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3 Forschungsüberblick zu ausgewählten Gattungen

4.1 Bewerbungsgespräche

Es gibt eine Reihe von linguistischen Forschungen zu Bewerbungsgesprächen, welche sowohl intrakulturelle (Adelswärd 1988, Komter 1991) als auch interkulturelle (Birkner 2001, Kern 2000) Interaktionen untersuchen. Während sich einige für strukturelle Elemente, die Ziele der Beteiligten, die Doppelstruktur, die Asymmetrie, die Phasierung und den Themenkanon inte-ressieren, widmen sich andere der Selbstdarstellung als dem Hauptanliegen des Bewerbungs-gesprächs.69

Bewerbungsgespräche stellen nach Birkner (2001) einen Kontext mit spezifischen Bedin-gungen und Asymmetrien dar. Die Gattung selbst „gilt als stark kulturgeprägt in Bezug auf

69 Vgl. Pache (2002) zu kommunikativen Praktiken im Bewerbungsgespräch.

ein Wissen von Regeln, angemessene rhetorische Strategien der positiven Selbstdarstellung und deren Bewertung“ (vgl. Birkner 2001: 30). Eine grundlegende „Asymmetrie der Kontakt-situation“ dieser institutionellen Interaktionen hebt auch Kern (2000: 3) hervor.

Birkner (2001, 2002) und Kern (2000) widmen sich der Erforschung von Bewerbungs-gesprächen mit Ost- und Westdeutschen und bedienen sich eines Korpus, welches sich aus vier verschiedenen Datentypen zusammensetzt. Als Primärdaten dienen 41 authentische Be-werbungsgespräche, die in sieben deutschen Unternehmen aufgenommen wurden. Um dessen Ergebnisse zu überprüfen und ggf. zu ergänzen, werden 27 rollengespielte Bewerbungsge-spräche, elf ethnographische Experteninterviews und Nachbesprechungen zu einigen Bewer-bungsgesprächen hinzugezogen. Sie untersuchen die kommunikative Gattung „Bewerbungs-gespräch“, indem sie sowohl die spezifische Situation dieser Gattung als auch die kulturelle Zugehörigkeit der Teilnehmer (Ost- oder Westdeutsche) in Betracht ziehen.

Birkner (2001) kommt zu dem Ergebnis, dass die Gattung Bewerbungsgespräch eine komple-xe Ausgestaltung der drei Strukturebenen aufweist. Sie ordnet in die Außenstruktur von Be-werbungsgesprächen deren gesellschaftliche Funktionen und Ziele und die Institutionalität ein. Als Hauptfunktion von Bewerbungsgesprächen nennt sie die Lösung der Probleme der

„Selektion und Allokation von Arbeitskräften in Unternehmen“ (ebd.: 57). Während die Be-werbenden das Ziel der positiven Selbstdarstellung verfolgen, stehen bei den Interviewenden die „Versteckte Agenda“ im Vordergrund und somit Fragen bei denen sich die Intentionalität nicht direkt aus der Äußerungsebene erschließt, sondern rekonstruiert werden muss (ebd. 64).

Während in der interaktiven Zwischenebene Kategorien wie Themenentwicklung und Dialo-gizität behandelt werden, umfasst die Binnenstruktur Schlüsselwörter und Topoi und die Formalität. Zentrale Schlüsselbegriffe der Gattung finden sich nach Birkner in den Antworten auf „typische Fragen“ und sind im Genaueren Folgende: „Spaß“, „Interesse“, „Heraus-forderung“ und „Reiz.“ Diese Schlüsselwörter werden häufig verwendet und veran-schaulichen positive Aussagen über die Arbeitsmotivation der Bewerber (vgl. ebd.: 102).

Birkner betont, dass Bewerbungsgespräche durch eine „relativ hohe stilistische Formalität“

gekennzeichnet sind (ebd.: 103). Diese Formalität auf der Stilebene äußert sich bei Bewer-bungsgesprächen u.a. in dominierender gehobener Sprechsprache, der Verwendung von Fach-lexik, komplexen Nebensatzkonstruktionen, Hyperkorrekturen, Brüchen, sowie der Wahl des

Tempus und der Lexik. Bei Bewerbungsgesprächen unterscheidet sich das Formalitätsniveau jedoch je nach Kontext, da Smalltalk-Phasen beispielsweise weniger formell gehalten werden als biographische Narrative. (vgl. Birkner 2001: 103-105).

