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Sieben Positionen zum Logos

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Academic year: 2022

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edition weimar European Academy of Sciences and Arts Humanities

Medicine Arts

Natural Sciences

Law, Social and Economical Sciences Technical and Environmental Sciences World Religions

Felix Unger (Hg.)

Sieben Positionen zum Logos

(2)

Sieben Positionen zum Logos Herausgegeben von Felix Unger

(3)

edition weimar

European Academy of Sciences and Arts Edited by Maria Eder & Felix Unger

The European Academy of Sciences and Arts is supported by the Republic of Austria

(4)

Sieben Positionen zum Logos

edition weimar

2014

(5)

edition weimar

Book series of the European Academy of Sciences and Arts

Volume 24

Sieben Positionen zum Logos

Herausgegeben von Felix Unger

© VDG  Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften  Weimar 2014

All rights reserved.

No part of this publication may be translated, reproduced, stored in a retrieval system, or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical,

photocopying, recording or otherwise, without the prior permission of the publisher.

Reihengestaltung: Katharina Hertel, Weimar Druck: Schätzl, Donauwörth

ISBN 978-3-89739-816-0

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über http://www.d-nb.de/ abrufbar.

(6)

Vorwort

FELIX UNGER 7

Prolog

ELMAR KUHN 11

1. Johannes

Logos ensarkos und asarkos

WILFRIED HÄRLE 13

Die Bedeutung und die Wirkung des Logos aus der Perspektive des Johannesprologs

GÜNTHER BADER 27

Und ich mache alles neu

JOHANNES HUBER 41

2. Paulus Vom Reich Gottes

ELMAR KLINGER 57

3. Joachim de Fiore

„… in der vollen Freiheit des Geistes“

Zur „trinitarischen Geschichtstheologie“ des Joachim von Fiore

MARIANO DELGADO 67

4. Cusanus

De visione Dei. Nikolaus von Kues an den Abt und die Brüder von Tegernsee

GUNTHER WENZ 81

5. Teilhard de Chardin

THOMAS BROCH 91

(7)

6. Eugen Biser

Eugen Bisers theologische Vision als gestalterische Kraft

JOACHIM REGER 107

7. Joseph Beuys

Ein Mysterium im Menschen. Der Logos als Christussubstanz bei Joseph Beuys

FRIEDHELM MENNEKES 117

Epilog

Logos und Wissenschaft

FELIX UNGER 143

Liste der Autoren 149

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VORWORT

FELIX UNGER

Die hier gezeigten sieben Positionen bilden einen Spannungsbogen von der An- tike in die Zukunft des 3. Jahrtausends, als Rezeption des Logos, des Geistes. Die Auswahl der Positionen von mir ist natürlich sehr persönlich gefärbt, geben die Erfahrung der eigenen Reflexion wieder, wer aus meiner Sicht eines Mediziners, in Reflexion zum ärztlichen Tun, zum Logos besonders viel zu sagen hat wie:

Johannes der Evangelist, Paulus, Joachim de Fiore, Nikolaus Cusanus, Teilhard de Chardin, Eugen Biser und Joseph Beuys.

Steht am Beginn des Johannes Evangeliums „In principio erat logos“, könnte man durchaus „Prinzip“ stehen lassen und logos mit „Geist“ übersetzen. So entsteht

„Im Prinzip war der Geist“.

Logos kann aber auch als „Raum und Zeit“ gedeutet werden – also „Im Prinzip war Raum und Zeit“. Im Raum mit der Zeit gewinnt das Licht eine besondere zentrale Stellung. Hier ist die Brücke zur Neuzeit gegeben und stellt die Entdeckungen des Materiellen in eine neue Lesart.

Mit „Im Prinzip war Raum und Zeit“ ist durch das „Prinzip“ der Zusammenhang zu anderen Religionen, wie dem Buddhismus, gegeben, durch „Raum und Zeit“

zu unserer heutigen Erfahrung der Naturbeschreibung.

Die stete Veränderung der Natur und der Menschen macht immer Platz für einen Neuanfang, der sich aus der Hoffnung „siehe ich mache alles neu“ bei Johannes ergibt. Dennoch haben wir eine apokalyptische Angst und mit dem Marana tha erflehen wir die Erlösung.

Paulus hat den Stellenwert des Logos dadurch gezeichnet, dass er das Leben ein- bezogen hat. Augustinus würde dazu sagen „das Herz schlägt unruhig in mir“. Mit Paulus sieht man hier, nach der großen Vision des Johannes, den Geist als einen Blitzeinschlag in das Humanum hinein. Im Zentrum unseres Lebens, dem Herzen, kann keine natürliche Bewegung ohne Geist entstehen, das geistige Universum wirkt energetisch in unserem Leben.

(9)

Joachim de Fiore hat versucht den Geist als Architekt für ein Bauwerk zu sehen.

Trinität hat er als Bauplan verwendet, sodass die Vergangenheit als Basis des Lebens, durch Gott Vater, gebildet wurde. Die Gegenwart ist der neue Bund in Jesus Christus und die Zukunft im Geist als letzter Bund in die neue Ewigkeit.

Cusanus sieht hier ein Hineinreichen des Menschen in den Makrokosmos sowie auch in den Mikrokosmos. Wenn man einerseits weit genug in den Makrokosmos fährt und andererseits tief in den Mikrokosmos hineintaucht, erlebt man plötzlich in einer zusammenlaufenden Bewegung die coincidentia oppositorum. Man stößt im Raum mit Zeit immer wieder auf den Punkt, wo sich Gegensätze auflösen.

Teilhard de Chardin sieht den Menschen in einer kontinuierlichen Entwicklung, die Geschichte ist eine stetige Anhäufung von Fakten aber der Mensch hat die Chance in seiner Biologie mit dem Gehirn weitere Entdeckungen zu machen, sodass er berechtigt von einer Noogenese spricht. Die moderne Hirnforschung wird uns noch Vieles sagen.

Eugen Biser versucht die Sprachverwirrung aufzulösen, vor allem hat er zur Angstüberwindung beigetragen, das heißt dass man die Angst durch den Glau- ben überwinden kann. Eine Theologie die auch mir als Arzt bei den Patienten während des Gespräches am Vorabend bei einer Herzoperation sehr dienlich war. So konnte man dem Patienten versichern, dass er seine eigene Angst durch Glauben, durch Zuversicht überwinden kann. Viel mehr spricht Eugen Biser von Christus als den „inwendigen Lehrer“. Wir kennen uns im Inneren selbst sehr mangelhaft, bis gar nicht.

Damit kommen wir zu Joseph Beuys, der als Künstler eine Christologie entwickelt.

Kardinal König, Mitbegründer der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, war immer überzeugt, dass Kunst zu einer zeitgemäßen Theologie beiträgt. Kunst führt zu Religion, da sie das Unaussprechbare einigermaßen ar- tikulieren lässt. Beuys unterscheidet zwischen einem historischen Christus und einem realen Christus, der in uns lebt. Wir brauchen alle Kraftanstrengung um unser eigenes Inneres zu entdecken. In der größten Katastrophe, wie es auch bei Hiob beschrieben ist, fallen wir auf einen Nullpunkt und der Mensch erlebt so seine eigene Auferstehung in Christus, aus seiner Innenwelt.

(10)

Mit diesen sieben Positionen kann man ein Kontinuum des Logos über 2.000 Jahre sehen. Zum einen, dass ein Prinzip herrscht, indem wir leben. Zum anderen bedeutet das Leben eine stete Veränderung in der großen Hoffnung, dass alles neu wird oder es bleibt beim Schrei nach Erlösung.

Dieses schließt sich mit dem eigenen Erlebnis, dass man in sich selbst endogen und autogen durch den lebendigen, realen Christus seine eigene Auferstehung als Zuversicht zum Leben sieht. So schließt sich unser Leben in einem Alpha und einem Omega.

Zehn Autoren haben zum Logos Stellung bezogen. Dem Leser wird auffallen, wie homogen die Beiträge zum Logos sind und dass sich die Beiträge gegenseitig ergänzen. Damit kann man Vorstellungen entwickeln. Unser Leben ist schauderbar genug. Schaut man auf die Entwicklung und den heutigen Zustand der Erde, so bleibt in der Tat letztlich ein erschreckendes Bild.

Ich danke allen Autoren, Günther Bader, Thomas Broch, Mariano Delgado, Wilfried Härle, Johannes Huber, Elmar Klinger, Elmar Kuhn, Friedhelm Mennekes, Joachim Reger und Gunther Wenz, die spontan zugesagt und Ihre Beiträge geliefert haben.

Besonders darf ich mich bei Elmar Kuhn für die Unterstützung bedanken.

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(12)

PROLOG

ELMAR KUHN

…und das Wort war Gott

Der Logos ist als Wesen Gottes umfassender als unsere Welt und all unser Den- ken. Das Wort übersteigt unser Wissen und Können, unser Werden und Sein als Menschen. Dieses Buch lotet den Horizont unseres menschlichen Begreifens aus und will in den sieben Positionen zum Logos die menschlichen Grenzen stellver- tretend aufgreifen. So umfasst dieses Werk nicht den theologischen Zugang zum Wort alleine. Das wäre angesichts der Vielfalt menschlichen Seins und Denkens zu wenig. In den Beiträgen spannt sich der Reigen vom Evangelium des Johannes aus über die Reich-Gottes-Gedanken eines Paulus und eines Joachim von Fiore bis hin zu den Visionen des Nikolaus von Kues und den kosmologischen Gedanken eines Teilhard de Chardins. Mit Bisers theologischer Vision wird das Ende menschlichen Denkens umfasst auf der Ebene der mystischen Theologie. Das aber wäre doch nur die eine Seite menschlicher Dimension, zu wenig, um auch nur annähernd der Weite des Logos als dem Wesen Gottes gerecht zu werden. Daher schließt dieses Buch mit dem Impuls aus dem künstlerischen Schaffen Joseph Beuys und seinem kosmologischen Befreiungsversuch auf den Kosmos und Christus hin. Kunst und Theologie, visionäre Schau und irdische Gerechtigkeit stecken die Außengrenzen menschlicher Annäherung an das Geheimnis des Logos ab und streifen die Unendlichkeit, wie auch im Nachwort mit einem Blick auf die Wissenschaften gezeigt wird. Grenzüberschreitend bewegt sich menschliches Sein und Denken auf Gottes Wort in Wollen und Schöpfung zu.

