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B. Ansätze kontextueller Theologie

2. Modelle kontextueller Theologie

49 Vgl. Ebeling: Dogmatik I,11, über Dogmatik, als „systematisch verfahrende(r) Rechen-schaft über den christlichen Glauben“.

50 Vgl. hierzu vor allem Bevans: Models, und Schreiter: Abschied 23 ff. Irrelevant für unsere Diskussion ist das „translation model“. (Was Schreiter: Theologies 9 ff., „adaptation model“

nennt, rechne ich auch dazu.) Im Mittelpunkt des „Übersetzungsmodells“ steht die Über-tragung des Evangeliums in eine nichtwestliche Kultur; das soziologische Werkzeug ist funktionalistisch. Dieses Modell habe ich schon unter dem Stichwort der „Kontextualisie-rung“ kritisiert.

die anders Theologie treiben. Der Versuch, interkulturell zu verstehen, bildet damit theoriegeschichtlich sowie hermeneutisch und methodolo-gisch eine Vorstufe zu einem kontextsensiblen Selbstverständnis von Theologen und einer kontextbewussten Hervorbringung von Theologie.

Die Methoden interkulturellen Verstehens sind somit unmittelbar relevant für das Verstehen eigener Theologie und gehen in die Entwicklung von Methoden zur kontextbewussten Produktion von Theologie über.

51 Bevans: Models 53, und Schreiter: Abschied 32 f.

52 Vgl. Bevans: Models 50, zu einer verbreiteten Auffassung.

53 Vgl. als Beispiel die an der „Stewardship“ orientierte Theologie von Douglas J. Hall, in Bevans: Models 72 ff.

Exkurs: Zu verschiedenen Modellen kontextueller Theologie

Es werden hier nicht die Modelle als solche dargestellt, sondern lediglich kurz die für uns interessanten Inhalte zur Sprache gebracht, um den praxeologischen Ansatz in der laufenden Diskussion zu verorten.

Die Bedürfnisse in einer Kultur und die aus ihnen erwachsende Nachfrage nach religiöser Orientierung im weitesten Sinne, spielen beim ethnographischen bzw.

anthropologischen Modell eine wichtige Rolle.51 Die Fragen der Betroffenen stehen am Anfang des theologischen Nachdenkens; sowohl in der Beschreibung wie in der Konstruktion von Theologie. Die Nachfrage nach Sinn eröffnet den Zugang zur „Erschließung einer Kultur“ und zur „Entstehung der Themen“

(Schreiter: Abschied 52 ff). Ich halte diesen Ansatz für zentral, um fremde Theolo-gien aus ihrem Kontext heraus zu verstehen und relevante Theologie zu produzie-ren. Dies keineswegs in dem Sinne, dass kontextuelle Theologie lediglich derlei Nachfrage entspricht und Interessen legitimiert. Kultureller Romantizismus ist aus praxeologischer Perspektive nicht angesagt. Dass Kulturen – vor allem nicht-westliche – im wesentlichen gut seien,52 scheint mir ein theologisch problemati-sches und methodisch irrelevantes Urteil. Die Nachfrage nach Sinn ist lediglich in methodischer Hinsicht ein Ansatz, um die Anderen von deren eigenen Fragen her zu verstehen und um Theologie nicht an kirchlichen und gesellschaftlichen Hand-lungszusammenhängen vorbei zu formulieren.53 In dieser Hinsicht aber spielt sie aus praxeologischer Sicht eine wichtige Rolle.

Die Befreiungstheologien haben die Frage von Macht und Herrschaft in die Diskussion gebracht. Das ist wichtig. Wenn man allerdings statt der Nachfrage der Betroffenen lediglich den Einsatz für eine, vorher bereits definierte, Befreiung der Armen fordert, verspielt man den methodischen Gewinn des hermeneutischen Zirkels von „Sehen, Urteilen, Handeln“ zugunsten inhaltlicher Festlegungen. Die Befreiungstheologien waren somit, in „ihrer“ Zeit einmal kontextuelle Theologien;

sie sind es allerdings nur noch in dem Maße, als sie die Ontologisierung des Begriffs der „Armen“ und die Festlegung zugunsten politischer „Befreiung“, Avantgarde-Theorien, universalistischer Ethik usw. durch andere Elemente erset-zen. Dann sind sie allerdings vermutlich keine Theologien der Befreiung mehr, sondern andere Genitiv-Theologien, etwa Theologien „des Lebens“. Es wird das jeweilig relevante Element kontextueller Nachfrage in die Benennung eingehen.