Im Vergleich zu kleinen Gattungen und den meisten rekonstruktiven Gattungen verfügen Be-werbungsgespräche Birkner zufolge über eine breite außenstrukturelle Verankerung. Ihre Zwischenstruktur lässt sich besonders deutlich bestimmen. Hier hebt sie die thematische Ty-pisierung und die gattungsspezifische Dialogizität mit dem verteilten Rederecht hervor, wel-che ein sofortiges Erkennen von Bewerbungsgespräwel-chen anhand eines kurzen Ausschnitts er-möglicht. Auf der Ebene der Binnenstruktur sieht sie als Merkmale deutliche Formulierungs-routinen und topische Argumente. Aufgrund dieser Erkenntnisse vergleicht sie die Gattung mit einem „komplexen Regelwerk“, dessen Regeln sie als „Teil des gesellschaftlichen Wis-sensvorrats einer Kommunikationsgemeinschaft“ (ebd.: 106) sieht. Teilnehmer greifen dabei aber nicht nur auf globales Wissen zurück, sondern auch auf sequenzielles Wissen und das Wissen um spezifische Präferenzen dieser Gattung (vgl. ebd.). Die Ergänzung des Datenmate-rials mit Experteninterviews führt zu der Erfassung von vier Maximen, welche verborgene Relevanzen aufzeigen und somit Einblick in eine „Versteckte Agenda“ geben (vgl. ebd.: 115).

Die Erweiterung der Daten mit Nachbesprechungen gibt einen Einblick in die Perspektive der Bewerber, welche ihre Interpretationsweisen im Rückblick offenbaren. Bei der Bearbeitung

„typischer Fragen“, die in dieser Gattung auftauchen, werden Unterschiede zwischen den Ost- und Westbewerbenden festgestellt. Bei der Auswertung der Antworten auf die Selbstattribuie-rungsfrage sind Differenzen im Gattungswissen der Ost- und Westbewerber sichtbar (vgl.

ebd.: 188f). Auffällig sind die unterschiedlichen konversationellen Stile der Bewerbenden.

Während Ostdeutsche eher einen konsensorientierteren Stil verwenden, bedienen sich West-deutsche häufiger des dissensorientierten Stils, indem sie Nichtübereinstimmung äußern. Au-ßerdem stellt Birkner vor allem fest, dass ostdeutsche Bewerber im Vergleich zu Westbewer-benden stärker durch konversationelle Indirektheit geprägt sind, was sich vor allem bei der Gehaltsfrage zeigt, bei welcher sie konkrete Antworten eher vermeiden. Außerdem erkennt man anhand der Daten die Präferenz ostdeutscher Bewerber, sich eher an kommunikativen Normen, die nicht eng mit der Gattung verknüpft sind (wie Konfliktvermeidung, Selbstlobta-bu und Zurückhaltung), zu orientieren (vgl. ebd.: 232f). Zusammenfassend gelingt es ihr an-hand der aufgezeigten Unterschiede zwischen Ost-und Westdeutschen, sowohl die

Verbrei-tung kulturellen Handlungswissens als auch spezifische deutsch-deutsche Sprachkontaktphä-nomene unter besonderen gesellschaftlichen Bedingungen zu veranschaulichen.70

Die, von Birkner (2001) dargestellten Kategorien der Außenstruktur (Funktionen, Ziele), der Binnenstruktur (Schlüsselwörter, Topoi, Formulierungsroutinen) und der Zwischenstruktur (thematische Typisierung, gattungsspezifische Dialogizität, „typische Fragen“) dienen als po-tenzielle Kategorien von kommunikativen Gattungen für die vorliegende Arbeit, da sie auch bei der Kommunikation bei Mitfahrten relevant werden können.

