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Strukturebenen kommunikativer Gattungen

2 Konzept der kommunikativen Gattungen

3.3 Strukturebenen kommunikativer Gattungen

Bei der Analyse kommunikativer Gattungen werden als Erstes schrittweise strukturelle Ein-zelmerkmale, die unterschiedliche Reichweiten aufweisen, festgestellt und analytischen Strukturebenen zugeordnet (vgl. Knoblauch/Luckmann 2012: 542). Luckmann (1986: 204) gibt zunächst zwei zentrale Analyseebenen kommunikativer Gattungen vor, die Binnen-struktur und die AußenBinnen-struktur. Das Gesamtmuster des gattungsspezifischen Handelns wird von beiden Ebenen bestimmt und gleichzeitig wird mit ihnen der Verbindlichkeitscharakter des Handelns festgelegt. Er fügt hinzu, dass mit seiner abstrakten Herstellung von Gemein-samkeiten zwischen gesellschaftlichen Institutionen und kommunikativen Gattungen nur ein erster Schritt für die damalige Forschungslage gemacht wurde, der noch weitergeführt und durch das Untersuchen mehrerer kommunikativer Gattungen erweitert werden soll (vgl.

Luckmann 1986: 204f). Später wird als Erweiterung des Konzepts von Günthner und Knob-lauch (1994: 704) eine weitere Strukturebene vorgeschlagen und adaptiert, die Situative Rea-lisierungsebene.

3.3.1 Außenstruktur

Die Außenstruktur wird als die Ebene angeführt, „die sich aus der Beziehung zwischen kom-munikativen Handlungen und der Sozialstruktur ableiten lässt“ (Luckmann 1986: 204). Die Hauptaufgabe dieser Ebene sieht er darin, dass sie die Binnenstruktur kommunikativer Hand-lungen und die Dynamik des Dialogs mit der institutionellen Struktur der gesellschaftlichen Ordnung verbindet (vgl. Luckmann 2002: 198). Hier werden die Rahmenbedingungen kom-munikativer Situationen dargestellt, indem das kommunikative Milieu (gewohnheitsmäßiger Ort der Kommunikation, gemeinsame Zeitbudgets, gemeinsame Geschichte) und die wechsel-seitigen Beziehungen der Handelnden (Geschlechtszugehörigkeit, Schicht, kulturelle Zugehö-rigkeit) bestimmt werden. Wie gesagt, sind kommunikative Aktivitäten oftmals eng mit der

Sozialstruktur verbunden. Das Verhältnis zwischen Sprachgebrauch und sozialem Kontext kann anhand der religiösen Institution verdeutlicht werden, wo bestimmte Gattungen wie Ge-bete und Predigten präferiert werden. Die besondere Bindung spezifischer Gattungen an ein Milieu oder eine Institution ist aber nicht immer zwingend (vgl. Luckmann 2002: 198f). Auer (1999: 180) illustriert dies an mehreren Gattungen. Als erstes erwähnt er Klatsch, der in eini-gen Nachbarschaftsmilieus eine wichtige Rolle hat, oder die Gattung Vorlesung, die in dem universitären Milieu typisch ist. Zuletzt führt er das Plädoyer an, das an das juristische Milieu gebunden ist. Viele Institutionen sind eng verknüpft mit bestimmten hochgradig verpflichten-den Gattungen. Jedoch betont Auer (ebd.), dass auch an der Universität geklatscht wird und manchmal auch ein Priester statt der Predigt eine Vorlesung hält. Deswegen dürfte „der Zu-sammenhang nicht determinierend gedacht werden“ (ebd.: 180). Weiterhin können das soziale Milieu und die kulturelle Zugehörigkeit einen großen Einfluss auf die kommunikativen Re-pertoires der Teilnehmer ausüben und auf die interkulturelle Kommunikationssituation und somit auch für ihren Erfolg und Misserfolg interkultureller Kommunikation entscheidend sein.48

Die bereits skizzierte gesellschaftliche Funktion von Gattungen, die Entlastung, welche eben-falls auf der Ebene der Außenstruktur angesiedelt ist, erleichtert nicht nur die Kom-munikation, sondern bietet mit typischen Mustern Lösungen für rekurrente kommunikative Probleme (vgl. Günthner/Knoblauch 1994: 700).

