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3. Fallbeispiel: Johann Hofer

3.4 Der Briefverkehr

3.4.3 Antwort August Hofers (1930)

Nicht minder brisant und aufschlussreich gestaltet sich die auf den vorherigen Brief Johann Hofers erfolgte Antwort seines Bruders August im selben Jahr. Ausgewählt wurde dieses Schreiben insbesondere deshalb, da August Hofer auf die missliche Wirtschaftslage in Österreich289 Bezug nimmt und dahingehend ein äußerst düsteres Bild zeichnet. Gegenstand des Schreibens ist darüber hinaus unter anderem der kritische Gesundheitszustand der Mutter

286 Kraler, Parnreiter, S. 339.

287 Fank, S. 20.

288 Bezogen auf dessen Äußerung „[…] I would be a rich man now. […]” in seinem Brief an August Hofer im Jahre 1922.

289 Mayrhuber, S. 32.

Seite | 95 bzw. deren bevorstehendes Ableben sowie die Aufteilung des Erbes. Als Datum wurde der 10.

Februar 1930 angegeben.

[Transkription290, kein inhaltlichen oder hinsichtlich Rechtschreibung, Grammatik oder Interpunktion vorgenommene Änderungen; ungekürzt]

Mein Lieber Bruder,

leider bin ich selber ausserstande zu schreiben, da ich krank bin und diktiere meiner Frau.

Mutter's Zustand ist immer gleich, die Aerzte geben keine Hoffnung mehr. Es ist nur von

290 Brief von August Hofer am 10.02.1930 in Besitz von Leopoldine Spari.

Abb. 14: August „Gustl“ Hofers Antwort im Jahr 1930 (Auszug)

Seite | 96 der Stärke ihrer Natur abhängig, wie lange sie den Kampf aushalten wird. Sie ist völlig bei Besinnung und weiss von ihrem nahen Ende und hat mit grossem Interesse die Mitteilung über den Inhalt Deines Schreibens entgegengenommen. Sie wünscht Dir und Deinen Lieben alles erdenkliche Gute, ein persönliches Wiedersehn hält auch sie für unmöglich. An den Tagen des „Schwarzen Novembers“ haben wir alle an Dich gedacht und unsere Ahnung hat sich richtig bewahrheitet. Das Bild Deiner drei Buben hat uns alle entzückt, besonders der Aelteste scheint Dir am meisten ähnlich zu sein. Ich werde demnächst nachholen, Dir ein Bild meiner beiden Buben zu schicken, von denen der Aeltere augenblicklich nicht in Stainz ist, sondern auf Erholung in Obersteier wegen seiner angegriffenen Lunge.

Auch wir sind nicht auf Rosen gebettet, trotzdem wir in der Heimat leben. Heute ist Oesterreich ein ganz bedauernswertes Land, in dem selbst der Fleissigste keine Arbeit und der Unternehmungslustige keine Erfolge findet. Unternehmend war ich immer, aber es hat nicht zu meinen Nutzen ausgeschlagen. Fortgesetzte geschäftliche Misserfolge haben mich mit meinen Nerven gänzlich herunter gebracht. Den beiden Brüdern, (die mit mir übernommen haben, Max und Oskar und beide schon verheiratet sind, jeder hat eine kleine Tochter) geht es auch so schlecht und recht, den heutigen Verhältnissen entsprechend. Andreas hat auch zwei Töchter und ist als Ingenieur in Judenburg beim Land angestellt mit einem recht bescheidenen Gehalt und muss sehr kämpfen. Am wenigsten Berührung habe ich mit unserer Schwester, die in der Wahl ihres Ehegatten nicht sehr glücklich war. Auch sie hat eine Tochter.

Nachdem nach Aussagen der Aerzte das Leben unserer Mutter nur mehr nach Tagen gezählt werden kann, so machen wir uns natürlich alle Gedanken, wie das Eigentum der Mutter am besten und gerechtesten verteilt werden könnte. In Ihren alleinigen Besitz ist die Villa und der Weingarten mit einigen Joch Grund. Max, Oskar und ich, die wir bereits Grundbesitz übernommen haben, würden zu Gunsten der übrigen drei, die noch keinen Grundbesitz bekommen haben zurücktreten. Leider sind beide Grundstücke von der Mutter etwas belastet worden. Ich fände es für notwendig, wenn Du uns Deine Wünsche und Ansprüche in kürzester Zeit bekanntgeben würdest. Es ist diese Angelegenheit jetzt unter uns schon öfters besprochen worden, noch aber ist kein entscheidender Entschluss gefasst. Unsere Mutter hat allem Anschein nach, kein Testament verfasst.

Seite | 97 Beiliegend zwei kleine Bildchen aus dem Jahre 1928, heute sind meine Buben schon 9 und 7 Jahre alt. Es sind sehr wohl geratene Kinder nur der älteste ist etwas zart und kränklich. Sonderbar dass wir beide Du und ich lauter Buben und alle übrigen Geschwister lauter Mäderln haben!

Ich hoffe, dass bis zu unserem nächsten Briefwechsel keine so lange Pause mehr eintritt u, dass es vielleicht doch einmal möglich sein wird Dich in der Heimat wieder zu sehen.

