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2.2. Begriffsdiskussion

2.2.2. Soziale Therapie - Ein Konzept mit Lücken

Obwohl dem sozialtherapeutischen Konzept im psychiatrischen Bereich und vor allem in der Klinischen Sozialen Arbeit ein besonderer Stellenwert zukommt, besteht aktuell in den Sozialwissenschaften erhöhter Bedarf an theoretischer und methodischer Fundierung zu jenem komplexen Begriff der Sozialen Therapie. Aufgrund seiner "(...) merkwürdig unscharf[en] (...)" Bezeichnung (Geißler Piltz et al. 2010:8), sowie bis dato fehlenden Etablierung in der Praxis, bleibt die Forderung nach einem einheitlichen Gebilde für die Profession bestehen (vgl. Pauls 2013: 193,293). Bezeichnend dafür würden nach Meinung einiger SozialwissenschaftlerInnen die aktuelle Standespolitik, machtpolitische Interessen seitens Bezugsdisziplinen, sowie falsche Sparmaßnahmen im Gesundheitsbereich stehen (vgl. Beushausen 2016:92; Geißler-Piltz et al. 2005:109).

Im Folgenden sollen verschiedene Anschauungen bezüglich sozialtherapeutischer Überlegungen kritisch diskutiert, Lücken aufgezeigt, aber vor allem das aktuelle Verständnis der Sozialen Therapie für die Klinische Fachrichtung vermittelt werden, um Erstens auf die durch vielfältige Auslegungsformen, entstehenden Probleme aufmerksam

zu machen und Zweitens, auf die Notwendigkeit eines einheitlichen sozialtherapeutischen Konzepts zu drängen, die einer "Verwässerung der sozialarbeiterischen Kontur(...)" (Nock 2008:95) entgegenwirkt.

Geschichtliche Entwicklungen

Historisch betrachtet wurde, wie bereits mehrmals in der hier vorliegenden Arbeit geschildert, der Begriff der „social therapy“ schon in den Anfängen der sozialen Einzelfallarbeit eingeführt (vgl. Deloie 2011:25) und später durch Salomon und Wronsky (1926) ins Deutsche übersetzt und weiterentwickelt. Durch die Ereignisse im dritten Reich gerieten die methodischen Überlegungen jedoch wieder in den Hintergrund sozialarbeiterischen Handelns. Der Begriff blühte erst in den 70er Jahren, durch die methodischen Importe aus den USA, im deutschsprachigen Raum wieder auf Galuske beschreibt die zunehmende therapeutische Adaption als Antwort auf die Verunsicherung des „(…) methodischen Selbstbewusstseins (…)“ (Galuske 2013:135) der jungen Sozialen Arbeit. Der Vorwurf galt vor allem der fehlenden theoretischen Fundierung von Methoden und somit fehlender Anerkennung der Sozialen Arbeit als eigenständige akademische Disziplin. Ebenso bemängelt wurde ein individualisierter Ansatz. Soziale Arbeit hätte den Fokus zu stark auf den Problemen bzw. Störungen von KlientInnen.

Leitbegriff und Kernpunkt dieser Kritik war jener der Pathologisierung. Bestehende Notlagen der KlientInnen würden als selbstverschuldete Fehlleistungen wahrgenommen, Lebenslage und -bedingungen ausgeklammert, die gesellschaftliche Kontexte unberücksichtigt bleiben und somit die Profession in einer unpolitischen Haltung erstarren (vgl. ebd.:115ff). Der Begriff der Therapie wurde somit einer politischen Sozialen Arbeit entgegengestellt. Erst in den letzten Jahrzenten, im Zuge der Debatte um eine Soziale Diagnostik fand auch die Soziale Therapie wieder Einzug in den sozialarbeiterischen Diskurs (vgl. Mühlum/Gahleitner 2010:105).

Definition und Diskussion des sozialtherapeutischen Begriffs

Um den Begriff der Sozialen Therapie jedoch für die weitere Diskussion zugänglich zu machen, bedarf es zuerst einer inhaltlichen Klärung, da die unterschiedlichen Bezeichnungen von Soziotherapie, Sozialtherapie, sozialtherapeutische Beratung bis hin zur sozialen Psychotherapie auch unterschiedliche Ansätze mit sich bringen (vgl.

