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Unter derstandpunktfreien Theorie kommt aber—wie immer —einStandpunkt zu tage: die Apologie des privatbürgerlichen Menschenbildes durch eine kritiklose

Im Dokument Das Argument 178/198 (Seite 117-120)

Übersetzung der Kantschen Anthropologie. Was wir heute benötigen, ist ein Ent wurfvon eigener Identität durch dieAnerkennung anderer, was hilft, weg vom Ein-zelkämpfertum zu solidarischem Handeln zu kommen; Kantvorkauer aber, denke

ich, brauchen wir nicht. Thomas Heinrichs (West-Berlin)

DAS ARGUMENT 178/1989 O

946 Besprechungen Horväth, Arpäd: Sozialismus und Religion. Die Religion und ihre Funktion im Spiegel sozialistischer Ideologien. Band 1: 1835-1900. Verlag Peter Lang, Bern, Frankfurt/M., New York, Paris 1987 (505 S., br., 78,- sFr.)

Gegliedert ist der erste der auf vier Bände konzipierten Reihe in zwei Teile. Im er sten wird die Religionskritik von Marx und Engels behandelt (33-262), wobei der biographische und theoretische Werdegang beider nachgezeichnet (bis 140) und das Verhältnis von historischem Materialismus und Religionskritik untersucht wird (141-262). Die Beziehung von »Sozialismus und Religion bis 1900« wird im zweiten Teil vor allem an Lassalle, Bebel, Dietzgen und Kautsky festgemacht. Der Autor be kennt, »daß unsere Sympathien nicht gleichmäßig verteilt, sondern immer auf der Seite derer waren, die korrekt gekämpft und weniger ideologisch argumentiert ha ben, die den Gegner erkennen und nicht vernichten wollten« (21). Die Sympathien gelten Lassalle (262-266), Bernstein (388) und z.T. Engels, dagegen sind von seiner Antipathie Marx und Bebel (279-294) betroffen. Christlicher Glaube und vernünfti ges Denken werden als der Rechtfertigung enthobene Größen eingeführt. »Es braucht keine Rechtfertigung, daß wir das Erkannte aus jenem Orientierungssystem heraus verstanden haben, das sich dem vernünftigen Denken und dem christlichen Glauben verpflichtet fühlt.« (22)

Die bisherige Forschung habe noch nicht das Material bezüglich der Religion zuta ge gefördert, nicht einmal im Falle von Marx, Engels und Lenin (12). Bei der Durch sicht der Sekundärliteratur über die marxistische Religionskritik seien »fragwürdige Thesen der Religionsphilosophie« (16) festgestellt worden. Horväth beansprucht

»Quellenforschung und Dokumentation« (12), die den »ganzen Marx und Engels«

(16) umfaßt. Methodisch wird proklamiert, so vorzugehen, wie es Marx und Engels in ihrer Analyse der Religion taten. Der Titel könnte statt »Sozialismus und Religion«

»Sozialismus und Christentum« heißen (16f.). Um so erstaunter ist der Rezensent, daß in der Arbeit die Analysen und Beobachtungen von Marx und Engels zu Hin duismus, Buddhismus und Islam nicht erwähnt sind (vgl. MEW 9, 127-133; 14,280;

20, 294; 28, 246-248 usw.). Ebenfalls äußert sich Bebel zu unterschiedlichen Reli gionen, wie dem Islam, Buddhismus, Konfuzianismus, Hinduismus und den Lehren des Zoroaster (vgl. Bebel: Zur Entstehung der Religion).

Horväth erklärt den Marxismus mit dem Tod von Engels für »abgeschlossen«; was folgte, sei »Interpretation, Revision, Verlängerung, Verkürzung ... kurz: Erbe« (29).

Inhaltlich und methodisch wird Marxismus als »monistische Ganzheit« (15; vgl. 18) und als »marxistische Axiomatik« (201) bestimmt, in dem es getreu nach »denPrinzi

pien derBasis-Überbau-Lehre« (198) gehe. Anstelle einer kritischen Lektüre, die die

Arbeitsweise von Marx, Engels u.a. rekonstruiert, steht bei Horväth alles fest: Die

»Deutsche Ideologie« sei »das erste, bereits voll im Geiste des historischen Materia lismus geschiebene Werk« (141). Engels habe die »Basis-Überbau-Frage einer leich ten Korrektur unterzogen« (ebd.). Da Marxismus als wissenschaftliche Methode de-sartikuliert wird, gibt es nach der »Deutschen Ideologie« nur noch Wiederholung.

Ein Blick ins Literatun'erzeichnis: Die jüngste Publikation datiert 1975 und ist Raddatz' Marxbuch. Als Sekundärliteratur zur Religionskritik werden aufgeführt:

Gollwitzer, Kadenbach, Post u.a., die sich vor allem mit Marx befassen. Es fehlen:

Desroche,der besonderszu Engelswichtige Beiträge verfaßte,Frostin, der ein Stan dardwerk zur Religionskritik im Kapital schrieb, Rolfes' »Jesus und Proletariat«

(1982), das für den zweiten Teil der Untersuchung wichtig gewesen wäre, und, der eurozentristische Einschlag ist offenkundig, lateinamerikanische Beiträge: Mirandas

»Marxy la Biblia« (1973) sowieHinkelammcrts und Dussels Religionskritik und Fe tischismusforschung(1977 u. 1985). Beachtet wurden dafür zwei Arbeiten von 1935,

Philosophie 947 geschrieben von Seeger und von Sens, die in Halle erschienen sind. Seeger dient als wichtige Grundlage im Abschnitt über den jungen Engels (vgl. 35-66), Sens ist einer der Referenzpunkte in bezug auf den jungen Marx. Sens' »Beitragzur geistigen Aus einandersetzung des neuen Reiches [d.h. des NS; BW] mit Marx, nachdem der machtpolitische Kampf gegen den Marxismus zum Abschluß gekommen ist« (W.