Kern (2000) zeigt mit ihrer Arbeit auf, dass Ostdeutsche auf narrative Elemente zurückgreifen um zwei interaktive Ziele zu erreichen. Erstens um potenziell bedrohliche Aspekte ihrer Bio-graphien zu bearbeiten und dabei Umstände, unter denen sie gelebt haben, zu erklären. Zwei-tens, um ihre Berufserfahrungen in einem Setting sach- und informationsbezogen darzustel-len. Sprachliche Strukturen können nach Kern nicht mit kulturellen Praktiken gleichgesetzt werden, weil sich ihre interaktiven Bedeutungen unterscheiden und deswegen einen unter-schiedlichen Stellenwert als kulturelle Praktiken erhalten. Die zwei kulturellen Praktiken, die sie präsentiert, sind Einbeziehung der kulturellen Identität der Gesprächspartner in die Gestal-tung der Redebeiträge und Verwendung narrativer Strukturen zur Lösung gatGestal-tungsrelevanter Aufgaben (vgl. ebd. 155f). Weiterhin stellt sie fest, dass Ostbewerbende, im Vergleich zu den Westdeutschen, generische Perspektiven den subjektiven vorziehen und Selbstperspektiven weniger deutlich produzieren. Zusammenfassend wird resümiert, dass „Differenzen bei der Bearbeitung verschiedener Aktivitäten in Bewerbungsgesprächen auf unterschiedliche For-men von Fremd- und Selbstperspektivierung bei Ost- und Westbewerbenden“ zurückzuführen sind (vgl. ebd. 218f).71 Die, von Kern festgestellten gattungsspezifischen Praktiken der Fremd- und Selbstperspektivierung, sind ebenfalls als potenzeile Kategorien für Mitfahrgele-genheitsgespräche zu sehen, um zu erkennen, ob und wie die Teilnehmer ihre kulturelle Iden-tität einbeziehen, narrative Strukturen einsetzen und generische oder subjektive Perspektiven bevorzugen.

Neben Birkner (2001) und Kern (2000) widmen sich auch andere Forscher wie Gumperz (1982, 1992) sowie Akinnaso und Seabrook Ajirotutu (1982) interkulturellen Bewerbungs-gesprächen. Dabei zeigt Gumperz (1982, 1992) auf, dass unterschiedliche kulturelle

70 Vgl. auch Birkner (2002).

71 Vgl. dazu auch Kern (1998).

gründe und abweichende Kontextualisierungskonventionen der Beteiligten zu Missverständ-nissen führen können, welche zum Nachteil der Angehörigen der Minderheit ausfallen. In sei-ner Untersuchung interkultureller Interviews kommt Gumperz (1992) zu dem Ergebnis, dass auf der einen Seite die Bewerbenden die indirekten Fragen der Interviewenden mit deren

„versteckten Agenda“ nicht verstehen und auf der anderen Seite die Interviewenden nicht vermögen, aus den Antworten der Bewerbenden die richtigen Inferenzen zu ziehen. Entspre-chend wird beispielsweise das Antwortverhalten asiatischer Bewerber als ausweiEntspre-chend und unkooperativ interpretiert werden, was ihren Erfolg im Bewerbungsgespräch deutlich gefähr-det (vgl. ebd.: 323-326). Auch Sarangi (1994b: 418) behandelt die Identifizierung der „ver-steckten Agenda“ in Bewerbungsgesprächen und sieht Fragen als wichtige Entscheidungsträ-ger und die darauf zugeschnittenen Antworten von wesentlicher Bedeutung.72 Bei der Unter-suchung von Akinnaso und Seabrook Ajirotutu (1982) hingegen handelt es sich um ein kon-trastiv-interkulturell angelegtes Design, welches auf 12 Rollenspielen basiert, die im Rahmen eines berufsvorbereitenden Schulungskurses in den USA durchgeführt wurden. Mit ihrer Stu-die verdeutlichen sie Stu-die Benachteiligung ethnischer Minderheiten auf dem Gebiet kulturspe-zifischer Diskurskonventionen und heben sowohl die Asymmetrie in Bewerbungsgesprächen als auch die machtvolle und autoritäre Rolle von Fragen hervor (vgl. ebd.: 121f).