Beushausen 2016;Deloie 2011;Pauls 2013). Eine explizite Ausdifferenzierung wird mit, auf dieser Arbeit liegendem Schwerpunkt, wohl nicht gelingen. Nichts desto trotz sollen

überblicksartig ausgewählte Ansätze angeführt werden, um ein dichteres Gebilde der Diskurse darzulegen.

Therapie leitet sich vom griechischen therapeía ab, meint eigentlich das Dienen und wird als Heilung oder Heilbehandlung übersetzt. Ursprünglich wird der Begriff in der Medizin, in Zusammenhang mit symptomreduzierender, medizinischer Behandlung angewandt, hat sich aber mittlerweile auf andere Bereiche, wie Tanz-, Reit-, Hypno-, oder Maltherapie, weiter ausgedehnt (vgl. Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 2012:2073;Galuske 2013:135).

Gernot Hahn definiert im Fachlexikon der Sozialen Arbeit die „Sozialtherapie“ als: „(…) Verfahren der fachlich-gezielten Einflussnahme und Intervention auf pathogene Faktoren in der sozialen Umgebung bzw. in den sozialen Beziehungen (…) von Klient/innen.“

(Hahn 2017: 852) Der klassische Therapie-Begriff der Heilung wird also nun auf die soziale Dimension hingeleitet, indem eine Behandlung der "krankmachenden Faktoren", also der psychosozialen Belastungen angestrebt wird. Im weiteren Verständnis der

„Sozialtherapie“ kann diese in Abgrenzung zu einer medizinischen Körpertherapie, sowie der Psychotherapie (orientiert an der seelischen Einwirkung von Personen) verstanden werden. Eine Behandlung des Sozialen, sprich der Lebensumwelt von KlientInnen entspricht somit der Hilfeleistungen durch SozialarbeiterInnen (vgl. ebd.). Es wird ein erstes Abgrenzungsmerkmal zu anderen gesundheitsbezogenen Professionen ersichtlich. Die methodische und theoretische Eigenständigkeit der Sozialen Therapie stellt dahingehend eine Notwendigkeit und gleichzeitig eine Erschwernis dar. Weiter uneinig scheint man sich schon angesichts der Begrifflichkeiten zu sein. Diese werden im Rahmen dieser Arbeit einer genauen Ausdifferenzierung schuldig bleiben müssen. Vor allem eine oft unklare Trennung der Begriffe, verzögert eine einheitliche Konzeptdarstellung. So schreiben auch Pauls und Stockmann (2013:13): „Unter den Begriffen Sozialtherapie, Soziale Therapie und Soziotherapie findet sich eine ganze Bandbreite von Auffassungen zu sozialtherapeutischen Handeln (…).“

In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass in Deutschland sozial therapeutische Konzepte sich in institutionell verankerten Aufgabenfeldern wiederfinden.

Staatlich definierte sozialtherapeutische Maßnahmen in Deutschland

Im Unterschied zu österreichischen Standards wurde die Inanspruchnahme einer Soziotherapie/ Sozialtherapie in einigen, wenn auch wenigen und unzureichenden, Bereichen staatlich ausgebaut.

Gemäß §37a SGB V existiert - seit dem Jahre 2000 - eine gesetzliche Grundlage, die jene Maßnahme der Soziotherapie, durch ambulante Betreuung, als Krankenkassenleistung sicherstellt. Davon profitiert allerdings nur eine sehr kleine Anzahl von psychisch erkrankten Personen (vgl. Pauls/Stockmann 2013:12f).

Ein weiterer, jedoch unterschiedlicher Ansatz für sozialtherapeutische Maßnahmen ist im Handlungsfeld von Straffälligkeit zu verordnen. So besteht seit dem 1. Januar 2003, nach § 9 Absatz 1 des Strafvollzugsgesetzes eine, unter bestimmten Bedingungen, gesetzlich vorgeschriebene Verlegung sexueller Straftäter in sozialtherapeutische Anstalten (vgl. ebd.:13).

