• Keine Ergebnisse gefunden

2. Österreichische Auswanderung in die USA

2.3 Die Amerikareise um 1900

2.3.1 Agenten

Agenten, die als Verbindungsglied zwischen AuswanderIn, Reederei und beispielsweise einem/einer GrundbesitzerIn mit Bedarf an Arbeitskräften in den USA fungierte, habe es bereits seit dem 17. Jahrhundert gegeben.207 Der österreichische Historiker und Migrationsforscher, Hans Chmelar, nennt drei Arten von Agenten, die um die Gunst der EmigrantInnen buhlten und gibt Einblick in deren umstrittene Methodik:208

1. Mit Schifffahrtsgesellschaften verflochtene Agenturen: Die mächtigen Reedereien Norddeutschlands nutzten beispielsweise intensiv Agenten, um Passagiere für sich zu gewinnen. So kauften Schätzungen zufolge in Hamburg nur etwa 20 Prozent der EmigrantInnen ihre Tickets direkt bei der Gesellschaft, in Bremen sogar nur etwa zehn bis zwölf Prozent, obwohl dies laut Konzession Pflicht gewesen wäre. Agenten boten den Wanderungswilligen sogar Gesamt-Dienstleistungen, einschließlich Geldwechsel, Bahntickets, Verpflegung, Übernachtung und die Überwindung möglicher Gesetzeskonflikte, wobei nicht klar hervorgeht, auf welche (außer Wehrdienst) hierbei Bezug genommen wird.

2. Inländische Reisebüros in Zusammenarbeit mit Agenturen: Reisebüros, die eigentlich der heimischen Gesetzgebung unterliegen, erhielten Provisionen für den Verkauf von Tickets. Dabei wurde dennoch nicht selten zu illegalen Mitteln, wie das Fälschen von Pässen, gegriffen. Standorte der berüchtigtsten solcher Reisebüros befanden sich in Czernowitz, Lemberg, Krakau oder Wien.

206Agstner, S. 63–68.

207Bretting, S. 91.

208HAHN Sylvia, Historische Migrationsforschung. Frankfurt/New York 2012. S. 68.

Seite | 64 3. Auswanderungsagenten: Dabei handelt es sich selbst um Migranten, denen Provisionen oder verbilligte Tickets in Aussicht gestellt werden und sich so in den Dienst von Agenturen begeben. Sie sollten Nachbarn, Bekannte oder Freunde anwerben, wofür sie Prämien bezogen. Aus diesem Grund wird nicht selten an der Echtheit der in Briefkorrespondenzen hervorgehenden Schilderungen der neuen Heimat gezweifelt.209

Mitunter sind es sogar auch diverse Schutzverbände und religiöse Organisationen selbst, die als Ableger der Agenten fungieren.210 Die eigentlichen Absichten rückten somit in Anbetracht finanziell lukrativer Erwerbsmöglichkeiten häufig rasch in den Hintergrund, Korruption war oftmals eher die Regel als die Ausnahme. Österreich war von Agenten umzingelt, die jenseits der Grenzen oder sogar im Land lauerten. Das System florierte: Ein bekannter Agent in Bremen habe sogar über 1.000 Unteragenten beschäftigt. In der Literatur wird dem Agentensystem de facto unisono eine große Signifikanz im Bezug auf die Auswanderungsentscheidung zugeschrieben, wenngleich Agenten nicht als Ursache von Emigration zu verstehen seien; vielmehr haben diese Emigration erleichtert und ermöglicht, der Wunsch nach Auswanderung sei allerdings schon vorhanden gewesen. Bevor Masseneinwanderung in den USA in Verruf geriet, unterhielten einige Bundesstaaten selbst Büros, die EinwanderInnen anzuwerben versuchten.211

Zwar waren viele Agenten zunächst behördlich genehmigt und gingen ihrer Tätigkeit durchaus auf seriöse Art und Weise nach, da jedoch bereits im frühen 19. Jahrhundert die mitunter von einer Flut an betrügerischen und skrupellosen Agenten ausgelöste, unkontrollierte und nicht organisierte Auswanderung zunehmend ein Problem darstellte, wurde das Agentenwesen in vielen Ländern, darunter Österreich, gänzlich verboten. Aufgrund des Umstands, dass Redereien oftmals für jeden übertragenen Passagier ein Handgeld bezahlten, war zahllosen Agenten jedes Mittel, zur Emigration zu bewegen, recht. Vor allem aufgrund völlig unrealistischer, beschönigter Schilderungen, falscher Versprechungen und Irreführungen wurden tausende Menschen so zur Auswanderung animiert, die in Folge wenig überraschend vielfach scheiterte, entsprachen die Schilderungen keinesfalls den Tatsachen. Trotz des Verbots

209Chmelar, S. 117–118.

