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D. Wissenschaftlich theologische Praxis 1: Hermeneuti- Hermeneuti-sche Rahmenbedingungen

3. Theologie und sinnlich menschliche Tätigkeit: Habitus und Feld

In welchem Verhältnis stehen Theologie und sinnlich menschliche Tätig-keit zueinander? Kann Theologie als sinnlich menschliche TätigTätig-keit ver-standen werden?

Die Denkschemata der praktischen Logik, die in die Theologie ein-fließen, sind dauerhaft. Das resultiert daraus, dass sie in einem langen Prozess der Inkorporierung vermittels Erfahrung auf verschiedensten gesellschaftlichen Praxisfeldern herausgebildet werden. Deren Logiken und regelmäßig ablaufende Prozesse werden von den Akteuren verinnerlicht und habitualisiert, bilden unterschiedene Identitäten, wandeln sich und strukturieren ihrerseits wiederum die gesellschaftlichen Prozesse. Die Konzepte des Habitus und des Feldes sind für kontextbewusste Theologie von großer Bedeutung; sie bezeichnen den verinnerlichten und den äuße-ren Kontext.

a. Habitus

Praktische Logik ohne ihre Bindung an den Habitus der Akteure bleibt ein abstraktes Konzept. Wenn man eine praktische Logik verstehen will, kann man nicht von denen absehen, die handeln; ebensowenig wie von den Umständen, aufgrund derer sie so handeln, wie sie handeln. Man kann eine praktische Logik nicht als fertiges Ding begreifen und vergessen, wie sie entsteht und sich wandelt. Allerdings: „Über den Mythos als konstitu-ierte Realität den mythopoetischen Akt als konstituierendes Element wiedererfassen bedeutet nicht, wie der Idealismus meint, die Univer-salkategorien der von Cassirer so bezeichneten ‚mythopoetischen Subjek-tivität‘ oder, in den Worten von Lévi-Strauss, die ‚Grundstrukturen des menschlichen Geistes‘, die angeblich unabhängig von den gesellschaftli-chen Bedingungen alle empirisch realisierten Konstellationen regieren, im Bewußtsein zu suchen. Vielmehr läuft dies darauf hinaus, das gesellschaft-lich konstituierte System der untrennbar zugleich kognitiven und werten-den Strukturen zu rekonstruieren, das die Wahrnehmung der Welt im Einklang mit den objektiven Strukturen eines bestimmten Zustandes der Sozialwelt ordnet...“ (Bourdieu: Sinn 172) ...und entsprechende Praktiken hervorbringt.

Die Hervorbringung und Organisation der zugleich wahrnehmenden und wertenden sowie zugleich kognitiven, affektiven und leiblichen Dispo-sitionen in den Akteuren beschreibt Bourdieu im Modell eines generativen Systems, dem Habitus. Der Habitus ist von den gesellschaftlichen Lebens-bedingungen seiner Träger strukturiert und wirkt zugleich strukturierend auf diese Bedingungen zurück. „Gesellschaftliche Bedingungen“ verstehen sich dabei in einem sehr umfassenden Sinne als alles, was zur Reprodukti-on des Lebens dazugehört – also nicht nur klassisch als ProduktiReprodukti-ons- Produktions-bedingungen, sondern auch als gewöhnliches Alltagshandeln, Alltags-weisheiten, Lebensstile, Bildung, Gebräuche, Mythen (moderne und alte) und natürlich auch religiöse Traditionen und Geschichten von Gott.

„Habitus“ meint die Gesamtheit aller „strukturierten und strukturierenden Dispositionen, innerhalb derer Denkschemata (und damit auch Hand-lungsentwürfe, HS) gebildet und verändert werden“ (Bourdieu: Sinn 77).

Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass der Habitus nicht nur kognitive sondern auch affektive und leibliche Dispositionen umfasst. Da hier Theo-logie im Zentrum des Interesses steht, werde ich mich auf die kognitiven Dispositionen konzentrieren.