Zusätzlich können SozialarbeiterInnen in Deutschland, im Rahmen der Suchthilfe eine

„sozialtherapeutische“ Ausbildung absolvieren (vgl. Bethel 2017). Andere sozialtherapeutische Weiterbildungen gibt es im Bereich der Altenpflege oder der Gesundheitskrankenpflege. Ebenso vom Europäischen Institut für Berufsbildung wird im Rahmen einer achtmonatigen Studiendauer die Sozialtherapie „(…) als Grundlage für sozial orientierte Beratungen und soziale Betreuung (…)“ (Europäisches Institut für Berufsbildung: 2017) angeboten. Es gibt zahlreiche weitere Ausbildungsformen, die hier nicht genannt wurden.

Das Paradoxe der Sozialtherapie spiegelt sich in den Formen der Ausbildungsstätten wieder. Während das Konzept im Masterlehrgang der Klinischen Sozialen Arbeit als Vertiefungsrichtung gelehrt wird, beschreibt es im Falle des europäischen Berufsbildungsinstituts Inhalte einer Grundausbildung. Im Gegensatz dazu wird deutlich, dass in Österreich der sozialtherapeutische Begriff so gut wie gar nicht in der Praxis etabliert zu sein scheint.

Häufig wird auch von sozialtherapeutischer Beratung gesprochen, da die sozialtherapeutischen Unterstützungsleistungen auch immer beratende Kernelemente beinhalten. Soziale Therapie (oder sozialtherapeutische Beratung) ist dort nötig, wo gesundheitliche Faktoren als Folge von psycho-sozialen Problemen identifiziert werden.

Das bedeutet die Problemdefinition und der institutionelle Kontext bestimmen die Form der Therapie. Sie ist also kontextbezogen (vgl. Beushausen 2016:87;Pauls/Stockmann 2013:15).

Horst-Eberhard Richter führt weiter aus:

„Grundsätzlich wird jede Individualtherapie bereits zur [Sozialtherapie] in dem Augenblick, in dem die Krankheit oder das Leiden eines Menschen nicht mehr ausschließlich als seine persönliche Angelegenheit behandelt wird, sondern als

ein Ereignis, dass ihn mit Personen und Umständen einer sozialen Umwelt verbindet, die der Therapieplan mit einbezieht.“ (Richter 2013:898)

Die unterschiedlichen Bezeichnungen von Therapie sieht Beushausen jedoch als Folge einer bestehenden sinnbefreiten Separation von Koppelungssystemen. Körper, Seele und Soziales in Bezug auf Problemlagen sowie entsprechende Therapieformen sind immer ganzheitlich zu verstehen. Diese stehen in Beziehung zu einander und dürfen auch in der Behandlung nicht starr voneinander getrennt werden. Folglich sollten in einer bio-psycho-sozialen Perspektive auch die Tätigkeiten als fließend verstanden werden (vgl. Beushausen 2016:91f).

„Dies beinhaltet, dass die Begriffe Sozialtherapie, Psychotherapie oder Körpertherapie jeweils eine nicht sinnvolle Einschränkung beinhalten, da sie eine Separation vornehmen, die der praktischen Wirklichkeit nicht entspricht.“

(Beushausen 2016:91)

Die Unterschiede liegen demnach nicht so sehr im inhaltlichen, sondern am Kontext, nämlich dem, der das Interesse von berufsständischen Professionen berücksichtigt. Die institutionellen Rahmenbedingungen sind jedoch wandelbar, Beushausen fordert eine

„(…) Entkrampfung der Verhältnisse von sozialer Beratung bzw. Sozialer Therapie und Psychotherapie (…)“ (ebd.:91). Je nach Problemdefinition und Rahmenbedingungen (Finanzierung) ist die eine oder andere Therapie gefordert.

Es wurde deutlich, dass Begriffe auch kontextabhängig zu betrachten sind. Ob die Bauchschmerzen eines Kindes mit Schulängsten, Magenproblemen oder Autoritätsmissbrauch durch Lehrer in Verbindung gebracht werden, bestimmt in weiterer Folge die therapeutische Maßnahme im jeweiligen Funktionssystem (medizinisch, sozialarbeiterisch, psychotherapeutisch) (Beushausen ebd.:89). Angedeutet wird die Auflösung starrer Begriffstrennungen, um der bestehenden Vielfalt an unterschiedlichen Begriffen und die damit einhergehende Verwässerung der Konzepte entgegenzuwirken.

