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Zur Christologie von Rudolf Steiner

Im Dokument Sieben Positionen zum Logos (Seite 120-124)

Rudolf Steiners Entwürfe für ein zeitgemäßes Weltbild gehen vom unbedingten Primat des Geistig-Göttlichen und Spirituellen in der Welt aus. Daraus emaniert 10 Ibid., S. 30.

11 Ibid.

12 Ibid.

13 Ibid., S. 46.

14 Int. Rappmann, S. 18.

15 Int. Schwebel, S. 16.

in einem differenziert konzipierten Entwicklungsgeschehen der Kosmos. Aus der Vielfalt von Steiners Schriften, denen nach Inhalt und Stil eine weit verzweigte Rede-Praxis zugrundeliegt, sei zunächst ein Gedanke angeführt, der den geistigen Aspekt dieser Kosmologie zugrundelegt:

„So hat sich der physische Erdenplanet heraus entwickelt aus einem geistigen Weltwesen; und alles, was stofflich mit diesem Erdenplaneten verknüpft ist, hat sich aus solchem heraus verdichtet, was mit ihm vorher geistig verbunden war.

Man hat sich aber nicht vorzustellen, dass jemals alles Geistige sich in Stoffliches umwandelt; sondern man hat in dem letzteren immer nur umgewandelte Teile des ursprünglichen Geistigen vor sich. Dabei bleibt das Geistige auch während der stofflichen Entwickelungsperiode das eigentlich leitende und führende Prinzip.“16

Dreh- und Angelpunkt dieser Kosmogonie ist der Mensch. In der Entwicklung seines Bewußtseins hat sie ihr Zentrum. Diese hat ihre Höhen und Tiefen. Steiner beschreibt sie als Abwärts- und Aufwärtsbewegung. In die Abwärtsbewegung wird die Entwicklung durch störende Elemente hineingezogen. Es sind niedere Hierarchien, die sich in das Bewußtsein mischen. Steiner nennt sie mit Bezug auf biblische und andere Quellen Luzifer und Ahriman. Diese führen den Menschen mit

„jenem Impuls, <…> der in der Bibel bildlich als Erbsünde bezeichnet wird, als die Verführung durch die Schlange“17, in die Krise, ja in eine existentielle Bedrohung.

Daraufhin sehen sich die höheren geistigen Hierarchien der Götter veranlaßt, den sog. Sonnengeist auf die Erde herabzusenden: „Wir opfern diesen Sonnengeist hin. Bis jetzt lebte er unter uns, in den Sphären der höheren Hierarchien; jetzt zieht er durch das Tor des Jesus in die Erdenaura ein.“18 In diesem Menschen inkarniert sich der Sonnengeist und wird bei der Taufe am Jordan zum Christus. Jetzt wendet sich die Abwärtsbewegung wieder in eine Aufwärtsbewegung zurück.

Rudolf Steiner geht auf der Basis seiner subjektiven Intuition in der breiten er-zählerischen Entfaltung dieses Ereignisses den einzelnen Evangelien entlang und entwirft in persönlicher Einfühlung und Ergänzung dessen, was er aus der sog.

Akasha-Chronik bezieht, in freien Interpretationen und breiten Allegorisierungen ein zusammenhängendes, dynamisches Christusbild. Kompositionell durchaus im Einklang mit den Evangelien, findet diese eindrucksvoll gezeichnete Biographie ihr Zentrum im Mysterium von Golgatha. Nach diesem Geheimnis wäre Christus dem äußeren Anschein nach unter entsetzlichen Qualen den gewaltsamen Tod

16 Rudolf Steiner, Die Geheimwissenschaft im Umriß, Gesamtaus-gabe (GA) 13, hier zitiert aus der Taschenbuchausgabe (TBA) 601, Dornach (Rudolf Steiner) 1972, S. 105.

17 Steiner, Von Jesus zu Christus, S. 227.

18 Steiner, Aus der Akasha-Forschung, S. 286.

eines Gekreuzigten gestorben. Schließlich hätte man ihn ins Grab gelegt, und seltsame Begleitumstände, eine Sonnenfinsternis und ein gewaltiges Erdbeben, hätten sich eingestellt. Am Ende wäre das Grab leer und Christi Leichnam un-auffindbar gewesen.

