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Steuerliche Besonderheiten beim Ansatz von Passiva

3 Gewinnkonzeption der Steuerbilanz

3.3 Ansatzvorschriften

3.3.2 Steuerliche Besonderheiten beim Ansatz von Passiva

Beim Einzelkaufmann richtet sich die Zuordnung von Schulden zum Betriebsver-mögen danach, ob sie objektiv in wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem Un-ternehmen stehen (H 4.2 Abs. 15 EStR). Ist dies nicht der Fall, handelt es sich um Privatschulden. Schulden können isoliert von anderem Betriebsvermögen grund-sätzlich nicht dem gewillkürten Betriebsvermögen angehören.208 Wird ein durch Fremdmittel angeschafftes Wirtschaftsgut gemischt genutzt, folgt die Refinanzie-rung der Behandlung des Wirtschaftsgutes.209 Bei gemischt genutzten beweglichen Wirtschaftsgütern ist je nach Behandlung des Wirtschaftsgutes die Schuldauf-nahme entweder betrieblich oder privat veranlasst. Bei unbeweglichen Wirt-schaftsgütern ist eine Aufteilung vorzunehmen.210

Bei Personengesellschaften sind Schulden in der Gesamthandsbilanz zu erfassen, wenn sie im Namen der Gesellschaft begründet worden sind.211 Schulden, die in einem Zusammenhang mit Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafters stehen, sind entsprechend in den Sonderbilanzen zu passivieren (Sonderbetriebsvermögen

207 Ich habe früher als Student befremdet gezuckt, als ich § 250 Abs. 1 HGB gelesen („Als Rech-nungsabgrenzungsposten sind auf der Aktivseite Ausgaben vor dem Abschlußstichtag auszu-weisen, soweit sie Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen“) und mit

§ 5 Abs. 5 Nr. 1 EStG verglichen habe („Als Rechnungsabgrenzungsposten sind nur anzuset-zen 1. Auf der Aktivseite Ausgaben vor dem Abschlussstichtag, soweit sie Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen“). Warum wiederholt der Steuergesetzgeber – na-hezu – wortgleich die Formulierung aus § 250 Abs. 1 HGB, wenn doch über § 5 EStG die Maßgeblichkeit gilt? Das liegt daran, dass die Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen GoB für die Steuerbilanz nur für Vermögensgegenstände/Wirtschaftsgüter und Schulden gilt! Der (aktive) Rechnungsabgrenzungsposten ist kein Vermögensgegenstand/Wirtschaftsgut, son-dern ein „Aufwandsverteilungsposten“. Will der Steuergesetzgeber parallele Bilanzierungs-regeln für solche Verteilungsposten in Handels- und Steuerbilanz erreichen, muss er eine ei-gene – dann identische – Regelung ins EStG aufnehmen.

208 Vgl. Breithecker/Schmiel (2003), S. 125 oder Loschelder (2021), Rz. 152 zu § 4 EStG.

209 Vgl. Schmidt/Ries (2020), Rz. 74 zu § 246 HGB.

210 Vgl. Schmidt/Ries (2020), Rz. 74 zu § 246 HGB m. w. N.

211 Vgl. Schmidt/Ries (2020), Rz. 75 in Anlehnung an IDW (2018), Tz. 23.

II). Steuerschulden sind nur dann in der Gesamthandsbilanz zu passivieren, wenn die Gesellschaft Steuerschuldner ist.212

Aktiva Ansatz Handelsbilanz Ansatz Steuerbilanz selbst erstellte Abb. 8: Durchbrechungen der Maßgeblichkeit beim Ansatz von Aktiva

Bei Kapitalgesellschaften gelten die Ausführungen betreffend die Zuordnung von Wirtschaftsgütern analog.

212 Vgl. Schmidt/Ries (2020), Rz. 75 zu § 246 HGB m. w. N. Dies ist bei den Ertragsteuern nur bei der Gewerbesteuer in gewerblichen Mitunternehmerschaften der Fall. Daneben ist natür-lich eine große Anzahl von Verkehr- und Verbrauchsteuern – letztere branchenabhängig – passivierungsfähig und -pflichtig. Vgl. hierzu später Kapitel 5.