Obwohl die Forderung Beushausens eine ganzheitliche Sichtweise inkludiert, stellt diese doch einer Professionalisierung der (Klinischen) Sozialen Arbeit entgegen. In den angesprochenen berufsständischen Professionen muss die Soziale Arbeit noch um eine gleichrangige Position kämpfen (siehe Kapitel 2.3.). Dies gelingt nur mit ausgewiesenen theoretisch begründbaren Methoden und einer klaren Definition ihrer erbrachten Leistung.

Soziale Therapie in Kritik: Individualisierung und Professionsaufwertung

Der Begriff der Sozialen Therapie wird in besonderer Weise in Zusammenhang mit einer Pathologisierung und Individualisierungskritik verstärkt wahrgenommen.

Richter hebt hervor, Sozialtherapie darf und soll nicht bei einer klassischen Individualtherapie stehen bleiben, vielmehr muss sie gesellschaftliche Zusammenhänge anvisieren, welche Chancen für psycho-soziales Wohlbefinden behindern können. Die reine Fokussierung auf das Individuum stellt sich nicht den realen Umweltbedingungen.

Durch soziale Ungerechtigkeiten und ungleichen Zugängen zu gesellschaftlichen Systemen findet psychische Erkrankung erst statt. Somit muss in einem sozialtherapeutischen Ansatz auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam gemacht werden (vgl. Richter 2013: 898f). Auch Galuske warnt vor einem individualistischen Ansatz:

„Die Verlagerung von materiellen zu psycho-sozialen Notständen und der damit einhergehenden Pathologisierung des Klientels erweist sich vor diesem Hintergrund als professionspolitisch funktional-wenn auch gesellschaftstheoretisch bedenklich.“ (2013:118)

Als professionspolitisch beschreibt Galuske die Anlehnung an ein erfolgreiches medizinisches Paradigma. Als bedenklich verweist er auf kritische Stimmen, welche die Ursache von „sozialer Erkrankung“ im Individuum sucht, bzw. dem Individuum zuschreiben möchte und somit gesellschaftliche Prozesse außer Acht lassen würden (vgl.

ebd.).

In der Bandreihe "Perspektiven kritischer Sozialer Arbeit" setzen sich AutorInnen in der aktuellen Ausgabe mit der Therapeutisierung gesellschaftlicher sowie professionsinterner Verhältnisse auseinander. Diskutiert wird unter anderem das in der klinischen Fachrichtung beanspruchte sozialtherapeutische Konzept. Vor dem Hintergrund der Individualisierungsdebatte und dem "Psycho-Boom" in den 70er und 80er Jahren in der Sozialen Arbeit besteht ein immer noch wahrzunehmendes Spannungsverhältnis zwischen BefürworterInnen von „therapeutsierenden“ Konzepten und der Profession im Allgemeinen. Und das, obwohl sich die Klinische Soziale Arbeit klar von einer rein individualisierenden Praxis, einer klassischen Einzelfallhilfe distanziert und die sozialen Verhältnisse betont. Lutz sieht in diesen Entwicklungen lediglich den Versuch einer Professionsaufwertung (vgl. Lutz 2016:749ff).

Daran anknüpfend spricht sich auch Luckas Nock, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften und Absolvent im Masterstudiengang

Soziale Arbeit (Gesundheitsmanagement und Rehabilitation) an der SRH Hochschule Heidelberg, gegen einen Therapiebegriff in der Sozialen Arbeit aus:

„Die Formulierung 'Sozialtherapie' scheint zwar funktional auf den Arbeitsbereich des klinischen Sozialarbeiters anwendbar. Doch formal und inhaltlich ist der Therapiebegriff [insbesondere der psychotherapeutische] nicht mit seiner Profession vereinbar. Selbstverständlich bedient sich die Soziale Arbeit immer weiter am [psycho-]therapeutischen Methodenrepertoire, doch wird sie dadurch genauso wenig zur Therapie, wie ein Chemiker zum Mathematiker, wenn er eine Gleichung ausrechnet.“ (2008: 94)