Die Gattung „Bewerbungsgespräch“ wird von Auer (1999: 182) als eine typische „mündliche Gattung der westlichen Industriegesellschaft“ bezeichnet. Nach ihm zeigen Bewerbungs-gespräche auf, dass gattungsspezifische Verbindlichkeiten nicht mit formaler Struktur oder Formalität gleichzusetzen sind. Dies beruht auf der Tatsache, dass Bewerbungsgespräche in der Regel eher informell bezüglich der sprachlichen Ausdrucksformen geführt werden und die tatsächlichen Machtverhältnisse somit durch eine gespielte „ungezwungene“ Atmosphäre ver-schleiert werden (vgl. ebd.).

4.2 Klatsch

Weil Klatsch in der sozialwissenschaftlichen Literatur nur selten als ein eigenständiges, für sich relevantes Forschungsobjekt thematisiert wurde, widmete sich Bergmann (1987) der Un-tersuchung dieser alltäglichen Kommunikation als einer eigenständigen Gattung. Er

72 Vgl. auch Sarangi (1994a).

tigt sich mit den methodischen Implikationen und Schwierigkeiten der Realisierung dieser rekonstruktiven Gattung.73

Die Beteiligten orientieren sich bei der Verbreitung von Klatsch an ihrem „Beziehungs-netzwerk“ (Bergmann 1987: 63), welches eine konstitutive Einheit von Klatsch darstellt. Die Neuigkeit, welche verbreitet wird, nennt er deswegen eine „Neuigkeit-für-eine-soziale-Einheit“ (ebd.: 65). Auch die Komponenten Kommunikationsinhalt und –vorgang werden im Zusammenhang mit den sozialen Beziehungen der Teilnehmer betrachtet. Klatsch entsteht jedoch erst durch den Vollzug bestimmter klatschspezifischer Handlungen, welche von den Teilnehmern markiert und wahrgenommen werden. Die Beteiligten beim Klatsch nennt Bergmann (ebd.: 61) „Klatschtriade.“74 Diese Dreierkonstellation besteht aus dem Klatsch-produzent, Klatschrezipient und dem Klatschobjekt. Während der Klatschproduzent und der Klatschrezipient die Haupthandlungsfiguren darstellen, ist das Klatschobjekt kein agierender Teilnehmer, sondern wird nur dadurch präsent gemacht, dass über ihn geredet wird. Die zent-rale Figur nimmt dabei der Klatschproduzent ein, welcher sein Wissen über das Klatschobjekt übermittelt. Dabei ist aber der Klatschrezipient keineswegs ein passiver Teilnehmer, denn dadurch, dass er seine Kommunikationsbereitschaft für Klatsch zeigt und in einer Beziehung zu dem Klatschproduzent und –objekt steht, wird Klatsch überhaupt möglich (vgl. ebd.: 48).

Nach der Etablierung der Klatschtriade, analysiert Bergmann (ebd.) die Klatschsequenz, in-dem er neben deren situativen Einbettung, ihrem Instrumentarium und ihrer interaktiven Ab-sicherung, auch die rekonstruktive Darbietung des Klatschwissens, die moralische Entrüstung und soziale Typisierung im Klatsch und die Beendigung von Klatsch als interaktives Problem betrachtet. Die situative Einbettung von Klatsch ist ihm zufolge in einer Vielfalt unterschied-licher Situationen möglich, in welchen die Konstellation der Klatschtriade gegeben ist. Sei es

73 Klatsch wird deswegen als rekonstruktive Gattung bezeichnet, weil dabei soziale Ereignisse thematisiert wer-den, welche für die Klatschteilnehmer in der Vergangenheit liegen und deswegen rekonstruiert werden (vgl.

Bergmann 1987: 47).

