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Supercomputer und neue Materialien

Wie bisher deutlich wurde, spielen im Forschungs-zentrum Jülich aufwendige Computersimulationen und eine intensive Materialforschung institutsüber-greifend eine wichtige Rolle. So ist das Institute for Advanced Simulation (IAS) maßgeblich an Simula-tionen für das Human Brain Project (HBP) beteiligt.

Denn dessen Bereich des Jülich Supercomputing Centre (JSC) verantwortet den Supercomputer JUQUEEN, Deutschlands schnellsten Großrechner und eines der acht schnellsten Computersysteme der Welt. JUQUEEN erreicht eine maximale Leis-tung von 5,9 Petaflops und ist damit etwa 100.000 Mal schneller als ein herkömmlicher PC. Damit sind vor allem im Bereich der Hirnforschung immer wieder neue, wegweisende Fortschritte möglich.

Ein Beispiel hierfür ist die Entschlüsselung von Hirnsignalen. Mittels Superrechnern wie JUQUEEN lassen sich zwar neuronale Netzwerke simulieren – allerdings nur bis zu einer begrenzten Größe von wenigen Dutzend Nervenzellen. Zwar können die Hirnsignale bereits umfangreich und detailliert auf-gezeichnet werden. Die Schwierigkeit besteht aber darin, aus diesen Signalen die zugrunde liegende anatomische Verschaltung der

Neu-ronen abzulesen. In Jülich ist es nun gelungen, ein Schätzverfahren zu ent-wickeln, das sehr genaue Ergebnisse liefert und den Rechenaufwand um ein Vielfaches reduziert. In ersten Tests konnte unter Idealbedingungen bereits eine Genauigkeit des neuen Verfahrens von 99 Prozent gezeigt werden, wie Simulationen bestä-tigen.

Prof. Dr. Paolo Carloni (IAS-5/INM-9) 15

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16 „Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut – eben-so wichtig aber ist auch Wissenschaftsverantwor-tung: Relevanz, Transparenz und Auswirkungen der Forschung. Im Wissenschaftlich-Technischen Rat beraten wir die Organe des Forschungszentrums deswegen nicht nur in allen Fragen der strategi-schen Ausrichtung der Gesellschaft, sondern auch in grundsätzlichen, wissenschaftlichen und techni-schen Angelegenheiten.“

Über das JSC ist das IAS noch an weiteren wichti-gen Forschungsprojekten beteiligt: Das JSC koor-diniert beispielsweise das Projekt ORPHEUS, das die Sicherheit bei Bränden in vielschichtigen U-Bahnhöfen verbessern soll. Über kleinste Echt-brandversuche, Modelle und vor allem Simula-tionen werden nicht nur Brandschutzkonzepte ent-wickelt. Ebenso untersucht das Projekt, wie die Beteiligten von Rettungskräften über Betreiber bis hin zu Ladenbesitzern im Falle eines Brandes zu-sammenarbeiten.

Daneben ist die Material- und Teilchenforschung am Institut für Kernphysik (IKP), dem Jülich Centre for Neutron Science (JCNS) sowie dem weiter vorn bereits erwähnten Peter Grünberg Institut (PGI) hervorzuheben. Während das IKP auf dem Gebiet der Hadronenforschung arbeitet und den Bau des Hochenergie-Antiprotonenspeicherrings HESR am Teilchenbeschleuniger FAIR vorantreibt, widmet sich die Forschung am JCNS vor allem den Neutro-nen. Diese ermöglichen einen einmaligen Blick in

feste und flüssige Materie. Die Arbeit mit diesen Teilchen gibt Aufschluss darüber, wie Atome und Moleküle angeordnet sind und wie sie zusammen-wirken. Als Sonden lassen sich mit ihnen außer-dem neuartige Systeme wie Membranen oder Kristalle auf einer atomaren Ebene genauer unter-suchen. Der Bereich Neutronenstreuung des JCNS bildet außerdem eine Brücke zwischen den Institu-ten ICS und PGI. Letzteres ist in seiner Forschung ungemein breit aufgestellt. Von der Quantentheorie der Materie über Funktionale Nanostrukturen an Oberflächen bis hin zu Elektronischen Eigenschaf-ten und Elektronischen Materialien betreibt das PGI vor allem Grundlagenforschung bezüglich neuer physikalischer Materialien und Systeme.

17 „Supercomputer haben einen großen Energie-bedarf. Das JSC trägt mit seiner Technologieabtei-lung dazu bei, den Energiebedarf bei steigender Rechenleistung zu senken. In enger Kooperation mit Unternehmen werden energieeffiziente Rechenkom-ponenten, intelligente Kühlsysteme und optische Kommunikationsnetzwerke im Co-Design transdis-ziplinär weiterentwickelt und eingesetzt, was helfen wird, die Betriebskosten der Maschinen in einem vertretbaren Rahmen zu halten. Die Einbindung des JSC in das europäische Human Brain Project eröff-net ebenfalls die Möglichkeit, innovative Ansätze zur Entwicklung neuer Rechnerarchitekturen zu identifi-zieren und zu nutzen. Mittelfristig streben wir mit unseren Partnern auf dem Campus an, die Versor-gung der Computersysteme vollständig auf erneuer-bare Energie umzustellen.“

Die hohe Interdisziplinarität der Institute zeigt sich exzellent an den Forschungsergebnissen, die die einzelnen Bereiche in Zusammenarbeit mit anderen in den letzten Jahren präsentieren konnten.