An dieser Stelle bringt Steiner in der Art geradezu gnostischer Unbekümmert-heit19 den Tod und die Grablegung dieses Christus mit seiner Kosmogonie in Verbindung: „Jenes Erdbeben durchrüttelte das Grab, in das der Leichnam des Jesus gelegt war – und weggerissen wurde der Stein, der darauf gelegt worden war, und ein Spalt wurde aufgerissen in der Erde, und der Leichnam wurde aufgenommen von dem Spalt. Durch weitere Aufrüttelungen wurde über dem Leichnam der Spalt wieder geschlossen. Und als die Leute am Morgen kamen, war das Grab leer, denn die Erde hatte aufgenommen den Leichnam des Christus.“20

Am Pfingsttag schließlich sei den Jüngern Jesu klar geworden, was sie zuvor nur geahnt oder ekstatisiert empfunden hätten, daß die Erde beim Tod des Christus von einem gewaltigen Impuls heimgesucht worden wäre, der den bis dahin vorherrschenden früheren Impuls des Luzifer und Ahriman niederzwin-gen konnte. Die Apostel hätten mit einem Mal begriffen, „wie beim Sterben am Kreuze der Christus-Impuls, durch diese Finsternis hindurchgehend, sich mit der Erdenaura verbindet <…>. Dann hat man jenen großen gewaltigen Eindruck, wie diese Wesenheit, die im Leibe des Jesus gelebt hat, jetzt sich ausgießt über die geistig-seelische Erdenaura, so daß die Seelen der Menschen nun fortan wie in sie eingezogen sind.“21

Der Christus-Impuls hat also im Mysterium von Golgatha seinen Grund. Immer wieder kommt Rudolf Steiner auf diesen Zusammenhang und seine entschei-dende Bedeutung zu sprechen. Biblisch gesehen, ist das Christusereignis ein Gnaden- und Erlösungsgeschehen. Das will er erläutern und verständlich ausle-gen. Dazu ist die Vorstellung vom Christus-Impuls zentral, ja sie ist das entschei-dende Interpretament. In diesem Impuls finde die Menschheit – um nur einige Beispiele zu nennen – ihre geistige Vereinigung22, ihr neues Ich-Bewusstsein23,

19 Zum Phänomen dieses Denktyps eine bemerkenswert konstruktive Kritik: Peter Sloterdijk und Thomas H. Macho, Weltrevolution der Seele. Ein Lese- und Arbeitsbuch der Gnosis, Mün-chen und Zürich (Artemis & Winkler) 1993.

20 Steiner, Akashaforschung, S. 30.

21 Ibid., S. 197.

22 Rudolf Steiner, Die geistige Vereinigung der Menschheit durch den Christus-Impuls, GA 165, Dornach (Rudolf Steiner) 1981.

23 Steiner, Christus-Impuls.

wehre sie der Gefahr des Egoismus24 und überwinde sie die Macht der Mate-rie25; der Christus-Impuls führe zu geistigem Kräfteüberschuß26, zu Heilung27, zur Gewinnung der inneren Gedankenrealität28, zu Lebendigmachendem29, zu einer notwendigen Durchdringung der Herzorganisation30 und zur kosmischen Zukunft der Menschheit31. In seinem Vortrag vom 2. Februar 1910 über Das Eintreten des Christus in die Menschheitsentwickelung32 legt Steiner ausführlich die Wirkung und die Bedeutung dieses Impulses dar. Sein Fazit lautet:

„Es ist also durch den Christus-Impuls in den Menschen das Bewußtsein einge-zogen, daß er in seinem Ich etwas von göttlicher Substanz und Wesenheit hat.

Das liegt ja all den tieferen Aussprüchen auch des Neuen Testamentes zugrunde, daß der Mensch in seine Ich-Wesenheit das Göttliche aufnehmen kann, und daß dieses Göttliche darin wirken und Entscheidungen treffen kann zwischen Gutem und Bösem.33 Und weiter heißt es: Das alles, was im Menschen mangelhaft geworden ist, wird durch den Christus-Impuls wiederum geheilt. <…> Dadurch daß der Christus-Impuls in der Menschheit wirkt, werden in einer aufsteigenden Entwickelung des Menschen diese Eigenschaften <sc. Egoismus, Irrtum, Lüge, Krankheit, Todesgefühl, d.V.> alle wieder zurückverwandelt. <…> Und wenn der Tod allmählich so begriffen wird, daß der Tod auf Golgatha in unserer Seele selbst als das Vorbild des Todes wirkt, dann wird der Tod seinen Stachel verloren haben.“34

In der Vorstellung vom Christus-Impuls legt Rudolf Steiner also die Bedeutung des Christusgeschehens für den Menschen aus: der Mensch lebe fortan in der 24 Rudolf Steiner, Vortrag vom 17.12.1912, in: Ders., Erfahrungen des Übersinnlichen. Die Wege der

Seele zu Christus, GA 143, Dornach (Rudolf Steiner) 1983.

