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Die Situation der Mittelschicht in den USA

2. Die „defekte“ Demokratie und ihre Symptome

2.2. Declining Middle Class

2.2.2. Die Situation der Mittelschicht in den USA

Da wir nach dem Versuch der Defnition festgestellt haben, dass es keine einheitliche Defnition gibt, doch die Bedeutung der Mittelschicht für die Gesellschaft überaus essenziell ist, so wollen wir uns jetzt noch etwas genauer mit der Situation und der Entwicklung der Mittelschicht in den USA auseinandersetzen, um derer Problematik vertraut zu werden.

Im vorigen Kapitel über die steigende soziale Ungleichheit haben wir uns überzeugen können, dass die oberen 10% der Haushalte und dabei vor allem noch einmal die Top 1% der Haushalte in den letzten 30 Jahren mit einem extremen Einkommens- sowie Vermögenszuwachs beglückt wurden. Währenddessen konnte der Großteil der US-AmerikanerInnen nur einen bescheidenen Zugewinn einfahren.

Die Politikwissenschaftler Jacob Hacker und Paul Pierson stellen sich die Frage, um wie viel besser die Mittelschicht heute situiert ist, als vielleicht eine Generation vorher? Sie geben zu verstehen, dass es sehr darauf ankommt, wie man die ökonomischen Trends der letzten 30 Jahre bewertet. Denn wenn wir uns vorstellen, dass alle gesellschaftlichen Schichten mit einem ordentlichen Einkommenswachstum beglückt werden und die oberen 10% vielleicht noch ein wenig mehr Wachstum generieren vermögen, so wird das kein Problem sein (vgl. Hacker/ Pierson 2010:

20).

Hierbei ist auch die „Trickle-Down-Theorie“ zu erwähnen. Kurz gesagt geht die Theorie davon aus, dass die Akkumulation von Vermögen bei wenigen Reichen nicht schlecht sei, da über kurz oder lang Vermögen nach unten durchsickert (vgl.

Aghion/Bolton 1997: 151). Diese Theorie deckt sich im Großen und Ganzen mit der der Angebotsökonomik, die alleinig die Angebotsseite für ökonomisches Wachstum als bedeutsam ansieht und mit Maßnahmen der Steuersenkung, Reduzierung der Staatsausgaben sowie Deregulierung aufwartet, um den Markt zu seinen vollen Kräften zu verhelfen und so Wirtschaftswachstum für alle zu ermöglichen (vgl. Wohltmann o.J.: online). Dabei handelt es ich aber um ein reines Modelldenken, denn dieses Durchsickern nach unten soll nicht wirklich gelingen.

Auch Paul Krugman gab im Jahr 2008 ein Interview, wo er zu verstehen gibt, dass auf die erwarteten Efekte nun schon 30 Jahre gewartet wird und nichts passiere, außer eine erhebliche Umverteilung nach oben (vgl. Kaufmann 2008:online).

Folgt man dieser Argumentation, so kann vielmehr von einer „Trickle-up“

Ökonomie gesprochen werden. Dabei brauchen wir uns nur die Daten von Piketty zu vergegenwärtigen, um das zu sehen. Doch wollen wir noch etwas erwähnen, das für die Betrachtung der Mittelschicht sehr wichtig ist. In den USA gibt es freilich auch staatliche Unterstützungsleistungen und Umverteilungsmaßnahmen durch Besteuerung, von denen unter anderem die Mittelschicht sowie untere Einkommensschichten proftieren. Diese sozialpolitischen Maßnahmen wurden jedoch bei Piketty nicht berücksichtig und sollen somit jetzt ihre Betrachtung fnden. Will man ein akkurates Maß für die gegebenen Mittel der Mittelschicht, sowie der unteren Schichten der Einkommensleiter, so bedarf es einer Berücksichtigung der staatlichen Umverteilung, die auch nichtmonetäre Mittel miteinbezieht. Dabei sei auf das „Congressional Budget Ofce“ verwiesen, eine überparteiliche Behörde, die versucht, diese umverteilenden Maßnahmen miteinzubeziehen. Der einzige Nachteil an diesen Daten ist, dass sie uns erst ab dem Jahr 1979 zur Verfügung stehen, jedoch ist diese kurze Zeitspanne in ihrer Aussagekraft sehr ernst zu nehmen (vgl. Hacker/Pierson 2010: 19-21). Die folgende Grafk soll dies verdeutlichen:

