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2.3. Identitätsfragen der (Klinischen) Sozialen Arbeit

2.3.2. Allgemeine Entwicklungshürden einer Profession

Die (Klinische) Soziale Arbeit wird im gängigen Diskurs als Disziplin und Profession beschrieben und anerkannt. Wenn diese als Schnittstelle zwischen wissenschaftlicher und hermeneutischer Kompetenz gesehen wird, oder anders gesagt, zwischen einem theoretischen Verständnis und einer Fallorientierung bzw. zwischen Handlungskompetenz und Forschung, bedarf es besonders in der Klinischen Fachrichtung mit ihrem wissenschaftlichen Anspruch dieser Klärung. (vgl.

Mühlum/Gahleitner 2010:100,103).

Nach Silvia Staub-Bernasconi steht die Profession „(…) für die Relationierung von Wissensformen, d.h. [für] die zu kombinierende Bestimmung und Lösung kognitiver (Disziplin) und praktischer Probleme (…)“ (2010: 48). Während die Disziplin das theoriebasierte Wissen liefert und sich mit dem Kriterium der „Wahrheit/Richtigkeit“

auseinandersetzt, ordert die Profession das Handlungswissen dafür und orientiert sich somit am Referenzkriterium der „Wirksamkeit“ (vgl. Thole 2005:17).

Obwohl die Entwicklungsgeschichte der Sozialen Arbeit bis ins Spätmittelalter zurückreicht, stehen die ersten theoretischen Überlegungen zu Beginn des 20.

Jahrhundert im Fokus der Professionalisierungsdebatte. Die Arbeit der Pionierinnen Sozialer Arbeit in diesem Sinne, fanden schon mehrmals Erwähnung in der hier vorliegenden Arbeit (siehe Kapitel 2.1.,2.2.)

Eine erschreckende Fehlentwicklung der Profession kennzeichnete sich durch die Mitbeteiligung an den Taten des nationalsozialistischen Regimes. Die Instrumentalisierung der Sozialen Arbeit in den Jahren der faschistischen Diktatur verdrängten „(…) den methodischen Dreierschritt von Alice Salomon und Siddy Wronsky (1926): Anamnese/Diagnose - Behandlungsplan - Evaluation/Ablösung durch einen neuen zynischen Dreierschritt (…): Ausgrenzung - Aussondern - Ausmerzen.“ (Müller 2010:21) Die bis dahin vorangebrachten Fortschritte verblassten und erst in den Jahren der rückkehrenden EmigrantInnen konnte eine Neuorientierung der Sozialen Arbeit vermerkt werden. Diese zeigt sich jedoch in einer Form von praktischen, handwerklichen Anleitungen und ohne Intention bezüglich theoretischem Vorankommen (vgl. ebd.).

In den 60er Jahren (vor allem in der 68er Bewegung) kam es zunehmend zur Kritik an einer zu nah am Einzelfall geführten Sozialen Arbeit (siehe auch Kapitel 2.2.2.). Im

Zentrum des Vorwurfs stand die Pathologisierung von KlientInnen.

Gesellschaftsstrukturen und Machtprozesse gerieten in das Blickfeld einer sozialen Bewegung. Eine pauschale Gesellschaftskritik führte jedoch zu erheblichen Schwierigkeiten im Hilfeprozess für das Individuum. Es fehlte an einer erfahrungswissenschaftlichen Fundierung. Weiter wurde eine stärkere Professionalisierung und mehr Qualität in der Ausbildung gefordert (vgl. Staub-Bernasconi 2010:61;Müller 2010:22;Seithe 2012:46).

Zu Beginn der 70er Jahre können zwei weitere Entwicklungen vermerkt werden. Erstens tat sich die Soziale Arbeit schwer sich in der Frauenbewegung zu positionieren. Im Zuge der Forderung von „Selbstverwaltung“ und „Befreiung aus Gewalt und Machtverhältnissen“ wurde das Fach selbst als Teil des Herrschaftsapparats betrachtet (vgl. Staub-Bernasconi 1995:61f). Für die Unterstützung dieser Bewegung sah sich die Profession am Ende gezwungen den von ihr kritisierten patriarchalen Staat als Finanzquelle einzubeziehen (ebd.). Müller nennt als weitere Entwicklung eine hinführende Tendenz zur gelebten Psychohygiene und Selbstfürsorge (vgl. Müller 2010:22). Ebenfalls kam es zur Übernahme therapeutischer Methoden in der Sozialen Arbeit durch die Importe aus den USA (vgl. Galuske 2013:135).

