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Die Struktur und Entwicklung der Ungleichheit in den USA

2. Die „defekte“ Demokratie und ihre Symptome

2.1. Increasing Inequality

2.1.3. Die Struktur und Entwicklung der Ungleichheit in den USA

Wie schon in der Einführung erwähnt, wollen wir nun anhand der empirischen Arbeiten Piketty's die bedenkliche Entwicklung der Ungleichheit in ihrer Struktur erörtern, um so die prekäre Lage besser zu verstehen. Zunächst wollen wir die Einkommenskonzentration in den USA im Vergleich zu anderen Ländern und Zeiten zeigen:

Abbildung 2: Unterschiedliche Ausprägungen von Einkommenskonzentration

Quelle: Table 7.1 in: Piketty 2014

Wie aus Abbildung 2 ersichtlich ist, weisen die rechten vier Spalten auf Länder oder Länderbünde zu verschiedene Zeiten hin, an denen Piketty vier Levels von Ungleichheit ausmacht. Von geringer bis zu extrem hoher Ungleichheit. Die Spalte ganz links zeigt den Anteil der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen am Gesamteinkommen aus Arbeit. Die unterste Zeile weist auf den Ginikoefzienten hin. Der Ginikoefzient kann Werte zwischen 0 (vollkommen gleichmäßige Einkommensverteilung) und 1 (vollkommene Konzentration des Einkommens bei einer Person) annehmen. Somit ist klar, je kleiner der Ginikoefzient ist, desto gleichmäßiger ist die Einkommensverteilung (vgl. Nowotny 1999: 679). Dabei zeigt sich, dass Skandinavien im Zeitraum der 1970er bis 1980er Jahre eine überaus egalitäre Gesellschaft war, was jedoch heute auch nicht mehr der Fall ist (vgl.

Piketty 2014: 246).

Indes wollen wir anhand dieser Darstellung die Problematik in den USA darlegen. Die enorme Einkommensungleichheit wirkt im Vergleich zu Skandinavien der 1970er Jahren eklatant, was jedoch ein hinkender Vergleich ist, da sich auch Skandinavien von dieser egalitären Position verabschiedet hat. Aber der Unterschied wird auch im Vergleich zu Europa im Jahre 2010 deutlich. Hier zeigt sich, dass die Top 10% der Haushalte bemessen am Einkommen, 25% in Europa und 35% in den USA am gesamten Arbeitseinkommen für sich in Anspruch nehmen. Daraus folgt konsequenterweise, dass die unteren Schichten weniger generieren können. Abbildung 2 zeigt dies auch ganz deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die Mittelschicht in Europa 45% und in den USA 40% am gesamten Arbeitseinkommen für sich beanspruchen kann und die unteren 50% der Haushalte in Europa 30% und in den USA nur 25% vom gesamten Arbeitseinkommen abbekommen.

Die Spalte ganz rechts soll die USA im Jahr 2030 zeigen, was de facto nur eine ökonomische Prognose darstellen kann, und somit nicht auf die Waagschale geworfen werde soll, doch soll uns dies verdeutlichen, dass ohne politische Eingrife diese Entwicklung sehr plausibel ist (vgl. Piketty 2014: 291f).

Wie wir jetzt vernommen haben, haben wir es in den USA mit einer Entwicklung der Einkommen zu tun, von der die oberen 10% der Haushalte immer mehr des Kuchens bekommen. Doch wenn wir von steigender Ungleichheit sprechen, so müssen wir unbedingt auch die Vermögen betrachten, was uns an die Lektion von Vautrin erinnern wird:

Abbildung 3 folgt derselben Logik wie Abbildung 2, nur haben wir es hier nicht mit den Einkommen aus Arbeit zu tun, sondern mit dem Vermögen. Doch muss zuerst geklärt werden, was bei Piketty unter Vermögen verstanden wird, bevor wir genauer darauf eingehen können. Piketty defniert Vermögen folgenderweise:

„[...] capital is defned as the sum total of nonhuman assets that can be owned and exchanged on some market. Capital includes all forms of real property (including residential real estate) as well as fnancial and professional capital (plants, infrastructure, machinery, patents, and so on) used by frms and government agencies. […] In practice, capital can be owned by private individuals (in which case we speak of 'private capital') or by the government or government agencies (in which case we speak of 'public capital').“

(Piketty 2014: 46-47)

Die Defnition wirkt auf den ersten Blick ein wenig verwirrend, da wir eigentlich eine Defnition von Vermögen liefern wollten, aber jetzt von „Capital“ gesprochen wird. Jedoch setzt Piketty in seiner Arbeit „Kapital“ mit „Vermögen“ gleich. Das

Abbildung 3: Unterschiedliche Ausprägungen von Vermögenskonzentration

Quelle: Table 7.2 in Piketty 2014

Kapital eines Haushalts ist mit der Gesamtsumme der gehaltenen Vermögenstitel identisch, ganz egal, um welche Vermögenstitel es sich handelt. Ausgenommen sind lediglich Hausrat, Fahrzeuge sowie sonstige Wertgegenstände (dabei sind Statussymbole wie Jachten oder auch Kunstsammlungen zu erwähnen) (vgl.