Und genau darin scheitert dieses Buch mit seinen Beiträgen grandios: Unser Denken vermag Grenzen zu überschreiten, aber nicht Gott zu umfassen. Dieses Scheitern im Versuch, den Logos zu begreifen, macht die Würde des Menschseins aus. Dieses Buch unternimmt den Versuch, Gott zu streifen, nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Und darin wird das Scheitern zum Sieg über die Begrenztheiten irdischer Existenz.

…und das Wort ist Fleisch geworden

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Der Johannes Prolog endet nicht im Ewigen. Er beginnt immer wieder neu im Konkreten, im irdischen Werden und Sein. Das ist nie deutlicher geworden als in der Menschwerdung Gottes in Jesus aus Nazareth. In diesem Wissen wird die Würde des Menschen geboren aus seiner Berufung zur Ebenbildlichkeit Gottes, grundgelegt schon in den Schöpfungsberichten der ersten Zeilen der Bibel, im Buch Genesis. Der ewige, göttliche Logos ist zugleich der zutiefst in der Welt geborene Logos im menschlichen Dasein. Der Logos im Menschen Jesus Christus zeichnet alle Höhen und Tiefen und vor allem die Mitte menschlicher Existenz als Pinselstrich des ewigen Logos nach. Angesichts dieser Grenzenlosigkeit Gottes scheitert der Mensch. Angesichts der Menschwerdung Gottes im Fleisch gewinnt der Mensch nicht nur sich selbst in seiner unveräußerlichen Würde, sondern da- rüber hinaus gewinnt er die Kraft der Vision einer Welt jenseits der Welt des hier und jetzt. Diese Kraft der Vision einer Zukunft, die mehr an Gerechtigkeit hat als unsere Welt heute, erweist sich als die Berufung des Menschen über das bloße Existieren hinaus zu einem neuen und sogar ewigen Leben. Von dieser Berufung erzählen die Beiträge in diesem Buch. Die Bibel und alle Literatur haben Namen für diese Berufung gefunden, Namen, der manchen Visionen die Kraft geben, Wirklichkeit zu werden. Diese Namen sind Hoffnung und Liebe. Gepaart mit dem Glauben werden es Namen Gottes in unserer Welt.

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1. JOHANNES

Logos ensarkos und asarkos1

Weitreichende Konsequenzen aus dem Prolog des Johannesevangeliums

WILFRIED HÄRLE

1. Vorbemerkungen zu „Logos“

1.1 Semantische Vorbemerkungen zum Logosbegriff2

Der griechische, von legein (= sagen) abgeleitete Begriff „logos“ zeichnet sich durch eine überaus große Bedeutungsbreite und -vielfalt aus. Die gebräuchlichs- ten deutschen Übersetzungen sind Vernunft und Wort. Daneben ist logos aber von Fall zu Fall auch zu übersetzen mit: Aufzählung, Berechnung, Rechenschaft, Rechtfertigung, Verhältnis, Proportion, Erklärung, Beweisführung, Bericht, Darlegung, Aussage, Ausdruck, Gegenstand der Unterredung3, ferner mit Zählen, Rechnen, Kal- kulation, Maß, Rede, Ausspruch, Gesetz, Grund, Begründung, Argument, Überlegung, Verstand4 sowie mit Verkündigung, Gedanke, Sprache, Wesen oder Sinn5. Das damit 1 Die Begründung für diese unübliche Reihenfolge, also für die Vorordnung des Logos ensar-

kos wird sich aus dem 3. Abschnitt dieser Abhandlung ergeben. Sie bildet aus meiner Sicht die wichtigste Pointe dieses Textes.

2 Aus Platzgründen kann ich hier nicht näher auf die Bedeutung der Tatsache eingehen, dass an Stelle der in Abschn. 1.2 genannten biblischen Aussagen über den Logos ursprünglich vermutlich Aussagen über die Weisheit (sophia) standen. Jedenfalls legen diese Logosaus- sagen nahe, dass damit die weisheitlichen Traditionen aufgenommen, beerbt, aber auch verändert wurden, die im Alten Testament und im Judentum eine nicht unbedeutende Rolle spielten (siehe Hiob 28; Sprüche 8,22–36; Jesus Sirach 1,1–10). Hinter der Verdrängung der (grammatisch und psychisch femininen) Sophia-Tradition durch die (grammatisch und psychisch maskuline) Logos-Tradition steht möglicherweise ein früher Geschlechterkampf in Judentum und Christentum, dessen Ausgang und Effekt man wohl als Verlustgeschichte beurteilen muss. Siehe dazu etwas genauer W. Härle, Dogmatik, Berlin/New York (1995), Berlin / Boston 20124, 360–362.

3 So G. Verbeke in seinem Teilartikel „Logos“ in: HWP 5/1980, 491.

4 So W. Löhr in seinem Art. „Logos“ in: RAC XXIII/2010, 328.

5 Siehe dazu W. Härle, Warum Gott? Leipzig 2013, 104. P. Tillich schreibt in seiner Systema- tischen Theologie, Bd. I (1951), Berlin/New York 19848, 186: „In der Sprache der Philosophie

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umrissene Bedeutungsfeld von logos hat sein Bedeutungszentrum offenbar in etwas Sinnvollem, Verstehbarem, das sich sprachlich ausdrücken und aufnehmen lässt. Im Begriff „Sinn“ (logos als das Sinnvolle) lässt sich dieser Vernunft- und Sprachaspekt von logos miteinander verbinden. In dieser zwar unscharfen, aber doch semantisch zentrierten Form soll der Logosbegriff im Folgenden verwendet werden.

1.2 Theologische Vorbemerkungen zum christlichen Logosverständnis

Im Sinne von (gesprochenes) „Wort“ kommt der griechische Begriff „logos“ im Neuen Testament an zahlreichen Stellen und in allen Überliefungsschichten vor.

Als Hinweise auf die göttliche Person oder Seinsweise, die in Jesus Christus Mensch geworden ist, kommen hingegen nur sehr wenige Stellen6 in Betracht:

• Johannes 1,1: „Am Anfang war das Wort, der Logos, und der Logos war bei Gott, und von Gottes Wesen war der Logos.“

• Johannes 1,14: „Und das Wort, der Logos, wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir schauten seine Herrlichkeit, wie sie ein Einziggeborener vom Vater hat, voller Gnade und Wahrheit.“

• 1. Johannes 1,1–3: „Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen haben, was wir geschaut und was unsere Hände berührt haben, das Wort des Lebens …, das verkündigen wir euch …“

• Offenbarung 19,13: „… und sein Name lautet ‚Wort Gottes’“.

Diese wenigen Aussagen, darunter vor allem die aus dem Johannesprolog (Jo- hannes 1,1–18) erhielten aber für die christliche Kirche in den ersten Jahrhunderten größte Bedeutung bei der Suche nach einer sachlich und biblisch gut fundierten Möglichkeit, die Gottheit des Vaters und des Sohnes auszusagen, ohne dabei in eine Zwei-Götter-Lehre zu geraten.7 Indem die Christenheit bekennt, dass der ewige, mit Gott (dem Vater) wesensgleiche Logos in Jesus Christus Mensch

wird die Form, das Sinn- und Strukturelement des göttlichen Lebens, ‚logos’ genannt.“

6 Ich zitiere die folgenden Bibelstellen nach der Übersetzung der neuen Zürcher Bibel von 2007, die – m. E. erfolgreich – um größtmögliche philologische und theologische Genauig- keit bemüht ist.

7 Man spricht im Blick darauf von einer Logos-Christologie. Sie war zugleich ein wichtiger Schritt zur Vorbereitung der Trinitätslehre als der genuin christlichen Gotteslehre im Sinne eines konkreten Monotheismus.

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geworden ist, hat sie eine gedankliche und sprachliche Möglichkeit gefunden, Gott den Vater und Gott den inkarnierten Sohn voneinander zu unterscheiden, ohne sie voneinander zu trennen. Zugleich ermöglicht dies die Unterscheidung zwischen dem (noch) nicht inkarnierten Sohn bzw. Logos (Logos asarkos), und dem inkarnierten Sohn bzw. Logos (Logos ensarkos). Deren Verhältnis zueinander ist das Thema dieser kleinen Studie.

2. Die Unterscheidung zwischen Logos asarkos und ensarkos

2.1 Hippolyt von Rom (ca. 170–236)

Soweit ich bisher feststellen konnte, werden die Adjektive „asarkos“ (in der Bedeu- tung von „nicht inkarniert“8) und „ensarkos“ (in der Bedeutung von „inkarniert“) zum ersten Mal bei Hippolyt (ab 217 Bischof in Rom) neben- und miteinander verwendet. In seinem Danielkommentar schreibt er: „Weil es denn so kommen würde, dass die Israeliten nicht (an) den Sohn Gottes, den sie in der Welt sehen, glauben, sagte die Schrift schon vorher, dass die Heiden den Inkarnierten (ensar- kon) erkennen werden, den vormals Nebukadnezar als nicht Inkarnierten (asarkon) sah und erkannte, und er bekannte, dass dieser der Sohn Gottes sei.“ 9 Das ist eine außerordentlich komplexe, inhaltsreiche Aussage, denn sie enthält nicht nur die Unterscheidung zwischen dem Sohn Gottes als asarkos und ensarkos, sondern bezieht diese Unterscheidung auch auf seine Erkenntnis als Sohn Gottes.10 Das Volk Israel sah ihn als Fleischgewordenen, glaubte aber (großenteils) nicht (an ihn).

