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Der Aufstieg und Fall der ArbeiterInnenschaft

3. Demokratiepolitischer Wandel als Erklärungsversuch

3.1. Organisation als Machtressource

3.1.1. Der Aufstieg und Fall der ArbeiterInnenschaft

Im folgenden Abschnitt wollen wir uns mit dem Bedeutungs- und Machtverlust der Gewerkschaften auseinandersetzen, also mit dem Verlust ihrer politischen Machtressource, die sie in der Zeit der Trente Glorieuses noch innehatten und so den ArbeiterInnen Geltung verschaften. Zuvor wollen wir aber noch kurz auf deren Aufstieg eingehen, um die Entwicklung besser nachvollziehen zu können.

Um zu verstehen, warum die ArbeiterInnenschaft in den USA in den Nachkriegsjahren solche Bedeutung erlangte, darf die Betrachtung der sogenannten

„Großen Kompression“ nicht fehlen. Diese Begrifichkeit wurde von den ÖkonomInnen Goldin und Margo geprägt und folgend defniert:

„The Great Compression – our term for narrowing of the wage structure in the 1940's – followed the Great Depression of the 1930's and produced a wage structure more equal than that experienced since.“ (Goldin/ Margo 1991: 1)

Paul Krugman sieht auch eine aktive politische Gestaltung hinter der Großen Kompression, wenn er sagt:

„The middle-class society I grew up in didn’t evolve gradually or automatically. It was created, in a remarkably short period of time, by FDR and the New Deal. As the chart shows, income inequality declined drastically from the late 1930s to the mid 1940s, with the rich losing ground while working Americans saw unprecedented gains.

Economic historians call what happened the Great Compression, and it’s a seminal episode in American history.“ (Krugman 2007: online)

Dies spiegelt akkurat die empirischen Analysen von Piketty wider, mit denen wir uns schon ausgiebig auseinandergesetzt haben. Unter dieser großen Kompression versteht man vereinfacht gesagt die Schmälerung der Ungleichheit, von der die ArbeiterInnen überaus proftierten.

Weiter muss auf die große Bedeutung der manuellen Arbeit von der Mitte der 1940er Jahre bis zur Mitte der 1970er Jahre hingewiesen werden. Ende der 1950er Jahre verdiente ein/e ArbeiterIn mit Highschool-Abschluss infationsbereinigt ähnlich so viel wie heute. Ebenso war die Stellung der ArbeiterInnen viel höher als heute, denn die mit sehr guten Stellen vermochten oftmals ähnlich viel zu verdienen wie Fachleute mit College-Abschluss (vgl. Krugman 2008: 57). Das war auch die Zeit vom „American Dream“, von dem immer wieder geschwärmt wird und mit bodenständiger Arbeit noch etwas erreicht werden konnte und der Glaube an den Aufstieg noch lebendig war.

Es könnten jetzt vielerlei Gründe angeführt werden, warum die ArbeiterInnenschaft solchen Aufschwung nahm, wie zum Beispiel, dass die amerikanische Industrie zu dieser Zeit keine ernst zu nehmende Konkurrenz hatte und so hohe Löhne zahlen konnte. Doch will man einen bedeutenden Grund nennen, so muss die aufkommende Geltung der Gewerkschaften ins Feld geführt werden. Ende der 1920er Jahre waren die Gewerkschaften in den USA von geringer Bedeutung, die Regierung ging sogar rigoros gegen deren Tätigkeiten vor. Jedoch änderte sich das mit dem New Deal und die Gewerkschaften mochten ihre MitgliederInnenzahl erheblich nach oben schrauben. Am Ende des Zweiten Weltkrieges waren über ein Drittel der ArbeiterInnen außerhalb der Landwirtschaft in einer Gewerkschaft (vgl. Krugman 2008: 58). Das war der Beginn einer Epoche,

wo Wachstum in Gleichschritt möglich war.

Der Ökonom Krugman sieht den Aufstieg der Gewerkschaften als Ergebnis der New Deal Politik von Franklin D. Roosevelt an, der mit den „Fair Labor Relations Act“ im Jahr 1935 die Gewerkschaften als wichtigen Bestandteil der Gesellschaft verlautbarte, jedoch gibt es noch eine zweite Erklärung, die staatliches Handeln nicht als bedeutend erachtet. Die gibt zu verstehen, dass durch die Wirtschaftskrise vielen ArbeiterInnen der Lohn gekürzt wurde und sie folgend aus Empörung den Gewerkschaften beigetreten sind. Schließlich wurde das Ganze zu einem sich selbstverstärkenden Prozess, indem bereits organisierte ArbeiternehmerInnen die neu formierten ArbeiterInnen unterstützen. Allerdings sind beide Erklärungssätze nicht von großem Unterschied, denn die selbigen Faktoren, die der ArbeiterInnenschaft zum Aufstieg verhalfen, gaben auch den New Deal die nötige politische Durchschlagskraft (vgl. Krugman 2008: 59-60).