Nock sieht die Diskussion um den Begriff der Sozialtherapie lediglich als Versuch der Sozialen Arbeit, sich im multiprofessionellen Team weiter zu behaupten, also als Statussymbol, welches weiter zur „Verwässerung der sozialarbeiterischen Kontur“ (ebd.:

95) beitragen würde. Im Kontext der Behandlung von Zwangsstörungen sieht Nock den grundlegenden Unterschied zwischen der Klinischen Sozialen Arbeit und der Psychotherapie in Form von Interventionen. Während Erstere sich ressourcenorientiert mit den sozialen und individuellen Folgen von Erkrankung auseinandersetzt, beschäftigt sich Psychotherapie mit der Symptomreduktion (vgl. ebd.).

Bezogen auf das bio-psycho-soziale Modell und der Forderung der WHO können die Systemebenen nicht singulär und unbeeinflusst voneinander beobachtet werden.

Unabhängig von der jeweiligen psycho-sozialen Profession können die Wirksamkeit therapeutischer Angebote nicht ausdifferenziert werden (Beushausen 2016:88). Die in einer empirischen Forschung herausgebildeten therapeutischen Wirkfaktoren nach Grawe (1996): Ressourcenaktivierung, Problemaktualisierung, Aktive Problembewältigung und Klärung treffen nach Pauls ebenso auf die Effekte von sozialtherapeutischen Methoden zu (vgl. Pauls 2013:131f,151). Gleichzeitig aber betont Beushausen, dass in den psychosozialen Beratungsfeldern bis dato nur wenige Studien zu Wirksamkeit stattgefunden haben (Beushausen 2013:227).

Deloie (vgl. 2011:10) wiederum weist therapeutische Weiterentwicklungen als inhaltlich begründbar auf Die Humanistischen Ansätze beispielsweise zielen auf die Selbstwirksamkeit und Ressourcen ab. Damit gehen sie also auf die Basiskonzepte der Sozialen Arbeit ein.

Soziale Therapie als Methode der Klinischen Sozialen Arbeit

Zu Beginn muss festgehalten werden, die Methode der Sozialen Therapie in der

Klinischen Fachrichtung verfolgt nicht eine bestimmte Form therapeutischer Arbeit. Sie beinhaltet vielfältige Herangehensweisen „(…) wie etwa Kriseninterventionen, Formen sozialer Unterstützung, Case Management uvm. (…), die fallbezogen und flexibel zum Einsatz kommen können.“ (Ortmann/Binner 2009:5)

Dennoch sollen grundlegende Formen genannt werden, die in der Praxis jedoch wieder Überschneidungen finden:

• Soziale Therapie als professionell arrangierte Lebenssituation

Es soll die aktuelle Lebenssituation im jeweiligen Lebensraum (stationärer Einrichtungen, betreuten Wohnformen, Rehabilitationskliniken usw.) bezogen auf die sozialen und infrastrukturellen Aspekte des Zusammenlebens professionell arrangiert werden. Die Lebenssituation wird hier als zentrale Bezugsgröße definiert. Ihr gehören einerseits Zuweisungskriterien wie Bildung, Alter, Geschlecht und andererseits individuelle Faktoren an, welche sich stark an den persönlichen Ressourcen und Belastungen orientieren (vgl. ebd.)

Häufig wird der Begriff der Lebenssituation in zwei Dimensionen geteilt: Der Lebenslage, welche gemeinsame Umstände von sozialen Gruppen (Alter, Geschlecht, Migration usw.) umfasst und der Lebensweise, die individuelle Erfahrungen, Wünsche, Bedürfnisse umschließt. Speziell bei psychischen Erkrankungen mit sozialen Beeinträchtigung müssen beide Ebenen eine Berücksichtigung finden. Damit wird auch das Person-in-Environment angesprochen (siehe weiter unten) (vgl. Franzkowiak et al. 2011:107; Pauls 2013:182,294).

• Soziale Therapie als Training

Der Erwerb von sozialen und kommunikativen Kompetenzen steht hier im Mittelpunkt und soll zwischenmenschliche Beziehungen und soziale Integration verbessern. Ein aktives Mitarbeiten seitens der KlientInnen ist gefordert. Die Trainingsmethoden werden auf drei Ebenen unterschieden: Aufbau/Erwerb, Ausbau/Differenzierung und Transfer/Generalisierung von Fertigkeiten und Kompetenzen im Alltag. Der Einbezug von verhaltenstherapeutischen Methoden, Rollenspiele und Dialoge können hilfreiche Mittel für soziales Training sein (vgl.