Aus praxeologischer Sicht läuft die Machtproblematik methodisch auf eine offene Frage nach Herrschaftsbeziehungen im Rahmen einer relational konzipierten

Soziologie hinaus, und zwar ohne vorherige inhaltliche Festlegungen. Der Zirkel von „Sehen, Urteilen, Handeln“ ist ein wichtiges Element der befreiungstheologi-schen und dann auch kontextuell theologibefreiungstheologi-schen Hermeneutik. Er formuliert auf eine sehr einfache Weise Elemente von höchst komplexen Prozessen. Damit verbunden ist die Gefahr einer unzulänglichen Simplifizierung. Praxeologische Theorie ermöglicht es, diesen hermeneutischen Zirkel in vielfacher Weise zu vertiefen. Vor allem stellt sie die sozialen Akteure ins Zentrum der Aufmerksam-keit. Zum einen erlaubt Praxeologie in der Beschreibung die gesellschaftliche Praxis der jeweiligen Akteure von deren Dispositionen des Wahrnehmens, Ur-teilen und Handelns her zu begreifen; zum anderen versteht sie sowohl die Be-obachtung selbst als auch die konstruktive theologische Arbeit auf diesem Hinter-grund. Hierbei ist es wichtig zu betonen, dass ein praxeologischer Ansatz nicht der makrosoziologischen ökonomistischen Reduktion verfällt. Die Konzentration auf die Akteure verhindert dies.

Das transzendentale Modell (Bevans: Models 97 ff.) thematisiert die gesell-schaftlich geprägte religiöse Erfahrung im Blick auf ihre Wirkungen für das Subjekt dieser Erfahrung. Allerdings bleibt es – im Urteil Bevans‘ – sehr abstrakt. Die Frage nach der Strukturierung von Erfahrung ist meines Erachtens zentral. Aber sie kann nicht losgelöst vom strukturierenden Handeln der Akteure und dessen Wechselwirkungen mit den gesellschaftlichen Institutionen gesehen werden. Sonst drohen mindestens zwei Gefahren: Erfahrung nur vermittels der Analyse ent-sprechender Zeichensysteme zu bearbeiten und sie subjektivistisch zu reduzieren. Das praxeologische Konzept des Habitus konzentriert den Fokus der Sozialtheorie auf die Akteure. Dabei fasst es diese (und ihre religiöse Erfahrung) gleichzeitig indivi-duell und gesellschaftlich sowie in dreifacher Perspektive: kognitiv, affektiv und leiblich. Damit fällt der Ansatz beim Habitus also auch nicht auf der objektivistischen Seite vom Pferd: Makrosoziologische Reduktion und Ökonomismus sind ebenso wenig möglich. Und nach beiden Seiten gilt: Die gebräuchlichen Gegensätze von System und Subjekt, Determinismus und Freiheit sind für Praxeologie irrelevant.

Der Dialog ist im synthetischen Modell (Bevans: Models 81 ff.) zentral. Die Ablehnung der Abbildtheorie und damit der Korrespondenztheorie der Wahrheit sind dabei eine wichtige Voraussetzung. Auch der praxeologische Ansatz läuft in unterschiedlicher Weise auf Dialog hinaus. Zum einen teilt er die genannte Vor-aussetzung. Zum anderen werden Forschungsergebnisse praxeologischer Analyse nicht als objektiv begriffen; sie sind also in ihrer Geltung wiederum abhängig vom Dialog mit den Betroffenen. Darüber hinaus bietet Praxeologie durch das (empi-risch operationalisierbare) Modell des Netzes der Dispositionen eine Möglichkeit, den Dialog selbst methodisch und theoretisch zu klären; dies läuft auf veränderte Strategien, Zielsetzungen und Selbstverortungen der Dialogpartner hinaus.

Es gibt wichtige Anschlüsse zwischen dem praxeologischen Ansatz und den meisten Modellen aktueller kontextueller Theologie. Folgende möchte ich hervorheben:

Nachfrage nach religiöser Orientierung im Leben wird im anthropologi-schen Modell unterstrichen; dem entspricht der kritische analytische Bezug auf die Nachfrage nach Sinn seitens der Praxeologie.