Es ist gar nicht so bedeutsam, ob nun die New Deal Politik von Roosevelt die Gewerkschaften zu Stärke verhalf, oder ob das ohne staatliches Handeln passierte, denn eines zeigt sich auf jeden Fall: Gewerkschaften werden auf einmal als wichtiger Bestandteil einer Demokratie angesehen (vgl. Krugman 2009: 51).

Selbstverständlich kann eine New Deal Politik sowie eine starke Gewerkschaft nicht allein für diese Große Kompression verantwortlich gemacht werden, denn es müssen die Umstände der großen Kriege mitbedacht werden, doch spielt sehr wohl das politische Momentum eine wichtige Rolle, denn wir erlebten ungefähr 30 Jahre Wachstum in Gleichschritt.

Keine andere Organisation vertrat Mitte der 1950er Jahre die Anliegen der Mittelschicht und der ArbeiterInnen besser als die Gewerkschaften. Sie waren in allen wichtigen ökonomischen Weichenstellungen involviert, um die sozialen Sicherungssysteme auszuweiten (vgl. Hacker/Pierson 2010: 139). Der ehemalige Abgeordnete und Demokrat Richard Bolling, der ein wichtiger Befürworter des Civil Rights Act von 1964 war, sagt sogar, dass ohne die Macht der Gewerkschaften dieses Bürgerrechtsgesetz gegen die Diskriminierung von AfroamerikanerInnen niemals durchgebracht worden wäre (vgl. Dark 2001: 57).

Die Gewerkschaften waren vom politischen Prozess nicht mehr wegzudenken und konnten durch steigende MitgliederInnenzahl die Interessen der ArbeiterInnen selbstbewusst vertreten. Es wurden große Dachorganisationen wie die „American Federation of Labor and the Congress of Industrial Organizations“ im

Jahr 1955 gegründet. Das Besondere an dieser Zeit war aber, dass sich nicht nur Demokraten wie Roosevelt für die Gewerkschaften starkmachten, sondern auch der spätere republikanische Präsident Eisenhower sich für das Recht aussprach, in Gewerkschaften eintreten zu dürfen. Er weitete 1954 sogar die sozialen Sicherungssysteme trotz heftiger Kritik aus der Wirtschaft aus (vgl.

Hacker/Pierson 2010: 140).

Vergegenwärtigt man sich die heutige politische Praxis in den USA, wo sich RepublikanerInnen und DemokratInnen in vielen Belangen diametral gegenüberstehen und der Glaube an den Markt omnipräsent ist, so mag man es kaum glauben, dass ein republikanischer Präsident sich für die Belange der Gewerkschaften und gegen die wirtschaftlichen Eliten entschied. Dies spricht ohne Zweifel für einen Wandel der politischen Kultur in den USA.

Wie schon erwähnt, leisteten die Gewerkschaften nicht nur Arbeit bezüglich sozialer Sicherung, sondern brachten viele ArbeiterInnen erstmals dazu, sich ernsthaft mit Politik auseinanderzusetzen und verhalfen den Arbeitenden so zu mehr politischer Refexionsfähigkeit. Dieser neue Zulauf machte sich auch in Spenden sichtbar, denn von 1936 bis 1968 konnten die Gewerkschaften ihre Spenden von 2 auf 7 Millionen (infationsbereinigt) Dollar ausweiten. Dabei war die wirkliche Stärke, die von den Gewerkschaften ausging, die große MitgliederInnenzahl, die ein starkes Mittel hinsichtlich der Mobilisierung von WählerInnenstimmen darstellte (vgl. Hacker/Pierson 2010: 140-141).

Wie sich zeigt, waren die Gewerkschaften ein wichtiger Bestandteil der Demokratie à la Trente Glorieuses, und somit ein wichtiger Baustein für Wachstum in Gleichschritt. Doch wollen wir uns jetzt der Frage stellen, wie diese Machtstellung verloren gegangen ist.

