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2.2. Begriffsdiskussion

2.2.1. Warum braucht es Soziale Behandlung?

Der Begriff der Behandlung stellt generell durch seinen breiten Umfang eine Herausforderung dar. Allgemein meint die Aktion, mit jemanden in einer bestimmten Weise umgehen, verfahren, also im Sinne von Krankheiten heilen, sprich durch einen Heilberuf So wird der Begriff der Behandlung eher den gesundheitsbezogenen Berufsgruppen, vor allem aber der Medizin, der klinischen Psychologie oder der

Psychotherapie, also dort wo sie auch in den Krankenkassen Vergütung findet, zugesprochen. Die Behandlung wird auch häufig als Synonym für Therapie verwendet (vgl. Duden 2016;Pschyrembel 2011:248). Dieser ist jedoch ebenso offen und unspezifisch gestaltet. Es gibt aktuell keine sozialrechtliche Regelung von Sozialer Behandlung oder Sozialer Therapie. Die Schwierigkeit einer Profilierung sieht Pauls in der Komplexität und Vielfalt der therapeutischen Methoden (wie Musik-, Reit-, Ergo-, Soziale Therapie…) (vgl. Paul 2013:177f). Beushausen sieht die Soziale Behandlung ebenfalls den Tätigkeitsfeldern von psycho-sozialer Beratung sowie der Sozialen Therapie zugeordnet, jedoch im Alltagsgebrauch unangewendet. Allein in der Krankenversicherung vergütete gleiche Leistungen (Rehamaßnahmen) werden je nach Berufsgruppe (Soziale Arbeit oder Psychotherapie) anders betitelt (vgl. Beushausen 2016:91).

Verständnis von Gesundheit und Krankheit aus Sicht der Klinischen Sozialen Arbeit Es soll deutlich werden, dass eine ganzheitliche Perspektive (die soziale miteingeschlossen) von Gesundheit und Krankheit die bestehende Gesundheitsversorgung bereichern kann. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass soziale Ungleichheit in Gesellschaften den Gesundheitszustand der Bevölkerung maßgeblich beeinflussen. Die Studie „Soziale Ungleichheit und Gesundheit“ im Auftrag des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen in Österreich (2002) erhob, dass ein niedriger sozioökonomischer Status auch bis ins hohe Lebensalter hinaus an einem schlechteren Gesundheitszustand betroffener Personen beteiligt ist. Das bedeutet, die Lebenssituation wird im Alter in hohem Maß von der Lebensbiographie bestimmt. Grundsätzlich lässt sich bei Anbetracht der Ergebnisdarstellung sagen, dass arme Personen in Österreich - unter Außerachtlassung von Randgruppen der Gesellschaft wie Wohnungslose - vom Gesundheitssystem nicht schlechter versorgt werden. Dennoch fühlen sich sozial benachteiligte Personen subjektiv kränker und weisen zum Teil ein geringeres Inanspruchnahmeverhalten in Bezug auf die angebotenen Gesundheitsleistungen auf Für die Nicht-Inanspruchnahme von medizinischer Versorgung sprechen meist Ursachen wie mangelndes Wissen, die Scheu Begünstigungen anzunehmen und Angst vor anfallenden Behandlungskosten (vgl.

Pochobradsky et al. 2002:4-8).

Auch andere Studie zeigen, je ungleicher eine Gesellschaft in ihrer Einkommensverteilung ist, desto mehr gesundheitliche und soziale Probleme entstehen.

Ebenso im Bereich von psychischen Problemen wird diese Ungleichheit deutlich. So

reichen die Raten, in welcher Menschen jährlich psychische Probleme angeben, von 8%

in sehr (sozial-ökonomisch) gleichen Gesellschaften bis zu einer Rate von 25% in sehr ungleichen Gesellschaften, wie ein internationaler Vergleich der WHO zeigt (vgl.

Wilkinson 2009:16). Des Weiteren wird ersichtlich, dass ungleiche Gesellschaften nicht nur den ärmsten 10%, sondern in Summe der ganzen Bevölkerung schadet. So sind von Armut betroffene Menschen deutlich mehr Stress, Ängsten und Sorgen ausgesetzt, was tendenziell zu mehr Misstrauen und Spannungsaufbau in Gesellschaften führen kann.

Auf die Bedrohung eines sozialen Status reagieren Menschen besonders sensibel.

Umgekehrt wird die Lebensqualität nicht durch materielle Güter, sondern durch soziale Beziehungen gesteigert, diese existieren mehr in gerechteren Gesellschaften, in denen mehr vertrauen herrscht (vgl. Wilkinson 2009:14-19).