3.3.2 Binnenstruktur

Die Ebene der Binnenstruktur soll nach Luckmann (1986: 204) alle verbalen und nonverbalen sprachlichen Mittel erfassen, die zur Verwendung kommen und mehr oder minder verfestigt sind. Die Binnenstruktur setzt sich aus Gesamtmustern verschiedener festgelegter Elemente zusammen, wie beispielsweise „Worte und Phrasen, Gesamtregister, Formeln und formu-larische Blöcke, rhetorische Figuren und Tropen, Stilmittel wie Metrik, Reimschemata, Lis-ten, Oppositionen usw.“ (ebd.). In diese Ebene gehören neben phonologischen, morpho-syntaktischen und lexiko-semantischen Elementen auch prosodische, mimische und gestische Einheiten. Mit Hilfe all dieser sprachlichen Mittel werden größere Einheiten, wie die

48 Siehe dazu Kapitel 3.6.

turstrategien, Regelungen der Dialogizität und thematische Entwicklungen genauer betrachtet.

Besonderes Interesse gilt der Einführung, Festlegung und der Beendigung von Themen oder Themenbereichen und der Frage welche Mittel dabei eingesetzt werden. Hier ist es wichtig, die eingesetzten prosodischen Mittel wie Intonation, Lautstärke, Sprachtempo, Pausen und Rhythmus zu betrachten. Außerdem stellt sich auch die Frage, ob Gesten, wie Hand- und Kopfbewegungen und Blickrichtungen die Entwicklung von Themen beeinflussen können.

Übergeordnet werden auch Soziolekte und Dialekte einbezogen, um somit alle verschiedenen Bestandteile der kommunikativen Interaktion zu bestimmen (vgl. Luckmann 2002: 196f).

3.3.3 Situative Realisierungsebene

Günthner und Knoblauch (1994: 704) werden durch Hymesʼ Konzept des Settings bzw. der sozialen Situation (Hymes 1972) dazu motiviert, eine weitere Ebene vorzuschlagen, die situa-tive Realisierungsebene. Damit sollten auch Verfestigungen, die „im interaksitua-tiven Kontext des dialogischen Austausches von Äußerungen zwischen mehreren Akteur/innen“ auftreten, um-fasst werden (vgl. Christmann 2009, Günthner/Knoblauch 1994: 708). Durch die Einführung der situativen Realisierungsebene soll ermöglicht werden, die Sequentialität von kommunika-tiven Gattungen abzubilden. Obwohl diese Ebene auch dialogische, konversationelle und in-teraktive Phänomene der Binnenstruktur beinhaltet, plädieren sie trotzdem für eine eigene Analyseebene, die sich auf die Koordination kommunikativer Handlungen und ihren situati-ven Kontext bezieht.49 Als Hauptgrund nennen sie die dialogische Erzeugung mündlicher Gattungen durch verschiedene Gesprächsteilnehmer und veranschaulichen ihre Position mit konversationellen Gattungen, welche durch bestimmte sequenzielle Muster gekennzeichnet sind (vgl. ebd.).

Diese Ebene umfasst u. a. verschiedene Rituale, wie die der Kontaktaufnahme, der Ge-sprächsbeendigung, der Begrüßung und des Abschieds, des Dankens und Wünschens, der Entschuldigung, der Einladung und des Akzeptierens bzw. der Ablehnung etc. Neben rituellen gehören hierzu auch konversationelle Merkmale, wie Einschub-, Prä- und Postsequenzen und auch Strategien der Gesprächsorganisation (vgl. ebd.: 708f). Bei der Beschreibung der situati-ven Realisierungsebene gehen Günthner und Knoblauch (1994: 709) auf weitere Dimensionen

49 Vgl. dazu auch Knoblauch/Luckman (2012).

der interaktiven Organisation kommunikativer Handlungen ein, auf welche Goffman (1983a) aufmerksam gemacht hat.50

Alle drei Analyseebenen müssen im Zusammenhang betrachtet werden, weil sie gemeinsam das Gesamtmuster einer kommunikativen Gattung bilden und den Verbindlichkeitsgrad der Gattung festlegen (vgl. Günthner/Knoblauch 1994: 705).

Gattungen weisen zwar spezifische Merkmale auf, die aber nicht immer gleichermaßen rele-vant sind, weil die Beteiligten sie als Orientierungsmuster benutzen. Dabei beziehen sich die Teilnehmer auf ihre Wissensbestände, indem sie füreinander erkennbare kommunikative Gat-tungen produzieren und Handlungen anderer als solche interpretieren (vgl. ebd.).