Die Gewerkschaften vermochten in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg eine/n von drei ArbeiterInnen für eine Mitgliedschaft gewinnen, heute ist es nur mehr eine/r aus neun. Dieser Rückgang an MitgliederInnen betrift vor allem den Privatsektor in den USA (vgl. Hacker/Pierson 2010: 56). Auch das Wall Street Journal schrieb im Jahr 2010 dazu einen Artikel, wo sie darlegen, dass die Gewerkschaften des Privatsektors im Jahr 2009 834.000 MitgliederInnen verloren hätten (vgl. Maher 2010: online).

Dies führt dazu, dass die Arbeitenden, wo sich gewerkschaftliche Strukturen zurückbilden, weniger verdienen, vor allem bei Arbeitenden, die geringer

qualifziert sind. Dies wird vor allem deutlich, wenn man die Situation mit dem öfentlichen Sektor vergleicht, wo die Gewerkschaften noch viel stärker sind (vgl.

Hacker/Pierson 2010: 57). Der Ökonom David Card schließt aus seinen Untersuchungen zu diesem Thema Folgendes:

For men, the diferences in trends in union membership between the public and the private sectors can explan 50-80% of the slower growth of wage inequality in the public sector than in the privat sector. (Card 2001: 313)

Wie jedoch schon mehrfach erwähnt wurde, tragen Gewerkschaften nicht nur der Erkämpfung höherer Löhne bei, sondern sind auch ein überaus wichtiges Gegengewicht zu den Wirtschaftseliten. Sie vertreten ebenfalls die Interessen der Mittelschicht gegenüber den politischen Eliten. Auch wenn sie enorm an ihrer Macht verloren haben, sind sie noch eine der wenigen Organisationen, die eine Kontrollfunktion gegenüber den riesigen Konzernen ausüben (vgl. Hacker/Pierson 2010: 57). Es gibt eine Forschungsarbeit von Bradley et al. (2003) die ganz klar verdeutlicht, dass in Ländern mit schwachen gewerkschaftlichen Strukturen die Ungleichheit stärker ist und dazu siehe folgendes Zitat:

„[…] the Christian democratic welfare states have slightly more egalitarian efects than liberal welfare states, our analysis shows that this is the case because they spend more and they have stronger unions or longer periods of left government, and not because of Christian democratic governance.“

(Bradley et al. 2003: 226)

Die Bedeutung der Gewerkschaften ist unübersehbar, und wie man anhand der empirischen Arbeiten vernehmen kann, auch gut erforscht, doch wie es scheint, nehmen sich die politischen Eliten diesem Problem nicht an. Vielfach wird behauptet, man könnte gegen diesen Rückgang an gewerkschaftlichen Strukturen nichts machen, denn das sei alles auf ökonomische Veränderungen zurückzuführen, die der Globalisierung geschuldet wären. Viele politische EntscheidungsträgerInnen geben sich einer fatalistischen Argumentation hin, und wollen so das Problem gelöst sehen. Aber das kann als Antwort nicht ernst genommen werden, denn in anderen westlichen Industriestaaten wurde ein viel geringerer Rückgang bei den

MitgliederInnen verzeichnet, wie zum Beispiel in Kanada wo die ArbeiterInnen eine sehr ähnliche Einstellung zu Gewerkschaften haben (vgl. Hacker/Pierson 2010: 58).

In der Tat hat sich durch den globalen Kapitalismus das Konkurrenzverhältnis verschärft und unter der Herrschaft des freien Marktes hat sich der methodische Individualismus breitgemacht, doch sich nun einer fatalistischen Argumentation zu ergeben wäre falsch, denn andere Länder verzeichnen nur einen gemächlichen Rückgang der gewerkschaftlichen MitgliederInnen.

