beantwor tung dieser beiden Fragen unterschiedliche Zugänge gewählt. So enthält der Band neben einer Reihe von —zumeist personenbezogenen —Einzelfallstudien aucheini ge eherals systematisch zu bezeichnende Abhandlungen (H. Wiegmann: Redekunst

SozialeBewegungen undPolitik 969 und Politik; D. Klippel: Naturrecht als politische Theorie) und —besonders erwäh nenswert —eine Liedinterpretation (H.-W. Jäger). Thematisch wurden verschiede nartigeSachverhalte und Probleme untersucht. Diesgilt insbesondere für die Aufsät ze von W. Martens (Die deutsche Schaubühne im 18.Jahrhundert — moralische An stalt mit politischer Relevanz?), J. Schmitt-Sasse (Der Patriot und sein Vaterland.

Aufklärer und Reformer im sächsischen Ritablissement) und den instruktiven Bei

trag von D. Hoffmann (Überlegungen zum Problem einer politischen Ikonographie

der deutschen Aufklärung), der herausarbeitet, daß im 18. Jahrhundert eine politi sche Ikonographie entstand, die kennzeichnend für das aufklärerische Streben nach Humanisierung der allgemeinen Lebensbedingungen ist. Leider fehlt ein Beitrag, der die Bedeutung der Aufldärungstheologie für die Politisierung behandelt, wenn man einmal von dem Aufsatz von U. Becher (Moralische, jurstische und politische Argumentationsstrategien bei Friedrich Carl von Moser) absieht, in dem auf die

pietistische Prägung von Moser hingewiesen wird, dieals solche auch in seine auf

klärerische Argumentationsstrategie Eingang gefunden hat.

H.E. Bödeker untersucht »Prozesse und Strukturen der politischen Bewußtseins-bidung der deutschen Aufklärung«. Er kann zeigen, daß die Gebildeten in Deutsch land, die zumeist als Publizisten und Beamte tätig waren, in »kritischer Koopera tionsbereitschaft mit den Fürsten« ihr »Programm politischer Aufklärung und Re form anstelle von Revolution« vertraten (28). In seiner Studie über J.H.G. von Justi kommt H. Dreitzel zu einem vergleichbaren Ergebnis: Auch Justi ging es nicht um Revolution, sondernum Kritikund Reformen. Dazu»politisierte er die Kameralwis-senschaften, indem er sie zu Staatswissenschaften erweiterte und zu einem Instru ment der Kritik ausbaute« (172). Weitere personenbezogenen Einzelstudien sind J.

Mauvillon (J. Hoffmann), I. Kant (R. Brandt) und E.F. Klein (E. Hellmuth) gewid met. W. Schneiders analysiert das Verhältnis von Philosophie und Politik an Hand von Äußerungen von C.Thomasius, C. Wolff, Friedrich II. undI. Kant imaufgeklär ten Absolutismus. U. Herrmann belegt, daß Erziehung und Unterricht, Schule und

Universitäten nach 1762 (dem Erscheinungsjahr einer deutschen Übersetzung von

Rousseaus »Emile«) zu einem»Politikum ersten Ranges geworden sind und maßgeb liches zur Politisierung der Aufklärung beigetragen haben. Den Politisierungs

prozesse innerhalb der Schauspielkunst geht K. Wölfel nach. Dieser Beitrag gehört

zu den wenigen, in dem der BegriffPolitisierung explizit behandelt wird.

Dirk Fleischer (Reken)

Soziale Bewegungen und Politik

Leggewie, Claus: Die Republikaner. Phantombild der Neuen Rechten. Mit Beiträ

gen von Ulrich Chaussy, Volker Hartel, Volker A. Zahn. Rotbuch Verlag, West-Ber

lin 1989 (153 S., br., 14,-DM)

Das gut lesbare Buch geht über ein »Phantombild« für die Fahndung hinaus, wel ches oberflächlich ablehnend und kämpferisch bliebe. Eheristes der Versuch einer Krankengeschichte des Patienten: Statt blindem Aktionismus der Linken gegen die REPs regt es zu einem ernsthaften »(Selbst-) Aufklärungsprozeß über diesen politi schen Gegner« (10) an. Interviews mit einem jugendlichen REP-Wähler, einem jun gen Karrieristen in der Partei (C. Pagel), dem Parteiführer Schönhuber sowie Ein drücke aus Wahlversammlungen und einer Mitgliederversammlung lassen die Dis kurse, die sich hierverknoten und neu artikulieren, plastisch werden. Die Entwick lung der REPs seit 1983 wird als Geschichte der Krisen, Intrigen und Spaltungen

DAS ARGUMENT 178/1989 ©

970 Besprechungen beschrieben (60ff.). Auch die Person Schönhubers wird mit »soziologischer Neu gier«, so Leggewies Zielsetzung (10), porträtiert (108ff.).

Die Analyse der schriftlich niedergelegten Programmatik (87ff.) arbeitet Elemente heraus, die auch in anderen politischenStrömungenvertreten werden: z.B. die popu listische Rhetorik, die Nähe zu bestimmten ökologischen Tendenzen (z.B. der

ÖDP), antiamerikanische Elemente bei Schönhuber, die Tendenz zur Blockfreiheit,

die Forderung nach Kooperation mit den Völkern der »Dritten Welt« sowie die For derung einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft mit genossenschaftlicher Selbstverwaltungbei den jungen REPs. An dieser Verknotung unterschiedlicher Dis kurse müßte die weitere Analyse einsetzten, um die Handlungsfelder der Linken schnell, also vor einer organisatorischen Verfestigung dieser Diskursstruktur sowie

des damit verbundenen sozialen Bündnisses in der Partei abzustecken. Von einem

aktuellen Buch kann eine solche Analyse wohl nicht erwartet werden.

