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Der Christus-Logos und die Theologie der Kirchen

Im Dokument Sieben Positionen zum Logos (Seite 132-136)

Es ist wahr, Steiner und Beuys haben die kirchliche Praxis wiederholt scharfer Kritik unterzogen. Ob zutreffend oder nicht, in jedem Fall waren für diese prononciert entwicklungsgeschichtlichen, ethischen Gedanken die kirchlichen Alternativen entweder zu aufgeklärt und rationalistisch (Protestantismus) oder zu dogmatisch, formelhaft und lebensfremd (Katholizismus). Immerhin bleibt festzuhalten, dass das kosmologisch-christologische Denken weder der Bibel noch der kirchlichen Tradition fremd ist. Im Gegenteil: den Christusglauben im Horizont der Weltent-wicklung auszulegen, gehört zu seinen ältesten Deutungen. Sie reichen bis in die Zeit der Kirchenväter im 2. Jahrhundert zurück und erleben bis in unsere Zeit hinein immer wieder ihre Neuauflagen, etwa in der – freilich heftig umstrittenen – Christus-Kosmologie eines Pierre Teilhard de Chardin.89

In der frühen Zeit entspricht diese Reflexion dem antik-hellenistischen Kos-mos- und Epiphaniedenken. Der Logos wird hier zum Selbstausdruck Gottes, der

88 Int. Autor, S. 64.

89 Vgl. Arno Schilson, Christologie im Horizont der Kosmologie, in: Arno Schilson und Walter Kas-per (Hgg.), Christologie im Präsens. Kritische Sichtung neuer Entwürfe, Freiburg (Herder) 1980, S. 72–114.

sich in die Welt inkarniert und sie sich zum Leib nimmt. Nach dieser Auffassung überwindet der Mensch in der Folge die Gefahren des Todes, denen er sich selbst ausgesetzt hat, wird er mit einer neuen Lebensfülle durchdrungen und erneut in das innere Leben Gottes hineingezogen. Dadurch strömt diese Lebensfülle auch wieder in die ganze Welt: in die Elemente, Pflanzen, Tiere, ja in die ganze kosmische Entwicklung. Der Logos-Christus stellt in dieser Sicht das geheimnisvolle Zentrum aller Entwicklung dar. Im Glauben an ihn haben die frühen Christen – wie es im Kolosserbrief heißt – „den alten Menschen mit seinen Taten abgelegt und <… sind sie> zu einem neuen Menschen geworden, der nach dem Bild seines Schöpfers erneuert wird, um ihn zu erkennen“ (Kol 3,10).

Als Beispiel: Die physische Erlösungslehre des Gregor von Nyssa

In einem langen theologischen Ringen hat sich die Vorstellung von Christus als dem treibenden Prinzip der Weltentwicklung in der sog. physischen Erlösungsleh-re niedergeschlagen. Dieses Denken war aber stets theologisch heftig umstritten.

Wird diese Lehre im Kern dahingehend verstanden, dass der göttliche Logos die gesamte menschliche Physis angenommen habe und diese mehr und mehr reini-ge und heilireini-ge, bis sie ihre eschatologische Vollkommenheit erreiche, so entfacht sich automatisch der Streit um die Frage, in welchem Sinn denn diese menschliche

‚Physis‘ zu verstehen sei. Ist sie eine eigene ontologische Realität, welche die reale Natur aller Menschen umfasst? Ist sie im Licht rationaler Interpretation nur ein besonderer ‚Bedeutungs‘-Aspekt? Mit anderen Worten: Ist mit diesem Ausdruck eine sachhaft ‚physische‘ Erlösung gemeint oder nur eine „platonisierende Mystik der Vergöttlichung der Menschheit“90?

Seit gut 100 Jahren findet in diesem Zusammenhang besonders die Theologie eines Gregor von Nyssa eine hohe Aufmerksamkeit.91 Hier spielt die Vorstellung

90 Franz Lakner, Erlösung. In der Dogmengeschichte, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. III, Freiburg (Herder) 1959, Sp. 1020–1024, Sp. 1022.

