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Politikkohärenz für Entwicklung

2 Die internationale Aid Effectiveness Agenda:

2.1 Die Systemkrise der internationalen EZ

2.1.2 Systemprobleme der internationalen EZ

Sie resultieren aus der institutionellen Struktur und der Funktionsweise der EZ und verstärken sich teilweise. Fünf Probleme stehen im Vordergrund:

(i) die Zersplitterung des EZ-Systems auf Grund beträchtlicher Geber-proliferation und Projektfragmentierung; (ii) vielfältige Principal-Agent-Probleme auf Grund der komplexen Akteurskonstellation im EZ-System;

9 Dazu gehören das Attributions- und das Aggregationsproblem. Ersteres beinhaltet die Frage, inwieweit Wirkungen eindeutig auf eine bestimmte Intervention (und nicht auf andere Einflussfaktoren) zurückzuführen sind. Neuere qualitative und vor allem quan-titative Ansätze (rigorous impact evaluation) versuchen diese Probleme zu lösen. Das Aggregationsproblem besteht darin, Aussagen über die Wirkungen nicht nur einzelner EZ-Maßnahmen, sondern möglichst des gesamten EZ-Engagements eines Gebers oder der Gebergemeinschaft zu machen. Hier entsteht häufig das als Mikro-Makro-Paradoxon bezeichnete Dilemma, dass einzelne EZ-Maßnahmen zwar wirksam sein mögen, der Wirksamkeitsnachweis auf der Makroebene aber nicht geführt werden kann oder die Gesamtentwicklung der Partnerländer trotz erfolgreicher einzelner Pro-jekte unbefriedigend bleibt.

10 Dabei handelt es sich um internationale Querschnittsanalysen, die statistisch prüfen, ob EZ in einem signifikanten Zusammenhang mit Entwicklung (meist gemessen als Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens oder der Verringerung der Armut) steht. Dabei wird auch der Einfluss weiterer Variablen (z. B. Grad der außenwirtschaftlichen Öff-nung oder die Qualität der Regierungsführung) getestet. Der Vorzug besteht in der Umgehung des Aggregationsproblems (Aussagen nicht nur über einzelne EZ-Maßnahmen, sondern über EZ generell). Dem stehen aber drei Nachteile gegenüber.

Erstens ist der Bewertungsmaßstab für die Wirksamkeit der EZ meist ebenfalls sehr generell. Zweitens hängen die Ergebnisse sehr stark vom statistischen Erklärungsmo-dell und den verwendeten Daten ab. Drittens sagen die Analysen nichts über Kausalitä-ten, sondern nur über die Stärke statistischer Zusammenhänge aus, können die Wirk-samkeit also nicht beweisen. Die Ergebnisse von fünfzig Jahren entsprechender Analysen sind unterschiedlich, zum Teil widersprüchlich und haben viele kontroverse Diskussionen ausgelöst (McGillivray, Feeny, Hermes, & Lensink, 2006). Es scheint nur wenige unumstrittene Ergebnisse zu geben (z. B. abnehmende Skalenerträge der EZ, unterschiedlicher Einfluss verschiedener Arten von EZ, Qualität von Institutionen;

Faust & Leiderer, 2010, S. 182).

(iii) die Asymmetrie im Verhältnis Geber – Partner (Geberdominanz), (iv) potenziell negative ökonomische und vor allem politische Wirkungen hoher ODA-Zuflüsse in stark EZ-abhängigen Ländern, (v) die unzu-reichende Wirkungsorientierung der EZ. Zur Erläuterung:

a) Zersplitterung des internationalen EZ-Systems

Geberproliferation und Projektfragmentierung11 haben global und für einzel-ne Empfängerländer enorme Ausmaße angenommen. Die Vielfalt der Geber mit oft unterschiedlichen Interessen, Prioritäten und Verfahren und jeweils eigenen Projekten und Programmen impliziert beträchtliche Transaktionskosten, bedeutet für die Partner eine erhebliche administrative Belastung und erschwert die im Interesse einer möglichst hohen Wirksam-keit sinnvolle Abstimmung der Geberbeiträge und deren Einordnung in die Strategien der Partner. Die Folgen sind Effizienz- und Effektivitätsverluste sowie die Unterminierung der Eigenverantwortung und Gestaltungsauto-nomie der Partner.

b) Principal-Agent-Probleme

Aus der Principal-Agent-Perspektive12 stellt sich das EZ-System als kom-plexe Akteurskonstellation mit zwei idealtypischen Prinzipalen (Auftrag-gebern) dar, den Steuerzahlern in den Geberländern und den Zielgruppen

11 Die Begriffe werden in der Literatur nicht ganz einheitlich definiert. In Anlehnung an World Bank (2008) bedeutet Geberproliferation die Zahl der in einem Land oder Sek-tor tätigen Geberagenturen. Sie ist zwischen 1960 und 2006 im Durchschnitt pro Part-nerland von 3 auf 30 gestiegen. Projektfragmentierung misst die Zahl und das durch-schnittliche Finanzvolumen von Gebervorhaben. Zwischen 1997 und 2006 ist die Zahl der Gebervorhaben global von ca. 20.000 auf über 70.000 gestiegen, während das durchschnittliche Finanzvolumen von ca. 2,5 Mio. US$ auf 1,7 Mio. US$ gesunken ist (World Bank, 2008, S. 14, 19). Global betrachtet gibt es 56 bilaterale Geber (30 OECD-Mitglieder, 8 EU-Mitglieder ohne OECD-Zugehörigkeit, 18 sonstige, darunter die zunehmend wichtigen BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Süd-afrika), die oft über mehrere Durchführungsorganisationen verfügen (allein in den USA über 50; Birdsall, Kharas, Mahgoup, & Perakis, 2010, S. 80), und über 200 mul-tilaterale Organisationen mit ODA-Aktivitäten (World Bank, 2008, S. 37; OECD, 2011, S. 28). Ergänzt wird das Geberpanorama durch die wachsende Süd-Süd-Kooperation, internationale und nationale NGOs sowie private Stiftungen.

