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Einer der wichtigsten und weltweit verbreiteten Erkrankungskomplexe der Sau nach der Geburt ist die Mastitis-Metritis-Agalaktie (MMA) (PLONAIT 2004; JENNY 2015). Da jedoch eine Metritis oder eine komplette Agalaktie der Sau nur in wenigen Fällen auftreten (REINER et al. 2009), wird im internationalen Sprachgebrauch der Begriff Postpartales Dysgalaktie-Syndrom (PPDS) bevorzugt (MARTINEAU et al. 2012). Die Bezeichnung MMA wird jedoch im Folgenden wegen des verbreiteten Gebrauchs im deutschen Sprachraum beibehalten. Die Inzidenz der Erkrankung beträgt ca. 13 %, variiert jedoch zwischen Herden und Ländern und ist aufgrund der vielen verschiedenen Erscheinungsbilder dieser Erkrankung schwierig zu ermitteln (HIRSCH et al. 2003;

MARTINEAU et al. 2012; JENNY 2015).

Hauptsymptom dieses Erkrankungskomplexes, welcher nahezu ausschließlich in den ersten 3 Tagen post partum auftritt, ist eine ungenügende Milchproduktion, was sich wiederrum in höheren Saugferkelverlusten und heterogenen Würfen zum Zeitpunkt des Absetzen äußert (BÄCKSTRÖM et al. 1984; PLONAIT 2004). Weitere Symptome bei der Sau sind Mastitis, Ödeme der Milchdrüse, vaginaler Ausfluss, Fieber und eine reduzierte Futteraufnahme bis hin zur Anorexie (MARTINEAU et al. 1992). Dabei ist der Ausprägungsgrad der Symptome zwischen den einzelnen Tieren einer Herde sehr variabel (HERMANSSON et al. 1978), sodass insbesondere in „modernen“ Betrieben mit gutem Gesundheitsstatus zunehmend subklinische Erkrankungen beobachtet werden (MARTINEAU et al. 1992). Obwohl das Auftreten von Fieber als ein Indikator einer MMA-Erkrankung angesehen wird, ist dessen Definition sehr umstritten: Während in älteren Untersuchungen von einer MMA-Erkrankung ab einer Körpertemperatur von

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39,5°C ausgegangen wird (SCHULZ 1987; GÖRANSSON 1989), zeigen neuere Untersuchungen, dass die Körpertemperatur gesunder, laktierender Sauen aufgrund der produzierten Stoffwechselwärme zwischen 38,4 - 40,0°C betragen kann und deshalb nicht als alleiniges Merkmal zur Diagnose einer MMA-Erkrankung dienen sollte (DE BRAGANCA et al. 1997; PLONAIT 2004; REINER et al. 2009; MARTINEAU et al.

2012). Als weiteres Merkmal einer MMA-Erkrankung wird zudem von Fruchtbarkeitsproblemen der betroffenen Sauen wie eine verlängerte Zwischenwurfzeit sowie reduzierte Anzahl geborener Ferkel im folgenden Wurf berichtet (HOY 2006).

Die Pathogenese dieses multifaktoriellen Krankheitsgeschehens ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt: Jedoch scheinen durch E.-coli-Bakterien freigesetzte Endotoxine und die daraus resultierenden Veränderungen immunologischer und hormoneller Funktionen maßgeblich an der Entstehung des Krankheitskomplexes beteiligt zu sein (REINER et al. 2009; MARTINEAU et al. 2013). So soll durch freies Endotoxin im Blut die Prolaktinsynthese inhibiert werden, was sich wiederrum negativ auf das Einsetzen und den Erhalt der Milchproduktion auswirkt (SMITH u. WAGNER 1984; KAMPHUES et al.

1998).

