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Dieökologischen Probleme der Industriegesellschaft lassen sichnicht einfach durch Erweiterung technischer Kompetenz oder instrumenteller Rationalität

Im Dokument Das Argument 178/198 (Seite 55-59)

lösen. Alternative Technik kann nicht einfach höhere instrumenteile Rationalität

in bezug auf Folge- oder Nebenwirkungen heißen, sondern muß durch eineneue kommunikative Kompetenz gesteuert werden. Luhmann siehtzwar, daß die öko logische Krise eingesellschaftliches Problem istund nicht eintechnisches. Seine Soziologie bleibt aber einer Ratio verhaftet, die soziale Beziehungen wie

menschliche Interaktionen in vergegenständlichender Einstellung zum Gegen

stand möglicher Operationen macht, genau wie naturwissenschaftliche Technik Natur zum Objekt menschlicher Beherrschung macht. Eine derartige Sozial technologie erscheint machbar, birgt aberdieGefahr in sich, gegenwärtige Pro bleme durch Technologieeinsatz aktuell zu meistern, zukünftig und aber weit größere Folgeprobleme zu erzeugen. Was sich mit Luhmann einsehen läßt, ist,

daß es nichtausreichenkann, an eine »ökologische Vernunft« zu appellieren,die

z.B. den vernünftigen Gebrauch nicht erneuerbarer Ressourcen gewährleisten soll. Die Frage ökologischer Vernunft muß —um wirksam werden zu können — auf die Ebene gesellschaftlicher Organisationsformen bezogen werden.

7. Resümee

1. Das Scheitern des Luhmannschen Versuchs derEinbeziehung derÖko-Proble matik in seine Systemtheorie verweist darauf, daß es nicht ausreicht, Ökologie

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als soziologisches Thema zu entdecken, ohne die Frage nach sozioökologischen Austauschprozessen zu stellen.

2. Ökologische Gefährdung läßt sich nicht einfach alstechnisches oder sozial

technologisches Problem behandeln, welches über Zunahme der Regelungs kapazitätengelöst werden könnte. Die Alternativezwischen den möglichen Ent wicklungspfaden einer technisch kontrollierten »künstlichen Umwelt«oder einer

»ökologisch-natürlichen« steht in einem inneren Zusammenhang mit den sozio-ökonomischen Widersprüchen der Industriegesellschaften.

3. Luhmann ist an Bestandserhaltung orientiert. Seine Disziplinierung von Vorwürfenan die Gesellschaft mit dem Argument der systembedingten Unflexi-bilität, auf ökologische Probleme reagieren zu können, kann aber auf einen wichtigen Punkt hinweisen. Die Rekonstruktion von Innensichtstandorten und der Realitätswahrnehmung von funktionellen Gruppen in öffentlicher Verwal tung, Management etc. ist nicht nur für die Kritik von Dysfunktionen interessant, sondern auch für die Diskussion von Durchsetzungsstrategien sozialer und öko logischer Veränderung.

Anmerkungen

1 Die Kritik, die er hierander »Kritischen Theorie« anbringt, ist zwar pointiert, triff! aber inso fern, als Probleme materieller oder ökologischer Art in dieser eher erkenntnis- und kulturkri tisch verfahrenden Theorie vernachlässigt sind.

2 Trotzeiniger Anläufein dermarxistischen Theoriediskusion, derenVerfolgung Luhmann offen bar für vernachlässigenswett hält, muß man diese massive Kritik ernstnehmen, insofern sie auf Defizite hinweist. Zu diskutieren wäre allerdings, ob nicht die tradierte Orientierung der Sozio logie aufgesellschaftlichen Fortschritt durch dasherrschende Industrialismus-Modell wichtiger für die soziologische Abstinenz ist, alsdie»Fixierung aufGesellschaft undSoziales- (vgl.auch

Bühl 1980, 97f.).

3 Einthermodynamisch offenesSystem hatim Gegensatz zum geschlossenen SystemGrenzen, die für Materie und Energie durchlässig sind. Den entscheidenden Durchbruch hatte das Modell nicht in der Physik, sondern in der Biologie, da Organismen, verstanden als offene Systeme, durch ihre Stoffwechselprozesse mit derUmwelt abnehmende Entropie realisieren können. Die Konzeption ermöglichte somit,denscheinbaren Widerspruch deszweiten Hauptsatzes derTher modynamik mit der Entstehung von Ordnung in der biologischen Evolution zu lösen. Daneben konnten auch vitalistische Ansätze inder Embryologie zurückgedrängt werden, da offene Syste me vonverschiedenen Ausgangssituationen ausein bestimmtes Entwicklungsstadium erreichen können (Bertalanffy 1950,23f.). Indiesem Zusammenhang wichtiger istaber dergroße Einfluß dieser Konzeption aufdie Ökologie; die Einbindung von biotischen Lebensgemeinschaften in Kreislauf- und Durchflußprozesse von Materie und Energie ist für den modernen Ökosystem-Begriff zentral (vgl. Kreeb 1979, 70f.; auch Schramm 1984).

4 Diese haben sich durch ihre Prädestination für Regelungsprobleme auch in der ökonomischen Theorie stark ausgebreitet, führen aber mitunter leicht zu Aussagen mitideologischem Charak

ter (vgl. Kade 1968).