Am JCNS konnte eine mögliche Erklärung für die Nebenwirkungen von Ibuprofen auf Neutronen-ebene gefunden werden: Der Wirkstoff veränderte in hohen Konzentrationen in Sojapflanzen die Struktur der Lipidmembranen der Zellen, wodurch die Zellwände beschädigt werden. Dank einer Neu-tronenuntersuchung konnte in Jülich außerdem ein Enzym aus der Klasse der Glycosidasen in bisher unerreichter Exaktheit analysiert werden. Das Eiweiß beschleunigt den Abbau von Biomasse. Die Ergebnisse dienen dazu, organische Materialien auch unter schwierigen Bedingungen effizienter 16

Prof. Dr. Hans Ströher (IKP-2/WTR)

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abbauen zu können. Das JCNS ist außerdem am Projekt SILENT-F beteiligt. Ziel ist es hier, zusam-men mit dem Jülicher PGI und der Fachhochschule Aachen ein Leichtbaufahrzeug zu entwickeln, das durch eine Kombination aus Elektromotor und Direktmethanol-Brennstoffzelle angetrieben wird.

Im Ergebnis soll eine größere Reichweite als bei bisherigen Elektrofahrzeugen stehen. Das PGI ar-beitet beim Forschungsprojekt MAGicSky zudem daran, sogenannte Skyrmionen, kleinste magneti-sche Wirbel an Grenzflächen, auf ihre Eignung als Computerkomponenten hin zu prüfen. An dieser Forschung ist auch das IAS beteiligt.

Highlight:

Das Chaos ordnen

Das Phänomen kennt jeder, der schon einmal in einem Flugzeug gesessen hat: das mal sanfte, mal etwas holprigere Rumpeln beim Sinkflug. Verur-sacht wird dieser Effekt durch Durchmischungs-prozesse in der Atmosphäre. Konkret geht es um den Übergang von der recht ruhigen Troposphäre in eine tieferliegende atmosphärische Grenz-schicht. So gut und intensiv das Klima erforscht ist, haben die Modelle mit diesen scheinbar zufälli-gen Turbulenzen und Verwirbelunzufälli-gen noch Proble-me und können sie – wenn überhaupt – nur zum Teil erklären. Erst seit den letzten Jahren ist es dank Supercomputer möglich, die Prozesse im großen Maßstab zu studieren, zu simulieren und so zu verstehen. Das Jülich Supercomputing Centre (JSC) stellt für die weitere Forschung in diesem Bereich seine Rechenkapazitäten zur Verfügung. In einem Forschungsprojekt soll vor allem geklärt

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Prof. Dr. Dr. Thomas Lippert (IAS/JSC) werden, was sich nachts in atmosphärischen

Grenz-schichten abspielt. Weiterhin soll untersucht wer-den, wie sich verschiedene Untergründe wie ver-eiste und eisfreie Ozeane auf die Turbulenzen auswirken. Ein dritter Schwerpunkt sind Durch-mischungsprozesse, die das Verschwinden von Wolken beeinflussen.

Turbulenzen sind aber nicht nur in der Luftfahrt ein Phänomen. Wasserwirbel im Waschbecken oder das Umrühren in einer Kaffeetasse sind nur die kleinsten alltäglichen Beispiele. Bereits bekannt ist, dass sich Turbulenzen aus Wirbeln zusammen-setzen, die in immer kleinere zerfallen. Dank des JSC und vor allem dank der enormen Rechenleis-tung des Supercomputers JUQUEEN konnte ein Forscherteam eine möglicherweise allgemeine Ord-nung für das Chaos finden. Dafür betrachteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht die Wirbel an sich, sondern die Scherenschichten zwischen diesen. Beim Vergleich dreier verschie-dener Strömungen konnten so stets die gleichen statistischen Gesetzmäßigkeiten gefunden werden.

Ein Beweis für diese als Kolmogorov-Hypothese bekannten Gesetze steht bisher aus – dafür müsste man unzählige Wirbelkaskaden beobachten. Doch selbst modernste Supercomputer haben nicht die Leistung, solch komplexe Simulationen anzustellen.

Durch den reduzierten Blick auf die Scherenschich-ten lässt sich das VerhalScherenschich-ten der Wirbel aber heute bereits entschlüsseln. Doch auch hierfür sind Supercomputer unabdingbar. Die Berechnungen für das Projekt, die JUQUEEN erbracht hat, hätten einen einzelnen PC mit einem Prozessorkern 6.000 Jahre beschäftigt – ununterbrochen.

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