Wenn nun aber die veränderten ökonomischen Verhältnisse am Schwinden der gewerkschaftlichen Strukturen in den USA nur wenig zur Erklärung beitragen, dann stellt sich die Frage, ob nicht einfach das Interesse der Arbeitenden fehlt, einer Gewerkschaft beizutreten (vgl. Hacker/Pierson 2010: 58)? Der Ökonom Richard B. Freeman untersucht in seinem Werk „America Works“ unter anderem diese Frage und stellte fest, dass der Wunsch von ArbeitnehmerInnen im Privatsektor, die nicht MitgliederInnen von Gewerkschaften sind, nach gewerkschaftlicher Vertretung gestiegen ist. Im Jahr 1984 wollten nur um die 30%

der Arbeitenden im Privatsektor von einer Gewerkschaft vertreten werden und im Jahr 2005 über 50%. Dabei zeigt Freeman auch auf, dass der Wunsch nach gewerkschaftlicher Vertretung mit der Unzufriedenheit am Arbeitsplatz steigt, was auf die steigende Ohnmacht gegenüber dem Management hinweist (vgl. Freeman 2008: 83-85). Das fehlende Interesse an den Gewerkschaften kann also nicht das Problem sein, denn den ArbeiterInnen im Privatsektor ist sehr wohl bewusst, dass sie in einer starken Organisation bessere Arbeitsbedingungen erwarten dürfen.

Die Schuld am Niedergang der Gewerkschaften wird manchmal auch bei den Gewerkschaften in ihrer Selbstzufriedenheit vergangener Jahre ausgemacht, doch muss erwähnt werden, dass sie 1978 mit dem „Labor Law Reform Act“ die Rechte der ArbeitnehmerInnen noch einmal stärken wollten. Den genauen Inhalt dieser Reform siehe gov.tracks.us (o.J.). Aber es zeichnete sich eine Kehrtwende ab, denn die ArbeitgeberInnen organisierten sich aufgrund dieser Gesetzesreform großfächig, was seit Jahrzehnten nicht mehr der Fall war, und vermochten damit RepublikanerInnen und konservative DemokratInnen aus dem Süden für ihre Sache gewinnen. Das kuriose an dieser Sache ist, dass die Reform durch das Repräsentantenhaus verabschiedet wurde und auch im Senat die Mehrheit erlangte, doch vermochten die GegnerInnen mit dem sogenannten „flibuster“ die Reform aufzuhalten (vgl. Hacker/Pierson 2010: 58). Darunter versteht man ein

„Dauerreden“ eines einzigen Senators oder Senatorin, um den Geschäftsbetrieb aufzuhalten, solange ihm oder ihr nicht von einer qualifzierten Dreifünftelmehrheit (60 SenatorInnen) der Mund verboten wird (vgl. Braml 2013: 13).

Dies kann als Schlag ins Gesicht der Gewerkschaften gedeutet werden und als Bruch des Miteinanders verzeichnet werden, sowie als Sieg der Unternehmen gegenüber den Gewerkschaften. Die ArbeitgeberInnen legten von nun an eine härtere Linie gegenüber den ArbeitnehmerInnen ein. Und als dann noch Reagan an die Macht kam und den breit diskutierten Streik der Flugsicherung brach, waren die Gewerkschaften in ihrer Macht gebrochen (vgl. Hacker/Pierson 2010: 58-59).

Die Ökonomen Levy und Temin fnden dazu folgende Worte:

„The fring of the air trafc controllers, combined with the 1978 defeat of labor law reform where signals that that the third man–government–was leaving the ring. From that point on, business and would fght over rewards in free market with most workers in an increasingly weak position.“ (Levy/Temin 2007: 34)

Somit war das Ungleichgewicht zwischen Unternehmen und Gewerkschaften besiegelt und die UnternehmerInnen bekamen in Washington die Oberhand und fühlten sich in ihrer Propaganda des freien Marktes bestärkt.

In Folge schossen die gemeldeten Verstöße gegen den „National Labor Relations Act“, der unter anderem die Rechte zur Bildung von Gewerkschaften und des Streiks festlegt, in die Höhe. Jedoch gelang es Reagan das „National Labor Relations Board“ zugunsten des Unternehmertums zu bestücken. Schlussendlich ging die Zahl der Streiks nach unten, was die verzweifelte Lage der Gewerkschaften widerspiegelte. Der Niedergang der Gewerkschaften kann auch bei den „National Labor Relations Board“ Wahlen zur Gründung von Gewerkschaften ausgemacht werden, denn seit Mitte der 1980er Jahre können verstärkt Bestrebungen bezüglich Verhinderung von Gewerkschaftsgründungen festgestellt werden (vgl.

Hacker/Pierson 2010: 59).