Durchbrechungen der Maßgeblichkeit beim Ansatz von Verbindlichkeiten und Rückstellungen213

Nach § 5 Abs. 2a EStG sind für Verpflichtungen, die nur zu erfüllen sind, soweit künftige Einnahmen oder Gewinne anfallen, Verbindlichkeiten und Rückstellun-gen erst anzusetzen, wenn die Einnahmen oder Gewinne angefallen sind.214 Sind die Einnahmen und Gewinne angefallen und damit die Verpflichtung dem Grunde nach sicher, ist bei ungewisser Höhe der Verpflichtung eine Rückstellung, bei ge-wisser Höhe eine Verbindlichkeit zu passivieren.215 Handelsrechtlich hingegen ist, unabhängig von einem etwaigen Anfall der Einnahmen oder Gewinne, schon dann eine Rückstellung zu passivieren, wenn und soweit die Inanspruchnahme hinsicht-lich der Verpfhinsicht-lichtung überwiegend wahrscheinhinsicht-lich ist.216 Sind Inanspruchnahme und Höhe sicher, ist eine Verbindlichkeit zu passivieren.

Rückstellungen für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen,217 die handelsrechtlich nach den allgemeinen Grundsätzen für die Bildung von Verbindlichkeitsrückstel-lungen i.S.d. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB zu passivieren sind, unterliegen steuerlich restriktiven Passivierungsvoraussetzungen:

 Gegen den Steuerpflichtigen muss eine behördliche Verfügung, ein Verwal-tungsakt oder eine sonstige Maßnahme ergangen sein oder

213 Vgl. zu den allgemeinen Voraussetzungen zur Passivierung von Rückstellungen (mit verdich-teten Hinweisen zu Rückstellungen für Jahresabschlusserstellung und -prüfung, zur Aufbe-wahrung von Buchführungsunterlagen, zu Aufwendungen aus der organisatorischen Betreu-ung einer BP, zu Mehrsteuern aus einer BP oder zu daraus resultierenden Personalverpflich-tungen) auch Günther (2017). Leider ist der erste Satz von Günther in seinem Beitrag unzu-treffend. Dieser lautet: „Mit der Bildung von Rückstellungen kann der Unternehmer einen Aufwand bereits zu einem Zeitpunkt gewinnmindernd berücksichtigen, in dem er noch gar nicht angefallen ist.“ Genau das ist natürlich nicht möglich. Hier verwechselt Günther den Aufwand – also die Realisation – und die Auszahlung!

214 Ein Beispiel für eine solche Situation kann in einem Forderungsverzicht mit Besserungsab-rede liegen. Der Gläubiger verzichtet, allerdings wird verabBesserungsab-redet, dass unter ganz bestimmten Voraussetzungen – bestimmte „Gewinn“höhe, bestimmter EBIT oder EBITDA – die Forde-rung ganz oder teilweise wiederauflebt. Solange diese Voraussetzungen nicht eingetreten sind, darf die (erfolgswirksam) ausgebuchte Verbindlichkeit nicht wieder erfolgswirksam ein-gebucht werden. Vgl. hierzu Weber-Grellet (2021a), Tz. 315 zu § 5 EStG.

215 Vgl. Schubert (2020a), Rz. 224 zu § 247 HGB.

216 Vgl. Breithecker/Schmiel (2003), S. 153 und 161.

217 Hierunter sind neben Umweltschutzrisiken auch Steuererklärungs-, Prüfungs- oder Aufbe-wahrungspflichten zu subsumieren. Vgl. zu letzterem auch Schubert (2020b), Tz. 100 zu

§ 249 HGB (Stichwort: Jahresabschluss/Konzernabschluss/Prüfungskosten) oder Wirtz/Gers-bacher (2018), S. 159/169 bzw. 192-194.

 ein Gesetz schreibt ein inhaltlich genau definiertes Handeln innerhalb eines be-stimmten, dem betreffenden Wirtschaftsjahr nahen, Zeitraums vor und die Ver-letzung der Pflicht wird sanktioniert218 und

 es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse eines Gemeinwesens an der Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung (im Unterschied zu einem überwiegenden Interesse des Unternehmers).219

Rückstellungen wegen Verletzung fremder Patent-, Urheber- oder ähnlicher Schutzrechte (§ 5 Abs. 3 Satz 1 EStG) sind steuerlich spätestens in der Bilanz des dritten auf ihre erstmalige Bildung folgenden Wirtschaftsjahres gewinnerhöhend aufzulösen, wenn Ansprüche nicht geltend gemacht worden sind (§ 5 Abs. 3 Satz 2 EStG). Handelsrechtlich hingegen darf die Rückstellung nur aufgelöst werden, soweit der Grund für ihre Bildung entfallen ist (§ 249 Abs. 2 Satz 2 HGB).

