• Keine Ergebnisse gefunden

2. Österreichische Auswanderung in die USA

2.5 Der Alltag in der neuen Heimat

2.5.1 The American Dream – Mythos oder Realität?

Zwar entstand der Begriff des American Dreams erst 1931 und somit deutlich nach den großen europäischen Masseneinwanderungen, als ihn James Truslow Adams in seinem Werk The Epic of America aufgriff, das Grundkonzept dieses Mythos mit all seinen Facetten hat sich jedoch unlängst in das kollektive Bewusstsein integriert. Als erste Nation überhaupt gewährten die USA allen BürgerInnen auf Grundlage der Verfassung von 1787 sowie der Zusatzartikeln,

234Winkler, S. 946.

Seite | 72 die Bill of Rights, einklagbare Grundrechte und ein Recht auf Selbstbestimmung und Autonomie im freien, demokratischen Rechtsstaat.235 Inwiefern sich der „American Dream“ für MigrantInnen erfüllte, hängte zumeist von einem geglückten Einstand sowie der Bereitschaft ab, ganz unten zu beginnen und sich durch Fleiß, Flexibilität und Durchschlagskraft – oftmals auch unter Einsatz der eigenen Gesundheit – in der sozialen Hierarchie nach oben zu arbeiten und auf diesem Wege Wohlstand zu erlangen. Viele einem bäuerlichen Umfeld entsprungene, eingewanderte ÖsterreicherInnen machten im Mittleren Westen im späten 19. Jahrhundert vom zuvor beschriebenen Homestead Act Gebrauch, der das westliche Amerika erschließen sollte, um große Flächen agrarwirtschaftlich zu nutzen. Dabei fanden EinwanderInnen in Präriegebieten jedoch schwierigste Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie unzureichende medizinische Versorgung, die sich zudem oftmals als schlicht unleistbar herausstellte, vor. Vor allem Frauen seien dabei in besonderem Maße vom Elend betroffen gewesen.236

Besser ging es in der Regel eingewanderten Handwerkern:237 Vor allem solche, die in baugewerblichen Berufen tätig waren, seien in besonders hohem Maße in der Lage gewesen, sich selbstständig zu machen, da es in der Regel zwar viel Arbeitsaufwand, aber wenig Kapital bedurfte, um Fuß fassen zu können und in weiterer Folge selbst Baumeister zu werden.

Eingewanderte Handwerker wechselten in der neuen Heimat kaum als Autodidakten in Intelligenzberufe.238 Es war dennoch allen voran die Gruppe der Handwerker, die im Gegensatz zu vielen anderen Migrationsgruppen, ihren Kindern Bildungschancen und damit verbunden einen sozialen Aufstieg gewährten, was – verglichen mit LandwirtInnen oder FabriksarbeiterInnen – ebenfalls für eine soziale Besserstellung der Handwerker-Familien spricht. So brachte bereits die zweite Generation der eingewanderten Handwerker viele Nachkommen hervor, die in angesehene Berufsfeldern ihrer Erwerbstätigkeit nachgingen. So seien bereits in der zweiten Generation beispielsweise viele Lehrer, Juristen oder Ärzte zu finden.239

Frauen hingegen fanden sich in den allermeisten Fällen im Dienstleistungsgewerbe wieder. So arbeiteten fast alle jungen, migrierten Frauen – zumindest bis zu ihrer Verheiratung – in Haushalten. Die Abfolge war zumeist klar: Ankommende Frauen, beispielsweise aus dem

235 Böhm, S. 20.

236 Pichler, S. 75–76.

237 Da Frauen in handwerklichen Berufen de facto nicht vertreten waren, wird in diesem Fall auf eine geschlechtsneutrale Wortwahl verzichtet.

238 Pichler, S. 76.

239 Ebenda, S. 76–77.

Seite | 73 deutschsprachigen Raum, fanden Arbeit in Haushalten bereits etablierter EinwanderInnen (wie z.B. oben genannte Handwerker-Familien) derselben Herkunft, um sprachliche Barrieren zu überwinden. Junge Frauen, die bereits Englisch sprachen, fanden hingegen Arbeit bei amerikanischen Dienstgebern. Aus dem regen Briefverkehr in die alte Heimat geht interessanterweise hervor, dass die Beschäftigung bei amerikanischen Arbeitgebern diesbezüglich weitaus erstrebenswerter erschien. So wurde berichtet, dass der Umgang mit dem Hauspersonal in angloamerikanischen Familien ein respektvoller und dadurch weitaus besserer war als jener bei Deutsch- oder Austro-Amerikanern. Zudem wären die Bezahlung sowie der Umfang der eigenen Freizeit bei amerikanischen Arbeitgebern deutlich höher ausgefallen.