Pauls 2013:297f;Ortmann/Binner ebd.).

• Soziale Therapie als Gespräch

Die Gesprächsformen als Modellcharakter: Beziehungs- und

Interaktionserfahrungen sollen die KlientInnen zu sozialen Umgangsformen befähigen (vgl. Ortmann/Binner ebd.). Beratung und Therapie werden auch hier als fließende Übergänge betrachtet. Die psycho-soziale Beratung hat demnach therapeutische Effekte und bearbeitet innere persönliche Wiedersprüche, Diskrepanzen zwischen individuellen Zielen und institutionellen Anforderungen, sowie Unvereinbarkeiten von sozialkulturellen Anforderungen und Angeboten (Im Ausbildungsbereich). Dafür steht ein Gesprächstherapeutische Grundhaltung, welche empathisches Verstehen, Wertschätzung, Kongruenz und Echtheit fokussiert (vgl. Pauls 2013:259f,268f).

• Soziale Therapie als Begleitung

Die Begleitung soll auf eine gemeinsame Bewältigung beispielsweise von Krisen, Belastungen und Konflikten, oft im Zusammenhang mit Erkrankungen, abzielen (vgl. Ortmann/Binner 2009: 5f; Pauls 2013:255).

Integrativer Ansatz:

Da sich die psycho-soziale Profession auch mit den psychischen Belastungen der KlientInnen befassen muss, betont Pauls, dass Teilaspekte des schulen-bezogenen Wissens der Psychotherapie als hilfreiche Interventionsformen für die klinisch sozialarbeiterische Praxis angesehen werden können. Die Lösungsansätze bleiben dadurch jedoch nicht auf den/die Einzelnen und dessen innerpsychischen oder rein kommunikationsorientierten Prozesse beschränkt, gemäß der Individualisierungskritik (siehe oben). Vielmehr wird der Fokus in der Klinischen Fachrichtung um die Dimension der sozialen Erfahrungsräume erweitert. Durch Einbeziehung der subjektiven (Deutung aus der Sicht der KlientInnen) und objektiven (sozial-ökonomische Faktoren) erlebten Situationsmerkmale beruft sich die Klinische Soziale Arbeit auf den Person-in-Environment Ansatz. Diese situationsbezogene Dimension stellt immer noch ein Alleinstellungsmerkmal in der Sozialen Arbeit dar. Es handelt sich demnach um ein kontextuelles Fallverstehen:

• Direkte Veränderung und Einflussnahme (z.B. Miteinbeziehen Angehörige)

• Training (Arbeitssuche, Verhaltenstraining)

• Veränderung der Situation (Kündigung, Trennung, Beschäftigung suchen)

• Informationssuche (instrumentell und selbstbezogen)

• Innerpsychische Veränderungen anstreben.

In diesem Sinne stellte eine psychotherapeutische Sichtweise kein Vorbild für die Soziale Arbeit dar, dehnt aber ihr Wissen bezüglich der Phänomene wie Übertragung oder Gegenübertragung; Training, Gesprächstechniken usw. aus (vgl. Pauls 2017: Klinisch-Sozialarbeiterische Interventionen).

Zielgruppe

Nicht jedes soziale Problem bedarf einer sozialtherapeutischen Maßnahme. Die Interventionen richten sich an Menschen,

„(…) deren Probleme sich als langwierige, unübersichtliche und schwer fassbare körperliche, psychische und soziale Problemgefüge zeigen, die sich nur in intensiven Hilfeprozessen mit langer zeitlicher Perspektive angemessen bearbeiten lassen.“ (Ortmann/Binner 2009:2)

Die Klinische Soziale Arbeit sieht sich und ihre sozialtherapeutischen Methoden vor allem bei Menschen mit psychiatrischen Störungen, chronischen Erkrankungen und/oder erschwerten psycho-sozialen Defiziten angesiedelt. Geißler-Piltz sieht die Domäne der Klinischen Fachrichtung in der Forensik und der Psychiatrie, in ambulanten und stationären Arbeitsfeldern. Auch Pauls benennt die beiden Bereiche als für die Soziale Therapie wesentlich (vgl. Geißler-Piltz 2005:108;Pauls 2013:294f).