Kapeller 2014: 330).

Da wir in Abbildung 2 die Systematik dieser Aufgliederung schon erörtert haben, wollen wir hier nur noch auf die extremen Divergenzen in der Vermögensstruktur hinweisen, die in den USA immer mehr der europäischen Gesellschaft im Jahre 1910 ähnlich werden und somit das Erbe immer wichtiger für gesellschaftlichen Status wird. Man beachte, dass die Top 1% der Vermögenden 35% am gesamten Vermögen besitzen und die Mittelschicht, die hier als Diferenz der unteren 50% und der oberen 10% der Haushalte angesehen wird, besitzt nur 25% des Gesamtvermögens und die untere Hälfte der Haushalte besitzt 5% am Gesamtvermögen.

De facto sind die USA in deren Vermögenskonzentration noch ein Stück weit von einem Europa im Jahre 1910 entfernt, doch wie wir später noch sehen werden, zeigen die Prognosen derzeit keine rückläufge Entwicklung. Diese Situation ist jetzt schon unheilvoll und könnte noch schwerwiegender werden, wenn die moderne Mittelschicht, von der wir heute sprechen und eine wichtige Errungenschaft der Nachkriegsjahre darstellt, immer mehr an Boden verliert. Vielfach wird die moderne Mittelschicht als ein Ergebnis von bedeutenden Eingrifen der Regierung in der Nachkriegszeit gesehen, dabei sei unter anderem auf den bekannten G.I. Bill verwiesen, dessen Wirken sinnbildlich für die verstärkte Investition in die Bildung der heimgekehrten Veteranen gesehen wird und so einer starken Mittelschicht zum Aufschwung verhalf (vgl. Roth 2011: online; Skocpol 2000). Es soll damit gesagt sein, dass die Mittelschicht, wie wir sie kennen, eine Errungenschaft darstellt, die natürlich einerseits auf die zeitlichen Querelen zurückzuführen ist, aber vor allem aus einer aktiven politischen Gestaltung hervorgegangen ist. Und genau diese Errungenschaft scheint sich in den letzten Jahren in die Bedeutungslosigkeit zu verabschieden.

Nun wollen wir noch kurz auf den Unterschied von Einkommens- und Vermögenskonzentration eingehen, also auf die Frage, warum Vermögen viel stärker konzentriert ist? Dazu eine prägnante Antwort aus den Analysen Piketty's:

„The very high concencration of capital is explained mainly by the importance of inherited wealth and its cumulative efects: for example, it is easier to save if you inherit an apartment and do not have to pay rent. The fact that the return on capital often takes on extreme values also plays a signifcant role in this dynamic process.“ (Piketty 2014:246)

Nach der Analyse der Konstellationen von Einkommens- und Vermögensverteilung zeigt sich ein Bild einer sich entzweienden Gesellschaft. Man könnte jetzt noch tiefer in die ökonomischen Arbeiten von Piketty vordringen und sich mit der ökonomischen Methodik beschäftigen, doch soll das hier nicht das Ziel sein, sondern wollen wir vielmehr durch die empirischen Analysen ein Grundverständnis für die herrschenden Verhältnisse schafen und die Dringlichkeit der Beschäftigung mit diesem Thema hervorheben. Für die der Ökonomie zugewandten LeserInnen sei neben Piketty (2014) auch auf den Aufsatz von Atkinson/ Piketty/ Saez (2011) verwiesen.

Wie dem Leser und der Leserin nicht entgangen sein wird, wurden nur die u n t e r s c h i e d l i c h e n K o n s t e l l a t i o n e n v o n V e r m ö g e n s - u n d Einkommenskonzentrationen aufgezeigt, doch nicht die Entwicklung, die für die These dieser Arbeit von großer Bedeutung ist. Denn wie in der Einleitung gesagt wurde, soll gezeigt werden, dass diese extreme Spaltung mit einem demokratiepolitischen Wandel zusammenhängt und es zu Zeiten einer Demokratie à la Trente Glorieuses, diese extreme Konzentration nicht gegeben hat. Darum wollen wir noch die Entwicklungen ofenlegen und dazu erst die Entwicklung der Einkommensungleichheit betrachten:

Z u Abbildung 4 braucht man nicht viel sagen, denn es wiedergibt akkurat unsere bisherigen Ausführungen. Wie man entnehmen kann, zeigt sich die Entwicklung des Anteils des obersten Dezil am Gesamteinkommen. Dieser Anteil war in der Zeit, die wir als Demokratie à la Trente Glorieuses bezeichnen, weniger als 35%, doch ungefähr ab 1980 steigt der Anteil erheblich an und erreicht fast 50% am Gesamteinkommen.