Den theoretischen Rahmen seinesHerangehens an das Problem »REP« steckt Leg-gewie mitden folgenden Bemerkungen ab: In der Bundesrepublik gabes, wie insge samt in Westeuropa, immer einen »Bodensatz« rechtsextremistischer Einstellungen, der jedoch vonder Unionintegriert werden konnte (32). Das Integrationsmodell der modernisierten Unionhat »am rechten Rand« des »Parteienspektrums« versagt (zum

folgenden: 54). In der Union haben sich zwei Linien (Überholung des soziallibera

len Politikmodells gegen konsequente Revision) herausgebildet, die sich mehr und mehr bekämpfen. Die rechtsextremistischen Potentiale verselbständigen sich jetzt am rechten Rand, weil sich die politischen Verhältnisse auf ein westeuropäisches Maß »normalisieren« (»Heraustreten aus demSchatten Hitlers«), weil rechtspopuli stische Erfolge in den Nachbarländern hiesige Versuche ermuntern, weil in einer

»Art Symmetrieeffekt« auchauf der rechten Seite des Parteienspektrums neueSpal tungslinien entstehen (28), weil die alte Kernwählerschaft der Union (Bauern, alter Mittelstand) materiell von der Regierungspolitik enttäuscht wird und der neue Mit telstand vom »Wertewandel« erfaßt ist. So entsteht ein Vakuum, in das die neuen

rechten Parteien eintreten können.

Ich denke, daß die Analyse mit dem Modell des fast natürlichen, ausbalancierten Spektrums von »Rechts« nach »Links«, wie es hier, aber auch an anderen Stellen (z.B. 150),durchscheint, die Entstehungder REPs, ihre soziale Bündnisstruktur und

diediskursive Struktur nicht systematisch erfassen kann, alsonicht hinreichend poli

tische Eingriffsmöglichkeiten bereitstellt: Die REPs können weder politisch noch theoretisch als ein Problem der Union angegangen werden. Indizien dafür nennt auch Leggewie: Nicht nur Wähler, sondern auch Funktionäre kommen von der

SPD (17, 75), die Wahl der REPs ist ein grundsätzlicher Protest gegen das gesamte politische System, jedoch indiesem (27). Trotzdem sieht Leggewie die Lösung des Problems REP bei derUnion: Siesoll über die Integration ihrerStrömungen imSin ne der »Reformer« (Geißler u.a.) auch die Abspaltung »REP« integrieren (147ff.).

Jörg-Michael Vbgl (Marl) Girvin, Brian (Hrsg.): The Transformation of Contemporary Conservatism.

Sage Publications, London 1988 (232 S., br., 10,95 £)

Die gegenwärtigen politischen Positionen konservativer Parteien und deren Kurs

wechsel sind Gegenstand des vorliegenden Bandes, der aus einem Workshop des

»European Consortium for Political Research« (ECPR) in Göteborg 1986 hervorge

gangen ist. Im Unterschied zu einem großen Teil der Neokonservatismus-Literatur konzentrieren sich die zehn Beiträge, in denen neun westliche Länder behandelt

werden, vor allem aufdie parteiförmige Erscheinung. D.h. es geht weniger um die

Soziale Bewegungen und Politik 971 Ideologien intellektueller Protagonisten oder das Alltagsverhalten bzw. die Stim mungslage des Massenpublikums. Dabei wird das rechte parteipolitische Spektrum in seiner Entwicklung vorwiegend in der Zeit nach 1945 analysiert.

In seiner Einleitung unterscheidet der Herausgeber drei Grundformen konservati ver Parteien in demokratisch-kapitalistischen Systemen (9ff.). Bei der »liberal-kon servativen«, die in Großbritannien und den USA anzutreffen ist, sind (Markt-)Libe-ralismus und Konservatismus vollständig verschmolzen und zu einer homogenen Ideologie und zu einer konsistenten sozialen Basis zusammengewachsen. Die

»Christdemokraten«sind gekennzeichnetdurch eine beachtliche Spannung zwischen christlichen Moralvorstellungen und Marktindividualismus. Zwar zeichnet sich eine zunehmende Annäherung an die liberal-konservative Strömung ab, doch bleiben charakteristische Unterschiede, vor allem bezogenauf die Rolledes Staates und sein Verhältnis zum Individuum. Der »autoritäre Konservatismus« hingegen ist stark eta-tistisch und nimmt, um konservative Werte zu schützen und zu erhalten, ein erhebli ches Maß an Staatsintervention in Kauf. Typische Fälle hierfür sind die französi schen Gaullisten, die Fianna Fäli in Irland und mit Abstrichen die CSU. Konservati ve Parteien und ihre Politik werden im Unterschied zur bekannten Definition

Greif-fenhagens (s. Grande, 56f.) nicht nur als bloßreaktiv verstanden. Im Gegenteil, sie stellen eine alternative und parallele Betrachtungsweise der politischen Realität dar, und sie versuchen, ihre politische Hegemonie über die Gesellschaftzu entfalten. In dieser Hinsicht bedeutet konservativ eine spezifische Variante von Fortschritt (10f.).

Gillan Peele nimmt sich des neokonservativen Musterfalles Großbritannien an und arbeitet zutreffend heraus, wie wichtig der Wahlsieg von 1979 für die Entfaltung des neokonservativen Programms in der Conservative Party war. Dieser erst hat dem

thatcheristischen Kurs zum Durchbruch verholfen und es der Parteiführerin erlaubt,

Im Dokument Das Argument 178/198 (Seite 139-143)

Outline

ÄHNLICHE DOKUMENTE