Jubiläumsrückstellungen dürfen nach § 5 Abs. 4 EStG nur unter folgenden Voraussetzungen gebildet werden:

 Das Dienstverhältnis muss mindestens zehn Jahre bestanden haben,

 das Dienstjubiläum muss ein Dienstverhältnis von mindestens 15 Jahren vo-raussetzen,

 eine schriftliche Zusage muss erteilt worden sein und

 der Zuwendungsberechtigte muss die Anwartschaft nach dem 31.12.1992 er-worben haben.

Handelsrechtlich bestehen keine derartig einschränkenden Passivierungsvoraus-setzungen.220

Drohverlustrückstellungen dürfen – mit Ausnahme solcher Drohverluste, die sich aus der Absicherung finanzwirtschaftlicher Risiken durch Bewertungseinheiten er-geben – nach § 5 Abs. 4a EStG nicht gebildet werden. Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB besteht hingegen eine Passivierungspflicht.

Pensionsrückstellungen sind221 nach § 6a Abs. 1 EStG nur unter folgenden Voraussetzungen zu bilden:

218 Vgl. BFH (1989), S. 894. Vgl. auch BFH (2003), S. 131. Künftige Auszahlungen, die als Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu aktivieren sind, dürfen zuvor nicht als Rückstel-lung passiviert werden (§ 5 Abs. 4b Satz 1 EStG). Dies kann z.B. auf Umweltschutzfilter zutreffen.

219 Vgl. BFH (2000b), S. 571.

220 Vgl. Federmann/Müller (2018), S. 380.

221 Vgl. zu der – u.E. entgegen dem Wortlaut des Gesetzes – bestehenden steuerbilanziellen Pas-sivierungspflicht nochmals oben Fn. 133, S. 57. Vgl. aber auch Weber-Grellet (2021c), Tz. 2 zu § 6a EStG, der aus der Formulierung „darf … nur“ kein Wahlrecht ableitet.

 Der Pensionsberechtigte muss einen Rechtsanspruch auf die Pensionsleistun-gen haben (§ 6a Abs. 1 Nr. 1 EStG),

 ein schädlicher Vorbehalt i.S.d. § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG, durch den die Pensi-onszusage widerrufen werden kann, darf nicht vorliegen und

 die Pensionszusage muss in Schriftform gegeben worden sein (§ 6a Abs. 1 Nr.

3 EStG).

Des Weiteren darf die Pensionsrückstellung gem. § 6a Abs. 2 EStG erstmalig zu folgenden Zeitpunkten gebildet werden:

 Vor Eintritt des Versorgungsfalls erstmalig in dem Wirtschaftsjahr, in dem die Pensionszusage erteilt wird, frühestens jedoch (seit dem 1.1.2018) in dem Wirt-schaftsjahr, bis zu dessen Mitte der Bezugsberechtigte das 23. Lebensjahr voll-endet hat (§ 6a Abs. 2 Nr. 1 EStG).

 Nach Eintritt des Versorgungsfalls in dem Wirtschaftsjahr, in dem der Versor-gungsfall eintritt (§ 6a Abs. 2 Nr. 2 EStG).

Handelsrechtlich sind Pensionsrückstellungen als Verbindlichkeitsrückstellungen passivierungspflichtig. Die Einschränkungen des § 6a EStG gelten handelsrecht-lich nicht.222

Die o.g. Einschränkungen bei der Passivierung von Rückstellungen sind allerdings dann gesondert zu betrachten, wenn der Bilanzierungspflichtige Rückstellungen im Zuge eines asset deals erwirbt und die Rückstellungen beim Veräußerer einem Passivierungsverbot unterlagen (sog. „angeschaffte“ Rückstellungen). Der BFH hat die erfolgswirksame Passivierung der Rückstellungen bejaht223 – der Gesetz-geber hat mit § 4f und § 5 Abs. 7 EStG Einschränkungen vorgenommen.224 Nach

§ 5 Abs. 7 EStG sind die übernommenen Verpflichtungen „bei dem Übernehmer und dessen Rechtsnachfolger so zu bilanzieren, wie sie beim ursprünglich Ver-pflichteten ohne Übernahme zu bilanzieren wären.“ Allerdings gestattet § 4f Abs.

