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Struktur, Aufbau und Grundanliegen des Johannesevangeliums und seines Prologs

Im Dokument Sieben Positionen zum Logos (Seite 31-34)

2.1 Die Besonderheit des vierten Evangeliums4

Das Johannesevangelium hebt sich von den synoptischen Evangelien durch sei-nen anspruchsvollen Stil, seine charakteristische Bildwelt und seine theologische Dichte ab. Es wird vielfach als „geistliches Evangelium“ gesehen, das Jesus als den zeigt, der den Vater offenbart und der den Menschen das Heil bringt. Wie der Vater und der Sohn eins sind (vgl. Joh 17,22), so will Jesus auch „die Menschen in diese göttliche Einheit hineinnehmen“5 (vgl. Joh 15 und Joh 17). Es erzählt das Jesusgeschehen als eine lebendige Glaubensgeschichte, die das wahre Leben schenkt und die zum Handeln aus dem Glauben ermuntert.

Es gliedert sich im Wesentlichen in zwei Teile: Der erste beschreibt die Selbstof-fenbarung Jesu vor der Welt bzw. sein öffentliches Wirken (1, 19 – 12,50); im zweiten folgt dann die Selbstoffenbarung Jesu vor seinen Jüngern (13,1 – 20,29). Umrahmt wird dieser Textcorpus vom einleitenden Prolog (1,1–18) und vom abschließenden Epilog (20,30f.) bzw. einem Nachtrag (21,1f.).

Es kann davon ausgegangen werden, dass das Johannesevangelium nicht von einem einzelnen Verfasser stammt, sondern „wohl von einer größeren Gruppe…, in der Schule und unter der Autorität des Jüngers, der von Jesus geliebt wurde (Joh 13, 23; 19, 26; 20, 2). Die älteste Tradition sieht in diesem geliebten Jünger den Zebedäussohn Johannes. Das Evangelium nennt den Namen des Verfassers nicht, beruft sich aber auf das Zeugnis des von Jesus geliebten Jüngers.“6 So sind im Johannesevangelium verschiedene frühchristliche Traditionen ineinander verwoben, die das Leben und Wirken Jesu bedacht und in ihrer Bedeutung für den Glauben der johanneischen Gemeinde und des Einzelnen reflektiert haben.

4 Vgl. dazu Egger, Wilhelm: Kleine Bibelkunde zum Neuen Testament, Innsbruck (Tyrolia) 1978, bes. 55ff.

5 Ebd., 57.

6 Ebd., 59.

Johannes ist die griechische Form des hebräischen Namens Jo(c)hanan und bedeutet:

Jahwe hat Gnade erwiesen.

Johannes (dessen Fest die Kirche am 27. Dezember feiert) gehörte ursprünglich zu den Jün-gern von Johannes dem Täufer. Jesus berief ihn und seinen Bruder Jakobus (den Älteren) in den Kreis der Apostel. Die beiden Söhne des Zebedäus waren Fischer in Betsaida.

2.2 Der Johannesprolog als Schlüsseltext

Zunächst sei darauf hingewiesen, dass das gesamte erste Kapitel als Evangeli-umseröffnung konzipiert ist. Der eigentliche Prolog (1,1–18) und die anschlie-ßenden Eröffnungserzählungen (1,19–51) führen zum großen Geheimnis der Menschwerdung Gottes in Jesus hin. Im Prolog geht es um die entscheidende Frage, wer dieser Jesus ist. „Leitender Gesichtspunkt für die Gestaltung ist die Christologie, wie sich vor allem an der Reichhaltigkeit der hier verwendeten Chri-stustitel zeigt. … Dieser Text am Beginn des Johannesevangeliums ist umstrittten bezüglich seiner Funktion und Entstehung: Ist er die Keimzelle, aus der heraus sich die Christologie des Johannes entwickelt hat – oder gehört er an das Ende der johanneischen Überlieferungsgeschichte (z. B. als eine Art Leseanweisung), oder mit anderen Worten gefragt: Ist der Prolog Kommentar zum Evangelium oder das Evangelium Kommentar zum Prolog? Die heutige Forschung beantwortet diese Frage überwiegend damit, dass der Prolog als ´ältester Kommentar überhaupt´

zum Evangelium angesehen wird.“7 In diesem Sinn kann der Prolog wohl als Schlüsseltext für ein tieferes Verständnis der Frohen Botschaft gewertet werden:

Er ist wie eine Kennmelodie, die in den Refrain mündet, dass der Logos „Fleisch“

bzw. Mensch geworden ist.

Im einleitenden Prolog wird das Mysterium der Menschwerdung mit unter-schiedlichen Akzentsetzungen umschrieben. Von der Struktur des Textes her steht am Beginn die Präexistenz des Logos (1,1–5); dann werden das Kommen des Logos zu den Menschen (1,6–13) sowie die Inkarnation und deren Heilsbe-deutung für die Menschen (1,14–16.18) zur Sprache gebracht. Der Prolog gipfelt in der Kernaussage: Jesus allein kann verlässliche Kunde vom Vater bringen (1,18).