74 Bergmann orientiert sich dabei an Wiese (1995: 310), welcher die „triadische Struktur des Klatschens“ in älte-ren Lehrtexten erwähnt.

bei geselliger Kommunikation beim Kaffeeklatsch75, wenn sich Bekannte gesellig auf einer Party, in der Sauna oder zum Kartenspielen treffen. Klatsch kann aber auch bei der Arbeit in der Pause vorkommen. Somit besteht in vielen alltäglichen Situationen die Möglichkeit, ein Klatschgespräch zu führen, jedoch muss es zunächst zu einer interaktiven Absicherung der Teilnehmer kommen. Absicherungen werden in Form einer Prä-Sequenz durchgeführt, in welcher nicht nur die Bekanntheit des Klatschobjekts sichergestellt wird, sondern auch das gegenseitige Wissen über ihn ausgetauscht wird (vgl. Bergmann 1987: 99-111).

Weiterhin stellt er fest, dass beim Einsetzen von Zitaten ein paradoxes Verhalten auffällig ist, denn einerseits dienen sie dazu, Übertreibungen zu bilden, andererseits sollen sie die Authen-tizität darstellen. Somit zeigt sich die paradoxe Struktur der Klatschkommunikation, bei wel-cher es darum geht, Grenzen gleichzeitig zu verletzen aber auch zu respektieren. Klatschak-teure werden nicht nur als Ankläger und Richter, sondern auch als Verteidiger und Entlas-tungzeuge gesehen. Ein konstitutives Merkmal von Klatsch ist somit „die Gleichzeitigkeit von Verurteilung und Toleranz, von Mißbilligung und Verständnis, von Empörung und Mitleid“

(ebd.: 183). Beim Klatschen werden Reaktionen auf Verletzungen von Normen geäußert, je-doch geht es dabei nicht nur um die Missachtung und Erhaltung sozialer und moralischer Normen, sondern auch darum, anhand des eigenen Wissens über gruppenspezifische Verhal-tensregeln das Verhalten anderer aus seiner Situation heraus zu deuten (vgl. ebd.).

Aufgrund der Tatsache, dass sich bei Mitfahrgelegenheiten auch bekannte Teilnehmer treffen, ist nicht selten auch die Dreierkonstellation der Klatschtriade in diesen alltäglichen Kom-munikationssituationen gegeben. Entsprechend kann man erwarten, dass es in Mitfahr-gelegenheitsgesprächen auch zum Klatschen kommen kann. Deswegen sind gattungs-spezifische kommunikative Muster, wie die interaktive Absicherung und das Einsetzen von Zitaten, wichtige Phänomene an denen man Klatsch in den Daten erkennen kann.

75 Bergmann (1987: 99-102) stellt den Begriff „Kaffeeklatsch“ und seine historischen Wurzeln genauer dar. Kaf-feeklatsch taucht erstmals im 16. Jahrhundert in Europa in den ersten Kaffeehäusern auf, welche vor allem als Geschäftslokale fungierten. Damals spielten die Geschäftslokale eine wichtige Rolle als Kommunikationsraum, weil es in der Zeit die Presse im modernen Sinn noch nicht gab. Weil Frauen in die Kommunikation in diesen Lokalen nicht miteinbezogen waren, weckte das Misstrauen bei ihnen. Nachdem aber der Kaffee nicht mehr nur in Kaffeehäusern, sondern auch in den privaten Haushalten seinen Platz fand, haben die Frauen ihren eigenen Kommunikationskreis rum um das Kaffeetrinken etabliert. Somit wurde das „Kaffeekränzchen“ geboren, wo-raufhin sich die Männer über den „Kaffeeklatsch“ ihrer Frauen lustig gemacht haben.

Zum Schluss stellt er noch einige Überlegungen zum Phänomen „Klatsch“ anhand der ge-samtgesellschaftlichen Erklärungsebene, genauer der gruppensoziologischen Zugangsweise und eines sozialpsychologischen Erklärungsansatzes, dar. Unter anderem nimmt er kritisch Stellung zu Ansätzen, welche Klatsch als Mechanismus zur Erhaltung sozialer Gruppen se-hen.76 Nach ihm fungiert Klatsch als soziale Kontrolle für die Klatschenden selbst, indem sich die Teilnehmer kritisch zum Handeln einer anderen Person äußern und somit implizit geltende Normen und Werte aufzeigen. Weiterhin kann Klatsch als soziales Druckmittel auf das Klatschobjekt auftreten, welches sein Verhalten gegebenen Normen und Werten anpassen sollte. Schließlich wirkt Klatsch auch in Form einer Sanktionsmaßnahme, welche ein normen-konformes Verhalten sichert. Somit wird gezeigt, dass die Formulierung „Klatsch sei ein Mit-tel der sozialen Kontrolle“, lediglich der Reformierung des Alltagswissens, „dass Klatsch den Ruf des Klatschobjekts schädigen, aber durch normenkonformes Verhalten unterbunden wer-den kann“ (Bergmann 1987: 198), gleicht. Entsprechend werwer-den bei Mitfahrgelegenheits-gesprächen, in denen Klatsch vorkommt, die geteilten Normen der Teilnehmer und ihre An-gehörigkeit zu einer sozialen Gruppe mit geteilten Werten sichtbar.