Bei Eindringen infektiöser Noxe, wie z.B. E.-coli-Bakterien, oder Auftreten eines Gewebeschadens werden sogenannte „sentinel cells“ (Makrophagen, Dendritische Zellen, Mastzellen) aktiviert, woraufhin diese proinflammatorische Zytokine wie IL-1, IL-6 und TNFα produzieren (TIZARD 2008). Unter dem Einfluss der proinflammatorischen Zytokine werden in den Hepatozyten Akute-Phase-Proteine, beim Schwein hauptsächlich das C-reaktive Protein (CRP), das Serum-Amyloid-A (SAA) und der Proteaseinhibitor Major-Akute-Phase-Protein (MAP) synthetisiert (DU CLOS 2000; TIZARD 2013). Durch Bindung an bakterielle Polysaccharide und Glycolipide sowie an veränderte Zellen im Blut, fördert CRP insbesondere die Phagozytose und die Aktivierung des Komplementsystems und ist somit ein wichtiger Bestandteil der Infektionsabwehr (DU CLOS 2000). Die Bestimmung bestimmter für eine Tierart spezifischer Akute-Phase-Proteine dient zum einen einem frühzeitigen Erkennen von Krankheiten wie dem MMA-Erkrankungskomplex (MIRKO u. BILKEI 2004). Zum anderen kann eine Bestimmung bestimmter Akute-Phase-Proteine auch zu einem besseren Verständnis von Gesundheit und Wohlbefinden vor allem

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bei Nutztieren beitragen (MURATA et al. 2004). So wiesen SALAMANO et al. (2008) und PINEIRO et al. (2007) beispielweise nach Stresssituationen wie nach längeren Transporten oder bei einem Auftreten von Schwanzbeißen bei Schweinen einen Anstieg der Akute-Phase-Proteine CRP, Haptoglobin und MAP nach.

Folgende Organe werden als mögliche Eintragsquellen der E.-coli-Bakterien diskutiert:

Gesäuge, Harnblase und harnableitende Wege, Uterus sowie der Verdauungstrakt (MARTINEAU et al. 1992). Da bei der Mehrzahl der an MMA erkrankten Sauen eine coliforme Mastitis nachweisbar ist, ist ein galaktogener Eintrag der Bakterien in die Milchdrüse sehr gut denkbar (PLONAIT 2004). Diese Hypothese wird durch diverse Untersuchungen gestützt, in denen eine Hypogalaktie und Allgemeinstörungen bei Sauen durch eine intramammäre Applikation von Koliendotoxinen sowie galaktogene Infektionen mit Klebsiellen und E. coli hervorgerufen werden konnten (NACHREINER u. GINTHER 1974; BERTSCHINGER et al. 1977; MAGNUSSON et al. 2001). Aus den Gesäugekomplexen betroffener Tiere konnten vor allem Enterobakterien wie Eschericha, Citrobacter, Enterobacter sowie Klebsiella isoliert werden (HIRSCH et al. 2003; KEMPER u. GERJETS 2009), was eine galaktogene Infektion hervorgerufen durch eine fäkale Kontamination der Milchdrüse wahrscheinlich macht (BERTSCHINGER et al. 1990;

KEMPER u. GERJETS 2009).

Die Rolle der bakteriellen Besiedlung von Uterus und Harnblase in der Pathogenese des MMA-Geschehens ist noch umstritten. Während im Uterus nur selten gram-negative Bakterien nachgewiesen werden konnten (MORKOC et al. 1983), kann die Harnblase insbesondere bei einer ungenügenden Wasseraufnahme durchaus als Reservoir für coliforme Keime in Frage kommen (DEE 1992; WENDT u. PLONAIT 2004).

Verschiedenen Untersuchungen zufolge ist die Mikroflora des Darmtraktes eine wichtige Quelle für die Freisetzung von Endotoxinen (REINER et al. 2009; MARTINEAU et al.

