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3. Fallbeispiel: Johann Hofer

3.4 Der Briefverkehr

3.4.2 Brief Johann Hofers (1929)

Der zweite Brief von Johann an August Hofer sieben Jahre später aus dem Jahre 1929 zeichnet ein weitaus düstereres Bild in Bezug auf die ökonomische Lage Johanns. Zudem äußert er explizit Heimweh und den Wunsch, wenigstens temporär einmal in die alte Heimat zurückkehren zu können. Dieser Brief erlaubt tiefergreifende Einblicke in die Gefühlswelt des Auswanderers sowie in die schwierigen Lebensbedingungen in den USA, mit denen Johann Hofer seit seiner Einwanderung konfrontiert ist.

[Transkription279, kein inhaltlichen oder hinsichtlich Rechtschreibung, Grammatik oder Interpunktion vorgenommene Änderungen; lediglich eine Änderung zum besseren Verständnis vorgenommen und entsprechend markiert; sämtliche Kürzungen vermerkt]

1929 280

Dear brother Gustl,

I am very sad when I write this letter because I know that our dear mother is not well. I do hope that my letter comes in time and that mother feels already better. I am so sorry that I am away so far and that it is not possible for me to come home. If I could only see my mother one time in my life. I have not seen her for so long. Nearly 20 years I have not seen her. These 20 years were not easy for me. Things did not look too rosy for me. You cannot imagine how much I want to come home, just for one or two days. I am still homesick after all the years. […] You cannot know how it is, to be away, alone, with people very different from the ones you know from home. And then you get a letter telling you that your father has passed away (12 years ago) and now, a letter, telling that your mother is very sick.

279 Originaldokumente heute in Besitz von Rodney Hoffer

280 Keine exakte Datumsangabe vorhanden, lediglich das Jahr wurde angegeben.

Seite | 92 […] The hope that I can visit you and my home helped me to overcome many hard years.

I always tried to find a way to organize a visit to Austria. But the years passed by and I could not afford it. I am very happy that I have my work and that I can take care of my family. I don't want to complain. But I have the opinion that good old Austria thinks that America is the land of milk and honey. This is not true. You have to work hard, very hard.

[…] Especially last year was a very hard one for me and my family. In November, as you perhaps know, the stock market crashed and I lost everything. […] I am ruined, I don't know what to do, the best thing will be to forget everything and start again. […]

Your brother Hansl

Johann Hofer erfuhr offenbar kurz zuvor vom schlechten gesundheitlichen Zustand seiner Mutter281 und zeigt sich darüber in höchstem Maße betroffen. Er erläutert, dass es ihm nicht möglich sei, nach Hause zu kommen, wenngleich dies sein größter Wunsch wäre. Die finanzielle Lage lässt dies nicht zu, so schreibt Johann offen, dass er sich einen Heimatbesuch schlichtweg nicht zu leisten vermag. Es scheint ihn tief zu bedrücken, dass er seine Mutter seit nun fast 20 Jahren nicht gesehen hat. Es könnte dies als Hinweis gewertet werden, dass Johann seine Familie bereits seit seiner Station in Südtirol nicht mehr gesehen hat, was sich jedoch nicht gänzlich eruieren lässt. Wohl aber liegt die Annahme nahe, dass Johann zu dieser Zeit den persönlichen Kontakt dahingehend vermieden hatte.

Johann führt weiter aus, dass ebenjene 20 Jahre sich für ihn überaus schwierig gestalteten.

Seine Lage sah in dieser Zeit nicht sehr rosig aus, wie er angibt. Zudem schildert er den erschwerenden Umstand, allein zu sein, fernab der Heimat, umgeben von Menschen, die gänzlich anders sind als jene, die man von zuhause kennt. Selbst nach 20 Jahren habe Johann nach wie vor Heimweh und weist darauf hin, dass er vom Tod des Vaters und nun von der Krankheit der Mutter via Brief erfuhr. Dabei kann die Passage „ […] And then you get a letter telling you that your father has passed away (12 years ago) […]”282 auf zweierlei Weise

281 Der Brief von August Hofer, in dem dieser Johann über den Gesundheitszustand seiner Mutter unterrichtet, ist nicht auffindbar und wurde aller Wahrscheinlichkeit nach nicht aufbewahrt.