Hingegen (an-)erkennen ihn (die) Heiden, so wie schon der Heide Nebukadnezar den noch nicht Fleisch gewordenen Sohn Gottes sah, erkannte und bekannte.

Damit legt Hippolyt Daniel 3,24f. aus, wo berichtet wird, dass drei jüdische Män- ner, die sich geweigert hatten, Nebukadnezars Gottesbild anzubeten, von ihm in 8 Es gibt im Griechischen auch die Verwendung von asarkos im Sinne von fleischlos bzw.

vegetarisch und von ensarkos im Sinne von fleischhaltig.

9 Hippolyt, Commentarium in Danielem, hg. von M. Lefèvre, Paris 1947 (SC 14), Buch 2, Kap.

33, Abschn. 5, Z. 5. Auch in seinem zehnbändigen, allerdings nur noch teilweise erhaltenen Werk „Refutatio omnium haeresium“ verwendet Hippolyt das Begriffspaar „asarkos/ensar- kos“ (in Buch 7, Kap. 38, Abschn. 3, Z. 3 und 5) und zwar – wie im Danielkommentar – für den „Sohn Gottes“.

10 Sie tut das in einer Weise, die an die Aussagen des Apostels Paulus über Israel in Römer 9–11 erinnert.

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einen glühenden Ofen geworfen wurden, darin aber nicht verbrannten, sondern zusammen mit einem vierten Mann unversehrt blieben. Und dann heißt es:

„Da entsetzte sich der König Nebukadnezar, fuhr auf und sprach zu seinen Räten: Haben wir nicht drei Männer gebunden in das Feuer werfen lassen? Sie antworteten und sprachen zum König: Ja, König. Er antwortete und sprach: Ich sehe aber vier Männer frei im Feuer um- hergehen und sie sind unversehrt; und der vierte sieht aus, als wäre er ein Sohn Gottes.“

Diese – vorchristliche! – Erwähnung eines „Sohnes Gottes“ ist für Hippolyt ein Hinweis darauf, dass der vierte Mann im Feuerofen der damals (noch) nicht Fleisch gewordene, im Neuen Bund aber inkarnierte Sohn Gottes war, den Nebukadnezar schon im Voraus sah, erkannte und als solchen bekannte.

Beachtenswert an dieser Begriffsverwendung ist auch die Tatsache, dass Nebu- kadnezar im Feuerofen einen vierten (leibhaften) Mann sieht, dass aber diese Vision von Hippolyt als ein Sehen des Asarkos (und nicht des Ensarkos) verstanden bzw.

gedeutet wird. Daraus lässt sich schließen, dass Hippolyt sich bei der Anwendung dieser beiden Adjektive nicht an dem orientiert, was gesehen wird, sondern daran, welchen ontologischen Charakter das Gesehene hat. Und da Nebukadnezar den zu dieser Zeit (noch) nicht Fleisch gewordenen Sohn Gottes sieht, spricht Hippolyt im Blick auf diese Vision von einem Sehen des nicht inkarnierten Sohnes Gottes (hyios theou asarkos).

Hippolyt wendet die Unterscheidung asarkos/ensarkos also auf Jesus Christus als den Sohn Gottes an, lässt sich aber durch den Prolog des Johannesevangeliums nicht dazu inspirieren, für diese Unterscheidung den Logos(-begriff) zu verwen- den. Das liegt nicht etwa daran, dass er selbst keine oder eine zu undifferenzierte Logoslehre gehabt hätte. Im Gegenteil! Er kennt und erwähnt11 die stoische Unterscheidung zwischen dem Logos endiathetos (als innerliche Überlegung bzw. innerlicher Gedanke Gottes) und dem Logos prophorikos (als dem gespro- chenen Wort Gottes)12, aber diese Orientierung an der „Stimme Gottes“ verweist naturgemäß nicht auf ein Fleisch gewordenes Wort. Das könnte der Grund dafür

11 Wie dies für einen Großteil der Kirchenväter gilt. Auch die stoische Vorstellung von dem in die Welt ausgestreuten Logos (logos spermatikos) ist in der Alten Kirche weithin bekannt, wird aber – soweit ich sehe – nirgends mit dem logos asarkos in Verbindung gebracht oder gar gleichgesetzt.

12 Siehe dazu M. Marcovich, Art. „Hippolyt von Rom“, in: TRE 15/1986, 386.

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sein, dass Hippolyt hier nicht vom Logos, sondern vom Sohn Gottes spricht und nur auf ihn die Unterscheidung asarkos/ensarkos anwendet.

2.2 Eusebius von Cäsarea (262–339)

Auch bei dem durch seine kirchengeschichtlichen Werke bekannten Eusebius findet sich das Begriffspaar asarkos/ensarkos13 und nun in loser Verbindung mit dem Logosbegriff. Euseb stellt zwar nicht den Logos asarkos dem Logos ensarkos gegenüber, aber er unterscheidet die leiblose (asōmatos) und fleischlose (asarkos) Natur (physis) des göttlichen Logos von seiner inkarnierten (ensarkos) Heilsordnung (oikonomia).14 Auch wenn dies (noch) keine symmetrische Zuordnung ist, so ist damit doch (erstmals?) eine Beziehung zwischen der Unterscheidung asarkos/

ensarkos und dem Logosbegriff hergestellt.

2.3 Apollinaris von Laodicea (ca. 315–390)

Bei Apollinaris, dem mit Athanasius eng verbundenen Bischof von Laodicea, wird das Adjektiv „asarkos“ so mit der Aussage über die Fleischwerdung Gottes in Ver- bindung gebracht, dass damit die Unterscheidung zwischen Logos asarkos und Logos ensarkos ebenfalls vorbereitet wird. In seiner Schrift „Hæ kata meros pistis“15 taucht das Adjektiv „asarkos“ im Rahmen des folgenden Halbsatzes auf: „Und es ist der wahrhafte, (noch) nicht Fleisch gewordene (asarkos) Gott, der im Fleisch erschienen ist …“.16 Damit will Apollinaris vermutlich das aufnehmen, was in dem Hymnus aus 1. Timotheus 3,16 über Jesus Christus ausgesagt wird: „er erschien 13 Demonstratio Evangelica, hg. von J. A. Heikel, 1913, Buch 7, Kap. 1, Abschn. 24, Z. 8 und 24f.

14 Origenes (Supplementum ad Originis exegetica, Kap. 12, in: Migne Patrologia Graeca 17, 192 D) verwendet schon etwa 100 Jahre zuvor ebenfalls das substantivierte Adjektiv „ensar- kos“ in Verbindung mit dem Begriff Heilsökonomie.

15 Sie ist veröffentlicht in: Lietzmann, Apollinaris von Laodicea und seine Schule. Texte und Untersuchungen, Tübingen 1904, S. 167–185.

16 A.a.O., 178f. (griech: „kai esti Theos alēthinos ho asarkos en sarki phanerotheis …“). Diese Aussage wird in einer anderen Überlieferung wortwörtlich schon Gregor Thaumaturgos (ca. 210 – ca. 270) zugewiesen (Migne Patrologia Gaeca 10, 1117 A).

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im Fleisch“ [„ephanerōthæ en sarki“]. Apollinaris sagt dies aber nicht von Christus, vom Sohn oder vom Logos, sondern spricht vom wahren Gott und er stellt dem Adjektiv „asarkos“ ferner nicht das Adjektiv „ensarkos“ gegenüber, sondern die Partizipialwendung „sarki phanerotheis“, also „im Fleisch Erscheinender“.

Apollinaris, der mit seiner Lehre sehr erfolgreich war, wurde 377 in Rom und 381 in Konstantinopel als Ketzer verurteilt. Und die Häresie, um derentwillen er verurteilt wurde, ist mit den eben genannten Formulierungen eng verbunden.

Apollinaris lehrte nämlich, Gott bzw. der ewige Logos habe in der Inkarnation nicht einen Menschen angenommen und sich mit ihm vereinigt, sondern er habe lediglich menschliches Fleisch angenommen. Der entscheidende Differenzpunkt zur kirchlichen Lehre bestand folglich darin, dass nach der Lehre des Apollinaris Jesus Christus kein wahrer Mensch mit einer menschlichen Vernunft war, sondern dass er nur einen menschlichen Körper ohne menschliche Vernunft, eben bloßes menschliches Fleisch besaß, das von der göttlichen Vernunft angenommen, mit ihr vereinigt und ganz und gar von ihr bestimmt wurde. Von daher kann er Christus als „fleischgewordenen Gott“ bezeichnen.17 Und dabei gebraucht er nun auch das Adjektiv „ensarkos“. Somit verwendet Apollinaris die beiden Adjektive

„asarkos“ und „ensarkos“, bezieht sie aber nicht auf den Logos, sondern auf Gott und stellt sie einander (noch) nicht formelhaft gegenüber.

Apollinaris vertritt damit eine Position, in der sich die personale Einheit Jesu Christi gar nicht als Problem stellt, weil es in ihm keine göttliche und menschliche Ver- nunft, sondern nur die göttliche Vernunft und das menschliche Fleisch gibt. Anders gesagt: die menschliche Seite umfasst lediglich den Körper, die göttliche Seite hingegen das Geistige in Jesus Christus. Das ist denkerisch bestechend einfach, aber im Blick auf die christliche Erlösungsbotschaft offenkundig defizitär; denn wenn die Inkarnation des ewigen Logos in diesem Sinne verstanden wird, dann ist die menschliche Vernunft nicht in das Erlösungswerk Christi einbezogen, sondern von ihm ausgeschlossen.18 Sie kommt darin nicht vor und wird dementsprechend auch im Erlösungsgeschehen nicht errettet, erneuert und geheiligt.