Abbildung 6 vermittelt uns nun eine Entwicklung des Anteils am Gesamteinkommen nach Steuern und Transferleistungen der Haushalte. Die Haushalte sind in fünf Quintile untergliedert und werden auf der x-Achse der Reihe nach geordnet – vom untersten zum obersten Quintil. Dabei wird für jedes Quintil der Anteil am Gesamteinkommen nach Transferleistungen und Steuern für das

Abbildung 6: Anteil am Gesamteinkommen nach Transferleistungen und Steuern, 1979 und 2007

Quelle: Congressional Budget Ofce 2011: XIII

Jahr 1979 sowie 2007 abgebildet, um deren Entwicklung zu vernehmen. Das oberste Quintil vermochte ihren Anteil von 43% im Jahr 1979 auf 53% im Jahr 2007 ausbauen. Die obersten 1% der Haushalte schaften mehr als eine Verdoppelung ihres Anteils am Gesamteinkommen – von 8% im Jahr 1979 auf 17%

im Jahr 2007. Das unterste Quintil ist mit einem zweiprozentigen Rückgang konfrontiert, denn im Jahr 1979 konnte es 7% für sich beanspruchen und im Jahr 2007 nur mehr 5%. Bei den mittleren 3 Quintilen können wir ebenfalls einen Rückgang vernehmen, der zwischen 2 und 3% beträgt (vgl. Congressional Budget Ofce 2011: XIII).

Doch wollen wir noch eine weitere Grafk anstellen, um den Entwicklungspfad von 1979 bis 2011 besser zu verstehen:

Abbildung 7 weist einen Unterschied zu Abbildung 6 auf, den man nicht verschweigen darf. In Abbildung 7 zeigen wir die Ergebnisse einer neueren Studie des Congressional Budget Ofce auf und können somit mit den Daten von 1979 bis 2011 anstatt nur bis 2007 arbeiten. Dabei kann ausgemacht werden, wie hoch das Wachstum der Einkommen (infationsbereinigt) nach Steuern und Transferleistungen von 1979 bis 2011 in den unterschiedlichen Haushaltsquintilen ausgefallen ist. Um die Jahre 2008/09 zeigt sich ein Einbruch bei den Top 1% der Haushalte, der auf die Wirtschaftskrise zurückzuführen ist, jedoch sehen wir

Abbildung 7: Wachstum der Einkommen (infationsbereinigt) nach Steuern und Transferleistungen von 1979 bis 2011

Quelle: Congressional Budget Ofce (2014): 24

ebenfalls einen raschen Anstieg nach diesem Einbruch. Dennoch muss dieser Einbruch erwähnt werden, da bei älteren Prognosen wie wir sie bei Hacker und Pierson (2010) fnden, dies noch nicht berücksichtigt wird. Trotz dieses Einbruches bei den Top 1% der Haushalte vermochten sie das Einkommen von 1979 bis 2011 um 200% in die Höhe zu treiben. Im untersten Quintil betrug das Wachstum in diesem Zeitraum nur 48% und in den mittleren drei Quintilen (21-80%) betrug das Wachstum 40%. Im obersten Quintil ohne den Top 1% (81-99%) betrug das Wachstum von 1979 bis 2011 67% (vgl. Congressional Budget Ofce 2014: 23).

Anhand älterer Daten, die nur bis 2006 reichen, ergibt sich noch ein Wachstum von 256% für die oberen 1% der Haushalte (vgl. Hacker/Pierson 2010: 23). Dieser wirtschaftliche Einbruch, der sich vor allem in den Top 1% der Haushalte durch einen Rückgang der Kapitaleinkünfte bemerkbar gemacht hat, hat die Entwicklung nach oben und das Abhängen der unteren Schichten eingebremst. Jedoch zeigt sich auch mit diesem Einbruch eine ungleiche Entwicklung, die die unteren und mittleren Haushalte immer weiter ins Abseits rücken lässt (vgl. Congressional Budget Ofce 2013: 18).

Die Statistiken des Congressional Budget Ofce geben genau das wieder, was in den Ausgangsüberlegungen über die Mittelschicht vermutet wurde. Das größte Wachstum – und das bei Weitem - seit den späten 1970er Jahren vermochten die reichsten AmerikanerInnen für sich zu beanspruchen, was unweigerlich als Beispiel für eine „Trickle-up“ Ökonomie gesehen werden kann (vgl. Hacker/Pierson 2010:

24).