1 EStG, dass der dadurch übernommene Aufwand „im Wirtschaftsjahr der Schuld-übernahme und den nachfolgenden 14 Jahren gleichmäßig verteilt als Betriebsaus-gabe abziehbar“ ist.225

222 Vgl. Schneeloch/Meyering/Patek (2017), S. 48.

223 Vgl. BFH (2011a) – gegen BMF (2011a).

224 Vgl. zur Anwendung auch BMF (2017a).

225 Vgl. zur Kritik an diesen – eigentlich nur den Missbrauch bei verbundenen Unternehmen ver-hindern sollenden – Gesetzesänderungen beispielsweise Kahle (2018).

Abbildung 9 fasst die oben dargestellten Durchbrechungen zusammen.

Passiva Ansatz Handelsbilanz Ansatz Steuerbilanz aufschiebend bedingte

Verpflichtungen Passivierungspflicht Fortführung der Regeln des Überträgers Abb. 9: Durchbrechungen der Maßgeblichkeit beim Ansatz von Passiva

Exkurs: Steuerrückstellungen – Ansatz

Gemäß dem Vollständigkeitsgebot (§ 246 Abs. 1 HGB) müssen alle Verpflichtun-gen aus dem Steuerschuldverhältnis, die bis zum Abschlussstichtag rechtlich ent-standen oder begründet sind, im handelsrechtlichen Jahresabschluss passiviert werden. Dabei ist es unerheblich, ob diese Verpflichtungen aus dem abgelaufenen Geschäftsjahr oder früheren Geschäftsjahren stammen, soweit sie noch nicht erlo-schen sind (§ 47 AO). In der folgenden Abbildung 10 sind die Steuerarten aufge-führt, die dem Grunde nach eine Passivierung als Steuerrückstellung im Jahresab-schluss nötig werden lassen können.

Steuerrückstellungen als Verbindlichkeitsrückstellungen i.S.d. § 249 Abs. 1 HGB werden für alle Steuern und Abgaben gebildet, die dem abgelaufenen Geschäfts-jahr zuzurechnen sind, deren Höhe aber noch nicht durch einen Steuerbescheid festgesetzt ist (§ 155 Abs. 1 AO) oder durch eine Steueranmeldung als festgesetzt

Wesentliche Steuerarten Steuerschuldkategorie Einteilung als

Abb. 10: Übersicht über die Rückstellungsfähigkeit verschiedener Steuerarten (Quelle: Breithecker/Weyers [2013b])

gilt (§§ 150 Abs. 1 Satz 3, 168 AO).227 Ob es sich dabei um in- oder ausländische Steuern handelt oder wann sie fällig werden, ist unerheblich. Die Steuerrückstel-lungen umfassen alle ungewissen Verbindlichkeiten aus Steuern, für die der Bi-lanzierende Steuerschuldner228 bzw. Haftungsschuldner ist.229

Exkursende

226 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht – losgelöst von unserer Auffassung, dass eine Kirchensteuer keine Steuer ist – dann, wenn es sich nicht um die Kirchensteuer des Unterneh-mers selbst handelt, z.B. bei einem geringfügig Beschäftigten gem. § 40a Abs. 2 EStG (mit 2 % Lohnsteuer inkl. SolZ und KiSt).

227 Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2019), S. 450. Vgl. auch ausführlich Wirtz/Gersbacher (2018), S. 77-82.

228 Steuerschuldner ist derjenige, der den Tatbestand verwirklicht, an den das Gesetz eine Leis-tungspflicht knüpft (vgl. §§ 43, 38 und 37 AO). Er hat die materiellen Steuerpflichten, vor allem die vermögensrechtliche Verpflichtung zur Zahlung der Steuer, zu erfüllen; vgl. Breit-hecker (2021), S. 21 f.

229 Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2019), S. 450.