160 Mehr dazu in Schäfer: Theorie 371 ff. mit Bezug auf Antonio Damasio und Luc Ciompi.

Der Habitus bringt also Wahrnehmung, Denken und Handeln hervor und strukturiert sie gleichzeitig. (Bourdieu: Entwurf 164 f.) Als einverleibte Erfahrung gesellschaftlicher Praxis orientiert und begrenzt der Habitus vermittels der Strukturierung der kognitiven Dispositionen (oder: der praktischen Logik der Akteure) bereits die Wahrnehmung der Welt und die wertende Klassifizierung; er strukturiert Erfahrung, indem er die Grund-unterscheidungen der Wahrnehmung bereitstellt. Und zugleich erzeugt der Habitus (implizit und meist ohne Beteiligung des Bewusstseins, aber auch unter explizitem Einbeziehen bewussten Kalküls) die Antwort der Akteure auf die von ihnen erfahrene Wirklichkeit, ihr Reden und Handeln, ihre Theologie.

Die Dispositionen des Habitus sind nicht nur kognitiv, sondern auch affektiv und leiblich. Erkennen ist immer sofort mit Gefühlen und Körper-zuständen verbunden.160 Man sieht etwas Bestimmtes, bekommt eine

„Gänsehaut“ und Ekel ergreift einen; man hört eine bestimmte Musik, der Körper entspannt sich mit einem Wohlgefühl und ein Lächeln tritt auf die Lippen. So wie die kognitiven Dispositionen des Habitus als ein Netz von Schemata aufgefasst werden können, kann man auch die affektiven und körperlichen Dispositionen in einem Modell darstellen. Als Netze von Schemata, die denen der Kognition weitgehend homolog sind, wenn auch nicht identisch. Für Theologie im engeren Sinne (nicht für Religion im Allgemeinen!) sind freilich die kognitiven Dispositionen stark vorrangig – allerdings immer unter der Voraussetzung, dass sie eng mit den affektiven und leiblichen verbunden sind. Von den kognitiven Dispositionen ausge-hend kann man das Modell des Habitus nutzen, um auch das Theologie-Treiben als eine sinnlich menschliche Tätigkeit zu begreifen.

Zunächst gilt es allerdings, einem möglichen Missverständnis vorzubeugen.

Für protestantische Ohren schwingt im Begriff des Habitus immer gleich die scholastische Habitus-Theorie und ihr Zusammenhang zur Gna-denlehre mit. Ich möchte hier klarstellen, dass es in anthropologischer Hinsicht allenfalls gewisse Ähnlichkeiten gibt, die freilich nicht sehr weit gehen. Zunächst einmal verfolgt der praxeologische Habitusbegriff keine ontologischen Absichten; er ist lediglich ein konstruiertes Modell zum besseren Verstehen sozialer und humaner Vorgänge. Der entscheidende Unterschied liegt aber im theologischen Feld: Der scholastische

Habitus-161 Luther: Scholasticam, Thesen 4, 27, 28, 32, 35 und öfter.

162 Einige materiale theologische Aspekte dieser Sachlage werde ich unten, S. 217, kurz diskutieren.

begriff hat seinen Ort in der Gnadenlehre, wird mit dem abaelardschen facere quod in se est kombiniert und hebt auf einer allgemein menschlichen dispositio für den Empfang der Gnade ab. Ganz ähnlich kann er auch heute von einem existentialtheologischen Ansatz katholischer Theologie her gebraucht werden. (Schwemmer: Habitus) Luthers Kritik – etwa in der Disputation gegen die scholastische Theologie161 – konzentriert sich auf diesen Punkt: die positive Ausrichtung des Menschen auf den Empfang der Gnade. Es geht um die Bedeutung einer dispositio zum Tun des Guten und zur Offenheit für den Gnadenempfang. Luther kritisiert zwar heftig die Idee von der Relevanz des Anlage-entsprechenden Tuns (facere quod in se est) für den Gnadenempfang; den Habitus-Begriff als ein anthropologi-sches Konstrukt aber erwähnt er in der Disputation nicht einmal. Bei aller Emphase in der Distanzierung gibt es der Sache nach sogar Anknüpfungs-punkte zwischen Luther und einer Verwendung des Habitusbegriffs im Zusammenhang der Gnadenlehre. (Nickl: Ordnung 118 ff.) Diese beziehen zwar nicht auf den Gnadenempfang, aber immerhin doch auf das Handeln der Gläubigen (die Spontaneität im Tun des Guten).162