2013). So kommt es rund um die Geburt zu einer natürlichen Darmträgheit der Sauen (TABELING et al. 2003; OLIVIERO et al. 2009; TAN et al. 2015), welche durch eine Kombination mit einer geringen Futtermenge mit niedrigen Rohfasergehalt, mangelnder Bewegung und limitierter Wasseraufnahme zusätzlich verstärkt wird (KAMPHUES et al.

2000; TABELING et al. 2003). Eine Ansammlung von harten Kotmassen im Darmlumen

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stellt nicht nur ein mechanisches Geburtshindernis dar (COWART 2007). Bei Vorliegen einer Stase könnte es vielmehr durch eine massive Bakterioloyse (mangels fermentierbaren Substrates) zu einer übermäßigen Anflutung von Endotoxinen kommen, die dann bei einer gestörten Darmbarriere vermehrt absorbiert werden (KAMPHUES et al. 1998; REINER et al. 2009).

Einen Hinweis auf eine gestörte Darmintegrität kann auch der D-Laktatgehalt im Serum geben (RIXEN et al. 2002). Kommt es zu einer verminderten Perfusion der Peripherie und somit auch der Darmmukosa, wie z.B. bei einem Schockgeschehen, so können durch die gestörte Darmbarriere sowohl vermehrt Endotoxine als auch Stoffwechselprodukte der Dickdarmflora absorbiert werden (DEITCH 1990). Da D-Laktat (die linksdrehende Form der Milchsäure) nahezu ausschließlich durch Bakterien produziert werden kann, weisen D-Laktatwerte im Serum im millimolaren Bereich zum einen auf eine forcierte Dickdarmfermentation und zum anderen auf eine Störung der Blut-Darmschranke zusammen mit einer forcierten Absorption des gebildeten D-Laktats hin (EWASCHUK et al. 2005). Bei Ratten wurde beispielweise bei einer unter experimentellen Bedingungen ausgelöste intestinalen Ischämie ein Anstieg der D-Laktatkonzentrationen im Blut von 0,25 mmol/l auf 0,81 mmol/l beobachtet (DUZGUN et al. 2006). Auch bei Kälbern mit einem starken Durchfallgeschehen konnte bereits eine D-Laktatazidose (13,9 mmol/l) beobachtet werden (EWASCHUK et al. 2004).

Als weitere wichtige Risikofaktoren für die Entstehung einer MMA-Erkrankung werden insbesondere Stressfaktoren jeglicher Art, wie beispielsweise spätes Umstallen der tragenden Sauen in den Abferkelstall, Hitzestress und enge Abferkelbuchten diskutiert (MAES et al. 2010; PAPADOPOULOS et al. 2010; JENNY 2015). So konnte gezeigt werden, dass Sauen mit einer im Vergleich zur Kontrollgruppe höheren Cortisolkonzentrationen im Blut eine längere Geburtsdauer aufwiesen und häufiger an MMA erkrankten (SMITH u. WAGNER 1984; PELTONIEMI u. OLIVIERO 2015). Auch ein spätes Eingliedern von Remonten in die Großgruppe kann aufgrund einer fehlenden Immunanpassung dieser Tiere zu einer MMA-Prädisposition beitragen (JENNY 2015).

Jedoch scheinen auch andere Faktoren wie die Durchführung einer Geburtshilfe, Lahmheiten der Sauen, überkonditionierte Sauen zur Geburt (RSD > 17 mm) sowie eine zu

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schnelle Umstellung einer restriktiven zu einer ad-libitum-Fütterung post partum ein Risiko für die Entstehung dieses Erkrankungskomplexes darzustellen (OLIVIERO et al. 2010;

PAPADOPOULOS et al. 2010; BARDEHLE et al. 2012; MARTINEAU et al. 2012;

JENNY 2015). Eine Übersicht über die pathophysiologischen Hintergründe der MMA-Entstehung ist in Abbildung 1 dargestellt.

Abbildung 1: Pathophysiologische Hintergründe der Entstehung von MMA, modifiziert nach MARTINEAU et al. (1992)