282 Johann Hofers Schreiben an August Hofer aus dem Jahre 1929.

Seite | 93 interpretiert werden. Entweder erhielt Johann Hofer vor zwölf Jahren eine dahingehende Benachrichtigung oder aber er hat erst zwölf Jahre später vom Tod des Vaters erfahren, möglicherweise durch August Hofer. Aufgrund der Schreibweise erscheint Letzteres als wahrscheinlicher, es kann dies jedoch nicht zweifelsfrei beantwortet werden.283

Weiters gibt Johann Hofer zu verstehen, dass er stets versucht war, eine Reise in die alte Heimat zu organisieren, er sich dies aufgrund mangelnder finanzieller Möglichkeit zu keinem Zeitpunkt leisten konnte, obwohl er froh sei, eine Arbeit zu haben und für seine Familie sorgen zu können. Besonders erwähnenswert ist der Umstand, dass Johann Hofer explizit von unrealistischen Vorstellungen über und Erwarten an die Vereinigten Staaten schreibt. Es ist dies in der Literatur ein vielfach behandeltes Thema. Dabei lassen, wenngleich die Dokumentensammlung unvollständig zu sein scheint, vorangegangene Schreiben seines Bruders nicht den Rückschluss zu, dass dies zwischen den beiden je diskutiert wurde. Es liegt somit die Vermutung nahe, dass dieser Aspekt in den USA öffentlich bzw. innerhalb des näheren Umfelds oder Bekanntenkreises Johann Hofers thematisiert wird und er deshalb dieses Thema aufgreift. So schreibt Johann Hofer wörtlich: „ […] But I have the opinion that good old Austria thinks that America is the land of milk and honey. This is not true. You have to work hard, very hard. […]“.284 Ebenso findet sich keine Bezugnahme von August Hofer auf ebenjene Äußerung im weiteren Verlauf der schriftlichen Korrespondenz. Es ist daher anzunehmen, dass diese in Folge eigenen Antriebs von Johann Hofer verfasst wurde, möglicherweise, um dahingehend aufklärerisch zu agieren, geht dieser offenbar in der Annahme, dass dies in der Heimat bzw. innerhalb der eigenen Familie nach wie vor kein allseits bekannter Umstand sei.

Diese Passage deckt sich dabei vollständig mit zahlreichen Erörterungen in dementsprechender Fachliteratur.

Abschließend nimmt Johann Hofer Bezug auf den Börsencrash, den Black Thursday, in den USA im Jahre 1929. Da Johann Hofer schreibt „[…] Especially last year was a very hard one for me and my family. In November, as you perhaps know, the stock market crashed and I lost everything. […]”285, wirft die Datierung des Briefes mit der Jahresangabe 1929 Fragen auf.

Eine mögliche Erklärung wäre, dass das Schreiben im Frühjahr 1930 aufgesetzt und dabei

283 Auch dieser Brief ist nicht Teil des Familienarchivs; es lässt sich nicht eruieren, wer der Verfasser war und wann dieses Schreiben verfasst wurde.

284 Johann Hofers Schreiben an August Hofer aus dem Jahre 1929.

285 Ebenda.

Seite | 94 irrtümlicherweise mit der vorangegangenen Jahreszahl versehen wurde. Da August Hofers Antwortschreiben mit 10. Februar 1930 datiert wurde, mutet dies naheliegend an.

Unwahrscheinlicher hingegen scheint, dass die beiden Sätze inhaltlich voneinander zu trennen sind und das letzte Jahr für Johann Hofer und dessen Familie ein überaus schwieriges war und sich erst im darauffolgenden Jahr der Börsencrash ereignete, der seine Situation zusätzlich erschwerte. Er führt weiters an, dass er ruiniert sei und alles durch den Börsencrash verloren habe, weswegen er gedenke, nun nochmals von neuem zu beginnen. In Anbetracht seines Werdegangs könnte sich hier eines der primären Motive seiner ursprünglichen Wanderung offenbaren. Gänzlich von vorne zu beginnen, einen Neustart zu wagen, könnte Johann Hofer bereits in jungen Jahren in die Ferne getragen haben. So setzt sich in der entsprechenden Fachliteratur zusehends die Erkenntnis durch, Auswanderung sei als sozialer Prozess286 zu betrachten, indem ebenso individualpsychologische Motive287 eine entscheidende Rolle spielen. Denn bezogen auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten hätte Johann Hofer im Kreise der Familie und dessen weitläufigen Besitztümern in Stainz trotz der in Österreich herrschenden Wirtschaftskrise unter Umständen dennoch bessere Chancen – wie er auch selbst erwähnt288 – vorgefunden.