Was nun den praxeologischen Habitusbegriff angeht, so ist das Got-tesverhältnis des Menschen als ein Feld, in dem sich etwas ereignet, über-haupt nicht im Blick. Es kommt nur zur Sprache in Gestalt der im Habitus abgelagerten Glaubensüberzeugungen und deren Auswirkungen auf Identi-tät und Handeln; mit anderen Worten: im Rahmen einer Theologie als Glaubenslehre. Eine kontextuell-theologische Arbeit mit dem Begriff des Habitus kann also Menschen und ihr Handeln beschreiben und dennoch mit Paulus und Luther davon ausgehen, dass der ganze Mensch von Sünde oder von Gnade bestimmt ist. Was aus den Dispositionen des Habitus unter den jeweiligen Totalbestimmungen wird, hat nichts mit Prädispositi-on für Gnade zu tun – allenfalls etwas mit ihrer Wirkung.

An dieser Stelle geht es allerdings lediglich um die hermeneutische Funktion des Habitusbegriffs für eine kontextbewusste Theologie.

Das Theologie-Treiben der Theologinnen und Theologen ist notwendig in deren Habitus verankert. Damit ist Theologie als sinnlich menschliche Tätigkeit begriffen. Kontextbewusstes theologisches Arbeiten auf praxeo-logische Weise kann deshalb zwei Dinge nicht tun: Theologien als

objekti-ve Systeme offenbarter Wahrheiten behandeln oder Theologien ganz auf die sie entwerfenden Subjekte zurücknehmen.

Theologien werden vielmehr von Akteuren erzeugt, deren Kontexte ihnen zugleich „äußerlich“ als auch „innerlich“ sind. Ein Kontext ist den Akteuren äußerlich, insofern es sich etwa um gesellschaftliche Institutio-nen, um objektive Prozesse (etwa demokratische Prozeduren) oder um Gegenstände handelt. Zugleich ist ein gewohnter Kontext den Akteuren auch inkorporiert als ein Netz von entsprechenden Dispositionen, welche die Operationen der praktischen Logik orientieren und begrenzen. Diese Dispositionen sind sowohl dauerhaft als auch generativ: sie bewahren das Erfahrene und bringen aus seiner Verarbeitung Neues hervor.

Es gibt also gar keine Theologie, die nicht kontextuell wäre. Die Dis-positionen der Akteure fließen immer in die Produktion ein. Demnach entsteht in der Regel auch eine objektive Angepasstheit theologischer Arbeit an die Bedingungen des Praxisfeldes und der gesellschaftlichen Position, aus denen sie hervorgebracht wird. Das gilt auch für Positionen intellektueller Produktion wie etwa Befreiungstheologie, die sich gegenüber Nachbarpositionen dadurch definieren, dass sie stellverstretend für Andere oder im Interesse von Anderen – etwa für die Armen – Theologie betrei-ben. Folglich ist es wichtig, die entsprechenden impliziten Axiome zu beachten und zu kontrollieren.

Umgekehrt ist es aber auch von Bedeutung, mit dieser objektiven Angepasstheit kreativ zu arbeiten. Denn sie ist – bis zu einem gewissen Grad natürlich – die Voraussetzung einer praktischen Allgemeinheit (nicht einer theoretischen Universalität) der theologischen Theorie. Sie schafft die Voraussetzungen für Plausibilität von Theologie und deren Urteilen in christlichen Gemeinden und über deren Grenzen hinaus, denn sie kann auf Sinnnachfragen in adäquater Weise reagieren. Dies gilt ebenso für dogmatische als auch für ethische Diskurse, wenngleich die ethischen in theologischer Hinsicht meist weniger spezifisch und damit leichter kom-munikabel sind. Wichtig ist in jedem Falle, dass die objektive Entspre-chung zwischen Wahrnehmungsdispositionen und Kontext Ausgangs-punkt für die Entwicklung und Kommunikation neuer Handlungsweisen werden kann.

Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine Pfarrerin und Gemeindeglieder im Ruhrgebiet die Türken in der Nachbarschaft – insbesondere deren Religion – als ungewöhnlich und fremd erfahren: Affektiv lehnt man sie ab. Die Pfarrerin teilt die Distanzerfahrung und die damit verbundene Wahrnehmungsdisposition. Aber sie verarbeitet diese Erfahrung

theolo-163 Dieser wichtige Aspekt eines praxeologischen Ansatzes kann hier freilich nicht weiter ausgearbeitet werden. Vgl. unten, S. 229, einige Notizen.

gisch über die Pneumatologie: „Auch ich bin manchmal befremdet... Aber der Heilige Geist ist in allen Religionen gegenwärtig“, sagt sie in der Pre-digt. Sie und ihre Gemeindeglieder haben so eine neue Möglichkeit gewon-nen, ihre Erfahrungen der Befremdung zu verarbeiten. Die objektive Angepasstheit der Dispositionen von Pfarrerin und Gemeinde ist hier die Grundlage für die Einführung einer neuen Orientierung, welche Chancen hat, sich als Disposition abzulagern. Das Teilen des Kontexts führt zu derselben Befremdung. Die theologische Arbeit an diesem Problem führt zu einem neuen Urteil über die Erfahrung. Die Gegenprobe: ein Professor aus einer Universitätsstadt, der das „Ausländerproblem“ nicht aus der nachbarschaftlichen Nähe kennt, hätte wahrscheinlich schon das Befrem-den nicht mit vollziehen können.

Theologische Positionen sind keine von lebendigen Menschen losge-löste Abstracta. Sogar die Verbindung von Kognition, Affekt und Leib spielt eine wichtige Rolle. Sie mag aus einer intellektualistischen Perspektive für die Theologie irrelevant erscheinen, ihre Bedeutung ist allerdings heute kaum mehr von der Hand zu weisen. Betrachtet man etwa theologische Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus, so wird man fest-stellen, dass sie oft nicht kühl und distanziert, sondern durchaus mit Ab-scheu und Grauen vor den Taten der Nazis geführt worden sind; selbst eine Position wie die oben analysierte von Walter Künneth kann schlecht als intellektuell distanziert bezeichnet werden. Letzte Zweifel an der Be-deutung von Leib und Affekt für theologische Positionen werden heute von der feministischen Theologie zerstreut. Begreift man aber kognitive Dispositionen des Habitus als affektiv und leiblich verankert, so eröffnen sich für die theologische Analyse und Konstruktion neue Möglichkeiten, Leib, Gefühl und Vernunft miteinander zu verbinden.163

Damit ist es allerdings noch nicht getan. Ein ganzheitlicher Zugang in der Theologie muss vor allem berücksichtigen, dass sich leibliche, affektive und rationale Existenz von Menschen in gesellschaftlichen Zusammenhän-gen ereignet. Damit ist auch Kritikfähigkeit von Theologie gefordert.

Objektive Adäquatheit der Dispositionen des Habitus zu einer gesell-schaftlichen oder theologischen Position eliminiert nicht per se die theolo-gische Kritik. Dies insbesondere dann nicht, wenn normative Bezüge außerhalb des praktischen Kontextes existieren.

Genau dies ist für die Theologie der Fall mit dem Schriftbezug. Immer ist der Bezug auf das Andere die Möglichkeit zur Relativierung des Eige-nen. Und eine Form des theologischen Anderen ist die Schrift. Gewiss, jeder Mensch liest den Text der Schrift verschieden. Aber die exegetischen Methoden haben der Willkür Grenzen gesetzt. Man kann sie deshalb als ein Mittel der Selbstbehauptung des Textes gegen die aktuellen Kontexte auffassen: ein Mittel zur Bewahrung der Fremdheit der Textes und der Relevanz von Theologie. Denn die Relevanz der Theologie besteht präzise darin, die Konjunkturen der Praxisfelder – unter Einschluss der Habitus der Akteure – mit dem Zeugnis der Schrift und der theologischen Traditi-on zu kTraditi-onfrTraditi-ontieren und daraus Neues hervorzubringen, das für das Praxis-feld in theologischer Weise von Bedeutung ist, also zum Beispiel die Rechtfertigung des Sünders, die theosis des Menschen oder die Wiederkunft Christi etc. aktuell zur Sprache bringt. Theologie ist mithin angewiesen auf die Erinnerung an Schrift und Tradition, aber im Zusammenhang aktueller Kontexte. Die Objektivität von Schrift und Tradition kann nicht aufge-geben werden. Die Kirchenväter und selbst geschlossene theologische Systeme wie Thomas von Aquins Summa, Calvins Institutio oder noch die Werke lutherischer und reformierter Orthodoxie können wichtige Bezugs-punkte werden. Aber theologische Arbeit transformiert diesen Rückbezug gemäß der aktuellen Lage, wie diese in den Habitus der Theologinnen und Theologen inkorporiert ist. Theologietreiben ist sinnlich menschliche Tätigkeit, die orientiert und begrenzt ist von den Dispositionen der Habi-tus und die diese Dispositionen in der Auseinandersetzung mit der Traditi-on transformiert.