Von diesem (häretischen) Denkansatz aus musste die Aussage aus Johannes 1,14:

„Und das Wort, der Logos, wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir schauten seine Herrlichkeit …“ für Apollinaris natürlich große Anziehungskraft besitzen, hieß es in Johannes 1,14 doch nicht: „Der Logos wurde Mensch“, sondern „nur“: „Der 17 So in seiner Schrift: Eis tæn epiphaneian tæn ensarkon tou theou, in: H. Lietzmann, Apolli-

naris von Laodicea (s. o. Anm. 15), S. 232, Z. 32: „theοs gar ensarkos esti kai pisteuetai“.

18 Siehe dazu die Kritik, die Gregor von Nyssa (ca. 335–394) in seinem Antirheticus adversus Apollinarium (Bd. 3,1, S. 210, Z. 5–8) unter Verwendung der Adjektive „asarkos“ und „ensar- kos“ an Apollinaris übt.

(20)

Logos wurde Fleisch“. Und diese Formulierung findet sich nicht nur an dieser Stelle im Johannesprolog, sondern auch in anderen biblischen Aussagen, so etwa in der bereits zitierten Textstelle 1. Timotheus 3,16, wo es heißt: „Er ist offenbart im Fleisch

…“, oder in 1. Johannes 4,2 und 2. Johannes 7, wo es heißt, dass „Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist“. Aber auf diese Aussagen konnte Apollinaris sich nicht zu Recht berufen; denn mit „Fleisch“ ist hierbei nicht die bloße (physische) Körperlichkeit gemeint, sondern das wirkliche, leibhafte, individuelle Menschsein.19

2.4 Leontius von Jerusalem (6. Jahrhundert)

In der Schrift Contra Nestorianos, die der biographisch nicht genauer identifizier- bare Leontius von Jerusalem zwischen 538 und 544 verfasst hat, begegnen wir einer weiteren Stufe in der Ausbildung der Formel Logos asarkos / Logos ensarkos.

Leontius schreibt: „Wenn der Logos seiner nicht-fleischlichen (asarkos) Seinsweise nach dem Vater wesensgleich ist, dann ist offensichtlich, dass der Logos seiner fleischlichen (ensarkos) Seinsweise nach dem Vater wesensfremd ist“.20 Die Un- terscheidung zwischen „asarkos“ und „ensarkos“ wird hier nicht unmittelbar auf den Logos bezogen, sondern auf die unterschiedlichen Seinsweisen (hypostaseis) des Logos, wobei diese beiden Seinsweisen nicht miteinander, sondern mit dem Wesen Gottes verglichen und als ihm wesensgleich oder wesensfremd bezeichnet werden. Das ist eine interessante, aber auch problematische Verwendung dieser Ausdrücke, weil sie den Eindruck erwecken kann, als verlöre der Logos seine Wesensgleichheit mit Gott durch den Akt der Fleisch- bzw. Menschwerdung. So muss diese Aussage aber nicht verstanden werden, und so ist sie im Sinne des Leontius auch nicht zu verstehen. Sie besagt vielmehr nur, dass dasjenige, was die fleischliche bzw. inkarnierte Seinsweise des Logos von der nicht fleischlichen bzw. nicht inkarnierten Seinsweise unterscheidet, auch das Wesen des fleisch-

19 Siehe J. Becker, Das Evangelium nach Johannes, Kap. 1–10, Gütersloh/Würzburg (1979) 19913, S. 93: Johannes 1,14 „beschreibt die göttliche Epiphanie als ‚Fleisch’, d. h. als einen individuellen Menschen“. Ähnlich R. Jenson (Once more the Logos asarkos, in: International Journal of Systematic Theology, vol. 13, no. 2, 2011, 130, Anm. 1): “In this usage sarx simply means creatureliness.”

20 Leontius von Jerusalem, Contra Nestorianos, in: Migne Patrologia Graeca, Bd. 86, 1497 c: “ei kata tæn asarkon hypostasin homoousios ho logos tō patri, dælon hoti kata tæn ensarkon hypostasin heterousios ho logos tō patri“.

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gewordenen Logos vom Wesen (Gottes) des Vaters unterscheidet. Es geht also nicht um eine Wesensunterscheidung zwischen Jesus Christus und Gott, sondern um eine innertrinitarische Wesensunterscheidung zwischen dem Vater und dem Sohn. Und diese Unterscheidung dient dazu, auszusagen, dass nicht Gott der Vater, sondern Gott der Sohn der inkarnierte Logos ist. Aber Vater und Logos sind nichtsdestoweniger beide Gott.

2.5 Georgios von Pisidien († um 631/634)

Bei dem christlichen Dichter Georgios von Pisidien wird (unter Berufung auf Ephraim) das Formelpaar asarkos/ensarkos ebenfalls auf die unterschiedlichen Seinsweisen des göttlichen Logos bezogen (allerdings ohne Verwendung des Begriffs „hypostasis“) und zu dessen Abstieg in die Welt und Wiederaufstieg (zu Gott) in Beziehung gesetzt: „Wie Ephraim lehrte … kam er [sc. der Logos] ohne Fleisch (asarkos) seiend herab, als der Logos Gottes, stieg auf im Fleisch (ensarkos), als von unserem Geschlecht seiend.“21 Hier wird die Unterscheidung zwischen (logos) asarkos und ensarkos so auf Herabkunft/Erniedrigung und Aufstieg/Erhö- hung des Logos bezogen, dass die inkarnierte Seinsweise des Logos durch den Aufstieg offenbar bleibenden Anteil am (trinitarischen) Sein Gottes hat bzw. erhält.

2.1–2.6 Fazit

Das Formelpaar „logos asarkos/logos ensarkos“ konnte von mir in den ersten Jahr- hunderten der christlichen Theologie bisher nicht in dieser buchstäblichen Form nachgewiesen werden.22 Die einzelnen sprachlichen Bestandteile existieren zwar schon ab dem Ende des 2. bzw. Beginn des 3. Jahrhunderts, aber sie tauchen in 21 Georgios in einem Gedicht gegen den Häretiker Severos (in: Migne Patrologia Graeca 92,

1668 A): „hōs Ephraim ekdidaskei … katælthen ōn asarkos, hōs theou logos, anælthen ōn ensarkos, hōs hæmōn genos.“

22 An dieser Stelle möchte ich den Fachkollegen aus der Patristik danken, die mich bei meiner Spurensuche nach der Rede vom Logos asarkos und ensarkos mit Rat und Tat unterstützt haben.

(22)

unterschiedlichen Zuordnungen auf. Dabei bildet die Unterscheidung „asarkos/

ensarkos“ das stabile Rückgrat, aber es variiert die Zuordnung dieses Duals zu

„Gott“, zum „Sohn Gottes“, zum Logos“, zu den „Seinsweisen des Logos“, zum Ab- stieg und Aufstieg des Logos oder zur „Heilsökonomie“. Dementsprechend kann die Unterscheidung „asarkos/ensarkos“ verwendet werden, um den Unterschied zwischen diesen beiden Adjektiven oder Seinsweisen zu benennen, sie zu Gott und den Menschen in Beziehung zu setzen oder um damit die Herabkunft und den Wiederaufstieg des Logos bzw. des Gottessohnes zu bezeichnen.

So etwas wie eine vollständige oder abgeschlossene Lehre vom Logos asarkos und Logos ensarkos gibt es jedenfalls am Ende der altkirchlichen Lehrentwick- lung nicht. Dass diese Unterscheidung beachtliches Potential nicht nur für die sprachliche Kommunikation christologischer und trinitätstheologischer Verhält- nisbestimmungen besitzt, sondern vor allem für die Explikation des göttlichen Offenbarungswirkens vor und außerhalb der Inkarnation in Jesus Christus, wird in dem ersten „Wurf“, im Danielkommentar des Hippolyt von Rom (siehe oben 2.1) am deutlichsten, findet aber in den späteren Ansätzen keine Aufnahme oder gar Weiterentwicklung mehr. Gerade dieses Potential möchte ich aber im Rahmen dieser kleine Skizze nutzen und zur Diskussion stellen. Deshalb wende ich mich nun – unter Umgehung einer möglicherweise existierenden Begriffsgeschichte von Logos asarkos und Logos ensarkos in der Zeit zwischen dem 7. und dem 20. Jahrhundert23 – direkt diesem Themenaspekt zu. Dabei ist der Rückgriff auch

23 Die Geschichte des Logosbegriffs ist m. W. noch nicht geschrieben worden, und zu meiner großen Überraschung musste ich feststellen, dass in keinem mir zugänglichen und von mir überprüften deutschsprachigen Nachschlagewerk oder Handbuch die Stichworte „Logos asarkos“ und „Logos ensarkos“ überhaupt erwähnt werden, selbst dort, wo die einschlä- gigen Artikel über 100 Seiten lang sind. Von eigenen Artikeln über diese beiden Lemmata (einzeln oder als Paar) kann schon gar keine Rede sein. Es scheint so, als sei diese Unter- scheidung zwischen Logos asarkos und Logos ensarkos weitestgehend in Vergessenheit geraten. Eine Ausnahme davon bildet die Tatsache, dass es seit einiger Zeit in den USA eine theologische Kontroverse über den Logos asarkos gibt, die sich insbesondere auf die Frage konzentriert, ob und gfls. in welchem Sinne die Lehre von einem Wirken des Logos asarkos mit der Theologie Karl Barths vereinbar ist. Siehe dazu B. MacCormack, Grace and Being: The Role of God’s Gracious Election in Karl Barth’s Theological Ontology, in: The Cambridge Companion to Karl Barth, Cambridge 2000.