25 Rudolf Steiner, Der Christus-Impuls als Überwinder der Materie, in: Ders., Ägyptische Mythen und Mysterien, GA 106, Dornach (Rudolf Steiner) 1978.

26 Rudolf Steiner, Vortrag vom 14.4.1914, in: Ders., Inneres Wesen des Menschen und Leben zwi-schen Tod und neuer Geburt, GA 153, Dornach (Rudolf Steiner) 1978.

27 Rudolf Steiner, Vortrag vom 7.12.1918, in: Ders., Die soziale Grundforderung unserer Zeit – In geänderter Zeitlage, GA 186, Dornach (Rudolf Steiner) 1990.

28 Rudolf Steiner, Vortrag vom 24.12.1921, in: Ders., Nordische und mitteleuropäische Geistimpulse.

Das Fest der Erscheinung Christi, GA 209, Dornach (Rudolf Steiner) 1982.

29 Rudolf Steiner, Vortrag vom 25.12.1918, in: Ders., Wie kann die Menschheit den Christus wieder-finden?, GA 187, Dornach (Rudolf Steiner) 1979.

30 Rudolf Steiner, Vortrag vom 28.11.1919, in Ders., Die Sendung Michaels, GA 194, Dornach (Rudolf Steiner) 1983.

31 Rudolf Steiner, Vortrag vom 16.5.1920, in: Ders., Entsprechungen zwischen Mikrokosmos und Makroksmos, GA 201, Dornach (Rudolf Steiner) 1987.

32 In: Steiner Christus-Impuls, S. 57–78.

33 Ibid., S. 63.

34 Ibid., S. 66f.

Gemeinschaft mit Gott, ja er sei ‚in Christus‘ befreit, seine Natur sei erneuert, sein Wesen wie neu geboren.

Mit der Idee vom Christus-Impuls formuliert Rudolf Steiner im System seines Weltverstehens eine Antwort auf die Frage, die auch die klassische Theologie durch die Geschichte hindurch bewegt hat: Wie kann der Mensch aus Gottferne, Verzweiflung und Tod gerettet werden? Wenn Rudolf Steiner den Akzent auf das erneuerte Wesen des Menschen und das Bewusstsein davon legt, dann geht die Theologie der Kirchen den Weg der Personalisierung. Sie konzentriert sich in ihrer Soteriologie ganz und gar auf die Person Christi. In ihm ist Gott Mensch geworden und erschließt sich jedem, der sich im Glauben auf ihn einlässt: hörend, gefügig, hoffend und vertrauend. Darauf allein gründe seine Gotteskenntnis und sein Gott-Erkennen. So weiß er bei sich, dass er Gott trauen und in Treue sich Gott glaubend und hoffend überlassen kann; und in sich, dass er fundamental auf Gottes Gna-denführung an seinem Volk in der Geschichte angewiesen ist und alle persönliche Erfahrung und Bewusstseinserweiterung sekundär davon abhängt.35 In diesem Sinne ist der Glaube ein Wissen aus der Liebe Gottes, die in Christus menschliche Gestalt angenommen hat, es ist ein Wissen, „dass man selber nichts weiss, wohl aber, dass man Gott liebend von Gott erkannt ist“; es ist eine Gewissheit: „nicht im Erfasst-haben, sondern im Erfasst-worden-sein“36. In diesem Gegensatz von einfühlendem ‚Wissen‘ um das Ganze der Welt und persönlichen ‚Glauben‘ vor diesem Ganzen liegt der entscheidende Unterschied und eine bleibende Differenz zwischen anthroposophischer und klassisch-kirchlicher Theologie, die auch für eine theologische Würdigung des christologischen Denkens von Joseph Beuys bestimmend sein wird.

Im Dokument Sieben Positionen zum Logos (Seite 120-124)