Kate Bronfenbrenner, die in den USA eine ausgewiesene Expertin bezüglich Gewerkschaften ist, sagt zur Entwicklung Folgendes: „Our labor law system is broken.“ (Bronfenbrenner 2009: 24) Sie nennt auch die Taktiken, denen sich die ArbeitgeberInnen bedienen, um die ArbeiternehmerInnen von der Gründung und Beitritt zu Gewerkschaften abzuhalten. Den ArbeiterInnen wird unter anderem mit

Gehaltskürzungen gedroht und vielfach werden ArbeiterInnen entlassen, die gewerkschaftlich engagiert sind oder es wird von Vorgesetzten in intimen Gesprächen Druck ausgeübt (vgl. Bronfenbrenner 2009: 25).

Ein weiteres Problem mit denen die Gewerkschaften konfrontiert wurden, hängt mit deren geografscher und gewerblicher Verbreitung zusammen. So gab es in gewissen Regionen und Branchen eine überaus starke gewerkschaftliche Organisation sowie Branchen, in denen die Gewerkschaften nur minimalistisch vertreten waren. So war es für die wirtschaftliche Elite ein leichtes Spiel, die einzelnen Branchen gegeneinander auszuspielen (vgl. Hacker/Pierson 2010: 60).

Es war ein kontinuierlicher Prozess der Zerstörung gewerkschaftlicher Strukturen, dem die Regierung nichts zu entgegensetzen hatte. 30 Jahre zuvor waren sich die politischen Eliten parteienübergreifend einig, dass Gewerkschaften ein wichtiger Bestandteil einer Demokratie sind und heute ist es nicht mehr als eine Schwärmerei vergangener Zeiten. Dabei lässt sich getrost die Frage stellen, ob man in den USA überhaupt noch von einer Demokratie sprechen kann?

Der demokratische Wandel zeigt sich an der Situation der Gewerkschaften einwandfrei und vermittelt uns, wer in den USA heute waltet und schaltet. Der altbekannte Slogan „one person, one vote“ verkommt bei dieser Betrachtung zu einer leeren Worthülse. Dabei kann man sich nur den zitierten Ökonomen Levy und Temin anschließen, die es genau auf den Punkt bringen, wenn sie sagen, die Regierung sei aus dem Ring. Vielleicht haben der Turbokapitalismus und der gepredigte Individualismus die politischen EntscheidungsträgerInnen zu abgestumpften Wesen verkommen lassen, denn wie will man sich sonst deren Untätigkeit erklären?

Um die besonders missliche Lage der Gewerkschaften in den USA noch zu verdeutlichen, wollen wir noch einmal auf den Vergleich mit Kanada eingehen und dazu folgende Abbildung zeigen:

Abbildung 10 zeigt die Entwicklung des Anteils von ArbeiterInnen (ohne Landwirtschaft) in Gewerkschaften in den USA und Kanada auf (vgl. Ridell 1993:

110). Anhand dieser Abbildung kann man den Niedergang der Gewerkschaften in den USA trefich sehen. Doch was macht den Unterschied zwischen den beiden Ländern aus? Der Ökonom Ridell ging dieser Frage auf die Spur und fand heraus, dass es nur sehr wenig mit den strukturellen Unterschieden zu tun hat oder dass es einen erheblichen Unterschied im Wunsch zum Beitritt einer Gewerkschaft geben würde. Viel bedeutender ist die geringere Wahrscheinlichkeit in den USA einer Gewerkschaft beitreten zu können, wenn die Arbeitenden es möchten. Das kanadische Gesetz macht es den Gewerkschaften und ArbeiterInnen einfacher, sich zu organisieren. Kanada betreibt einfach eine gewerkschaftsfreundlichere Politik.

Und in den USA gibt es von politischer Seite kein vehementes Vorgehen gegen die aggressive Antigewerkschaftsbewegung (vgl. Hacker/Pierson 2010: 60).

An dieser Gegenüberstellung kann man ganz klar sehen, was eine aktive Politik möglich macht, und es damit umso wichtiger erscheint, diese einzufordern, will man die Errungenschaft einer Mittelschichtdemokratie nicht aufs Spiel setzen. Soll der steigenden Ungleichheit in den USA etwas entgegengesetzt werden, so braucht es

Abbildung 10: Anteil der ArbeiterInnen in Gewerkschaften in den USA und Kanada, 1920-1990

Quelle: Fig. 4.1 in Ridell 1993

wieder eine starke Stimme der unteren und mittleren Schichten, um den Einfuss der wirtschaftlichen Eliten zu bremsen, doch dazu bedarf es wieder einer Regierung, die ihren BürgerInnen Rechenschaft leistet und sich wieder auf den Leitsatz „one person, one vote“ besinnt.