Ziel

Es wurde hier die Soziale Therapie als eine Bearbeitungsform von psycho-sozialen Problemen beschrieben, die am Einzelfall ansetzt, gleichzeitig jedoch nicht das soziale Umfeld außer Acht lässt. Einerseits versucht sie die Lebensführungskompetenzen (Individuums bezogen) aufzubauen und behält gleichzeitig Umweltfaktoren wie Arbeits-, Wohn- oder Beziehungsverhältnisse im Blick. Es geht also um die Verbesserung der Handlungsfähigkeit in Bezug auf die eigene Person durch Empowerment, Kompetenztraining, Beratung, sowie den sozialen Bedingungen, wie Partizipation oder Verbesserung der sozialräumlichen Umgebung (vgl. Ortmann/Röh ebd.:75). Die Ziele der Sozialen Therapie sind demnach soziale Fertigkeiten und Kompetenzen zu erwerben, wiederzuerlangen, zu differenzieren, auszubauen und zu guter Letzt im Alltag anzuwenden! Soziale Therapie basiert auf der helfenden Beziehung und verwendet psychosoziale Methoden (vgl. Geißler-Piltz 2005:108).

Resümee

Der Begriff der Sozialen Therapie enthält, wie bereits dargestellt wurde, unterschiedliche Auffassungen, und dies über eine längere Traditionsgeschichte der Sozialen Arbeit hinweg. Das sozialtherapeutische Konzept kann (damals wie heute) in der Profession als nicht etabliert angesehen werden. Der Anspruch der Klinischen Sozialen Arbeit ist aber auch kein flächendeckender Einzug von sozialtherapeutischen Methoden in der generalistischen Sozialen Arbeit. Sondern nur dort wo sie auch wirklich benötigt werden.

In der Praxis stellen dies häufig Personen mit psychischen Belastungen oder Erkrankungen, besonders also in klinischen, psychiatrischen Einrichtungen, wie sie hier im Fokus der empirischen Untersuchung stehen, dar.

Gleichzeitig zeigen die Bemühungen von Mary Richmond und Alice Salomon auf, dass die Soziale Therapie seit jeher in der Sozialen Arbeit verankert ist und keine Neuigkeit, im Sinne einer bloßen Professionsaufwertung, darstellt. Den GegnerInnen muss sich die Klinische Fachrichtung stellen. So antwortet sie einer pathologisierenden und individualisierenden Kritik durch ihre Theoriegeleitheit. Das Bio-Psycho-Soziale Modell zeigt die Notwendigkeit einer sozialtherapeutischen Mitbehandlung von komplexen Fällen auf und verweist auf verschiedene Studien (vgl. Pochobradsky et al. 2002:4-8; Wilkinson 2009:14-19), in denen die soziale Ebene als mitverantwortlicher Faktor bei Erkrankung und Genesung erhoben wurde (siehe Kapitel 2.1.3.). In diesem Sinne werden also auch bestimmte Lebenslagen aufgezeigt, welche zu Verschlechterung oder Entstehung von Erkrankungen führen können. Besonders Armut, Migration und geschlechtsspezifische Ausgrenzungskriterien, welche die Gesundheit wesentlich beeinflussen, bedürfen ihrer Aufmerksamkeit (vgl. Franzkowiak et al. 2011:125). Demzufolge kann einem sozialtherapeutischen Konzept die Ausblendung von gesellschaftlichen Entwicklungen nicht vorgeworfen werden.

Das bedeutet: Ja, zur Profilierung eines sozialtherapeutischen Konzeptes im interdisziplinären Raum. Aber nicht für die eigene professionspolitische Zwecke, sondern um einer gesellschaftlichen Entwicklung, die Menschen in bestimmten Lebenslagen kontrolliert ausgrenzt und Einfluss auf deren Gesundheit nimmt, durch die Hand der (Klinischen) Sozialen Arbeit, entgegenzusteuern.