Doch nicht nur der Blick auf die soziale Ungleichheit macht die (Klinische) Soziale Arbeit zu einem notwendigen Mit-Behandler von Erkrankungen. Die Perspektive wird weiter von einem bio-psycho-sozialen Modell getragen. Engels formulierte bereits in den 70er Jahren in seinem Krankheitsmodell die psycho-sozialen Einflüsse (neben den rein somatischen) auf krankheitsbedingte Faktoren. Da alle drei Dimensionen miteinander in Wechselbeziehung stehen, wird folglich auch der soziale Faktor als Erklärung für die Entstehung von Krankheiten genannt:

„Psychische und soziale Faktoren sind bei Entstehung, Verlauf und Heilung von Erkrankungen von entscheidender Bedeutung, so dass auch die Diagnostik und die Behandlung diese Dimensionen mit einbeziehen muss.“ (Pauls 2013:99)

Der Klinischen Sozialen Arbeit wird eine Kooperationskompetenz abverlangt. Die Perspektive insistiert dadurch, in Bezug auf die psycho-sozialen Interventionen alle drei Ebenen zu berücksichtigen und so gut sie kann Zuständigkeiten abzuklären, denn die vielfältigen Formen sozialer Unterstützung und sozialer Netzwerke stellen die besten Schutzfaktoren körperlicher und psychischer Erkrankungen dar und gelten auch bei bereits bestehenden Problemlagen als eines der besten Heilmittel (vgl. Pauls 2013:109).

Im Konkreten bedeutet dies, Entstehung und Verlauf von Gesundheitsstörungen stehen in Zusammenhang mit sozialen Belastungsereignissen, wie Wohnungsverlust, Arbeitslosigkeit, Tod einer nahestehenden Person usw.

„Gesundheitliche Problemlagen lassen sich danach physiologischen, psychischen und sozialen Systemebenen zuordnen, die miteinander kommunizieren und durch Auf- und Abwärtsbewegungen untrennbar biopsychosozial verwoben sind.“

(Ortmann/Röh 2012:232)

Diese Systemebenen sind somit als gleichrangig zu verstehen, wobei die Klinische Soziale Arbeit sich bezüglich soziale Dimension als Spezialist ausweisen kann. In dieser Funktion widmet sie sich vor allem den sozialen Ressourcen, welche für die sozialarbeiterische Tätigkeit bei der Sozialen Behandlung von Krankheit und Gesundheit wesentlich sind.

Die Bedeutung von sozialen Ressourcen werden in der Salutogenese-Theorie nach Antonovsky (1997) ersichtlich. Wobei die individuellen Wiederstandsressourcen als ausschlaggeben für den Verlauf von psychischer Erkrankung und Genesung gelten (vgl.

Ortmann/Röh 2012:230f). Der Soziologe präsentierte der Welt eine salutgenetische Sichtweise, welche eine unhinterfragte pathologische Perspektive ablösen sollte. Damit wird das Abweichen von Gesundheit als normaler Zustand, in einem sich ständig verändernden Gesundheits-Krankheitskontinuum, zur Kenntnis gebracht. Antonovsky gibt eine neue Sichtweise auf das Krankheitskonzept: Die Welt und die in ihr lebenden Organismen tendieren zu einer sich wiederholenden Unordnung (Entropie). Dadurch wird eine gesundheitliche Abweichung als normales Ereignis verstanden. Der Blick richtet sich nicht ausschließlich auf die Bekämpfung krankmachender Einflüsse. Vielmehr geht es um die Stärkung von Ressourcen und darum den Organismus von schwächenden Einflüssen widerstandsfähiger zu machen. Die Salutogenese sucht nach Bewältigungsfähigkeiten und Copingmechanismen, die direkt der Gesundheit zugutekommen. Die jeweilige Positionierung im Gesundheits-Krankheitskontinuum ist abhängig vom individuellen Umgang mit Belastungen und dem Kohärenzgefühl. Dieses setzt sich aus drei Komponenten zusammen:

1. Sinnhaftigkeit (künftige Ereignisse stellen sinnvolle Aufgaben dar)

2. Handhabbarkeit (optimistisches Vertrauen, dass Schwierigkeiten lösbar sind) 3. Verstehbarkeit (vorhersehbare Ereignisse sind einzuordnen und zu klären)

Im Sinne eines positiven Kohärenzgefühls wird die Person befähigt neue Herausforderungen und Belastungen im Leben anzunehmen, ihr Handeln selbst zu bestimmen und die Konsequenzen davon auch wahrnehmen zu können. Die Belastungen selbst jedoch sind in diesem Theorieansatz als dem Leben zugehörig zu verstehen und nicht als etwas, dass es grundlegend zu vermeiden gilt (vgl. Pauls 2013:102-107).