Aber nicht nur Fremdes gibt Impulse für kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Kontexten. Auch die Kontexte selbst generieren solche Impulse; und zwar durchaus unter der Voraussetzung einer objektiven Angepasstheit der Dispositionen. Diese Impulse zur Kritik entstehen aus Konflikten, in die die Akteure einbezogen sind. Die Konflikte um ungleich verteilte Chancen und Grenzen, die Kämpfe, um zu überleben oder besser zu Leben, Arbeitskämpfe, Stammesfehden – jede Art von Brüchen menschlicher Relationen, die die Fortführung gewohnter Weisen zu leben in Frage stellen, generieren Kritik an den Verhältnissen und Nachfrage nach anderen Handlungsperspektiven. Es bedarf also nicht einmal der Konfrontation mit der Tradition; die gesellschaftliche Gegnerschaft der konkurrierenden Gruppen reicht aus, um die objektiv angepassten Dispo-sitionen der unterschiedlichen Akteure zu aktivieren und in der Ausein-andersetzung mit eben dieser Konflikt- bzw. Konkurrenzsituation neue

Nachfragen und Antworten im Blick auf Handlungsmöglichkeiten hervor-bringen zu lassen. Auch daran kann die theologische Arbeit anknüpfen.

Nicht umsonst sind gesellschaftliche Konflikte immer schon ein besonders fruchtbares Betätigungsfeld der Theologie gewesen. Allerdings haben sie – wie etwa in Nordirland, Serbien und sonst vielerorts – die Theologie nicht selten dazu verleitet, aus positionsspezifisch angepassten Dispositionen Legitimationskonstrukte abzuleiten. An diesem Punkt greift praxeologische Kritik.

Darüber hinaus verweist die Versuchung zur bloßen Reproduktion von Partikularinteressen im theologischen Feld auf den Dialog als ein privilegiertes Medium theologischer Produktion. Theologie steht, eben wegen der objektiven Angepasstheit der Habitus ihrer Produzenten an deren Praxisfelder, immer in der Gefahr, dieser Anpassung zu erliegen und zur bloßen Konsekration gesellschaftlicher Unterschiede zu werden. Gera-de Gera-der – für Theologie notwendige und spezifische – Zug zur Generalisie-rung läuft Gefahr, theologische Aussagen in bloße VerallgemeineGeneralisie-rungen eigener, positionsspezifischer Interessen zu verwandeln und falsche Identi-täten von Besonderm und Allgemeinem zu erzeugen. Um dies zu vermei-den, müsste man – ausgehend von der Habitus-Theorie – erst einmal feststellen, dass es nur „partikulares Allgemeines“ gibt. Die praktische Logik einer jeden theologischen Position drängt von ihrer eigenen Dyna-mik her auf Generalisierung. Je besser sie sich in ihrem Bereich darstellt, um so stärker wird diese Dynamik. Bei dem Versuch, das Eigene undiffe-renziert zu verallgemeinern, sind Konflikte vorprogrammiert. Allerdings bestehen aus praxeologischer Perspektive partikulare Positionen mitsamt ihrer Logik der Generalisierung zu Recht. Das gilt auch für die praxeologi-sche Position selbst; auch sie ist partikular und besitzt eine Dynamik der Generalisierung. Aus praxeologischer Sicht ist jede Generalisierungsdyna-mik einer Position ihrem Partikularinteresse geschuldet und somit gegen-über anderen Positionen relativ und gerade nicht allgemein gültig – als solche aber auch legitim. Aus diesem Grunde sieht sich praxeologisch verfahrende Theologie angewiesen auf den Dialog der Positionen.

Positionen aber sind im gesellschaftlichen Raum und Praxisfeldern verankert.

b. Feld

Konnten wir den Habitus als den in den Akteuren inkorporierten Kontext behandeln, so kann der ihnen äußerliche Kontext als Feld beschrieben werden. Die verschiedenen Habitus gesellschaftlicher Gruppen und Klas-sen entstehen und wirken, nach Bourdieu, auf Feldern gesellschaftlicher Praxis. Genauer: Habitus und Felder konstituieren einander gegenseitig in ständiger Wechselwirkung. Die Logiken und Strukturen der Felder lagern sich in den Habitus der Akteure ab, und diese gestalten ihrerseits wiederum die Strukturen und Logiken der Felder.