Wir können anhand dieser Entwicklung sehen, dass wir ca. bis zu Beginn der 1980er Jahre eine überaus „egalitäre“ Gesellschaft in den USA hatten. Die Stimmung zu dieser Zeit kann man aus Berichten von ZeitzeugInnen wie Paul Krugman vernehmen, der in dieser Zeit von einem anderen Amerika spricht und schwärmt:

„Postwar America was, above all, a middle-class society. The great boom in wages that begun with World War II had liftet tens of millions of Americans – my parents among them – from urban slums and rural poverty to a life of home ownership and unprecented comfort. The rich on the other hand, had lost ground: They were few in number and, relative to the prosperous middle, not all that rich.“ (Krugman 2009: 3)

Abbildung 4: Entwicklung der Einkommensungleichheit in den USA von 1910-2010

Quelle: Figure 8.5 in Piketty 2014

Diese Periode könnte jetzt einfach als eine geschichtliche Periode unter anderen abgetan werden, doch damit würde man sich einer fatalistischen Argumentation ergeben, aber das will diese Arbeit nicht, sowie das auch die Arbeiten von Krugman und GesinnungsgenossInnen zeigen, die eine aktive Politik zur Umgestaltung fordern.

Der Vollständigkeit halber wollen wir noch die Entwicklung der Vermögenskonzentration betrachten und damit auch abschließen und nicht noch tiefer in die empirischen Arbeiten von Piketty und Co vorstoßen, denn uns sollten die Arbeiten nur der Darlegung dieses Problems dienen. Aber jetzt noch kurz die Entwicklung der Vermögenskonzentration in den USA:

In Abbildung 5 ist von „Wealth“ die Rede, doch Piketty verwendet die Begrife

„Wealth“ und „Capital“ synonym, somit haben wir es mit dem an früherer Stelle defnierten Vermögen zu tun. Wie man sieht, wird hier nicht nur der Anteil der Top 10% der Haushalte betrachtet, sondern auch jener der der Top 1% am Gesamtvermögen. Es wird hier die Entwicklung ab dem Jahre 1810 gezeigt, was für unsere Arbeit jetzt nicht so wichtig erscheint, doch wollen wir kurz die Antwort für die niedrige Vermögenskonzentration zu Beginn des 19. Jahrhunderts geben. Hier sehen wir ein geringes Maß an Ungleichheit, das den skandinavischen Werten der 1970-1980er Jahren gleicht. Dazu sei auf die große Zahl der ImmigrantInnen

Abbildung 5: Entwicklung der Vermögensungleichheit in den USA von 1810-2010

Quelle: Figure 10.5 in Piketty 2014

verwiesen, die in der Neuen Welt ihr Glück suchten und nur mit sehr wenig Vermögen an Land gingen. Vermögensakkumulation geht verständlicherweise nicht von heute auf morgen. Aber wie sich zeigt, folgte diese Akkumulation von Vermögen und erreichte den Höhepunkt im Jahre 1910, wo die Top 10% der Haushalte 80% vom Gesamtvermögen besaßen. In den USA wollte man aber keine so extreme Vermögenskonzentration wie in Europa im Jahre 1910, wo die Top 10%

der Haushalte 90% am Gesamtvermögen besaßen, so wurde schon um 1910-1920 eine extrem progressive Vermögens- sowie Einkommenssteuer eingeführt. In der Tat spielten auch die großen Kriege eine Rolle, jedoch nicht in dem Maß, wie sie in Europa zu einer Dekonzentration der Vermögen beitrugen. Aber wie sich zeigt, verfolgte man eine andere Politik, die lange Früchte trug, wenn man beachtet, dass auch hier der Anstieg erst wieder um 1980 begann (vgl. Piketty 2014: 347-350).

Aus der Darstellung der Entwicklung zeigt sich für den Autor ganz klar die Bedeutung von Politik und politischen Wandel. Zweifellos trugen die gesellschaftlichen Umweltzungen rundum die Kriege ihren Teil dazu bei, doch scheint eine Gefährdung des sozialen Friedens durch eine immer stärker gespaltene Gesellschaft für den Autor als kein erstrebenswertes Ziel, sondern vielmehr sollte diese Entwicklung ein Weckruf für eine aktive Politik sein.