Generell ist seit den 1960er und 70er Jahren die Soziale Arbeit den anhaltenden Zerreißproben innerhalb der Methodendiskussion im akademischen Kontext ausgesetzt und musste sich dahingehend als eigenständige Fachdisziplin im interdisziplinären Raum behaupten. Der Vorwurf galt vor allem der fehlenden theoretischen Fundierung und somit fehlender Anerkennung der Sozialen Arbeit als eigenständige akademische Fachdisziplin (vgl. Galuske 2007:112).

Seit der 1990er Jahren ist innerhalb des österreichischen Sozialstaates eine neoliberale Ausrichtung zu beobachten. Man spricht von der „Ökonomisierung“ Sozialer Arbeit und meint damit vor allem die Einsparungen von öffentlichen Ausgaben. Vermisst werden jedoch die Auswirkungen und Veränderungen hinsichtlich des Praxisfeldes der Sozialen Arbeit auf empirischer Basis, die mit der Ökonomisierung und den neoliberalen Strukturen einhergehen. Diese Prozesse verfremden die Handlungspraxis so, dass es zu einer Deprofessionalisierung, dem Verlust der Fachlichkeit kommt, so die Kritik. Die Ökonomisierung des Sozialen bezeichnet die Ausweitung der Wettbewerbsmechanismen auf die ganze Gesellschaft (Personen und Institutionen). Jedoch sind durchaus positive Aspekte dieser Entwicklung zu verordnen. Durch die Tendenzen der

„Vertriebswirtschaftlichung“ gerieten erstmals das Outcome anstelle des Inputs, die Nützlichkeit und Effizienz sozialarbeiterischer Handlungen in das Blickfeld und

begünstigte somit die Auswirkungen auf die Qualität (vgl. Diebäcker et.al 2009:2-14;Müller 2010:23f).

In den jüngsten Debatten um die Professionalisierung fand auch die Entwicklung der Klinischen Sozialen Arbeit nicht ohne weiteres ihre Anerkennung. Große Erwartungen aber auch Skepsis prägen die umrissene professionelle Tätigkeit der Klinischen Sozialen Arbeit. Schon allein der Begriff selbst bringt einige Schwierigkeiten mit sich, da er schnell mit einer Medikalisierung in Verbindung gebracht wird, gleichzeitig aber auch eine Aufwertung („klinisch“) dadurch zu erzielen wollen scheint. In vielen Krankenhäusern hat diese Begrifflichkeit ihre Anwendung gefunden, jedoch ohne den damit verbundenen theoretischen und methodischen Anforderungen von psychosozialer Beratung und Behandlung. (vgl. Geißler-Piltz 2005:11;Mühlum/Gahleitner 2010:95).

Die Anfänge sind wohl im Themenheft „Klinische Soziale Arbeit“ (Blätter der Wohlfahrtspflege) zu verordnen. 1999 startet der erste gleichnamige Studiengang in Coburg. In Österreich, Wien erst 2007 (vgl. ebd.:108). Die Klinische Soziale Arbeit kann einerseits als Modernisierungsprojekt, andererseits als Provokation verstanden werden.

Die Diskussionen um ihre Legitimität verweist ein weiteres Mal auf die „fragile Identität“

der Sozialen Arbeit. Dabei hat sich die Klinische Soziale Arbeit längst in den Ausbildungsformen etabliert und wird als Chance zur Weiterentwicklung der Profession gesehen (vgl. Mühlum/Gahleitner 2010:95).

Doch um eine berufsspezifische praxeologische Wissenschaft vorantreiben zu können, muss die Klinische Soziale Arbeit als autonome und selbstbestimmte gesundheitsspezifische Fachsozialarbeit, sowohl im Kontext anderer Gesundheitsberufe, als auch innerhalb der eigenen Profession, angesehen werden. Auch Sommerfeld spricht von einer „konsolidierten Wissensbasis“ (ebd.: 26) welche als entscheidendes Element für die vollständige Professionalisierung der Klinischen Sozialen Arbeit gesehen wird.

Nach diesem Verständnis von Klinischer Sozialer Arbeit, gehört auch die Forschung zu einer anwendungsorientierten Disziplin. Nachdem im Gesundheitssektor eher Behandlungsweisen herangezogen werden, für welche es auch Beweise gibt, muss sich die Klinische Fachrichtung ein Stück weit an den Standards der evidence based medicine orientieren. Zu beachten sei jedoch, dass durch die Komplexität von sozialen Phänomenen und Dynamiken der Lebenswelt, subjektorientierte Forschung neben den quantitativen Zugängen oder als mixed methodes bestehen kann. Zahlreiche Forschungsprojekte dieser Art finden sich beispielsweise in der Fachzeitschrift „Klinische Soziale Arbeit – Zeitschrift für psychosoziale Forschung und Praxis“ (vgl.