Die Felder sind in Analogie zu physikalischen Feldern als „Kraft-felder“ (Bourdieu: Leçon 74) gedacht, in und zu denen sich die verschiede-nen Habitus auf je spezifische Weise verhalten. „Felder“ sind – genau wie

„Habitus“ – analytische Modelle. Je nach Beobachtungsinteresse kann man vom ökonomischen oder politischen Feld, vom Feld der kulturellen Pro-duktion, vom religiösen, vom familiären Feld, vom Feld der Mode oder der Touristik sprechen. Und im religiösen Feld kann man wiederum das der theologischen Produktion oder das ökumenische Feld ausdifferenzie-ren, wenn man möchte. Die Felder organisieren sich – ähnlich einem magnetischen Kraftfeld – gemäß der Kräfte, die von Positionen ausgehen.

Das heißt, sie sind organisiert gemäß der mehr oder weniger starken An-häufung von verschiedenen, im jeweiligen Feld geltenden objektiven und/oder inkorporierten Formen von Kapital, wie zum Beispiel Geld, Macht, Titeln, institutionelle Positionen, Wissen, Publikationsmöglich-keiten, praktische Kompetenz etc. Felder konstituieren sich von vorn herein als (theoretische) Gesamtheiten von differenzierten und Differenz schaffenden Beziehungen der Ungleichheit zwischen unterschiedlich gewichtigen Positionen. Und die Verteilung der Positionen in einem be-stimmten Feld richtet sich nicht nur an den für dieses Feld spezifischen Kapitalformen aus. Sie wird auch bestimmt vom Hineinwirken anderer Kapitalformen und von den Strukturen anderer Felder.

Dies lässt sich unschwer an den Neopfingstlern im religiösen Feld Guatemalas sehen: Sie haben eine starke religiöse Position bei geringen Mitgliederzahlen, einfach weil ihre Mitglieder Geld, Medien und politi-schen Einfluss besitzen. Im religiösen Feld der Bundesrepublik Deutsch-land zum Beispiel kann man etwa die Positionen der Landeskirchen von denen verschiedener Freikirchen unterscheiden und im Blick auf die jewei-ligen Ressourcen, Zugangsmöglichkeiten zur politischen Macht und Ver-fügbarkeit von Wissen gegeneinander ausdifferenzieren. Vermutlich dürfte

164 Vgl. Bourdieu: Sinn 123 ff. Dieser soziologische Glaubensbegriff sollte in der theolo-gischen Untersuchung durch den Begriff der „Anerkennung“ ersetzt werden, um Ver-wechslungen mit dem theologischen Glaubensbegriff zu vermeiden.

es nicht besonders schwerfallen, Situationen von Konkurrenz aufzuzeigen, in denen die Positionsdifferenz als Herrschaftsrelation wirksam wird.

Derlei unterschiedliche Feldpositionen wirken selbstredend bis in die Formierung der entsprechenden Habitus hinein ebenso wie in die theologi-sche Produktion, sei es an staatlichen Fakultäten oder an freikirchlichen Bibelschulen. Positionsunterschiede und Herrschaftsbeziehungen sind, wenn auch häufig implizit, im Ansatz praxeologischer Theorie schon über die Korrespondenz zwischen Feldern und Habitus von vorn herein mit einbezogen.

In jedem Feld und jeder Position regiert überdies ein stummer Kon-sens über die Verkehrsformen und das für wahr Gehaltene, die „Doxa“.

Dabei handelt es sich nicht um eine bestimmte Lehre, sondern um die

„stumme Erfahrung der Welt als einer selbstverständlichen“ (Bourdieu:

Sinn 126), wozu wiederum eine bestimmte, dem Feld und der Position entsprechende Strukturierung der Dispositionen des Habitus notwendig ist. Es gibt Aufnahmebedingungen für Akteure, um in einem Feld mit-spielen zu dürfen. Nach Bourdieu sind dies erstens der „Glaube“164, der Akt der Anerkennung der gültigen Doxa eines Feldes (durch Geburt oder

„zweite Geburt“); und zweitens die sichtbare Investition in die Bildung symbolischen Kapitals und daraus folgendes Anerkanntsein in diesem Feld. Dasselbe gilt für unterschiedliche Positionen innerhalb eines be-stimmten Feldes.

