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Datenerhebung, Probleme und Aufbereitung

4 Forschungsmethode und Datenkorpus

5.3 Datenerhebung, Probleme und Aufbereitung

Für die vorliegende gesprächsanalytische Forschung werden also Audioaufnahmen alltägli-cher Interaktionen bei Mitfahrgelegenheiten verwendet. Die Aufnahmesituationen wurden, wie gesagt, so angelegt, dass durch die Beteiligung eines Teilnehmers aus einer anderen Sprachgemeinschaft interkulturelle Gesprächssituationen zustande kommen. Die Gespräche wurden teilweise von mir selbst und zum anderen Teil von Bekannten oder deren Freunden mit einem Audioaufnahmegerät aufgenommen.

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M1 M4

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Nachdem in den letzten Jahren das Interesse an Videoaufzeichnungen natürlicher Gespräche wuchs und sich somit die multimodale Videoanalyse90 verbreitete, war es anfangs das Ziel dieser Forschung, audiovisuelle Daten aufzunehmen, um somit eine Analyse der Multimoda-lität der Interaktionen bei Mitfahrgelegenheiten zu ermöglichen. Mit diesem Analyseansatz haben Forscher neben der audio-aufgenommenen Interaktion, auch Zugang zu weiteren kom-munikativen Ressourcen wie Mimik, Blickkontakt und Finger-, Hand- oder Kopfbewegungen und können somit ihren Forschungsaspekt erweitern (vgl. Deppermann 2010: 15).

Da die visuell beobachtbaren Aktivitäten von den Beteiligten meistens in Verbindung mit der Lautsprache realisiert werden und somit von großer Relevanz sind, ist es nach Deppermann notwendig, die zentralen konversationsanalytischen Konzepte multimodal zu reformulieren.

Dies bedeutet, dass Kommunikationen, welche nicht auf einer rein verbalen Beteiligung beru-hen nur mit der multimodalen Videoanalyse rekonstruiert werden können. Eine solche Inter-aktion ist z. B. am Filmset anzutreffen, wo Verstehensprozesse am Setting phasenweise ohne verbale Beteiligung, sondern nur durch Bewegung im Raum und die dadurch veränderten Be-teiligungsstrukturen kommuniziert werden (vgl. ebd.: 16). Schmitt (2005: 19) hingegen be-tont, dass es bei der Multimodalität zunächst darum geht, „aus einer methodisch-methodologischen Perspektive heraus […] die einzelnen Modalitätsebenen in ihrer empirisch unauflöslichen wechselseitigen Vernetztheit so zu fokussieren, dass sie überhaupt methodisch kontrolliert untersucht werden können.“ Dafür schlägt er zwei Handlungsweisen vor: erstens eine Gegenstandskonstitution, in welcher kleine und kleinste Ausschnitte untersucht werden und zweitens eine, mit der die Modalitätsebenen und deren charakteristische Verhaltens- und Ausdrucksaspekte fokussiert werden (vgl. ebd.). Generell skizziert er den multimodalen An-satz als Weiterentwicklung der Konversationsanalyse und gibt anhand der Analyse eines Vi-deoausschnitts ein Beispiel für die multimodale Arbeitsweise. Neben Deppermann (2010) und Schmitt (2005), gelten noch Goodwin (2004, 2006, 2012), Mondada (2010a/b) und Stuken-brock (2010a, 2012) als wichtige Vertreter des multimodalen Analyseansatzes.

Die geplante Videoaufzeichnung gestaltete die Aufnahme der Gespräche bei Mitfahr-gelegenheiten von Anfang an schwieriger als angenommen. Es gab erhebliche Probleme bei der nötigen Einverständniserklärung der Teilnehmer dafür, dass sie sich mit einer

90 Vgl. Schmitt (2005), Goodwin (2004, 2006, 2012), Mondada (2010a/b) und Stukenbrock (2010a, 2012)

kamera aufnehmen lassen. Aufgrund der Tatsache, dass regelmäßig mindestens ein Teil-nehmer der Videoaufnahme widersprochen hat, habe ich entschieden, die Datenerhebung zu modifizieren und mich mit Audioaufnahmen zu begnügen. Dies erwies sich als gutes Verfah-ren, da in der darauffolgenden Zeit sehr schnell die ersten Gespräche aufgenommen werden konnten. Außerdem wurde damit das sogenannte „Beobachterparadoxon“91 gemindert, wel-ches aufgrund der Präsenz einer Videokamera bedeutend häufiger und stärker auftritt als bei Mikrofon-Aufzeichnungen.

