• Keine Ergebnisse gefunden

Die Objektivität der Erfahrung könne nur rekonstruiert werden, wenn die

Im Dokument Das Argument 178/198 (Seite 39-42)

DAS ARGUMENT 178/1989 ©

Operation der Erfahrung bestimmtist —so wäre LuhmannsSystemtheorieauch mit dem Titel »Das Wesen der Erfahrung« zu belegen. Es gibt in ihr keine in dividuelle Erfahrung, nur noch als individuell behauptete Erfahrungen. Der Widerstand des Individuellen, der Einspruch des Subjektes, gelingt dann nur scheinbar; er könnte sich einzig symbolischcodiert artikulieren, indem er die sy stemischeBedingung der Kommunikation akzeptiert. Wasdie Kulturphilosophie noch als Konflikt zwischen subjektiver und objektiver Kultur sistieren wollte, beruht nun auf einem Kategorienfehler: Die binären Codes der generalisierten

symbolischen Kommunkationsmedien schließen einander strikt aus.4 Jedes

Unbehagen an der Kultur fällt im psychischen System an und muß dort, und nicht im sozialen System, aufgelöst werden. Luhmanns Theorie reagiert auf die geschichtsphilosophische Diagnose, daß der Gesellschaft das Subjekt, ihr ge schichtlicher Akteur, abhanden gekommen sei, mit der These, daß sie des Subjektes nicht bedürftig ist, weil das soziale System dessen Position usurpiert

hat.

Seine Theorie sei »nicht an Perfektion und Perfektionsmängeln orientiert, sondern an einem wissenschaftsspezifischen Interesse an Auflösung und Rekom bination von Erfahrungsgehalten« (ebd., 162). Dekomposition und Rekombina tion beschränken die Erfahrung auf Wesenserfahrung. Diese Form der Erfahrung ist schon subsumtionslogisch zugerichtet. Die Annahme, der Erfahrungsgehalt der sozialen Wirklichkeit sei unmittelbar gegeben und bedürfe lediglich der so ziologischen Aufklärung, setzt die Logik der Erfahrung voraus. Die unmittelbare Erfahrung ist eine theoretische Konstruktion — oder eine Einbildung, die die Systemtheorie mit der autopoietischen und konstruktivistischen Kognitionstheo-rie teilt. Die konkret-individuelle Erfahrung ist niemals schon immer je objekti vierter Erfahrungsgehalt, denn sonst wären die gesellschaftlichen Akteure nur Annexe eines anonymen Objektivationsprozesses.

Die Thematisierung der Erfahrung selbst erfolgt gemäß Prinzipien, die sich nicht auf dem Wege geregelter Erfahrung gewinnen lassen. Der Traum von der unverstellt dargebotenen Erfahrung, das »Durchbrechen des Scheins« (ebd.) der Erfahrung, wie es Luhmann anstrebt, wird zum Alptraum. Das Ideal der opera tiv hergestellten Reinheit ist illusionär — und beschreibt ein für immer verlore nes Paradies der Theorie. Es ist gleich der Naturzustandsfiktion im schlechten Sinne spekulativ. Schattenlose Präsenz wäre nur gegen das Soziale zu gewinnen

— und doch nur eine gesellschaftliche Abstraktion.

Luhmann bestätigt die strikte Unterscheidung von Individuell und Allgemein.

Seine Theorie kann individuelle, und nicht nur private, Erfahrung gar nicht be greifen. Als Prinzipientheorie, die sich auf Regelanwendung und Operationalitat beruft, erreicht sie das Individuelle überhaupt nicht und verbleibt im allgemei nen. Folgerichtig werden Individuen zu psychischen Systemen, von denen dann wiederum nur objektivierend funktional-allgemein gesprochen werden kann.

Daran ändert auch die individualisierende Autopoiesis nichts, denn deren Indivi-duation gilt für jedes Blatt eines Baumes: Luhmann verfährt subsumtions logisch, wenn er »die Frage nach dem Verhältnis des Ich zum Allgemeinenund die nach dem Allgemeinwerden des Ich« (ebd., 352) ventiliert. Aus den selbst formulierten logischen Zwängen der strikten Gegenüberstellung von Ich und

Die Abschaffung des Subjekts in den Schranken der Subjektphilosophie

869 Allgemeinem gibt eskein Entrinnen. Sokann er nur von Individualität sprechen,

aber nicht vom konkreten, wirklichen Ich.