12 Vgl. u. a. Ostrom, Gibson, Shivakumar, und Andersson (2002); Martens, Mummert, Murrell, Seabright, und Ostrom (2002); Gibson, Andersson, Ostrom, und Shivakumar (2005); Faust und Messner (2010, S. 260-270).

der EZ-Maßnahmen in den Partnerländern, zwischen denen ebenso idealtypisch eine Interessenhomogenität (Interesse an Entwicklung) besteht. Dies gilt jedoch nicht mehr unbedingt für die direkten Auftragge-ber in den GeAuftragge-ber- und Partnerländern, d.h. Parlamente, die EZ-Etats bzw.

nationale Entwicklungsbudgets bewilligen, und Regierungen, die EZ-Programme bzw. nationale Entwicklungsstrategien beschließen, und auch nicht für die Agenten auf Geber- und Partnerseite, d.h. Ministerialbürokra-tien, nachgeordnete Verwaltungseinheiten, Durchführungsorganisationen, Projektmanager und Berater.13 Hier kommen Eigeninteressen ins Spiel mit der Folge von Anreiz-, Informations- und Verantwortungsasymmetrien, die die Effizienz und Wirksamkeit der EZ beeinträchtigen. Je unter-schiedlicher die tatsächlich verfolgten Ziele, je intransparenter die Ent-scheidungsprozesse und je komplexer die Akteurskonstellationen sind, desto gravierender ist die Leistungsfähigkeit des Systems im Sinne der Erwartungen der ursprünglichen Prinzipale betroffen.

c) Asymmetrie im Verhältnis Geber – Partner

Hiermit ist die verbreitete Geberdominanz gemeint, die sich darin äußert, dass Geber in der EZ häufig ihre eigenen Prioritäten, Strategien und Verfahren zugrunde legen. Mögliche Ursachen sind Eigeninteressen oder der Anspruch, über die „richtigen“ Erfahrungen und Lösungen zur schnel-len Erreichung von Entwicklungszieschnel-len zu verfügen, oder mangelndes Vertrauen in die Systeme und Verfahren der Partner. Die Folgen bestehen in der Schwächung der Eigenverantwortung der Partner und in der man-gelnden Orientierung der Geberbeiträge an den Prioritäten, Strategien und Fähigkeiten der Partner.

d) Negative Wirkungen hoher ODA-Zuflüsse

Die negativen Wirkungen hoher ODA-Zuflüsse in stark EZ-abhängigen Ländern wurden in ökonomischer Hinsicht unter dem Stichwort Dutch Disease thematisiert (als Überblick Fielding & Gibson, 2012). Danach führen hohe Zuflüsse ausländischer Währungen z. B. aus Rohstoffexporten,

13 In der Praxis gibt es vielfältige Principal-Agent-Beziehungen (Steuerzahler Parlamente, Parlamente – Regierungen, Regierungen – Durchführungsorganisationen, Durchführungsorganisationen – Projektmanager, Projektmanager – Zielgruppen, Auf-traggeber – Evaluatoren, bilaterale Geber – multilaterale Organisationen).

aber auch aus EZ ohne makroökonomische Gegensteuerung tendenziell zur Aufwertung der heimischen Währung mit nachteiligen Folgen für exportori-entierte Wirtschaftszweige, deren internationale Wettbewerbsfähigkeit sinkt.

In politischer Hinsicht bergen hohe ODA-Zuflüsse das Risiko, die Rechen-schaftspflicht der Empfängerregierungen gegenüber ihren Steuerzahlern und Wählern zu mindern, Eigenanstrengungen z. B. bei der Mobilisierung inländischer Ersparnisse und Steuereinnahmen zu entmutigen und Rent Seeking-Verhalten von Regierungen, Verwaltungen und Privatsektor zu fördern (als Überblick Moss, Pettersson, & van de Walle, 2008).

e) Unzureichende Wirkungsorientierung in der EZ

EZ-Vorhaben haben sich, wie erwähnt, lange in erster Linie auf die einge-setzten Ressourcen (inputs), die mit ihnen durchgeführten Aktivitäten und die erbrachten Leistungen (outputs) fokussiert, weil hier die Planung und die Dokumentation relativ einfach sind. Entscheidend für den Erfolg von EZ-Vorhaben ist jedoch deren Wirksamkeit im Sinne der Erreichung ihrer Ziele, d.h. ihre Beiträge zu Entwicklungsfortschritten (outcomes), und ihre länger-fristigen positiven oder negativen, beabsichtigten und unbeabsichtigten Entwicklungswirkungen (impacts). Eine entsprechende Wirkungsorientie-rung in der Planung, DurchfühWirkungsorientie-rung und Überwachung von EZ-Vorhaben ist eine anspruchsvolle Aufgabe und hat nicht selten gefehlt.