Von K. Barth (KD IV,1, Zürich 1953, 19602, 54f.) wird der Terminus „logos asarkos“ kritisch und in Abgrenzung vom „Deus pro nobis“ (statt „logos ensarkos“) verwendet. In P. Tillichs Systematischer Theologie taucht unter Bezugnahme auf Johannes 1,14 die Unterscheidung zwischen „universalem logos“ und „konkretem logos“ auf (STh I, 24f., 34–37). In anderen Dogmatiken wird die Unterscheidung zwischen Logos asarkos und Logos ensarkos – durch- weg eher beiläufig – erwähnt (z. B. bei W. Trillhaas, Berlin/New York 19723, 266; F. Mildenber- ger, Biblische Dogmatik, Bd. 1, Stuttgart/Berlin/Köln 1991,133; W. Pannenberg, Systematische

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noch hinter Hippolyt auf den Prolog des Johannesevangeliums besonders er- giebig, obwohl hier die Unterscheidung von Logos asarkos und Logos ensarkos begrifflich praktisch gar nicht, sachlich jedoch in weitgehender Vollständigkeit vorhanden ist.

3. Logos ensarkos und asarkos gemäß dem Johannesprolog

Der Prolog des Johannesevangeliums (Johannes 1,1–18) enthält eine Reihe gra- vierender Auslegungsprobleme, darunter insbesondere das eines angemessenen Verständnisses des Wirkens des „logos asarkos“ und das einer angemessenen Zuordnung von Johannes dem Täufer und Jesus Christus zu den Aussagen über den Logos asarkos und sein Wirken. Vereinfacht gesagt: ab Johannes 1,1424 wird alles klar, aber wie sind die ersten 13 Verse zu verstehen, die vom ewigen Ursprung, vom Wesen sowie vom schöpferischen und geschichtlichen Wirken des Logos asarkos handeln?25

3.1 Erkenntnisordnung von inkarniertem und ewigem Logos

Bei der Ausarbeitung dieser Studie ist mir bewusst geworden, dass man bei Jo- hannes 1,14 einsetzen muss, wenn man in dieser Sache zu größerer Klarheit kom-

Theologie, Bd. 2, Göttingen 1991, 81 und 239f.: R. Jenson, Systematic Theology, vol. 1, New York/Oxford 1997, 141–144 [samt einer partiellen Selbstkorrektur in dem Aufsatz: Once more the Logos asarkos, in: International Journal of Systematic Theology, vol. 13, no. 2, 2011, 130–133] sowie W. Härle, Dogmatik, Berlin/Boston 20124, 410f.).

24 „Und das Wort, der Logos, wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir schauten seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, wie sie ein Einziggeborener vom Vater hat, voller Gnade und Wahrheit.“ Dass dieser Fleisch gewordene Logos Jesus Christus ist, wird dann ausdrücklich in Johannes 1,17 gesagt.

25 Dabei spricht vieles dafür, dass schon in diese ersten Verse des Evangeliums redaktionell eingegriffen wurde. Sich die redaktionelle Bearbeitung des Johannesevangeliums auch nur im bescheidensten Umfang einzulassen, würde den Rahmen dieser Studie völlig sprengen.

Ich habe zu dieser Thematik aus dem Kommentar zum Johannesevangelium von J. Becker (s. o. Anm. 19) besonders viel Überzeugendes gelernt.

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men will. Das heißt: Es ist nicht ratsam, mit der Auslegung des Johannesprologs bei Johannes 1,1(ff.) zu beginnen und zunächst die Aussagen über das Wesen und Wirken des Logos asarkos zu erheben. Das wird zwar vom Textduktus nahegelegt und es erlaubt auch einerseits grundlegende Aussagen über das ewige Verhältnis des Logos (asarkos) zu Gott und andererseits über das Wirken des Logos (asarkos) bei der Schöpfung und in der geschaffenen Welt, aber diese Aussagen bleiben unbestimmt und vage, solange sie nicht zu den Aussagen über den Logos ensarkos in Beziehung gesetzt werden. Diese Unbestimmtheit der Gottesoffenbarung kann den Menschen in Verzweiflung stürzen, weil sie ihn zwar dessen gewiss macht, dass er an die göttliche Allmacht ausgeliefert ist, aber es offen lässt, welches Ziel diese göttliche Allmacht mit dem Menschen verfolgt. Erst der Logos ensarkos macht klar, dass Gott schon durch seinen Logos asarkos den Menschen zur ewi- gen und vollendeten Gemeinschaft mit sich bestimmt. Und erst die durch diese Offenbarung im Logos ensarkos geweckte Gewissheit verheißt Seligkeit und lässt sie schon hier und jetzt beginnen.

Von da aus lässt sich verstehen, was es heißt, dass dieser Logos (schon) im Anfang

„bei Gott“ war und dass er „von Gottes Wesen“ war, dass „alles durch ihn gewor- den“ ist und dass in ihm das Leben war, das das Licht der Menschen ist (Johannes 1,1–4). Zugleich wird von ihm gesagt, dass er, indem er in die Welt kam, „in sein Eigentum“ kam, dass aber „die Seinen ihn nicht auf[nahmen]“ (Johannes 1,11).

Indem die Sätze des Johannesprologs von Johannes 1,14 her verstanden und ausgelegt werden, erhalten die darin enthaltenen Aussagen über den Logos asarkos eine Bestimmtheit, die sie ohne diesen Ausgangs- und Bezugspunkt nicht haben. Und aus der Sicht des Johannesevangeliums, ohne das wir die Unterschei- dung zwischen Logos ensarkos und asarkos vermutlich gar nicht hätten, ist diese hermeneutische Vorgehensweise einzig angemessen. Denn von der Erkenntnis des in Jesus Christus offenbarten Logos her werden die Aussagen über den Logos asarkos gemacht – und nicht umgekehrt.

3.2 Die Identität von inkarniertem und ewigem Logos

Dieser hermeneutische Zugang vom Logos ensarkos aus auf den Logos asarkos zu, ist freilich nur zulässig, wenn dabei vorauszusetzen ist, dass zwischen beiden

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Identität und darum auch Kontinuität besteht.26 Das Wort, die Vernunft, der Sinn Gottes, die in Jesus Christus offenbar werden, sind schon von Ewigkeit her bei Gott und göttlichen Wesens. Dass es keinen Zeitpunkt oder Zeitraum gab, an dem der Logos Gottes noch nicht war, besagt einerseits, dass Gott niemals ohne den Logos ist, der in Jesus Christus Mensch geworden ist, und es besagt ande- rerseits, dass die von Gott geschaffene Welt niemals ohne den Logos Gottes war oder ist, der in Jesus Christus Mensch geworden ist. Genau das besagt auch die gelegentlich als kryptisch empfundene Lehre von der Schöpfungsmittlerschaft des Sohnes Gottes.27 Die Offenbarung Gottes in Jesus Christus ist folglich keine um der menschlichen Sünde willen vollzogene nachträgliche Notmaßnahme Gottes zur Rettung der Welt, sondern der uranfängliche göttliche Heilsratschluss, der schon in und bei der Erschaffung der Welt wirksam ist.

3.3 Der Unterschied zwischen inkarniertem und ewigem Logos

Aber unter der Voraussetzung der Identität von Logos ensarkos und Logos asarkos muss nun doch auch der zwischen beiden bestehende Unterschied bedacht wer- den, um dessentwillen die Unterscheidung zwischen Logos ensarkos und Logos asarkos nur sinnvoll, ja überhaupt möglich ist. Dass es sich dabei um keinen We- sensunterschied handeln kann, geht schon aus der Wesensidentität beider hervor.

Unterschieden ist hingegen die Gegebenheitsweise des Logos ensarkos – eben in der Gestalt eines konkreten Menschen: Jesus von Nazareth – einerseits und des Logos asarakos – in der schöpferischen Allgegenwart, wie sie für die Ordnungen und Strukturen dieser Welt charakteristisch ist – andererseits .

Wenn Menschen die Auffassung vertreten, sie könnten sehr wohl mit „Gott“

als Bezeichnung einer schöpferischen Kraft des Guten oder der tiefen Weisheit der Naturgesetze etwas anfangen, dann würde dies folglich besagen, dass sie sich in der Ausrichtung am Logos asarkos befinden, der nicht in der Konkretheit eines persönlichen menschlichen Lebens, sondern in der Allgemeinheit einer gesetzmäßigen Ordnung ertastet werden kann. Eine solche göttliche Gegen- wart setzt Paulus in Römer 1,19–21 voraus. Von solchen Suchprozessen ist in der

26 Diese Voraussetzung muss freilich auch dann gemacht werden, wenn man den Logos asar- kos als hermeneutischen Ausgangspunkt wählt und sich auf den Logos ensarkos zubewegt.

27 Siehe neben Johannes 1,3 auch Kolosser 1,15f.; Hebräer 1,2 und 2,10.

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lukanisch-paulinischen Areopagrede (Apostelgeschichte 17,23 und 27f.) die Rede.

Ob sie tatsächlich auf die Selbstoffenbarung des Schöpfergottes ausgerichtet sind, muss sich dort zeigen, wo sie auf den Logos ensarkos stoßen und es dadurch mit Gott in Menschengestalt zu tun bekommen. Und im Blick darauf ist nicht nur der Johannesprolog, sondern ist auch der Römerbrief und die Areopagrede sehr zurückhaltend.

Die Gefahr, Gott in seinem Logos asarkos zu verkennen, ist offenbar deshalb groß, weil der Mensch, der Gott nicht im Logos ensarkos begegnet ist, dazu neigt, sein eigenes, selbstgemachtes bzw. selbsterdachtes Gottesbild mit dem wirklichen Gott gleichzusetzen und zu verwechseln. Und zu solchen selbsterdachten und selbstgemachten Gottesbildern gehört und passt jedenfalls nicht die Realität eines in einer Futterkrippe zur Welt kommenden und am Marterholz des Kreuzes endenden – und sich angeblich gerade darin als Gnade und Wahrheit offenba- renden – Gottes.28 Ist man ihm jedoch dort als dem sich offenbarenden Gott begegnet, dann ist es von großer Bedeutung, ihn auch in der beeindruckenden und überwältigenden, anziehenden und abschreckenden Größe des Universum als den Allmächtigen und Allgegenwärtigen wiederzuentdecken.

