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Mehrheits- vs. Konsensusdemokratie

3. Demokratiepolitischer Wandel als Erklärungsversuch

3.3. Die Prädestination der Mehrheitsdemokratie?

3.3.2. Mehrheits- vs. Konsensusdemokratie

Da nun der Kern von Lijphart's Arbeit ofengelegt ist, wollen wir uns nun seine Ergebnisse bezüglich der unterschiedlichen Staatstätigkeit von Mehrheits- und Konsensusdemokratien zunutze machen, um unsere Bedenken betrefend des Systems zu verifzieren oder auch zu widerlegen. Lijphart stellte dabei fest, dass sich Mehrheits- und Konsensusdemokratien in vielen Bereichen unterscheiden, dabei fällt vor allem der Unterschied in der Sozialpolitik auf. Er gibt dabei zu verstehen, dass die Konsensusdemokratie die gütigere und freundlichere Form der Demokratie sei, und sie dem Wohlfahrtsstaat freundlicher gesinnt ist, als die Mehrheitsdemokratie (vgl. Lijphart 1999: 275). Dies würde für unsere Vermutung sprechen, doch müssen wir noch pointiert auf die wichtigsten Ergebnisse von Lijphart eingehen, um Rückschlüsse ziehen zu können.

In Lijphart's Untersuchungen an 36 demokratisch verfassten Staaten zeigen sich zwischen den zwei Typen von Demokratien statistisch relevante Unterschiede. Zum einem zeigt sich, was für uns jetzt nicht so von Bedeutung ist, aber für die Qualität der Demokratie spricht, dass der Anteil von Frauen im Parlament in Konsensusdemokratien durchschnittlich 6,7 Prozentpunkte höher ist, als in Mehrheitsdemokratien (vgl. Lijphart 1999: 280-281).

Ein viel wichtigerer Punkt ist die politische Gleichberechtigung. Jedoch ist

dieser theoretische Begrif nur schwer zu messen, weswegen Lijphart ökonomische Gleichheit betrachtet, denn politische Gleichheit fndet sich eher in der Abwesenheit von großer ökonomischer Ungleichheit. Auch hier zeigt er anhand des

„Rich-Poor Ratio“ oder des „Decile Ratio“, dass die Konsensusdemokratie egalitärer ist (vgl. Lijphart 1999: 282-283). Diese empirischen Analysen von Lijphart sprechen in erster Betrachtung für unsere Vermutung, dass das demokratische System die Entwicklung der Ungleichheit noch verstärken könnte.

Folgend wollen wir noch auf einen Punkt eingehen, der mit der politischen Gleichberechtigung Hand in Hand geht. Dabei sprechen wir von der Wahlbeteiligung, denn Wahlbeteiligung korreliert stark mit dem sozioökonomischen Status und ist somit indirekt ein Indikator für politische Gleichheit. Denn geringe Wahlbeteiligung steht für ungleiche Teilhabe am politischen Prozess und erzeugt dabei mehr Ungleichheit. Dabei zeigt sich wieder ein Ergebnis zugunsten der Konsensusdemokratie, da die Wahlbeteiligung durchschnittlich um 7,5 Prozentpunkte höher als in Mehrheitsdemokratien ist. Auf die Methodik der Berechnung kann hier nicht eingegangen werden, doch dabei sei auf Lijphart (1999) verwiesen (vgl. Lijphart 1999: 284-285).

Dieses Ergebnis schließt sich den Überlegungen bezüglich der Frage, warum die Republikanischen Partei immer wieder Wahlen gewinnt, an. Menschen mit niedrigeren sozioökonomischen Status bleiben der Wahl viel öfter fern als ihr vermögendes Pendant. Ein anderer wichtiger Punkt, der in diesem Zusammenhang auch Beachtung fnden sollte, ist die Frage der Zufriedenheit mit der Demokratie.

Auch hier zeigen sich wieder Unterschiede zugunsten der Konsensusdemokratie.

Anhand der Analyse von Meinungsumfragen fndet Lijphart heraus, dass BürgerInnen in Konsensusdemokratien zufriedener mit ihrem politischen System sind als solche von Mehrheitsdemokratien. Der Unterschied macht ungefähr 17 Prozentpunkte aus (vgl. Lijphart 1999: 286).

Lijphart hat noch weitere Indikatoren zur Messung der demokratischen Qualität, doch all seine Messungen sprechen für die Konsensusdemokratie, weswegen er selbstbewusst von der „kinder and gentler democracy“ spricht (vgl. Lijphart 1999: 294).