Herzlichste Grüsse

Dein Bruder Gustl

Bezugnehmend auf die Darstellungen Johann Hofers hinsichtlich dessen misslicher wirtschaftlicher Lage in den letzten 20 Jahre und im Besonderen im Zuge des Börsencrashs erwidert August Hofer:

„[…] auch wir sind nicht auf Rosen gebettet, trotzdem wir in der Heimat leben.

Heute ist Oesterreich ein ganz bedauernswertes Land, in dem selbst der Fleissigste keine Arbeit und der Unternehmungslustige keine Erfolge findet. […]“ 291

Diese Äußerung entspricht einer allgemein überaus negativen Grundstimmung in Österreich, sind es neben der katastrophalen Wirtschaftslage ebenso sozialpsychologische Faktoren in der Zwischenkriegszeit, die ob des weitreichenden Verlusts von Macht und Einfluss überdies wesentlichen Einfluss auf die Wahrnehmung der jungen Republik zu nehmen vermögen,292 wohingegen den USA trotz ähnlich schwieriger Verhältnisse zumindest der Zukunftsglaube galt.293 Es erscheint daher wenig überraschend, dass August Hofer die Situation im eigenen Land derart prekär darstellt, spiegelt dies vermutlich ohnehin eine kollektive Wahrnehmung wider. August Hofer führt zudem an, dass nicht nur er, sondern auch dessen andere Brüder mit der überaus schwierigen Lage zu kämpfen hätten.

291 Brief August Hofers vom 10.02.1930.

292 Mayrhuber, S. 31.

293 Böhm, S. 58.

Seite | 98 Es war dies der letzte Brief dieser Art, den Johann Hofer von seinem Bruder August, die offensichtlich in einer engen emotionalen Beziehung zueinander standen, erhielt. August Hofer nahm sich am 25. Dezember des Jahres 1931 wegen Ehebruchs selbst das Leben. Sein Abschiedsbrief desselben Tages endet mit der folgenden Notiz: „Sende den Brief an Bruder Hans weg.“294

Abb. 15: August Hofers Abschiedsbrief mit dem Vermerk, jenen an Bruder Hans zu senden

294 Abschiedsbrief von August Hofer vom 25.12.1931. Originaldokument in Besitz von Leopoldine Spari.

Abbildung 15 (Fotographie der dem Autor vorliegenden Kopie; Auszug / letzte von zwei Seiten; Inhalt aus Gründen der Pietät unkenntlich gemacht)

Seite | 99 Der gesamte Briefwechsel295 veranschaulicht anhand dieses individuellen Beispiels einerseits die ungünstige wirtschaftliche Lage sowie die Perspektivenlosigkeit vieler in der Heimat296 und andererseits die oftmals sehr schwierigen Lebensbedingungen der AuswanderInnen.297 Zudem wird deutlich, dass eine Rückwanderung oder temporäre Rückreise für MigrantInnen, wie auch für Johann Hofer, trotz entsprechenden Wunsches häufig aus finanziellen Gründen gar nicht erst möglich erschien.298 In jedem der behandelten Briefe sind es ökonomische Themen und dahingehende Aspekte, die Eingang in die jeweilige Korrespondenz finden. Dies zeigt das große Interesse an finanziellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten der MigrantInnen einerseits in Hinblick auf deren alte Heimat sowie ebenfalls das Interesse der Zurückgebliebenen an ökonomischen Aspekten der Vereinigten Staaten. Im Falle der Familie Hofer fand keine Kettenwanderung statt, was womöglich zuletzt nicht auch auf die Schilderungen Johann Hofers in dessen Briefen zurückzuführen ist, welche die Pull-Faktoren vergangener Jahre für die EmpfängerInnen im EmpfängerInnenkreis wohl einzudämmen vermochten.

Dem Briefwechsel ist ebenfalls zu entnehmen, dass die Wahrnehmung in der alten Heimat hinsichtlich der Vereinigten Staaten eine oftmals zu positive ist299 – am Beispiel des Briefes von Johann Hofer aus dem Jahr 1922 geht dieser offensichtlich zumindest in der Annahme, dass das Amerika-Bild in der Heimat realitätsfern sei und er aus diesem Grund seinen Bruder August dahingehend aufzuklären versucht. Diese Schilderung deckt sich mit zahlreichen Erkenntnissen aus der Forschung, die ähnliche Umstände hervorheben.300 Zudem spricht Johann Hofer auch nach vielen Jahren in den Vereinigten Staaten nach wie vor von Heimweh.

Es könnte dies dahingehend interpretiert werden, dass trotz forcierter bzw. von EinwanderInnen erwartete Assimilation301 in den USA die ursprüngliche Identität des Einwanderers mitunter dennoch nicht vollumfänglich aufgegeben wurde.

Dennoch müssen die darin vorkommenden Ausführungen differenziert betrachtet werden.

So erlauben derartige Briefwechsel zwar die Exemplifizierung von Problemstellungen anhand

295 Auf Basis der drei vorgestellten Briefe von Johann Hofer (1922 und 1929) sowie August Hofer (10.02.1930)

296 Böhm, S. 12–13.

Seite | 100 individueller, einzelner Beispiele, die als ergänzende Konkretisierung fungieren,302 allgemein gültige Rückschlüsse in Hinblick auf das Phänomen der Massenüberseewanderung des 19. und 20. Jahrhunderts können daraus jedoch naturgemäß nicht erhoben werden, bedürfe es hierfür alleine die Datenlage betreffend völlig andere Dimensionen.