Schubert (2009) untersucht das abwertende Reden gegenüber von nicht anwesenden Perso-nen, indem er sich mit dem Lästern als einer kommunikativen Gattung des Alltags beschäf-tigt. Bei ihm steht im Mittelpunkt die Frage, ob und unter welchen Gesichtspunkten sich das

„Lästern“ als usualisierte komplexe und dialogisch vollzogene Handlungsfolge im kommuni-kativen Haushalt von Jugendlichen verorten lässt. Mit seiner Forschung will er zeigen, dass sich beim Phänomen des „Lästerns“ wiederkehrende Merkmale, Handlungen und Strategien der kommunikativen Herstellung von Alltags- und Gruppenrealität von Jugendlichen aufzei-gen lassen. Besonders Interesse widmet er dabei dem sozialen Zweck des Lästerns und dessen Struktur.

Das alltägliche Phänomen des Lästerns erforscht der Autor auf der Grundlage eines Korpus authentischer Gespräche, indem er sich bei der Analyse zunächst die einzelnen Läster-episoden (Lokalstruktur) und daraufhin der Struktur der Lästerhandlung im Ganzen (Global-struktur) widmet. Methodologisch orientiert er sich dabei an zwei Analysekonzepten, dem Konzept der kommunikativen Gattungen und dem face-work Konzept. Ihm zufolge können

76 Den Ansatz, dass Klatsch sehr mit der Gruppenerhaltung verknüpft ist, vertritt Gluckman (1963) in seinem Werk Gossip and scandal, wobei er jedoch Klatsch nicht empirisch als Phänomen untersucht.

Lästerhandlungen als strukturell, inhaltlich und funktional bestimmbare Varianten des sozia-len Umgangs mit Konflikten und Erzählbedürfnissen von Sprechern sowie als soziales, tole-rierendes Mittel des Erhalts sozialer Gruppen bezeichnet werden.

Wie bereits erwähnt, bieten Mitfahrgelegenheiten nicht selten Voraussetzungen zur Ent-faltung von Klatsch oder Lästern. Deswegen ist das Wissen um wiederkehrende Merkmale und Handlungen welche diese kommunikativen Gattungen des Alltags begleiten, auch bei der empirischen Untersuchung dieser Arbeit relevant. Entsprechend können Klatsch- oder Läster-handlungen in den Daten bestimmt werden und u.a. die geteilten Normen und Werte der Teil-nehmer veranschaulichen.

4.3 Erstkontaktinteraktionen

Bei Mitfahrgelegenheiten treffen sich vor allem unbekannte Teilnehmer, womit es sich um Erstkontakte handelt. Entsprechend ist in diesen Kommunikationssituationen erwartbar, dass die Teilnehmer ähnliche kommunikative Muster „abarbeiten,“ wie bei Erstkontaktinter-aktionen. Die im Folgenden dargestellten emprischen Forschungen zu Erstkontaktsituationen liefern wichtige Untersuchungskategorien für die folgenden eigenen Analysen zu Mitfahrge-legenheiten.