Mühlum/Gahleitner 2010:100ff). Sommerfeld ist der Annahme, obwohl die Profession

zwar in diversen Arbeitsbereichen immer noch eine marginale Rolle spielt, hat sie zugleich ein enormes Potenzial, dessen Ausschöpfung durch eine andauernde Identitätsfrage leider beschränkt bleibt und einer Weiterentwicklung als vollständig handlungstheoretischen Fachdisziplin im Weg steht (Sommerfeld et al. 2016:1f).

Es wurde deutlich, dass ein hürdenreicher Weg der Sozialen Arbeit, seit Beginn ihrer Entstehung, zur Erschwernis ihrer Etablierung als angesehene Profession im interdisziplinären Bereich beitrug. Thole beginnt in seiner Einführung „Grundriss der Sozialen Arbeit“ mit der Beobachtung fehlender einheitlicher Begriffe in und für die Soziale Arbeit als bezeichnend für ihr Bild als diffusen, komplexen Gegenstand:

„Neben den gegenwärtig gängigen Vokabeln Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Soziale Arbeit wird vereinzelt immer noch auf die älteren Begriffe Wohlfahrtspflege, Soziale Pädagogik, Fürsorgeerziehung, Soziale Erziehung oder Soziale Therapie zurückgegriffen oder aber mit neuen Begrifflichkeiten wie beispielsweise „Soziale Hilfe als System“ oder aber „Soziales Dienstleistungssystem“ jongliert. Für jeden der genannten Begriffe finden sich historische, theoretische, systematische oder aber berufspraktische Argumente für seine Verwendung. Die historischen Begriffe Wohlfahrtspflege, Soziale Pädagogik und Soziale Therapie charakterisieren jedoch nur einen Teilbereich, verengen inhaltlich das Aufgaben- und Handlungsspektrum der Sozialen Arbeit oder reduzieren es beispielsweise auf den Aspekt der Therapie.“ (Thole 2005:15) Es zeigt die Wichtigkeit von anerkannten Begriffen, die eine Profession stärken.

Silvia Staub-Bernasconi begründet eine bestehende Unsicherheit der Profession durch die Tendenzen einer Fremdbestimmung des Faches. Der Beruf bietet viele Angriffsflächen. Sie kritisiert die Soziale Arbeit jedoch dahingehend, dass die Begriffe und Konzepte von außen an sie herangetragen und übernommen wurden (z.B.

Therapieboom, Frauenbewegung, Ökonomisierung: Klient In wird zu Kund In). Staub-Bernasconi nennt einen Grund für die anhaltende Nicht Identität Sozialer Arbeit in der

„fremdverordneten Bescheidenheit“ (1995:58) Dabei sollte die Soziale Arbeit ihre Werte und Ideale selbstbestimmen. Um diese kollektive Verunsicherung in eine professionelle Selbstsicherheit zu verwandeln gibt sie als Antwort das weiterarbeiten einer soliden Wissens- und Theoriebasis an, da jede Profession von dieser lebe 3(vgl. ebd: 65f).

3 In weiterer Folge deklariert die Autorin die Soziale Arbeit als Menschenrechtprofession. Die Profession folgt dadurch einem eigens bestimmten Ideal und wird dadurch zu ihrem eigenen Auftragsgeber (vgl. Staub-Bernasconi ebd.).

Als Antworten zur Stärkung von Berufsidentität (vor allem im klinischen Setting) und Profession können zusammenfassend folgende Punkte ausgemacht werden:

• Vorantreiben der theoretisch fundierten Wissensbasis (vgl. Staub-Bernasconi ebd.;Sommerfeld ebd.)

• Einheitlichkeit von Begriffen (vgl. Thole ebd.)

• Kommunikations- und Kontextabklärende Maßnahmen hinsichtlich der multiprofessionellen Teamarbeit (vgl. Bienz/Reinmann ebd.;Lauer ebd.;Kälble et al.ebd.).

Dennoch ist eine Würdigung der Professionalisierung, die sich seit den letzten 100 Jahren stetig weiter verändert hat, durchaus angebracht. Im Folgenden soll Bezug zur Ausbildungsentwicklung in Österreich genommen werden, da in der empirischen Untersuchung befragte Personen mit unterschiedlichen sozialarbeiterischen Abschlussformen, gezielt ausgewählt wurden.