Um beim letzten Beispiel zu bleiben: Mitglieder von Freikirchen sind Akteure im deutschen religiösen Feld. Wollen sie aber in eine stärkere Position aufrücken, zum Beispiel in die eines landeskirchlichen Pastors mit Aufstiegschancen zur Kirchenleitung, müssen sie die Mühen einer „zwei-ten Geburt“ durchlaufen: Katechese, förmliche Konversion und ein gänz-lich neues, der Doxa der landeskirchgänz-lichen Position entsprechendes Studi-um. Und noch dazu müssen sie für ihre Anerkennung als wirklich der Position zugehörige Akteure aktiv werben. Derlei Prozesse – die wie Initiationen strukturiert sind – dauern entweder geraume Zeit oder sind in psychologischer Hinsicht radikal. Denn es geht um die Umformung des Habitus. Nur wenn die inkorporierten Dispositionen an die Doxa des Feldes und an die Position weitgehend angepasst sind, kann erwartet wer-den, dass der Akteur von selbst das tut, „was getan werden muss“, und dies

165 Zum Unterschied zwischen Lage und Stellung bzw. Position vgl. Bourdieu: Klassen-stellung 42ff.

– aufgrund seiner Beherrschung der praktischen Logik des Feldes – auch richtig tut. Wer reformierte Theologie für eine reformierte Kirche will, wird diese am ehesten von einem „richtigen“ reformierten Theologen erwarten, einem mit reformierten Wurzeln, das heißt tief sitzenden Dispo-sitionen – jedenfalls viel eher als von einem Konvertiten. Die Eignung von Bewerbern für eine Stelle (für eine „Position“ in einer Feldposition so-zusagen) wird von den Angehörigen dieser Feldposition im Allgemeinen weniger nach formalen Qualifikationen und erwiesenen Fähigkeiten be-stimmt als vielmehr nach der Übereinstimmung der praktischen Disposi-tionen des Bewerbers mit der Handlungslogik der Stelle; mit anderen Worten, nach seiner organischen und zeitlich ausgedehnten objektiven Nähe zur Stelle, mit der eine Entsprechung zur Doxa konfirmiert ist. Von Vorteil ist also weiterhin, wenn man den „richtigen Namen“ hat. Seitenein-steiger bleiben die Ausnahmen.

Die objektive Anpassung von Habitus, Feld und Position bringt ein geregeltes Handeln hervor. Dieses ist objektiv strategisch, insofern es der prakti-schen Logik des Feldes und deren immanenten Wertsetzungen entspricht.

Regelmäßigkeit und objektiv strategische Ausrichtung wären aber un-zutreffend interpretiert, verstünde man sie einfach als Resultat von be-wussten Wahlen (ähnlich den Vorstellungen des rational choice) oder als das willenlose Ausagieren gesellschaftlich vorgegebener Normen oder Rollen (ähnlich dem parsonsschen Funktionalismus). Erzeugt werden die Über-einstimmungen, die das objektiv strategische Handeln auszeichnen, im Habitus. Dieser wirkt „als Erzeugungs- und Strukturprinzip von Praxisfor-men und Repräsentationen, die objektiv ‚geregelt‘ und ‚regelmäßig‘ sein können, ohne im geringsten das Resultat einer gehorsamen Erfüllung von Regeln zu sein; ...und die, ...kollektiv abgestimmt sein können, ohne das Werk der planenden Tätigkeit eines ‚Dirigenten‘ zu sein“ (Bourdieu: Ent-wurf 165). So agiert ein Mensch im Normalfall sinnvoll innerhalb der gesell-schaftlichen Position, der er angehört, und hinsichtlich der Prämissen und Konventionen des Handelns und im Einklang mit anderen Personen desselben Praxisfeldes. Das wirksame Strukturprinzip des Denkens und Handelns bleibt normalerweise unbewusst, implizit.

In dieser Regelmäßigkeit der (scheinbar) subjektiven Wahlen reprodu-ziert sich die gesellschaftliche Lage und Stellung165 der Akteure in trans-figurierter Weise. Das Netz der kognitiven, affektiven und leiblichen