3.1.2. „Business an die Macht!“

In der Auseinandersetzung um den Niedergang der Gewerkschaften darf konsequenterweise die Entwicklung derer GegenspielerInnen nicht außer Acht gelassen werden. Denn die verstärkt aufkommende Organisiertheit der Unternehmen und deren steigende Einfussnahme in Washington hängen mit dem Angrif auf die Gewerkschaften unübersehbar zusammen. Dieses Ungleichgewicht an Machtressourcen führt schlussendlich zu steigender Ungleichheit. Das macht auch den großen Unterschied zur Demokratie der Nachkriegsjahre aus, in denen Gegenübertreten auf Augenhöhe von Unternehmen und Gewerkschaften charakteristisch war. Es war ein System von „Checks and Balances“ und schafte so ökonomische Zugewinne für beide Seiten. Deswegen bedarf es auch der Betrachtung beider Seiten, um den Niedergang der Gewerkschaften systematisch zu verstehen.

Bei dieser Auseinandersetzung stellt sich sofort die Frage, warum sich das UnternehmerInnentum dazu entschlossen hat, eine härtere Gangart gegenüber den Gewerkschaften einzulegen? Es ist schwierig, den Ausgangspunkt eines Wandels festzumachen, doch kann gesagt werden, dass die 1960er und die frühen 1970er Jahre keine sehr „erfreulichen“ Jahre für die UnternehmerInnen waren, denn Washington regulierte deren Tätigkeit vielfach zugunsten der ArbeitnehmerInnen (vgl. Hacker/Pierson 2010: 117).

Es war also noch eine Zeit, wo die Regierung noch im Ring war und nicht den wirtschaftlichen Eliten das Sagen überlies. Und es wurde wirtschaftliches Wachstum für eine breite Bevölkerungsschicht ermöglicht.

Doch schön langsam regte sich Widerstand und 1971 forderte der designierte Richter des Höchstgerichtes Lewis Powell ein rasches Umdenken der UnternehmerInnen ein. Dabei ist sein Schriftstück: „Confdential Memorandum: Attack on the Free Enterprise System“ zu nennen, indem er vor der Gefahr der Linken in den USA warnt. (vgl. Hacker/Pierson 2010: 117). Er spricht von den gefährlichen Lehren an den Universitäten, die vom Marxismus

beeinfusst würden, und Gegenmaßnahmen bedürfen. Dabei tritt er auch vehement für einen Gegenangrif der UnternehmerInnen ein und sagt Folgendes:

„Strength lies in organization, in careful long-range planning and implementation, in consistency of action over an indefnite periods of years, in the scale of fnancing available only trough joint efort, and in the political power available only through united action and national organizations.“

(Powell 1971: o.S.)

Powell war beileibe nicht der Einzige, der sich für eine Neuausrichtung der Unternehmensstrategien starkmachte, doch steht er metaphorisch für diese aufkommende Bewegung. Ehe sich diese Rebellion anbahnte, waren die Bemühungen der UnternehmerInnen um eine gezielte politische Landnahme in Washington nur sehr gering. Powell schrieb seine Auforderung zum Gegenangrif auf die linke „Übermacht“ im Jahr 1971, und im Jahr darauf landete Nixon bei der Präsidentschaftswahl einen fulminanten Sieg, der aber noch keine bedeutenden Veränderungen mit sich brachte. Es kam für die Konservativen noch schlimmer, denn Nixon legte wegen den Watergate Skandal sein Amt nieder und die DemokratInnen feierten im Jahr 1974 einen Sieg bei der Präsidentschaftswahl. Dies

Powell war beileibe nicht der Einzige, der sich für eine Neuausrichtung der Unternehmensstrategien starkmachte, doch steht er metaphorisch für diese aufkommende Bewegung. Ehe sich diese Rebellion anbahnte, waren die Bemühungen der UnternehmerInnen um eine gezielte politische Landnahme in Washington nur sehr gering. Powell schrieb seine Auforderung zum Gegenangrif auf die linke „Übermacht“ im Jahr 1971, und im Jahr darauf landete Nixon bei der Präsidentschaftswahl einen fulminanten Sieg, der aber noch keine bedeutenden Veränderungen mit sich brachte. Es kam für die Konservativen noch schlimmer, denn Nixon legte wegen den Watergate Skandal sein Amt nieder und die DemokratInnen feierten im Jahr 1974 einen Sieg bei der Präsidentschaftswahl. Dies