Wie Müller-Jacquier (2009) hervorhebt, stellt die Begegnung in Form von Erstkontakten ei-nen bedeutenden Teil der zwischenmenschlichen Kommunikation dar. Das Treffen un-bekannter Personen gehört zu unserem privaten und beruflichen Umfeld. Aus diesem Grund haben alle Kulturen Routinen für den Umgang mit solchen Situationen entwickelt. Besonde-res InteBesonde-resse widmet Müller-Jacquier (2009) interkulturellen Erstkontaktsituationen. Seiner Meinung nach können sich die Gesprächspartner in dieser Konstellation nicht "on a set of formerly established interactional conventions" verlassen, sondern "they have to display more openly, and negotiate more intensively, the rules they consider to be appropriate" (ebd.: 364).

Mit seiner Untersuchung von Erstkontaktsituationen zwischen Deutschen und Amerikanern, in welcher er die Frage stellt, was als culturalization of discourse conventions charakterisiert werden kann, kommt er zusammenfassend zu folgender Haupterkenntnis:

Understanding the procedures of interpersonal interaction, in accordance with the sociological thinking of the theory of communicative genres, is a necessary means for understanding how im-ages of the other are construed and handled in initial contact. (Müller-Jacquier 2009: 376)

Entsprechend betont Müller-Jacquier die Notwendigkeit des Vertehens in zwischenmensch-lichen Interaktionen, um nachzuvollziehen, wie Bilder des anderen in einem ersten Kontakt konstruiert und behandelt werden.

Den wichtigsten empirischen Beitrag zu Erstkontaktsituationen gibt Svennevig (1999) mit seiner Studie über Erstinteraktionen. Sein Ziel ist es in erster Linie, die unterschiedlichen cha-rakteristischen Verfahren dieses Interaktionstyps und deren Wirkung auf das Gespräch zu be-schreiben. Weiterhin erläutert er, was zur Schaffung einer bestimmten zwischenmenschlichen Beziehung zwischen den Teilnehmern im Gespräch beiträgt. Er verwendet für seine empiri-sche Analyse ein zweistufiges Verfahren, in welchem er die Konversationsanalyse und den pragmatischen Ansatz kombiniert. Als ersten Schritt nennt er die Beschreibung bestimmter wiederkehrender Muster in den Daten und somit die Identifikation sequenzieller Strukturen (vgl. ebd. 82-86). Als zweiten die Erklärung dieser identifizierten Strukturen in Bezug zu pragmatischen Theorien, vor allem "strategies of politeness, involvement, and of establishing personal and communal common ground" (vgl. ebd. 86).

In Erstinterkationen werden nach Svennevig (ebd.) folgende typische Verfahren angewendet, welcher sich die Teilnehmer bedienen: self-presentational sequence, topic introduction, side sequences und establishment of common ground77. Alle identifizierten Verfahren werden als konstitutiv für die Gattung „Kennenlerngespräche“78 gesehen, da sie einerseits als Lösungen für lokal auftauchende kommunikative Probleme, welche aufgrund der Unbekanntheit der Teilnehmer entstehen, betrachtet werden und andererseits die Orientierung der Teilnehmer auf das Ziel der Schaffung von Bekanntschaften aufzeigen. Diese spezifischen kommunikativen Verfahren sind bei der Analyse von Mitfahrgelegenheitsgesprächen erwartbar und somit von erheblicher Bedeutung für die vorliegende Arbeit. Deswegen werden sie im Folgenden ge-nauer beleuchtet.

77 Bei der Analyse von Themeneinführungen und Selbstdarstellungen orientiert sich Svennevig an der Studie von Maynard und Zimmerman (1984), deren Schwerpunkt die Untersuchung von Themeninitiierung und -entwicklung darstellt.

78 Eigene Übersetzung. Svennevig (1999: 317) verwendet den Terminus getting-acquainted conversations.

Als charakteristisches Merkmal von Erstinteraktionen nennt Svennevig (1999: 317) die self-presentational sequence, welche er als das wichtigste Mittel zur Einführung neuer Themen sieht. Die Selbstdarstellungssequenz besteht aus typischen personenbezogenen Fragen der

Als charakteristisches Merkmal von Erstinteraktionen nennt Svennevig (1999: 317) die self-presentational sequence, welche er als das wichtigste Mittel zur Einführung neuer Themen sieht. Die Selbstdarstellungssequenz besteht aus typischen personenbezogenen Fragen der