5 Maturana hatdasKonzept derAutopoiesis im Rahmen einerallgemeinen Theorie lebender Or ganismen entwickeil, die für ihn die Basis seiner biologischen Epistemologie darstellt. Ein Sy stem heißt autopoietisch, wenn es durch seineOrganisation die Produktion der Elemente, aus denen es besteht, selbst realisieren kann (vgl. Maturana/Varela 1982,170f.,und 1987). Das Kon zept läßt sich einerseits als Weiterentwicklung des »hypercycle-Modells für die präbiotische Evolution verstehen (vgl. Eigen 1971). Andererseitssetzt es den transklassischenMaschinenbe griff auf Organismen um (vgl. Bamml 1983, 149f.).

6 Habermas' Motivation für den Einstieg in die Auseinandersetzung mit Luhmann um die

»Theorie derGesellschaft oder Sozialtechnologie« beruht, neben dem Aspekt der gemeinsamen

Die ökologische Krise unddie Differenz von System und Umwelt 885 Gegnerschaft gegenüber den Bindestrich-Soziologien, auf dieser Einschätzung, wonach Luh manns funktional istische Soziologie »unbeirrt den Anspruch dergroßen Tradition, Gesellschaft imGanzen zubegreifen«, erneuert. Er hebt sogar eine »gemeinsame Ebene der Theoriebildung«

hervor: »Mitder auf Marxzurückgehenden kritischen Gesellschaftstheorie verbindet Luhmann also das Interesse angesamtgesellschaftlicher Analyse, das dazu nötigt, eineTheorie dergesell schaftlichen Entwicklung (wie im Historischen Materialismus) und eine Theorie der Gesell schaftstruktur (wie in der Politischen Ökonomie) in Angriff zu nehmen. Mit Marx verbindet Luhmann darüber hinaus ... einederGeschichtsphilosophie entlehnte Konzeption der Einheit vonTheorie undPraxis sowie diedazugehörige Idee derSelbstkonstitution derGattung bzw. der 'Gesellschaft.'« (Habermas 1971, 142f.) DaLuhmann aber alleBezüge zurdialektischen Gesell-schaftstheorie ausblendet, geht Habermas davon aus, daß Luhmann aufdieser »gemeinsamen Ebene« einer »gegenläufigen Strategie« folgt (siehe auch Willms 1973, 43f.).

7 Luhmann bezieht Begriffund Konzeption der Autopoiesis von Maturana (vgl. Luhmann 1984, 57, Anm.58). Im Gegensalz zu klassischen Organismus-Analogien (Hobbes, Spencer) über nimmt Luhmann die Analogie auf dem Abstraktionsniveaueines modernen biowissenschaftlich-kybernetischen Modells. Schon in den Auseinandersetzungen um die »Theorie der Gesellschaft oderSozialtechnologie« betont Luhmann denStellenwert solcher Analogien: »Der Vergleich von sozialen Systemen undOrganismus ist alteuropäisches Traditionsgui und ist einerder wichtig sten, wenn auch seit dem 19. Jahrhundert heftig umstrittenen Anreger füreine Theorie sozialer Systeme gewesen.« (Luhmann 1971, 92) Bezüglichder eigenenTheorie sieht er aber keine »Di rektanalogie« vorliegen. Demgegenüber wirft ihm Habermas vor,die BegriffeSystem/Umwelt und Komplexität von Anbeginn nach dem Organismus-Umweltmodell zu interpretieren (vgl.

Habermas 1971, 147). DerTransfer des Autopoiesis-Konzepts in die Soziologie läßtsicheinmal vonihrer ehermatcrialen Seite betrachten, und führt dann zurFrage, inwieweit sozialdarwinisti sche Gehaltedamit verbunden sein können (vgl. Lipp 1987, 452f.). Zum anderenkönnen eher epistemologische Aspekte im Vordergrund stehen, was zur Frage führt, inwieweit Fortschritte im Bereich naturwissenschaftlicher Theoriebildung das Moment gesellschaftlicher Praxis im nötigen Umfang einbeziehen können (vgl. Mocek 1986, 214f.). Daneben bleibt die immanente Kritik (vgl. Bühl 1987, 225f.).

8 An anderer Stelle identifiziert er dieses Problem der systemtheoretischen Theoriebildung mit dem von ihm so gesehenentheoretischen »Grundproblem der alteuropäischen Tradition ... wie die Gesellschaftals ein sozialesSystem unteranderen zugleichdas umfassendeGanze sein kön ne.«(Luhmann 1974, 141) Mir scheintaberseine Bemerkungirreführend, dadieseWidersprüch lichkeiteher auf der Umsetzung des Autopoiesis-Konzepts beruht, die alle sozialenSysteme als autonome geschlossene Entitäten ansieht. Wo dies auf der Ebene der biologischen Begriffsbil dung bei Maturana noch wenig Schwierigkeiten macht, da dieser Zellen, als auch mehrzellige Organismen als autopietische Systeme erster und zweiter Ordnung unterscheiden, aber gleich wohl miteinader verkoppeln kann (vgl. Maturana/Varela 1982,21lf.), führt dies bei einer Gesell schaftstheorie unweigerlich zu Paradoxien.

9 Luhmann bezeichnet jeden Versuch als verfehlt, die funktionsorientierte »Ordnung als 'Herr schaft' anzugreifen, parodierende Formen zu wählen und offizielle Plätze wie Universitäten oder Gerichte in Kamevalsszcnen umzufunktionieren« (1984,464). Er vergißt dabei, daß der unifor mierte Mummenschanz von Doktorhut und Richterkluft nicht nur anachronistisch ist, sondern

durchaus etwas mit Insignien der Über- und Unterordnung zu tun hat. Die Parodie wirkt hier

nicht nur über ein befreiendes Lachen entkrampfend, sondern nimmt sich das Recht, gerade in umkehrender Verzerrung der Wirklichkeit über diese Aspekte aufzuklären.

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