„Hier hält man die Magd so gut wie in Deutschland eine Frau“, schrieb eine junge Dornbirnerin im Jahre 1867 in einem Brief an die Verwandtschaft zuhause mit dem Zusatz, man wolle in der (alten) Heimat fortan einer solchen Tätigkeit nicht mehr nachgehen, denn in den USA halte man „arm[e] Leut nicht für Hund wie in Deutschland“,240 gefolgt von Schilderungen, wie gut es Dienstmädchen hier haben, bekomme man in den Vereinigten Staaten immerhin 10 bis 20 Dollar Lohn pro Monat und habe dabei ebenfalls viel Freizeit.241 Im weiteren Verlauf der Industrialisierung in den USA fanden Frauen zunehmend in der Industrie – vor allem als Fließbandarbeiterinnen – Arbeit.242

Witwen fanden sich hingegen mit der Situation konfrontiert, nach dem Tod des Mannes plötzlich berufstätig werden und die Familie (allein) ernähren zu müssen. Dabei fanden sie vor allem als Putzfrauen oder Wäscherinnen Arbeit. Viele dieser Witwen nutzten mitunter auch die Gewerbefreiheit in den USA, gründeten eigene Dienstleistungsbetrieb und schafften es zum Teil, eine soziale und hinsichtlich Wohlstand Besserstellung der Familie zu erzielen und so die Lebensbedingungen sogar zu verbessern. Es sind (Erfolgs-)Geschichten wie jene einer 39-jährigen, österreichischen Witwe eines Malermeisters, die Anfang des 20. Jahrhunderts nach dem Tod des Mannes eine Pension eröffnete und in weiterer Folge ein Hotel, das bald eine gute Reputation vorweisen sollte, sich zudem auch politisch engagierte, diversen Organisationen beitrat und als Gründungsmitglied der Österreichischen Gesellschaft fungierte243, die zu realisieren in der alten Heimat kaum vorstellbar erscheinen, sich im Bewusstsein vieler Frauen

240 Pichler, S. 77.

241 Pichler, S. 77–78.

242 Fank, S. 48.

243 Pichler, S. 77.

Seite | 74 verankern und keinen unwesentlichen Aspekt für junge Frauen bei der Entscheidungsfindung bezüglich Auswanderung zu spielen vermögen.

Grundsätzlich ist jedoch zu erkennen, dass im Verlauf der Massenauswanderung in die USA frühere Zeitpunkte bessere Chancen gewährten als deren spätere. So sanken Chancen zur Realisierung des American Dreams und des sozialen und finanziellen Aufstiegs fortlaufend.

Die größte Aussicht auf Erfolg und Wohlstand hatten EinwanderInnen noch vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Allen voran die Automatisierung in der Industrie förderte einen Dequalifizierungsprozess, die Arbeitsteilung wurde fortan vorangetrieben und der Arbeitsmarkt sodann mit Stellen im niedrigsten Lohnsektor überschwemmt. Unabhängig des Berufsfeldes, in denen MigrantInnen ihren Tätigkeiten nachgingen, gilt für fast alle EinwanderInnen die Anfangszeit als mit Abstand schwierigste Phase.244 Der Einstand ins amerikanische Arbeitsleben begann im Laufe der Zeit immer weiter unten, oftmals standen die Chancen schlecht, prekären Bedingungen zu entfliehen. Dennoch standen jene Chancen vor dem Hintergrund des Vorhandenseins eines starken Willens, von Fleiß sowie einer Assimilierungsbereitschaft und guter Gesundheit in der Regel besser als zur selben Zeit in Österreich. Gleichzeitig war jedoch freilich das Risiko weitaus höher, regelrecht zu verelenden, gab es in den USA im Gegensatz zur alten Heimat schließlich keinerlei sozialstaatlichen Mechanismen, um dies zu verhindern.245 Eine entsprechende staatliche Sozialpolitik entwickelte sich in den Vereinigten Staaten später als in Europa.246 Durch die rasch vonstattengehende Urbanisierung und ob des gleichzeitigen hohen Bevölkerungswachstum – zwischen 1900 und 1920 wuchs die Bevölkerung von 76 auf 105 Millionen um erstaunliche 40 Prozent – und die fehlende staatliche Fürsorge wurde die Entstehung von Slums gefördert.

Um die Jahrhundertwende lebten alleine in New York etwa 1,5 Millionen Menschen auf engstem Raum in zu einem großen Teil gar licht- und luftlosen, mehrstöckigen Mietwohnungen mit kaum vorhandenen sanitären Einrichtungen.247

244 Fank, S. 45.

245 Pichler, S. 78–80.

246 Adams, S. 12.

247 Ebenda, S. 20.

Seite | 75