Die sozialen Ressourcen umfassen soziale Netzwerke (z.B. Freunde, Familie, KollegInnen, Nachbarschaften, oder kulturelle Gemeinschaften), als auch die darin enthaltenen Unterstützungsleistungen. Wie oben bereits verdeutlicht ergaben Untersuchungen, dass soziale Belastungen im Umfeld auch krankheitsfördernd wirken

können. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn zu wenig soziale Unterstützung verfügbar ist. Vorhandene soziale Ressourcen im Umfeld jedoch können schützend für die Gesundheit wirken. Im Konzept des social support werden die

• Emotionale Unterstützung

• Instrumentelle bzw. praktische Unterstützung

• Informative Unterstützung

• Interpretative bzw. bewertende Unterstützung

als positive Effekte von Gesundheitsförderung ausgewiesen (vgl. Weinhold/Nestmann 2012:55;Ortmann/Röh 2012:231f).

In diesem Sinn reichen die rein somatischen und psychotherapeutischen Krankenbehandlungen im Gesundheitssystem nicht aus und müssen durch die Soziale Behandlung der (Klinischen) Sozialen Arbeit ergänzt werden, da

1.) die soziale Ungleichheit zur Entstehung von gesundheitlichen Ungleichheiten beiträgt,

2.) soziale Faktoren den Verlauf von gesundheitlichen Störungen im Sinne eines systemischen bio-psycho-sozialen Modells beeinflussen und

3.) soziale Ressourcen und Netzwerke sich positiv auf Gesundheit und Krankheit auswirken.

Außer ihr ist keine andere Profession für die Bearbeitung an sozialen Problematiken ausreichend ausgestattet (vgl. Ortmann/Röh 2012:234). Folglich sieht sich das Fach als sozial behandelnde Profession. Obwohl VertreterInnen wie Helmut Pauls diese Begriffsverwendung selbst als ungewöhnlich sieht, verweist er auf die bedingte methodisch fundierte Vorgehensweise, wie sie als solche Mary Richmond bereits in der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts betonte. Die Begründerin der Einzelfallhilfe verwendete den Begriff „social treatment“ (Richmond 1917:230) in Bezug auf das methodisch angeleitete sozialarbeiterische Vorgehen. Darunter betont sie das Heranziehen von Quellen, das Studieren des sozialen Umfelds und dem darin eingebetteten Individuum als notwendigen Schritt bevor die planmäßigen sozialarbeiterischen Methoden zum Einsatz kommen können (vgl. social diagnosis 1917).

Die vor hundert Jahren angelegte Schrift Richmonds besitzt somit Aktualität. So definiert heute Helmut Pauls, Vorreiter der Klinischen Sozialen Arbeit und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des ZKS-Verlags (Zentralstelle für Klinische Soziale Arbeit) eine Soziale Behandlung als „(…) zielgerichtetes, planmäßiges und methodisches Handeln (treatment).“ (Pauls 2013:177)

Die Soziale Behandlung steht synonym zum Begriff der Intervention und berücksichtigt immer den „Kontext des beruflichen Selbstverständnisses und der institutionellen Rahmenbedingungen.“ (Stimmer zit. In Pauls 2013:177) Je nach Einrichtung und dem Verständnis von sozialarbeiterischer Tätigkeit kann also Soziale Behandlung stattfinden.

Genauer gesagt: Eine Soziale Behandlung umfasst sozialtherapeutische, beratende und unterstützende Maßnahmen, die in einer professionellen Beziehungsarbeit angewandt werden sollen. Ziel ist eine weitgehendst herbeigeführte Unabhängigkeit der Lebenslage und Lebensweise. Die Soziale Behandlung ist demnach für die Bearbeitung psycho-sozialer Belastung dort zuständig, wo (psycho-)soziale Faktoren das Leidensgeschehen mitbedingt haben (Pauls 2013:183f,179).

Es wurde deutlich, dass ganz im Sinne einer medizinischen Krankenbehandlung der Begriff der Sozialen Behandlung mit einer Sozialen Therapie einhergeht. So würden ÄrtztInnen oder PsychotherapeutInnen eine Therapie ohne Behandlung ablehnen und umgekehrt. Diese Verwobenheit der Begriffe stellt trotz ihrer Logik, eine Erschwernis für die Klinische Soziale Arbeit dar. Da diese auf der einen Seite im medizinischen oder psychotherapeutischen Sprachgebrauch dominieren und auf der anderen Seite das Fach selbst seit je her mit seinen Begriffen und Methoden viel Kritik ertragen musste. Dazu mehr in Kapitel 3.2. Im Folgenden wird nun der Begriff der Sozialen Therapie als Methode der Klinischen Sozialen Arbeit diskutiert.