210Ebenda

211Bednar, S. 190, 195–197.

Seite | 65 in Österreich agierten auch hier hunderte Agenten; zu verlockend schien die Aussicht auf hohen Profit zu sein.212

Auf legale Weise beteiligten sich in Österreich daneben Reisebüros am Geschäft mit der Auswanderung, die eng mit Schifffahrtsgesellschaften oder Auswanderungsagenturen zusammenarbeiteten, Karten verkauften, dafür von den Redereien Provisionen erhielten und AuswanderInnen in beratender Funktion als Anlaufstelle dienten. Gesetzesverstöße, allen voran Passfälschung, und daraus resultierende Strafverfahren standen dabei jedoch auch bei solchen de facto an der Tagesordnung, war auf vollständig legalem Wege immerhin kaum Profit zu generieren, auf gesetzeswidrige Weise dafür umso mehr.213 Vor allem in Anbetracht wachsender Konkurrenz, beispielsweise durch die Austro Americana, die mit günstigen Tarifen lockte, drängten die führenden Reedereien in Norddeutschland ihre Agenten und Unteragenten geradezu, von illegalen Methoden Gebrauch zu machen. Proteste aus Wien blieben in diesem Zusammenhang letztlich völlig wirkungslos.214

Den Dillingham Reports ist indes die aufgestellte Behauptung zu entnehmen, massenhafte Überseewanderung aus Osteuropa sei ohnehin gänzlich dem Agentenwesen geschuldet, ohne dessen Wirken es demnach zumindest von dort keine Masseneinwanderung in die USA gegeben hätte. Zwar liefert diese Erklärung eine unzureichende Antwort auf komplexe Wanderungsbewegungen, doch war der Einfluss des Agentenwesens vor allem im östlichen Teil Österreich-Ungarns tatsächlich überaus signifikant. Eine Gerichtsverhandlung gegen zwei deutsche Agenten im Dienste der Hamburg-Amerika-Linie zwischen 1889 und 1890, die eine Geschäftsstelle in Auschwitz auf dem Gebiet der Doppelmonarchie unterhielten und des Betruges verdächtigt wurden, zeichnete ein verheerendes Bild hinsichtlich skrupelloser Methodik sowie einer tiefgreifenden Korruption innerhalb des österreichisch-ungarischen Verwaltungsapparates. So umfasste Korruption im großen Stil Eisenbahnschaffner, Beamte, Zöllner und sogar Polizisten. Letztere ließen AuswanderInnen im Glauben, eine Überfahrt sei nur über Hamburg möglich bzw. anderenfalls gesetzeswidrig. Verhaftungen und Misshandlungen waren unter anderem sogar die Folge, widersetzten sich Personen den Anweisungen der bestochenen Beamten, zum Beispiel weil bereits ein Ticket einer anderen Linie erworben wurde. Die Agenten selbst überzeugten – vor dem Hintergrund geführter

212 Bretting, S. 92–94.

213 Fank, S. 35.

214 Bretting, S. 94.

Seite | 66 Scheingespräche beispielsweise mit potenziellen Arbeitgebern in den Vereinigten Staaten – deren Klienten von den Vorzügen einer Emigration, die dann oftmals katastrophal endete. So hat sich um die Jahrhundertwende ein Fall zugetragen, in dem 400 Personen eine Überfahrt nach Nordamerika buchten, schlussendlich allerdings auf Hawaii landeten und unter sklavenähnlichen Umständen an Plantagenbesitzer verkauft wurden. Professionelle Agenturen, die gesetzeskonform und vor dem Hintergrund strenger Überwachung seriös agierten,215 spielten zumindest in Osteuropa de facto keine Rolle. Vom dortigen Treiben der Agenten waren die großen deutschen Schifffahrtsgesellschaften im weiteren Verlauf regelrecht abhängig.216