91 Reinhard M. Hübner, Die Einheit des Leibes Christi bei Gregor von Nyssa. Untersuchungen zum Ursprung der ‚physischen Erlösungslehre, Leiden 1974. Raymund Schwager, Der wunderbare Tausch. Zur ‚physischen‘ Erlösungslehre Gregors von Nyssa, in: Zeitschrift für katholische Theologie 104 (1982), S. 1–24. Franz Dünzl, Formen der Kirchenväter-Rezeption am Beispiel der sogenann-ten physischen Erlösungslehre des Gregor von Nyssa, in: Theologie und Philosophie 69 (1994), S. 161–181.

von einer allem sittlichen Tun vorausliegenden Einheit der Menschheit eine zentra-le Rolzentra-le. Auf sie beziehe sich der göttliche Logos. Nach Auffassung von Raymund Schwager versucht Gregor mit der Vorstellung einer ‚zusammengesetzten‘ realen Einheit der Menschheit die universale Wirksamkeit des Logos verständlich zu machen. Ohne auf nähere Einzelheiten einzugehen, sei diese alte theologische Auffassung kurz angesprochen, da ihr ein Substanzdenken zugrundeliegt, das sich mit dem von Steiner und Beuys berührt.

Gregor geht von dem Unterschied zwischen einer ungeschaffenen göttlichen und einer geschaffenen menschlichen Substanz aus. Danach ist alles Geschaffene aus dem Nichts geworden und bleibt stets veränderlich. Dagegen ist der unge-schaffene Gott unveränderlich, denn er ist vollkommen. Nach Gregor entzieht er sich allem unvollkommenen Erkennen. So stehe die göttliche Substanz über jedem Prinzip und jeglichem Begriff, der ihr zugeschrieben werde. Unerkennbarkeit sei ihr einziges Erkennungszeichen. Gleichwohl könne der Mensch im Glauben zur inneren Gewissheit gelangen, dass er als Bild Gottes geschaffen wurde und des-halb etwas von der unerreichbaren Gottheit in sich trage. Diese zeige sich in dem Umstand, daß die Seele geistig, frei und Herr über die Welt der Sinne sei. Auf diese Weise spiegle sie geradezu etwas von der Erhabenheit der göttlichen Natur wider:

„Die namenlose und unbekannte Substanz deiner geistigen und unsterblichen Seele wurde nach dem Bild und Gleichnis des namenlosen, unbekannten und unsterblichen Gottes gebildet. Denn weder die Substanz Gottes noch die der geistigen Seele hat je ein Mensch, der aus dieser Welt geboren wurde, erkannt.“92

Wenn der Mensch aber dennoch zu Gott als dem geheimnisvollen Unbekannten gelangen könne, dann deshalb, weil er an seiner Seele ein merkwürdiges Streben erfahre. Sie befinde sich nämlich in dauernder Bewegung und strebe stets über alle erfahrbaren Grenzen hinaus. Ja, diese Stetsbewegung (aeikíneton) sei ihre wesentliche Eigenart und allem Geschaffenen eigen. Dieses ununterbrochene Dahinfließen in der Zeit, verbinde sich in der Seele mit einem ihr angeborenen Rückstreben zum Ursprung. Gregor bezeichnet diese Bewegung sogar mit dem platonischen Ausdruck Eros. Durch dieses grenzenlose Streben vermittle sich über alle Fassungskraft hinaus die erhabene Unendlichkeit Gottes dem Menschen.

Als ausgesprochene Störung sei aber die Sünde in diese Bewegung gefallen und habe dieses Bild Gottes in den Menschen zugeschüttet. Dunkle Leidenschaften hätten sich daher breitgemacht. Deshalb habe der göttliche Logos die mensch-liche Natur annehmen müssen, um die ‚beschmutzten‘ Menschen zu reinigen und in ihnen das verdeckte Bild Gottes wieder aufleuchten zu lassen. Daher habe sich 92 Zitat bei Hübner Der wunderbare Tausch, a.a.O., S. 4.

der Logos mit dem Menschen Jesus ‚vermischt‘ und ihm auf diese Weise Anteil an seiner Schönheit und Unsterblichkeit erworben.