3.4 Die Bedeutung der Unterscheidung von Logos ensarkos und asarkos

Die Bedeutung der Unterscheidung von Logos ensarkos und Logos asarkos lässt sich in einem kurzen Text wie diesem nicht ausloten. Ich möchte mich deshalb auf einen einzigen Aspekt beschränken, der aber m. E. von großem Gewicht ist. Denn diese Unterscheidung erlaubt es, zwei Dinge gedanklich und real miteinander zu verbinden, die in der Regel auseinanderzudriften oder gar einen Gegensatz zu bilden scheinen: Die christliche Glaubensüberzeugung, dass Jesus Christus nicht ein Weg zu Gott neben vielen anderen ist, sondern „der Weg, die Wahrheit und das

28 Luthers Unterscheidung zwischen theologia crucis und theologia gloriae in den Thesen 19–24 seiner Heidelberger Disputation von 1518 (LDStA 1,52–57) ist eine präzise Analyse dieser beiden Möglichkeiten der Suche nach und/oder der Begegnung mit Gott. Dabei verdient es Beachtung, dass Luther die theologia gloriae, die sich (mit Kant gesagt: am be- stirnten Himmel über mir und am moralischen Gesetz in mir orientiert) nicht etwa ablehnt, wohl aber der theologia crucis programmatisch nachordnet. Nur wer im Mensch gewor- denen und gekreuzigten Jesus Christus dem Logos ensarkos begegnet ist, wird auch den Logos asarkos in der Welt von Natur, Kultur und Geschichte finden.

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Leben“, durch die alleine der Zugang zu Gott gefunden werden kann (Johannes 14,6), und die Überzeugung, dass Menschen auch in anderen Religionen dem- selben Gott begegnen können, an den Christen glauben, weil und wie er ihnen in Jesus Christus durch seinen Heiligen Geist begegnet. Beides scheint miteinander unvereinbar zu sein und ist es auch, solange man die untrennbare Beziehung, ja Einheit zwischen dem in Jesus Christus Mensch gewordenen Logos und dem Logos asarkos nicht bedenkt. Wenn aber beide ihrem Wesen nach identisch und nur ihrer Gegebenheitsweise nach verschieden sind, und wenn die Gegenwart und die Wirkweise des Logos asarkos nicht beschränkt ist auf den (jüdisch-)christ- lichen Überlieferungszusammenhang, sondern in der ganzen geschaffenen und geschichtlichen Welt wirksam wird (so Johannes 1,3f. und 9f. sowie Römer 1,19f.), dann ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass der mit Gott und seinem Logos ensarkos wesensgleiche Logos asarkos auch anderswo gefunden und erfahren werden kann als in der Person Jesu Christi und in der biblischen Überlieferung von ihm. Aber nichtsdestoweniger ist es dann er, der da als der Weg, die Wahrheit und das Leben, gefunden wird.

Verliert damit die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus als dem Logos ensarkos nicht ihre zentrale und maßgebende Bedeutung? Keineswegs: Sie ist und bleibt aus christlicher Sicht die „letztgültige“ (so Paul Tillich29) bzw. „endgül- tige“ (so Karl Barth30) Offenbarung Gottes, an der andere Offenbarungsansprüche und -behauptungen zu messen sind. Wenn sich dabei inhaltliche Übereinstim- mungen zeigen, dann kann das aus christlicher Sicht nur ein Anlass zur Freude und Dankbarkeit sein.

Ohne die Unterscheidung zwischen dem inkarnierten und dem (noch) nicht inkarnierten Logos Gottes, zwischen dem Mensch gewordenen Sohn Gottes und dem ewigen Sohn Gottes, würde das Reden von Gottes Offenbarung entweder konturlos oder verengt. Konturlos würde es, wenn es die konkrete Bestimmung verlöre oder preisgäbe, die durch den logos ensarkos gegeben ist. Verengt würde es, wenn es die Weite des Offenbarungswirkens Gottes durch seinen logos asarkos in seiner Welt aus dem Blick verlöre. Und beides darf um der Wahrheit, um Gottes und um der Menschen willen nicht geschehen. Die Unterscheidung zwischen dem Logos ensarkos und dem Logos asarkos gibt jedoch der christlichen Gottes- erkenntnis eine eindeutige Mitte, aber von dieser Mitte aus auch eine große Weite. 

29 P. Tillich, Systematische Theologie, Bd. I (1951), Berlin/New York 19848, 158–164.

30 K. Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd. IV/3, Zollikon-Zürich 1959, 182.

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Die Bedeutung und die Wirkkraft des Logos aus der Perspektive des Johannesprologs

GÜNTHER BADER

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.

Im Anfang war es bei Gott.

Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.

In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen.

Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater,

voll Gnade und Wahrheit.

Aus seiner Füller haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade.

( Joh 1, 1–4.14.16)

„Im Anfang war der Logos.“ (Joh 1,1) Wie kann dieser Begriff Logos adäquat übersetzt werden? In seinem Faust verdeutlicht Johann Wolfgang Goethe in einer bekannten Szene die Schwierigkeiten einer stimmigen Übersetzung: „Wort“,

„Sinn“, „Kraft“; und schließlich: „Im Anfang war die Tat.“1 Welche Bedeutung trifft hier wirklich zu? Darüber lässt sich bis heute trefflich diskutieren. In der Einheits- übersetzung der Bibel heißt es schlicht: „Im Anfang war das Wort.“ Das Johan- nesevangelium verkündet uns Jesus als dieses WORT, das „Fleisch“ bzw. Mensch geworden ist. Jesus ist dieses „ewige WORT des Vaters“; er ist das Wort in Person.

In einem großartigen Hymnus umschreibt der Prolog das letztlich unsagbare und unfassbare Geheimnis der Menschwerdung Gottes.

Der Prolog des Johannesevangeliums gehört zu den herausragenden Beispielen der Weltliteratur. Manchen ist diese anspruchsvolle Textstelle noch aus der Zeit bekannt, als sie am Ende jeder Messfeier gelesen wurde. Nun sieht die Liturgie der katholischen Kirche vor, dass sie zu Weihnachten am Christtag als Evange- lium verkündet wird. In der syrischen Kirche konnte ich zweimal erleben, dass diese Stelle bezeichnender Weise am Ostermorgen als österliches Evangelium zitiert wurde. Beides hat wohl seine tiefe Berechtigung. Zu Weihnachten feiern Christen, dass Gott uns Menschen sein lebendiges WORT geschenkt hat und dass er in Jesus selbst Mensch geworden ist. Der Spannungsbogen reicht bis zum 1 Goethe, Johann Wolfgang: Faust I, V. 1224 ff.

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Ostergeschehen, in dem sich durch den Tod und die Auferstehung Jesu zeigt, dass dieses Wort ein WORT DES HEILS ist, das neues und ewiges Leben schenkt.

Im folgenden Beitrag werden die Be-Deutung und der Anspruch des Logos als Schlüsselbotschaft der Menschwerdung Gottes erörtert. Nach einem kurzen Über- blick über die Entwicklung des Begriffsverständnisses von Logos (Kap. 1.) folgen Grundzüge und Kernanliegen des Johannesevangeliums und im Besonderen des Prologs (Kap. 2.). Vor diesem Hintergrund werden vier zentrale inhaltliche Aspekte (Kap. 3.) entfaltet: Der Logos als lebenschaffendes, schöpferisches Wort (3.1), als personifizierte Weisheit (3.2), als präexistentes Wort (3.3) und als lebensförder- liches Wort des Heils (3.4). Das mündet schließlich in weiteren Schritten in eine Reflexion über den Logos als Gabe und Aufgabe (Kap. 4.) und in abschließende Bemerkungen zum Logos im Heute (Kap. 5.).

1. Zum Begriffsverständnis von Logos

Der griechische Ausdruck Logos bedeutet ursprünglich Wort, Rede; er kann aber auch Geist, Sinn, Vernunft oder ein Vernunftprinzip bezeichnen. Schon die an- tike Philosophie kannte die Vorstellung von einem Logos als Lebensprinzip. Die Entwicklung des Logos-Begriffs skizziert Peter Hofrichter folgendermaßen: „Im 7. Jh. v. Chr. führte Heraklit von Ephesus den Begriff Logos in die Philosophie ein.

Heraklit verstand darunter die als kosmisches Urfeuer vorgestellte Weltvernunft, in der die Einheit und Ordnung des Alls gründet und an der auch der Mensch mit seiner Vernunft teilhat. Seit der Sophistik verlor der Begriff zunächst diese transzendente Bedeutung. Erst die um 300 v. Chr. entstandene Philosophenschule der Stoa knüpfte wieder an Heraklit an. Die Stoa setzte den Logos nun mit Gott gleich oder stellte ihn Gott als welterhaltende Kraft zur Seite. Außerdem griff die Stoa auch die Lehre des Aristoteles von den logoi spermatikoi (den ´samenartigen Logossen´) in den Einzelmenschen auf. In dieser stoischen Form gehörte die Lo- goslehre schließlich zum allgemeinen Bildungsgut der neutestamentlichen Zeit.“2 Der Begriff Logos findet sich dann vor allem in der jüdisch-hellenistischen Phi- losophie von Philo von Alexandria. „Die biblische Grundlage für Philos Logoslehre ist vor allem die Schöpfungserzählung der Genesis. Der Logos ist das Wort, durch 2 Hofrichter, Peter: Art.: Logos, in: Herders Neues Bibellexikon, hg. von Franz Kogler, Freiburg

i.Br. (Herder) 2008, 480.

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das Gott die Welt erschaffen hat; er ist als Bild und Gleichnis Gottes das Urbild des Menschen; er ist auch ´Israel´ als der ´Mensch, der Gott sieht´. Der Logos, den Philo auch Gott oder zweiten Gott nennt, heißt außerdem Anfang, Gottes Erstgeborener und ältester Engel, Hohepriester, auch Name Gottes; er ist Gesandter Gottes und Fürsprecher der Menschen.