Es ist daher auch nicht verwunderlich, daß Luhmann keine zureichende Theo

riedesSelbstbewußtseins hat;dasSelbst fällt vom systemtheoretischen Himmel,

es ist geborgt vom System. »Das 'Selbst' der Selbstreferenz ist nie die Totalität

eines geschlossenen Systems, und es istniedas Referieren selbst. Esgeht immer nur um Momente des Konstitutionszusammenhangs offener Systeme, die dessen Autopoiesis tragen: um Elemente, um Prozesse, umdas System selbst.« (Ebd.,

606) Die Relationsontologie setzt ihr Resultat voraus. Die mit ihr verbundene

These, alleObjekte seienselbstreferentiell unddifferentiell konstituiert, wäre—

ungeachtet eines direkten Nachweises — auch auf ihre erkenntnistheoretischen

Implikationen hin zu überprüfen. Ein Objekt, das sichzu sich selbst verhält, ist kein Objekt mehr. Damitwären die wesentlichen epistemologischen Annahmen der Systemtheorie hinfällig, und sie müßte sich eine andere Ontotogie suchen,

die nicht Subjektivität auf Objektivität reduzierte.

LuhmannsIdentitätstheoriegerinnt zu einer Identifikationstheorie, die allemal

logisch zirkulär ist, wenn Identität durch die Identifikation der eigenen Indivi dualität gewonnen werden soll. Ähnlich wie die Subjektivitätstheorie, aufderen Wegen er geht, sähesichLuhmann gezwungen, seineanfänglichen Prämissen zu revidieren, wenn er Begriffe wie»Selbstkonstitution« oder»Selbstobjektivation«

entwickelte. Hier wirddie Theorie über sichselbsthinausgetrieben. Sowohl die

Erkenntnistheorieals auch die Soziologiehätten sich von der These zu trennen,

daßdieepistemologische Differenz von Subjekt undObjekt fraglos vorauszuset zen sei. Zugleich aber müßte auch auf den naturalistischen Systembegriff ver zichtet werden, der den natürlichen Schein des unbegreifbaren Sozialen nicht aufklärt, sondern verdoppelt, und sich somitals untauglich erweist, sozialtheo

retisch zu fungieren.

So sei ein theoretisches Gegenbild zitiert. »Das Umschlagen des individuellen

Verhaltens in sein Gegenteil, ein bloß sachliches Verhalten, die Unterscheidung

von Individualität und Zufälligkeit durch die Individuen selbst, ist ... ein

geschichtlicher Prozeß und nimmt auf verschiednen Entwicklungsstufen ver schiedene, immerschärfere und universellere Formen an. In der gegenwärtigen

Epoche hat die Herrschaft der sachlichen Verhältnisse über die Individuen, die Erdrückung der Individualitätdurch die Zufälligkeit, ihre schärfste und univer

sellste Form erhalten und damit den existierenden Individuen eine ganz be

stimmte Aufgabe gestellt. Sie hat ihnen die Aufgabe gestellt, an die Stelle der Herrschaft der Verhältnisse und der Zufälligkeit über die Individuen die Herr schaft der Individuen über die Zufälligkeitund die Verhältnissezu setzen.« (Die deutsche Ideologie, MEW 3, 423f.)

Wirklichkeitsverlust

Luhmanns Theorie repräsentiert das ideelle Auto-Immunsystem der sozialen Systeme. Seine Theorie der Selbstbeobachtung will mit der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung konvergieren. Dennoch gähnt zwischen dem Versprechen auf Theorie und dessen Erfüllung ein Abgrund; die Soziologie als »weltaufklärende

DAS ARGUMENT 178/1989 ©

870 Klaus Zimmermann Wirklichkeitswissenschaft« (Luhmann 1970, 79) verliert ihre Wirklichkeit. Auf

dem Wege der Explikation verdampft derGegenstand der Sozialtheorie und die Systemtheorie hält das, was sieexpliziert, für ihren Gegenstand. Diese theoreti sche Reduktionsleistung ist ihr eigentümlich. Die Soziologie Luhmanns ist Theorie der Wirklichkeit, gewiß, abersie istdieTheorie ihrerWirklichkeit. Sie beugt sich ihren logischen Grundannahmen, indem siedie Wirklichkeit logisiert.

Luhmanns Rekonstruktionen geschichtlicher Semantik bestätigen nur das Ab

Im Dokument Das Argument 178/198 (Seite 39-42)

Outline

ÄHNLICHE DOKUMENTE