Sens: Karl Marx. Seine irreligiöse Entwicklung und antichristliche Einstellung.

Halle 1935, 3), kann bei Horväth kritiklos passieren.

Das Versprechen, die Religionskritik auch beim späten Marx zu analysieren, wird nicht eingelöst. Bezüge zu Arbeiten nach 1855: MEW 13, 8-10 wird siebenmal, MEW 19,31 (Kritik des Gothaer Programms) einmal und MEW 23,94 ebenfalls ein mal zitiert bzw. erwähnt. Das Zitat aus dem Kapitalwird falsch interpretiert: Es wird übersehen, daß Marx von der fetischisierten Religion spricht (vgl. 253f.).

Marx lehne die Religion ab, »weiler die Religionvon vornherein verabscheute und haßte« (155). Im Anschluß an Raddatz wird ein Marxpopanz aufgebaut, der zum Fürchten ist. Nicht nur sei er »überheblich, draufgängerisch, selbstsüchtig und intri gantisch« (152, vgl. 197), vielmehrhabeer einem»schockierten Freunde« verkündet:

»Dich werde ich vernichten« (Raddatz, zit. 155). Im Umgang mit Marx ist dann auch alles erlaubt: Unpräzise Lektüre: »Im Jahre 1859 gelingt Marx eine Zusammenfas sung der Thesen des historischen Materialismus, sozusagen eine Definition dessel ben«. Daß es bei Marx »Leitfaden« (MEW 13, 8) heißt und nicht »Definition«, ist gleichgültig. Für Horväth gilt: »Wie bis anhinwollen wir dieTexte von Marx und En gelsauchhier keinerterminologischen Exegese unterwerfen.« (211) Falsche Zitation (vgl. 157-161, 165, 196, 198f., 213-215, 225, 238, 250, 253), z.B.: Statt »religiöse Phantasien-Produktion« (MEW 3, 40) heißt es »religiösen Phantasien-Produkte«

(158, vgl. auch 160).

Auf vielen Seiten handelt es sich schlicht um eine antimarxistische Arbeit, die den wissenschaftlichen Stand der Forschung kaum zur Kenntnis genommen hat. Wer sich mit der Thematik befassen will, greife zu den in der Rezension erwähnten Bü chern oder zum Kritischen Wörterbuch des Marxismus, Stichwort »Religion«, wo ge nug Sekundärliteratur verzeichnet ist. Bernhard Walpen (Luzern/Schweiz) Bensussan, Gerard: Questions Juives. Editions Osiris, Paris 1988

(117 S., br., 70,- FF)

Die Judenfrage mitdem Marxismus in Zusammenhang zu bringen, könnte »will

kürlich« und»impertinent« erscheinen (23). Dennoch, so Bensussan, sei gerade die se »Frage« für die Beurteilung des Marxismus von entscheidender Bedeutung, stelle siedoch seineanalytische Kraft an einem zugleich einzigartigen und

theoricresisten-ten Gegenstand aufdie Probe. Einführend läßt derAutor dieeinschlägigen Texte der

klassischen Theoretiker Revue passieren: Hegel, Feuerbach, Marx, Bruno Bauer, W. Sombart und Kautsky, der in seinerSchrift»Rasse undJudentum« den

»soziobio-logistischen« Rassebegriff durch die Theorie eines »Kastenvolkes« zu widerlegen

suchte (29). Am freiesten ging MaxWeber mit der materialistischen Tradition um,

alser dieUrbanisierung derJuden ausdenEigenheiten desfürdasagrarische Leben sperrigen Ritualgesetzcs ableitete und so von einem reduktionistisch-monokausalen

Verständnis des Basis-Überbau-Modells Abschied nahm. Rosa Luxemburg wird mit

ihrem Diktum, dieJudenfrage »als solche« sei für sie im selben Maße inexistent wie die »Negerfrage« oder die »der gelben Gefahr«, aufeine überraschende Weise beim Wort genommen, indem von den Vergleichspunkten her (chinesische Revolution, Entkolonialisierung Afrikas!) aufdienationale Dimension derjüdischen Frage hin gewiesen wird, was sie in ihrem »nationalen Nihilismus« weder sehen konnte noch

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948 Besprechungen wollte (43). Insgesamt entsteht das Bild einer in ihren wissenschaftstheoretischen und begrifflichen Distinktionen verstrickten Wissenschaft, die an ihrem Gegenstand scheiterte, was namentlich daran anschaulich wird, daß sie den bleibenden Antise mitismus nicht erklären konnte und dadurch sogar an der Entstehung eines Mytholo-gems mitwirkte (35). Eine zentrale Stellung in der Kritik der traditionellen Marxis

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