Da ich selber als Forscherin auch einige der Gespräche aufgenommen habe und entsprechend in den Gesprächen selbst mitagiert habe, könnte mir als mitwirkender Beobachterin vor-geworfen werden, die Gesprächssituation beeinflusst zu haben. Dabei ist jedoch zu beachten, dass ich aufgrund meiner zahlreichen Erfahrungen in diesem Feld meine Rolle als Teilnehme-rin nicht „gespielt“ habe, sondern mich so verhalten habe, wie es meiner Alltagsauffassung der Situation entspricht. Als eine erheblichere Gefahr der Beeinträchtigung der Aufzeichnun-gen würde ich es ansehen, wenn ich als neutrale Beobachterin nicht an der Interaktion teilge-nommen, sondern mich schweigend beteiligt oder mich in anderer Form „unnatürlich“ verhal-ten hätte. Ein solches Verhalverhal-ten würde das der anderen Teilnehmer weitaus mehr verzerren.

Ich kann versichern, dass die Mitfahrgelegenheiten meinerseits in erster Linie dazu genutzt wurden, um zu einem gewünschten Zielort zu gelangen und nicht, um Aufnahmen zu produ-zieren. Außerdem muss man hier betonen, dass die Wahrnehmung des Audioaufnahmegeräts mit Raumaufzeichnungsfunktion in der Mitte der Fahrzeugs (vgl. Abbildung 2) deutlich nied-riger ist als die einer Kamera, welche ständig auf die Teilnehmer gerichtet ist.

Die Aufnahmen wurden mit dem Sony ICD-UX512 Aufnahmegerät aufgezeichnet, dessen ausgefeilte Filter-Mikrotechnik für eine sehr gute Aufnahmequalität gesorgt hat. Selbst-verständlich kann es sein, dass die Teilnehmer anfangs in ihrer Interaktion durch die Aufnah-megeräte beeinflusst wurden. Solche möglichen Irritationen halten normalerweise aber nicht lange an, wie u. a. Duranti (1997) betont, und sie sind in den Daten nur an vereinzelten kurzen Passagen nachweisbar, in denen die Aufnahme thematisiert wird.

91 Die Theorie des Beobachterparadoxon oder Observer´s Paradox stellte Labov (1978) auf und wollte damit aufzeigen, dass die Aufnahme natürlicher Daten aufgrund der Anwesenheit einer Kamera nicht möglich sei, da somit das natürliche Gespräch gestört wird.

Aufgrund des speziellen Settings in Gesprächen bei Mitfahrgelegenheiten entstand bei der Datenaufbereitung das Problem, die begleitende Geräuschkulisse bei den Gesprächen zu be-grenzen. Neben dem Rauschen, welches das sich bewegende Fahrzeug erzeugt, wurden die Aufnahmen auch durch andere situationsabhängige Geräusche begleitet, wie z. B. das von an-deren Verkehrsteilnehmern und auch fahrbegleitende Geräusche (beim Gängeschalten). Auch wetterbedingtes Rauschen (Regen) trat auf. Der Geräuschpegel, der die Transkription der Da-ten behinderte, wurde nachträglich mit der Software Audacitiy und deren Rauschent-fernungsfunktion bearbeitet. Nachdem bei der Wellenform der Aufnahmen die Rausch-passagen festgestellt und markiert wurden, habe ich zuerst das Rauschprofil ermittelt. Nach dem Erkennen des Rauschmusters konnte ich es gezielt drosseln. Anschließend habe ich mit der Funktion „Rauschentfernung“ das Hintergrundrauschen aus der gesamten Aufnahme so-weit minimiert, dass die Qualität der restlichen Toninformationen gewährleistet wurde. Um ein optimales Ergebnis zu erzielen, wurde die Stärke der Absenkung des Rauschens mehrmals optimiert und mit der Vorhör-Möglichkeit wiederholt überprüft. Mit der Rauschentfernungs-funktion konnte jedoch nicht das gesamte Rauschen entfernt werden. Doch ist ein bestmögli-ches und zufriedenstellendem Ergebnis entstanden, und die Daten waren für den nächsten Schritt, das Transkribieren, aufbereitet.

Bei der Auswahl des Transkriptionssystems wurde das gesprächsanalytische Transkriptions-system 2 (GAT 2), welches die aktualisierte Version von GAT darstellt, herangezogen. Nach-dem Selting et al. (2009) die Schwächen der ersten Version korrigiert haben und neue Vor-schläge eingearbeitet haben, erfüllt GAT 2 eine noch bessere Kompatibilität mit Forschungs-fragen im Bereich der Gesprächsanalyse und somit auch für die vorliegende Arbeit. Aus-schlaggebend war vor allem die Entscheidung gegen die Partitur und deren Transkriptionssys-tem HIAT und für ein laufendes Textformat, welches GAT anbietet. Für den zu analysieren-den multi party talk bietet es eine transparente Darstellbarkeit und Nachvollziehbarkeit der abgelaufenen Interaktion. Außerdem bietet des GAT 2 Transkriptionssystem neben Basistran-skripten genauere Angaben zum Erfassen von Atmen, Pausen und Dehnungen, zum Einbezug von Intonation und Prosodie. Ebenfalls die formalisierte Notierung von diversen Ge-sprächsphänomenen wie Lachen, Ausrufen und Vokalisierungen (vgl. Selting et al. 2009).