• Die Machtproblematik aus den Befreiungstheologien wird im praxeologi-schen Denkstil mit einer relational konzipierten Soziologie der Herr-schaftsbeziehungen auf analytische Weise aufgenommen.

• Den klassischen hermeneutischen Zirkel von „Sehen, Urteilen und Han-deln“ verfeinert Praxeologie erheblich in theoretischer und metho-discher Hinsicht, indem sie u.a. die Dispositionen der Akteure für Wahrnehmen, Urteilen und Handeln – also ihren Habitus – berück-sichtigt

• Auf diese Weise re-interpretiert sie die Erfahrungsproblematik des tran-szendentalen Ansatzes. Erfahrung wird in die Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen Beziehungen, Zeichensystemen und Hand-lungen eingebaut und in Hinsicht auf kognitive, affektive und körperli-che Komponenten hin unterschieden.

• Praxeologie schließt an die Betonung des Dialogs im synthetischen Modell und an dessen Ablehnung der Abbildtheorie der Erkenntnis an. Dabei bindet sie den Dialog zum einen in die Methode des Ver-stehens fremder Theologien ein und zum anderen versteht sie ihn als einen entscheidenden Operator in der Erzeugung emergenter Felder theologischer, kirchlicher und ökumenischer Praxis.

Dies alles heißt nun nicht, dass Praxeologie alle anderen Modelle in einem quasi hegelianischen Handstreich „aufheben“ würde. Praxeologie ist le-diglich anschlussfähig an die laufende Debatte und kann mit den ent-sprechenden Anregungen auf spezifische Weise weiter arbeiten.

Entscheidend ist, wie gut sie sich als Verfahren zur Beschreibung von fremden Theologien in deren Kontexten eignet. Dies ist der erste Schritt zur Erarbeitung einer Methode, mit der eigene Theologie vom eigenen Kontext her entworfen werden kann. Auf Ersterem liegt der Hauptakzent dieses Buches; Letzteres bleibt Ausblick. Zur Verortung der analytischen Kompetenz des praxeologischen Ansatzes werde ich deshalb zunächst einen kurzen Blick auf den, meines Wissens, derzeit am weitesten ent-wickelten Ansatz zur kontextuell-theologischen Analyse werfen.

54 Dies ist die umgekehrte, aber darin durchaus gültige Folgerung aus der folgenden religionswissenschaftlichen Erkenntnis. Bei der Untersuchung fremder religiöser Praxis sollte man sich über Folgendes klar sein: „Deutungsmonopole und Deutungsinteressen binden auch die Tätigkeiten jener religiösen Spezialisten an einen, ihren historischen Kontext, sie liegen auf der gleichen Objektebene wie etwa die Logik einer Ritualsequenz.

Anders ausgedrückt: Auch die jeweiligen Theologien sind ‚Eingeborenen-Modelle‘ im Sinne der ethnologischen Forschung und Teil des zu erforschenden Symbolsystems.“

(Gladigow: Religionswissenschaft 36) Dies gilt selbstverständlich nicht nur für fremde sondern auch für eigene Theologie.

55 Vgl. etwa Löschke: Religion, der mit den Mitteln der Oral History über die Basis-gemeinden in Nicaragua gearbeitet hat. Vgl. auch Schäfer: Protestantismus. Zur theologischen Produktion aus dieser Perspektive vgl. Amirtham/Pobee: People.

56 Vgl. Brandt: Basisliteratur, über brasilianische Basisgemeinden, Brandt: Straße, über religiöse Aufschriften auf brasilianischen Lastwagen, und Brandt: Gegenwart. Kliewer:

Pfingstler, hat u.a. auf diese Literaturgattung zur Untersuchung brasilianischer Pfingstler zurückgegriffen.

57 Vgl. etwa Binyon: Demon, zur Dämonenaustreibung, Hollenweger: Situation, Hollenwe-ger: Christentum, und Poloma: Movement, zu verschiedenen Aspekten. Ähnliches bestätigen auch meine eigenen (bisher unveröffentlichten) Studien zum Gottesdienst und anderen rituellen Praktiken bei pfingstlichen und neopfingstlichen Kirchen in Guatemala im Rahmen meiner Feldforschung.