Nun wollen wir noch auf alternative sozioökonomische Variablen eingehen, die ebenfalls als wichtig in der Betrachtung der Mittelschicht angesehen werden können. Zuerst wollen wir dabei auf die soziale Mobilität eingehen, also wie schwer oder leicht es ist, einen gesellschaftlichen Aufstieg zu vollziehen. Denn eine extreme Einkommenskonzentration bei einer kleinen Schicht wäre nicht so problematisch, wenn es in dieser Schicht einen Wandel geben würde. Damit wollen wir sagen, dass zum Beispiel eine Mittelschichtfamilie im nächsten Jahr zu den reichsten Familien gezählt werden kann und umgekehrt. Doch diese soziale Mobilität, mit der sich die USA immer gerühmt haben, ist zum Mythos verkommen (vgl. Hacker/Pierson 2010: 28). Die Federal Reserve Bank of Boston hat eine interessante Studie bezüglich Entwicklung der Mobilität von 1967 bis 2004 herausgegeben. Und die beiden Autorinnen der Studie kommen zu folgendem Schluss:

„We fnd that U.S. family income mobility decreased during the 1967–2004 time span, according to a variety of measures. Most overall mobility measures fell, with mobility noticeably lower in the 1990s than in the 1970s.“

(Bradbury/ Katz 2009: 22)

Die Studie weist auf einen Rückgang in der sozialen Mobilität hin, das folglich zu einer Zementierung der gesellschaftlichen Schichten führt. Detailliertere Entwicklungen und Messverfahren können der Studie von Bradbury und Katz (2009) entnommen werden.

Jetzt wollen wir noch die Frage aufwerfen, wie es mit der Mobilität in den Top 1% der Haushalte aussieht? Dazu gib es eine aufschlussreiche Studie des „National Bureau of Economic Research“, deren AutorInnen Folgendes preisgeben:

„The fgure shows that, for top 1% earners in 2004, 38% belonged to the top 1%

10 years earlier (in 1994),about 36% belonged to P95-99 [...]“

(Kopczuk/ Saez/ Song 2007: 17)

Sie wollen damit sagen, dass von den Haushalten die 2004 zu den Top 1%

gehörten, rund 75% schon 1994 zu den Top 5% der Haushalte gezählt haben.

Dieses Ergebnis spricht Bände, weswegen sie ihre Arbeit auch mit „Uncovering the American Dream“ titulieren.

Ein anderer wichtiger Punkt, den wir in der Auseinandersetzung mit der Mittelschicht nicht übersehen dürfen, ist die Frage von Leistungen, die mit der Arbeit in Verbindung stehen. Hier lassen sich ebenfalls schwerwiegende Einschnitte erkennen. Zum Beispiel wird bei den „Employer-Sponsered Pensions“ ein Rückgang verzeichnet. Im Jahr 1979 waren noch 50,6% der ArbeiterInnen im Genuss dieser Leistung und im Jahr 2006 nur mehr 42,8% (vgl.

Mishel/Bernstein/Shierholz 2009: 150; Hacker/Pierson 2010: 30). Näher kann auf das Pensionssystem mit seinen unterschiedlichen Ausprägungen nicht eingegangen werden, es sollte nur eine bedenkliche Tendenz aufgezeigt werden. Für nähere Ausführungen sei auf die Publikation von Mishel/Bernstein/Shierholz (2009) verwiesen. Um sich ausgiebig mit der Entwicklung des Pensionssystems oder des Gesundheitssystems auseinanderzusetzen, würde es einer separaten Arbeit bedürfen, so vielschichtig ist dieses Thema. Wir wollen nur festhalten, dass soziale

Zugeständnisse an die Mittelschicht ins Hintertrefen geraten, und so eine prekäre Lage für die Mittelschichtfamilien heraufbeschworen wird.

Wir könnten jetzt noch weitere Beispiele aufzeigen, die die negative Entwicklung der Mittelschicht darlegen, doch sollte hier nur das Verständnis für dieses Problem geschafen werden, um sich danach vielmehr den Gründen dieser Entwicklung widmen zu können. Doch bevor es weitergeht, sei noch eine Frage aufgeworfen, die Hacker und Pierson stellen, und sich zu Beginn der Arbeit in ihrer Grundintention ebenfalls den Autor gestellt hat und zum Denken anregt:

„Democracy may not be good at a lot of things. But one thing it is supposed to be good at is responding to problems that afect broad majorities. How could events and trends like these evolve with so little response from democratically elected leaders?“ (Hacker/Pierson 2010: 33)