Als Transkriptionshilfe diente das Tranksriptionsprogramm F4, in welchem die Gespräche nach den Konventionen von GAT 2 transkribiert wurden. Nach der Anfertigung von Basis-

oder Minimaltranskripten der Gespräche und Gesprächsausschnitte, können diese je nach Spezifik der Forschungsfragen zusätzlich verfeinert und ausgebaut werden. In der vorliegen-den Arbeit wurde zunächst ein vollständiges Basis- und Feintranskript eines ausgewählten Mitfahrgelegenheitsgesprächs angefertigt (vgl. Anhang 2), um es auf die deduktiv ermittelten Kategorien zu überprüfen und in der Folge induktiv gattungstypische Kategorien in Form von besonderen Merkmalen und Auffälligkeiten zu erarbeiten. Danach wurden die restlichen Mit-fahrgelegenheitsgespräche bezüglich der bereits ermittelten und auch neuen Kategorien unter-sucht. Nach dieser Lokalisierung besonderer Merkmale von Mitfahrgelegenheitsgesprächen wurden die Transkripte noch zusätzlich verfeinert und anschließend gesprächsanalytisch un-tersucht.

Wie bereits oben erwähnt, konnte man bei der nachträglichen Bearbeitung die Rauschkulisse, welche jedes Gespräch im Hintergrund begleitet hat, nicht komplett entfernen. Aufgrund des konstanten begleitenden Rauschens war das Transkribieren sehr aufwändig und es konnten nicht alle Gesprächsbeiträge und Wortlaute ermittelt werden (vgl. Anhang 2 und 3). Zusam-menfassend sind von insgesamt fast 31 Stunden und 52 Minuten Aufnahmen bei Mitfahrgele-genheiten ungefähr 12 Stunden basis- und sechs Stunden feintranskribiert.

5.4 Zusammenfassung

Bei der Analyse von Mitfahrgelegenheitsgesprächen wurde eine Kombination von dedukti-vem und induktidedukti-vem Vorgehen erstellt. Diese ermöglicht, aus der breiten Auswahl an konzep-tuellen und empirischen Beiträgen über kommunikative Gattungen einen Überblick über bis-her erforschte Kategorien einzelner Strukturebenen zu bekommen. Mit der Auswahl an de-duktiv ermittelten Kategorien soll überprüft werden, welche der potenziellen Kategorien im vorliegenden Datenkorpus von Mitfahrgelegenheitsgesprächen erfasst werden. Bei der empi-rischen Untersuchung wird zunächst das vollständig transkribierte Gespräch MFG1 genau auf die Analysekategorien überprüft, welche aus der Auswahl affiner deduktiv ermittelter Katego-rien zur Verfügung stehen. Außerdem wird das Gespräch auch induktiv auf weitere gattungs-spezifische Kategorien untersucht. Nachdem dieser Schritt vollzogen ist, wird das Vorgehen auf alle Gespräche ausgeweitet. Analytisch sollen die Kategorien anhand der drei

Struktur-ebenen angeordnet werden, um somit eine Gesamtsicht auf die Gattung Mitfahrgelegenheits-gespräche zu erzielen.

Den wesentlichen methodischen Rückhalt beim induktiven Vorgehen bieten die Gattungs-analyse und die ethnographische GesprächsGattungs-analyse. Während das Gattungskonzept eingesetzt wird, um äußerungsübergreifende Merkmale, wie spezifische Normen und Regularitäten zu analysieren, sollen mit der Konversationsanalyse die Mechanismen und Prinzipien der sinn-haften Strukturierung und Ordnung sprachlichen Handelns in den gegebenen Gesprächs-konstellationen erfasst werden. Dabei wird natürlich auf die Methoden der Konversations-analyse, wie beispielsweise die SequenzKonversations-analyse, nicht verzichtet, wenn es um lokale Phäno-mene geht.

Weiterhin wird auch ethnographisches Wissen über das Forschungsfeld seitens der Forsche-rin, welches durch mehrjährige teilnehmende Beobachtungen, Feldnotizen und umfassende Auseinandersetzungen mit der Entstehung und Entwicklung des Phänomens Mitfahren ge-sammelt wurden, bei der Analyse miteinbezogen. Mit der Ergänzung der Konversationsanaly-se durch den Ansatz der ethnographischen GesprächsanalyKonversationsanaly-se, sollen also an bestimmten Stel-len ethnographische Wissensbestände im Rahmen der methodischen Einschränkungen der Konversationsanalyse eingesetzt werden, um z. B. zu umfassenderen Rekonstruktion von dis-plays zu gelangen. Eine dargelegte Kombination der methodischen Vorgehensweisen soll in der vorliegenden Arbeit zu einem möglichst umfassenden Analyseergebnis führen.