Der liberale Theologe um die Jahrhundertwende, Adolf von Harnack, mit dem Rudolf Steiner sich mehrfach kritisch auseinandersetzte, hat dieses Denken in seinem Grundriss der Dogmengeschichte distanziert zusammengefaßt: „Gregor hat ausdrücklich gelehrt, dass Christus nicht ein einzelnes Menschenwesen angenommen habe, sondern als zweiter Adam die menschliche Natur, so dass nach dieser mystisch-platonischen Anschauung ALLES Menschliche mit der Gottheit zusammengewachsen ist; er hat das Ganze streng als einen physisch-pharmakologischen Process gedacht: Die Menschheit wird wie ein Teig vom Sauerteig der Gottheit durchdrungen.“93

Nicht nur Harnack meldet diesem Denken gegenüber erheblichen Widerspruch an und lehnt es i.S. der liberalen Theologie generell als metaphysische, helleni-stische Überfremdung des Christentums ab. Diese Vorstellungen entsprächen nicht dem Evangelium. Es habe nichts, wie er meint, mit dieser Art ‚inkarnato-rischen Mythos‘ gemein.

Auch andere Theologen kritisieren in ihren Einsprüchen vor allem das Unge-schichtliche und Unpersonale dieser Vision, weil sie mit dem Freiheitsbegriff der Schöpfung nicht vereinbar sei. Es habe eine Tendenz zum ‚Heilsautomatismus‘, nach dem die Erlösung mit gesetzlicher Notwendigkeit die gesamte mensch-liche Natur und damit jeden einzelnen erfasse und so die klassischen Elemente des Erlösungsgeschehens wie den persönlichen Glauben, das sittliche Streben und die in Freiheit und Hingabe gelebte Liebe zu Gott vernachlässige.94 Die Differenz, wie sie zwischen dem kosmologisch-christologischen Denken von so unterschiedlichen Gestalten wie Rudolf Steiner, Joseph Beuys, Pierre Teilhard de Chardin einerseits und den meisten Theologen der Kirchen andererseits zutage tritt, hat in dieser sachhaft-physischen Erlösungsauffassung ihren Grund. Ihnen gegenüber wiederholen die Kritiker immer wieder die gleichen Kritikpunkte:

Vernachlässigung der menschlichen Wirklichkeit Jesu, subjektiver Mystizismus, appellative Systematik.95 Nur durch den Glauben an Christi Gottheit könne man in den innergöttlichen Wahrheitsraum eintreten, in welchem man das Wesen der

93 Adolf von Harnack, Grundriss der Dogmengeschichte, Freiburg 1893, S. 167.

94 Vgl. etwa: Karl Rahner, Erlösung, in: Herders Theologisches Taschenlexikon, Bd. II, Freiburg (Herder) 1972, S. 196–208.

95 Vgl. etwa Arno Schilson und Walter Kasper, Christologie im Präsens. Kritische Sichtung neuer Entwürfe, Freiburg (Herder) 1980, S. 79f.

Wahrheit ‚sehen‘ und ‚verstehen‘ lerne, jedoch im „Verzicht auf die eigene Ehre und die in sich ruhende Evidenz“96.

Die Frage bleibt, ob sich die Anliegen eines ontologisch orientierten und das eines personal Christo-gläubigen Denkens vermitteln lassen? Das ist für das generelle Verhältnis zwischen der Anthroposophie und den christlichen Kirchen zwar schwierig, aber nicht unmöglich. Eine Reihe konstruktiver Bemühungen liegen vor.97 Für das kirchlich-theologische Denken und die Kunst von Joseph Beuys ist es leichter, und zwar einmal im Blick auf neuere Ansätze zu einer neue-ren Christologie, welche den personalen Glaubensansatz mit einem kosmischen Denken zu verbinden suchen; dann aber auch durch eine unbefangene und freie Auseinandersetzung mit den Exerzitien des Ignatius von Loyola, wie sie Joseph Beuys in seiner Fluxus-Demonstration MANRESA beschritt. Sie belegt im Denken von Beuys jene Offenheit, wie sie für ihn charakteristisch ist, und eröffnet zugleich jene Polaritat, wie sie für eine Vermittlung gegensätzlicher Denkrichtungen vonnöten ist.

Im Dokument Sieben Positionen zum Logos (Seite 132-136)