Seinen verschiedenen frühchristlichen Traditionsschichten entsprechend hat das Johannesevangelium „nicht nur einen doppelten Schluss (Joh 20,30f.; 21,24f.), sondern auch einen doppelten Anfang. Im Eröffnungskapitel, dem sogenannten

´Prolog´ (Joh 1,1–18), wird das daran sichtbar, dass ein Lied und der Anfang einer Erzählung ineinandergeschoben sind:

• Das Lied handelt vom Wort (griech. logos), das zu Beginn als ´Gott´ qualifiziert (V. 1) und am Ende mit Jesus Christus identifiziert wird (V. 17).

• Die Erzählung wird mit der typischen Einleitungsfloskel ´es war einmal´ eröffnet (V. 6). Sie beginnt – wie das Markusevangelium (Mk 1,4) – mit dem Auftreten Jo-7 Ernst, Michael: Art.: Johannesprolog, in: Herders Neues Bibellexikon, hg. von Franz Kogler,

Freiburg i.Br. (Herder) 2008, 386.

hannes´ des Täufers. Matthäus und Lukas sind bekanntlich hinter diesen Anfang zurückgegangen, indem sie als Erstes von der Geburt Jesu – und Lukas auch von der des Johannes – berichten (Mt 1–2; Lk 1–2). Das Johannesevangelium geht noch weiter zurück: Es verknüpft die Täufererzählung mit dem Logos-Lied und verlegt so den Beginn der Geschichte Jesu in seinen Anfang bei Gott, also vor aller Schöpfung.“8

Die Synoptiker Matthäus und Lukas beginnen also ihr Evangelium mit der Geburt bzw. mit der Kindheitsgeschichte Jesu; Markus setzt bei Johannes dem Täufer bzw. beim öffentlichen Auftreten Jesu an. Demgegenüber geht Johannes auf die allerersten Anfänge zurück und stellt einen Hymnus über das Geheimnis der Menschwerdung Gottes in Jesus an den Beginn seines Evangeliums.

Er reflektiert zunächst den Logos als das menschgewordene Wort Gottes; dann erst folgen die Erzählung des Lebens Jesu bzw. der Beginn seines Wirkens. „Der Evangelist Johannes, der die Frage nach dem Woher Jesu immer wieder anklingen lässt, hat seinem Evangelium keinen Stammbaum vorausgeschickt, aber im Prolog seines Evangeliums nachdrücklich und großartig die Antwort auf die Frage des

´Woher´ dargestellt. Zugleich hat er diese Antwort auf die Frage nach dem Woher Jesu zu einer Definition der christlichen Existenz ausgeweitet, ausgehend vom Woher Jesu die Identität der Seinigen aufgezeigt.

´Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort

… Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gezeltet´ (1,1–14) Der Mensch Jesus ist das Zelten des Wortes, des ewigen göttlichen Logos in dieser Welt. Das ´Fleisch´ Jesu, seine menschliche Existenz, ist das ´Zelt´ des Wortes: Die Anspielung auf das heilige Zelt des wandernden Israel ist unverkennbar. Jesus ist sozusagen das Zelt der Begegnung – ganz real das, wofür das Zelt und der spätere Tempel nur als Zeichen stehen konnten. Jesu Ursprung, sein ´Woher´, ist der ´Anfang´ selbst – der Urgrund, aus dem alles kommt; das ´Licht´, das die Welt zum Kosmos macht. Er kommt von Gott. Er ist Gott. Dieser zu uns gekommene Anfang eröffnet – als Anfang – eine neue Weise des Menschseins.“9

Im Prolog fällt – wie im gesamten Johannesevangelium – ein dualistisches Den-ken auf, das sich in markanten Gegensätzen zeigt: Licht – Finsternis; „geboren aus dem Willen des Fleisches“ – „geboren aus Gott“; Gesetz – Gnade und Wahrheit.10 8 Eisele, Wilfried: „Im Anfang war das Wort“. Der Prolog zum Johannesevangelium (Joh

1,1–18), in: Bibel heute 47 (2011), H. 3, 7–9, hier: 7.

9 Ratzinger, Joseph – Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Prolog. Die Kindheitsgeschichten, Freiburg i.Br. (Herder) 2012, 21f.

10 Vgl. Bauer, Dieter: Ein Evangelium für „neue Menschen“. Einführung in das Johannesevange-lium, in: Bibel heute 47 (2011), H. 3, 4–6, bes. 5.

Diese angezeigten Gegenpole zielen auf die Entscheidung der johanneischen Gemeinde für oder gegen den Logos und die durch ihn vermittelte neue Weise des Menschseins.

3. Wirkmächtige Dimensionen des Logos aus der Perspektive des

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