Für ihn manifestieren sich die gütigeren und freundlicheren Qualitäten der Konsensusdemokratien in vier Bereichen der Regierungsarbeit: Sozialpolitik, Umweltschutz, Strafrecht und Entwicklungshilfe. Für unsere Betrachtung ist vor

allem die Sozialpolitik von Gewicht. Lijphart zeigt dabei auf, dass Konsensusdemokratien sehr stark mit den Messungen von Esping-Andersen zur Dekommodifzierung korrelieren. Das heißt, dass Konsensusdemokratien stärker auf dekommodifzierende Elemente in ihrer Wohlfahrtspolitik setzen und so die ausgeprägteren Wohlfahrtsstaaten sind. Ein weiterer Punkt, der ebenfalls von Bedeutung ist, betrift die Sozialleistungsquote. Konsensusdemokratien geben durchschnittlich 5,3% mehr von ihrem Bruttoinlandsprodukt für Sozialleistungen als Mehrheitsdemokratien aus (vgl. Lijphart 1999: 294-295).

Wenn man sich die Ergebnisse Lijphart's vor Augen führt, dann ergibt sich ein niederschmetterndes Ergebnis für die Mehrheitsdemokratie bezüglich wohlfahrtsstaatlicher Leistungen im Vergleich zur Konsensusdemokratie. Lijphart geht noch weiter und zeigt auf, dass die Konsensusdemokratie auch in Hinblick auf Umweltschutz sowie Justiz, die „humanere“ Form der Demokratie sei (vgl. Lijphart 1999: 297-299). Dem kann aber jetzt keine Beachtung geschenkt werden, denn dies betrift die Thematik nur am Rande. Viel bedeutender sind die Ergebnisse, die darauf hindeuten, dass die Konsensusdemokratien die besseren Wohlfahrtsstaaten sind und so die Bedenken des Autors bezüglich des politischen Systems der USA nicht unberechtigt waren. Allerdings soll Lijphart's Behauptung von der Überlegenheit der Konsensusdemokratie über die Mehrheitsdemokratie noch kritisch beleuchtet werden, um etwaige Schwächen auszumachen.

Dass Lijphart einen wichtigen Beitrag zur Demokratieforschung geleistet hat, ist unbestritten, doch fndet seine Studie aus dem Jahr 1999 auch Kritik. Zumal muss angemerkt werden, dass Lijphart Gruppenunterschiede präsentiert und damit nicht auf gruppeninterne Gegensätze hinweist. Und manche Unterschiede zwischen den beiden Gruppen sind nur unerheblich klein. Weiter bleibt unbedacht, ob die divergenten Leistungen der Staaten überhaupt auf die Form der Demokratie zurückgehen (vgl. Schmidt 2008: 326-327). Denn hierbei gibt es sehr wohl die kulturellen Eigentümlichkeiten der Staaten, die unterschiedliche Institutionen entstehen lassen (vgl. Bormann 2010: 9).

Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt betrift die Politikresultate, denn die können nicht zwangsweise durch die Demokratiestruktur erklärt werden. Die Resultate b edürfen auch der Entscheidungen von Regierungen sowie von Parlamentsmehrheiten, um umgesetzt zu werden. In Lijphart's Studie wird verdeutlicht, dass die Konsensusdemokratien die besseren Wohlfahrtsstaaten sind,

doch lassen sich unter den Bedingungen von hohen wirtschaftlichen Entwicklungsniveau und der Beteiligung einer wohlfahrtsstaatsfreundlichen Partei an der Regierung auch in Mehrheitsdemokratien ähnliche Sozialpolitik, wie in Konsensusdemokratien fnden (vgl. Schmidt 2008: 328).

Weiter ist die Zusammensetzung der Gruppierungen zu hinterfragen, denn es werden in Lijphart's Studie arme und überaus reiche Demokratien zusammengeworfen. Dabei ist die Mehrheit der armen Demokratien der Mehrheitsdemokratie zurechenbar, die aus ihren wirtschaftlichen Leistungsproflen nur geringere Staatsleistungen aufweisen und somit die Leistung der Mehrheitsdemokratie ein wenig verzerren. Es wird auch kritisiert, dass Lijphart einen überaus wichtigen Bestandteil von Demokratien außen vor lässt: die Beteiligung der Bevölkerung an Wahlen sowie die Reichweite des Wahlrechts (vgl.

Schmidt 2008: 328-329).