Er ist nicht wie Gott ungeboren, aber auch nicht geboren wie wir, sondern als

´Anfang´ mutterlos aus Gott, dem ´Vater´, allein geboren. Dabei bleibt er unge- schieden von dem göttlichen Monas (Einheit). Dieser Logos des Philo ist schließlich auch identisch mit der göttlichen Weisheit, über deren Schöpfungs- und Offenba- rungsfunktion das alexandrinische Judentum schon vor Philo nachgedacht hatte.

In dieser großartigen Entfaltung bot sich der Logosbegriff den hellenistischen Judenchristen wie selbstverständlich als höchster und umfassendster Würdetitel Jesu an: In Jesus ist dieser Logos Fleisch geworden (Inkarnation). Auch wenn das im Prolog des Johannesevangeliums überlieferte Logos-Bekenntnis relativ weit zurückreichen dürfte, so wurde von der Kirche die Logos-Christologie allerdings erst seit dem 2. Jh. von den Apologeten und Kirchenvätern aufgegriffen.“3 Im Anschluss an Johannes brachten sie damit die besondere Stellung Jesu zum Ausdruck.

Johannes verwendet also einen bekannten Begriff, der für Juden wie für Heiden den Ausgangspunkt aller Wirklichkeit darstellt. Der Logos bezeichnet das wirk- mächtige Wort. Dieses verbindet die Offenbarungstheologie des Judentums bzw.

die Offenbarung Gottes mit der griechischen Vorstellung von der (Welt-)Vernunft, vom „Sinn“, der letztlich hinter allem steht. Es führt schließlich den Menschen zur Entscheidung: Es spricht ihn an und wartet auf eine Ant-wort. Der Einzelne ist herausgefordert, sich für das Leben und für den Glauben einzusetzen.

3 Ebd.

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2. Struktur, Aufbau und Grundanliegen des Johannesevangeliums und seines Prologs

2.1 Die Besonderheit des vierten Evangeliums4

Das Johannesevangelium hebt sich von den synoptischen Evangelien durch sei- nen anspruchsvollen Stil, seine charakteristische Bildwelt und seine theologische Dichte ab. Es wird vielfach als „geistliches Evangelium“ gesehen, das Jesus als den zeigt, der den Vater offenbart und der den Menschen das Heil bringt. Wie der Vater und der Sohn eins sind (vgl. Joh 17,22), so will Jesus auch „die Menschen in diese göttliche Einheit hineinnehmen“5 (vgl. Joh 15 und Joh 17). Es erzählt das Jesusgeschehen als eine lebendige Glaubensgeschichte, die das wahre Leben schenkt und die zum Handeln aus dem Glauben ermuntert.

Es gliedert sich im Wesentlichen in zwei Teile: Der erste beschreibt die Selbstof- fenbarung Jesu vor der Welt bzw. sein öffentliches Wirken (1, 19 – 12,50); im zweiten folgt dann die Selbstoffenbarung Jesu vor seinen Jüngern (13,1 – 20,29). Umrahmt wird dieser Textcorpus vom einleitenden Prolog (1,1–18) und vom abschließenden Epilog (20,30f.) bzw. einem Nachtrag (21,1f.).

Es kann davon ausgegangen werden, dass das Johannesevangelium nicht von einem einzelnen Verfasser stammt, sondern „wohl von einer größeren Gruppe…, in der Schule und unter der Autorität des Jüngers, der von Jesus geliebt wurde (Joh 13, 23; 19, 26; 20, 2). Die älteste Tradition sieht in diesem geliebten Jünger den Zebedäussohn Johannes. Das Evangelium nennt den Namen des Verfassers nicht, beruft sich aber auf das Zeugnis des von Jesus geliebten Jüngers.“6 So sind im Johannesevangelium verschiedene frühchristliche Traditionen ineinander verwoben, die das Leben und Wirken Jesu bedacht und in ihrer Bedeutung für den Glauben der johanneischen Gemeinde und des Einzelnen reflektiert haben.

4 Vgl. dazu Egger, Wilhelm: Kleine Bibelkunde zum Neuen Testament, Innsbruck (Tyrolia) 1978, bes. 55ff.

5 Ebd., 57.

6 Ebd., 59.

Johannes ist die griechische Form des hebräischen Namens Jo(c)hanan und bedeutet:

Jahwe hat Gnade erwiesen.

Johannes (dessen Fest die Kirche am 27. Dezember feiert) gehörte ursprünglich zu den Jün- gern von Johannes dem Täufer. Jesus berief ihn und seinen Bruder Jakobus (den Älteren) in den Kreis der Apostel. Die beiden Söhne des Zebedäus waren Fischer in Betsaida.

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2.2 Der Johannesprolog als Schlüsseltext

Zunächst sei darauf hingewiesen, dass das gesamte erste Kapitel als Evangeli- umseröffnung konzipiert ist. Der eigentliche Prolog (1,1–18) und die anschlie- ßenden Eröffnungserzählungen (1,19–51) führen zum großen Geheimnis der Menschwerdung Gottes in Jesus hin. Im Prolog geht es um die entscheidende Frage, wer dieser Jesus ist. „Leitender Gesichtspunkt für die Gestaltung ist die Christologie, wie sich vor allem an der Reichhaltigkeit der hier verwendeten Chri- stustitel zeigt. … Dieser Text am Beginn des Johannesevangeliums ist umstrittten bezüglich seiner Funktion und Entstehung: Ist er die Keimzelle, aus der heraus sich die Christologie des Johannes entwickelt hat – oder gehört er an das Ende der johanneischen Überlieferungsgeschichte (z. B. als eine Art Leseanweisung), oder mit anderen Worten gefragt: Ist der Prolog Kommentar zum Evangelium oder das Evangelium Kommentar zum Prolog? Die heutige Forschung beantwortet diese Frage überwiegend damit, dass der Prolog als ´ältester Kommentar überhaupt´

zum Evangelium angesehen wird.“7 In diesem Sinn kann der Prolog wohl als Schlüsseltext für ein tieferes Verständnis der Frohen Botschaft gewertet werden:

Er ist wie eine Kennmelodie, die in den Refrain mündet, dass der Logos „Fleisch“

bzw. Mensch geworden ist.

Im einleitenden Prolog wird das Mysterium der Menschwerdung mit unter- schiedlichen Akzentsetzungen umschrieben. Von der Struktur des Textes her steht am Beginn die Präexistenz des Logos (1,1–5); dann werden das Kommen des Logos zu den Menschen (1,6–13) sowie die Inkarnation und deren Heilsbe- deutung für die Menschen (1,14–16.18) zur Sprache gebracht. Der Prolog gipfelt in der Kernaussage: Jesus allein kann verlässliche Kunde vom Vater bringen (1,18).

Seinen verschiedenen frühchristlichen Traditionsschichten entsprechend hat das Johannesevangelium „nicht nur einen doppelten Schluss (Joh 20,30f.; 21,24f.), sondern auch einen doppelten Anfang. Im Eröffnungskapitel, dem sogenannten

´Prolog´ (Joh 1,1–18), wird das daran sichtbar, dass ein Lied und der Anfang einer Erzählung ineinandergeschoben sind:

• Das Lied handelt vom Wort (griech. logos), das zu Beginn als ´Gott´ qualifiziert (V. 1) und am Ende mit Jesus Christus identifiziert wird (V. 17).

• Die Erzählung wird mit der typischen Einleitungsfloskel ´es war einmal´ eröffnet (V. 6). Sie beginnt – wie das Markusevangelium (Mk 1,4) – mit dem Auftreten Jo- 7 Ernst, Michael: Art.: Johannesprolog, in: Herders Neues Bibellexikon, hg. von Franz Kogler,

Freiburg i.Br. (Herder) 2008, 386.

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hannes´ des Täufers. Matthäus und Lukas sind bekanntlich hinter diesen Anfang zurückgegangen, indem sie als Erstes von der Geburt Jesu – und Lukas auch von der des Johannes – berichten (Mt 1–2; Lk 1–2). Das Johannesevangelium geht noch weiter zurück: Es verknüpft die Täufererzählung mit dem Logos-Lied und verlegt so den Beginn der Geschichte Jesu in seinen Anfang bei Gott, also vor aller Schöpfung.“8

Die Synoptiker Matthäus und Lukas beginnen also ihr Evangelium mit der Geburt bzw. mit der Kindheitsgeschichte Jesu; Markus setzt bei Johannes dem Täufer bzw. beim öffentlichen Auftreten Jesu an. Demgegenüber geht Johannes auf die allerersten Anfänge zurück und stellt einen Hymnus über das Geheimnis der Menschwerdung Gottes in Jesus an den Beginn seines Evangeliums.

Er reflektiert zunächst den Logos als das menschgewordene Wort Gottes; dann erst folgen die Erzählung des Lebens Jesu bzw. der Beginn seines Wirkens. „Der Evangelist Johannes, der die Frage nach dem Woher Jesu immer wieder anklingen lässt, hat seinem Evangelium keinen Stammbaum vorausgeschickt, aber im Prolog seines Evangeliums nachdrücklich und großartig die Antwort auf die Frage des

´Woher´ dargestellt. Zugleich hat er diese Antwort auf die Frage nach dem Woher Jesu zu einer Definition der christlichen Existenz ausgeweitet, ausgehend vom Woher Jesu die Identität der Seinigen aufgezeigt.

´Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort

… Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gezeltet´ (1,1–14) Der Mensch Jesus ist das Zelten des Wortes, des ewigen göttlichen Logos in dieser Welt. Das ´Fleisch´ Jesu, seine menschliche Existenz, ist das ´Zelt´ des Wortes: Die Anspielung auf das heilige Zelt des wandernden Israel ist unverkennbar. Jesus ist sozusagen das Zelt der Begegnung – ganz real das, wofür das Zelt und der spätere Tempel nur als Zeichen stehen konnten. Jesu Ursprung, sein ´Woher´, ist der ´Anfang´ selbst – der Urgrund, aus dem alles kommt; das ´Licht´, das die Welt zum Kosmos macht. Er kommt von Gott. Er ist Gott. Dieser zu uns gekommene Anfang eröffnet – als Anfang – eine neue Weise des Menschseins.“9

Im Prolog fällt – wie im gesamten Johannesevangelium – ein dualistisches Den- ken auf, das sich in markanten Gegensätzen zeigt: Licht – Finsternis; „geboren aus dem Willen des Fleisches“ – „geboren aus Gott“; Gesetz – Gnade und Wahrheit.10 8 Eisele, Wilfried: „Im Anfang war das Wort“. Der Prolog zum Johannesevangelium (Joh

1,1–18), in: Bibel heute 47 (2011), H. 3, 7–9, hier: 7.

9 Ratzinger, Joseph – Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Prolog. Die Kindheitsgeschichten, Freiburg i.Br. (Herder) 2012, 21f.

10 Vgl. Bauer, Dieter: Ein Evangelium für „neue Menschen“. Einführung in das Johannesevange- lium, in: Bibel heute 47 (2011), H. 3, 4–6, bes. 5.

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Diese angezeigten Gegenpole zielen auf die Entscheidung der johanneischen Gemeinde für oder gegen den Logos und die durch ihn vermittelte neue Weise des Menschseins.

3. Wirkmächtige Dimensionen des Logos aus der Perspektive des Johannesprologs

3.1 Der schöpferische Logos als „erstes Wort Gottes“

Die spannenden Fragen nach dem Ursprung, nach dem eigentlichen Beginn der Welt und des Lebens beschäftigen die Menschen seit alters her. Wie ist alles entstanden? War es Zufall oder Planung? Naturwissenschaftler liefern stets neue Erklärungsversuche. Die Schöpfungstheologie gibt keine Antwort darauf, wie die Welt entstanden ist, wohl aber geht sie davon aus, dass ein Schöpfer hinter allem steht. Im ersten Satz der Bibel bzw. des Buches Genesis heißt es: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Am Anfang stehen also der Wille und das lebenschaffende Wort eines Schöpfers. Als Gott „sprach“ – wie es in der biblischen Schöpfungs- erzählung heißt -, brachte sein „Wort“ Leben hervor. Für gläubige Menschen entstand die Welt demnach nicht als ein Zufallsprodukt, sondern gründet im schöpferischen Wort, durch das Gott alles geschaffen und in das Dasein gerufen hat. In der Schöpfung „drückt sich Gott für uns aus, zeigt er uns seine Herrlichkeit.

Die Schöpfung ist das erste Wort Gottes. In ihr drückt sich der Logos aus, der in Jesus Mensch geworden ist. Wir können auf Jesus nicht schauen, ohne die Schöpfung mit in den Blick zu nehmen.“11 In diesem Sinn kann der erste Satz am Beginn des Johannesevangeliums dazu in Relation gesetzt werden: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ (Joh 1,1) Die johanneische Tradition identifiziert dieses Wort mit Jesus, dem Sohn Gottes, der eins mit dem Vater ist. Gottes „ewiges Wort“ hat „Fleisch“ angenommen, ist in Jesus Mensch geworden. „In ihm ist der Logos, der schöpferische Sinn aller Dinge, in die Welt hereingetreten.“12 In ihm hat er sich mit der gesamten Schöpfung und mit dem Menschen als Geschöpf Gottes zutiefst solidarisiert.

11 Grün, Anselm: Jesus – Wege zum Leben. Die Evangelien des Matthäus., Markus, Lukas und Johannes. Stuttgart (Kreuz Verlag) 2005, bes. 461–468, hier: 463.

12 Ratzinger Joseph – Benedikt XVI., 2012 (Anm. 9), 74.

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Analog dazu bezeugt der Kolosserbrief, dass in Christus „alles erschaffen“ wurde (Kol 1,16): Christus ist „der Erstgeborene der ganzen Schöpfung“ (Kol 1,15) und

„der Erstgeborene der Toten“ (Kol 1,18). „Der Begriff der Erstgeburt erhält eine kosmische Dimension. Christus, der menschgewordene Sohn, ist sozusagen die erste Idee Gottes und geht aller Schöpfung voraus, die auf ihn hin und von ihm her bestimmt ist. Er ist damit auch Anfang und Ziel der neuen Schöpfung, die mit der Auferstehung begonnen hat.“13 Unter dieser kosmischen Perspektive dürfen die Christen mit dem Anbruch der „neuen Schöpfung“ auf eine end-gültige Vollendung und auf ein ewiges Heil hoffen.

Die Schöpfungstheologie sieht in der Schöpfung nicht etwas Abgeschlossenes, sondern vielmehr einen dynamischen Prozess, der auf Zukunft hin offen ist und in den auch der Mensch eingebunden und zur Mitwirkung aufgefordert ist.

„Im Glauben an die uns von Gott geschenkte Freiheit dürfen wir uns als Mitwir- kende an der Schöpfung verstehen und diese Verantwortung auf uns nehmen.

Schöpfungsglaube macht schöpferisch durch Dankbarkeit.“ 14 Er fördert unsere Kreativität – im eigentlichen Sinn des Wortes.

3.2 Der Logos als personifizierte Weisheit

Der Weisheitsmythos spielt bereits im frühen Judentum eine bedeutende Rolle.

Der Logos, der aus der jüdischen Weisheitstheologie bekannt ist, hat als erstes Geschöpf Gottes eine besondere Nähe zu ihm. In der Weisheitsliteratur Israels finden sich bemerkenswerte Parallelen zum Logos des Johannesevangeliums.

Im Buch Jesus Sirach heißt es: „Alle Weisheit stammt vom Herrn (vom Ewigen) und ewig ist sie bei ihm. Den Sand des Meeres, die Tropfen des Regens und die Tage der Vorzeit, wer hat sie gezählt? Die Höhe des Himmels, die Breite der Erde und die Tiefe des Meeres, wer hat sie gemessen? Früher als sie alle ist die Weisheit erschaffen, von Ewigkeit her die verständige Einsicht.“ (Jesus Sirach 1,1–4)

Weisheit und Einsicht prägen so sehr das Leben, dass sie personifiziert werden.

„Im Buch der Weisheit wird die Weisheit wie eine eigene Person geschildert, die unter uns wohnt. Genauso will das Wort unter uns wohnen, sein Zelt unter uns aufschlagen. Wort und Weisheit wollen zeigen, wie Gott sich uns offenbart. Sie 13 Ratzinger Joseph – Benedikt XVI., 2012 (Anm. 9), 80.

14 Steindl-Rast, David: Credo. Ein Glaube, der alle verbindet, Freiburg i.Br. (Herder) 2010, 57.

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werden gleichsam als eigene Personen gesehen, durch die sich der ferne Gott uns mitteilt, Mittler zwischen Gott und den Menschen. Der Hintergrund dieses wunderbaren Hymnus ist vielleicht auch die Gnosis, für die der Logos ein wich- tiger Mittler zwischen Gott und Mensch war.“ 15 Im Logos – der personifizierten Gestalt der Weisheit – gibt sich Gott dem Menschen zu erkennen und offenbart sich ihm in unüberbietbarer Weise.

3.3 Der präexistente Logos

Die Präexistenz meint „die transzendente, ´ewige´ Existenz eines ´Wesens´ vor seinem geschichtlichen Erscheinen bzw. Erkanntwerden“ 16 in dieser Welt. Im Pro- log wird nun diese Präexistenz vom „Wort“ bzw. von Jesus ausgesagt, der als „der Präexistente“ schon im Uranfang bei Gott ist. Von dieser Präexistenz des Wortes ist ausdrücklich nur in Joh 1,14 die Rede. Dies ist auch die entscheidende Stelle für das Verständnis der Inkarnation, der Menschwerdung Gottes. „Jesus Christus verkörpert in seiner Person ´das Wort´, das von Gott her kommt und schon ´im Anfang´ bei Gott war (Joh 1,1.17) Mit Fleisch ist nach biblischer Vorstellung der ganze Mensch aus Fleisch und Blut gemeint, und zwar insofern er irdisch begrenzt, vergänglich und sterblich ist (vgl. Jesaja 40,5–7). Die Aussage von Joh 1,14 bildet einen Kontrast zu jener in Joh 1,1: ´Und das Wort war Gott (theos)´. Die ohne Artikel verwendete Bezeichnung Gott kann hier als Prädikatsnomen verstanden werden, das die Beschaffenheit und Natur des Wortes bezeichnet. Joh 1,1, lässt sich auch so umschreiben: ´Und das Wort war von göttlicher Natur.´ Im Sinne von Joh 1,14 nimmt dieses Wort durch die Fleischwerdung menschliche Natur an. Die beiden Stellen Joh 1,1 und 1,14 hatten Einfluss auf die spätere Entwicklung der Zwei-Naturen-Lehre in der Christologie. … Der Kontrast zwischen Joh 1,1 und 1,14 kann verglichen werden mit der Gegenüberstellung im Philipperbriefhymnus (Phil 2,6–11): Jesus, der als Präexistenter in der Wesensgestalt (morphé) Gottes ist (Phil 2,6), entäußert sich selbst (kenoó) und nimmt die Wesensgestalt (morphé) eines Sklaven an (Phil 2,7). Am Beginn des Römerbriefes zitiert Paulus ein Chri- stusbekenntnis, in dem Jesus ´dem Fleisch (sarx) nach´ als Nachkomme Davids

15 Grün, Anselm, 2005 (Anm. 11), 462.

16 Die Bibel – erschlossen und kommentiert von Hubertus Halbfas, Ostfildern (Patmos) 6. Aufl.

2010, 500.

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