Diese kritische Betrachtung wirkt ausufernd, doch soll gesagt sein, dass bei einer Typologisierung immer methodische Schwächen anzutrefen sind, denn eine Berücksichtigung aller relevanten Faktoren ist ein Ding der Unmöglichkeit. Diese Kritik fndet sich auch bei Esping-Andersen's überaus prominenter Typologie wieder und sie stellt trotzdem einen fruchtbaren Ansatz für die Forschung dar.

Ähnlich fruchtbar in Hinblick auf die Demokratieforschung kann Lijphart's Ansatz gesehen werden, der damit auch Ausgangspunkt vielschichtiger Forschung war (vgl.

Taagepera 2003: 86-87). Denn seine Forschungsarbeit vermochte, ohne die Schwächen in Abrede zustellen, durch eine innovative und gut nachprüfbare Analyse die Diferenzen von Mehrheits- und Konsensusdemokratie darzulegen.

Besonders originell an seiner Arbeit ist die Zusammenführung der Analyse mit der Empfehlung, welche Demokratieform in dieser und jener Situation die bessere sei (vgl. Schmidt 2008: 329).

Jetzt stehen wir noch vor der Frage, ob Lijphart's Studie unsere Fragestellung beantwortet hat. Auf den ersten Blick scheint die Sache für die USA klar zu sein, denn Lijphart gibt zu verstehen, dass Mehrheitsdemokratien weniger egalitär als Konsensusdemokratien seien, was die Situation in den USA widerspiegelt. Weiter kommt hinzu, dass die Mehrheitsdemokratien die schlechteren Wohlfahrtsstaaten gemessen an der Dekommodifzierung sowie an den prozentualen Ausgaben des Bruttoinlandsproduktes für Sozialleistungen sind (vgl. Lijphart 1999: 284-296).

Anhand dieser Kennzahlen können die USA als schlechter Wohlfahrtsstaat

deklariert werden, was wiederum Lijphart's These bekräftigt, doch stellen die Ergebnisse nur eine Tendenz da, die die Konsensusdemokratie in ein besseres Licht rückt, dabei wird aber der kulturelle Einfuss auf die politischen Institutionen der jeweiligen Staaten außer Acht gelassen (vgl. Bormann 2010). Oder wie kann die Konstellation in Frankreich erklärt werden? Eine Mehrheitsdemokratie, die sich keineswegs einen minimalistischen Wohlfahrtsstaat zu eigen machte. Doch vielmehr wiegt hier die Frage, die sich bei Lijphart nicht erschließt, warum die Mehrheitsdemokratien unter anderem die schlechteren Wohlfahrtsstaaten sind und eine höhere soziale Ungleichheit aufweisen? Weiter kommt zur Situation in den USA hinzu, dass in der Zeit, die wir als „Trente Glorieuses“ bezeichnen, die USA demselben Typus Demokratie zurechenbar war und die Einkommensungleichheit gering war und die New Deal Linie mit ihrer wohlfahrtsstaatlichen Prägung Common Sense war.

Für den Autor ergibt sich aus der Auseinandersetzung mit Lijphart der Schluss, dass es sehr schwierig für die USA zu beurteilen ist, ob die Mehrheitsdemokratie einen Beitrag zur aufgezeigten Entwicklung geleistet hat. Vielleicht wäre die eklatante Ungleichheit bescheidener, folgt man der aufgezeigten Tendenz von Lijphart, doch kann darüber nur spekuliert werden. Eine viel bedeutendere Erkenntnis, die wir daraus ziehen können, ist, dass in Bezug auf die Frage von sozialer Gleichheit und die Gestalt des Wohlfahrtsstaates, die Form der Demokratie nicht von großer Bedeutung ist, wenn sich politische und wirtschaftliche Eliten sowie die breite Bevölkerung auf einen Grundkonsens über gerechte Verteilung des ökonomischen Wachstums einigen können. Und genau diese Situation fanden wir in den USA vor, als PolitikerInnen beider Parteien unter dem Dach des New Deal Konsens Politik betrieben. Wenn der politische Wille zur gesellschaftlichen Teilhabe aller da ist und das Primat der Politik Geltung hat, dann ist die Form der Demokratie Nebensache. Jedoch scheint die Vorrangstellung der Politik zum Marionettenspiel der wirtschaftlichen Eliten verkommen zu sein, die das politische Etablissement in Washington durchdrungen haben. Darum scheint es viel wichtiger, sich innerhalb der Mehrheitsdemokratie dem Primat der Wirtschaft zu entsagen, denn erstens wird die USA ihre Tradition als Mehrheitsdemokratie nicht verlassen und zweitens haben wir mit dieser Form der Demokratie schon einen anderen Weg des gesellschaftlichen Zusammenlebens gesehen.