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1. Einleitung

2.6 Die Situation auf dem Arbeitsmarkt

Auch wenn in den letzten Jahren eine sukzessive Verschiebung von den traditionellen Berufen der Gastarbeiter zu Bereichen wie Dienstleistung und Handel stattgefunden hat, sind türkische Erwerbstätige weiterhin überproportional in Berufen mit schlechten Arbeitsbedingungen und geringem Einkommen beschäftigt. Wie die erste und zweite Generation arbeitet auch die dritte Generation überwiegend im sekundären Bereich in Stellen, für die eine qualifizierte Berufsausbildung nicht erforderlich ist (Havenith 2002, S. 15). In einer groben Darstellung des Strukturbildes der generellen Erwerbstätigkeit in Deutschland sind es aus Sicht von Schumann (2002, S. 20) grundsätzlich ältere Industriearbeiter, die als

„Modernisierungsausgesparte stark standardisierte, inhaltsentleerte und geringqualifizierte“

Tätigkeiten ausführen. Im Vergleich zur jüngeren Generation unterscheidet sich ihre Situation jedoch darin, dass sie einen relativ sicheren Arbeitsplatz haben, den sie ohne große Anstrengung erlangen konnten. Da sich mit Anstieg der qualifikativen Anforderungen an die

34 Vgl. Statistisches Bundesamt: Ausländer nach Staatsangehörigkeit und Beteiligung am Erwerbsleben, A 1.2.

Ergebnisse des Mikrozensus 2006, Wiesbaden 2007.

35 Polat, Ülger: Perfide Diskussion. Online-Artikel vom 12.03.05. URL:http://www.qantara.de/

webcom/show_article.php/_c-469/_nr-302/i.html (letzter Zugriff am 17.07.2008).

Bewerber auch die Zugangsvoraussetzungen für die heutigen Industrieberufe erhöht haben, ist vor allem die Arbeitssituation jüngerer Türken ohne berufliche Qualifikation von Instabilität gekennzeichnet. Schumann charakterisiert die Gruppe der Betroffenen als „Modernisierungs-bedrohte“ (ebd., S. 21). Zum einen liegen die Gründe für die beschränkte Berufswahl insbesondere bei Jugendlichen türkischer Herkunft sicherlich in ihrer mangelnden Kenntnis über die Vielfalt an Ausbildungsberufen und der inhaltlichen Zielsetzung des dualen Ausbildungssystems begründet.36 Andererseits stellen in diesem Kontext die bereits angesprochene Arbeitsmarktdiskriminierung sowie das einseitige Einstellungsverfahren der Betriebe ein großes Problem bei der Suche nach geeigneten Arbeits- oder Ausbildungsplätzen dar. Hinzu kommt noch der Mangel an Ausbildungsplätzen, da das Berufsspektrum der Jugendlichen türkischer Herkunft viel geringer ist als das der deutschen. Aufgrund des steigenden Bedarfs an immer besser qualifizierten Fachkräften sind viele türkische Jugendliche mit fehlenden Fachkenntnissen und Qualifikationen gezwungen, einen Beruf zu erlernen, dessen Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt als gering zu veranschlagen ist.

Abbildung 9 gibt einen Überblick über die strukturelle Verteilung der türkischen Erwerbstätigen auf die einzelnen Berufsbereiche im Vergleich zu deutschen Erwerbstätigen sowie Erwerbstätigen aus anderen Anwerbernationen:

Abbildung 9: Ausländische (nach ausgewählten Nationalitäten) und deutsche Erwerbstätige nach Berufsbereichen an allen Erwerbstätigen der entsprechenden Wohnbevölkerung 2006, in Prozent

0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 %

Griechen Italiener Türken ehem.Jugosl.*) Deutsche Fertigungsberufe Technische Berufe Dienstleistungsberufe Datenquelle:Ergebnisse des Mikrozensus 2006. Eigene Darstellung.

*) Berechnung mit Daten von Kroaten, Serben und Bosniern.

36Sen, Faruk: Integration und Identität: Türkische Jugendliche – Leben in oder zwischen zwei Kulturen; Dortmund 2003.

URL:http://www.bezreg-arnsberg.nrw.de/schule_kultur_sport/schulen/uebergreifend/kids/rede_sen.html (letzter Zugriff am 04.01.2009).

Als typische Fertigungsberufe gelten Berufe in der Metallbearbeitung, Elektrobranche, Textilindustrie, im Montierhandwerk oder der des Hilfsarbeiters in ähnlichen Bereichen.

Unter allen ausländischen Erwerbstätigen in den Fertigungsberufen waren türkische Arbeitnehmer – bezogen auf die entsprechende Wohnbevölkerung – am meisten in diesem Sektor beschäftigt. Zudem waren türkische Arbeitnehmer im Jahr 2006 im Vergleich zu Deutschen und den anderen “klassischen“ Einwanderernationen mit 47,2 % am geringsten in den verschiedenen Berufsbereichen der Dienstleistung (z. B. Verkehrsberufe, Verwaltungsberufe, Sozialberufe, kaufmännische Berufe etc.) vertreten. In den technischen Berufen (z.B. Ingenieur, Architekt, Chemiker etc.) waren sie mit 1,8 % sogar deutlich unterrepräsentiert. Nur die Quote der Erwerbstätigen aus dem ehemaligen Jugoslawien lag mit einem Anteil von 0,3 % an allen Erwerbstätigen der entsprechenden Wohnbevölkerung in dieser Berufsgruppe noch niedriger. Die Abbildung gibt zudem Aufschluss darüber, dass nur etwa ein Viertel aller deutschen Erwerbstätigen in Fertigungsberufen, zwei Drittel von ihnen hingegen in Dienstleistungsberufen arbeiteten.

Natürlich streben junge Türken nicht fakultativ Berufe mit niedrigem Sozialstatus an, vielmehr sind die Gründe auch in der vergangenen deutschen Beschäftigungspolitik zu suchen. In der Anwerbepolitik der 1960er und 1970er Jahre wurden hauptsächlich Arbeitskräfte für die Industrie und Bauwirtschaft gesucht, zumal die ausländischen Arbeitnehmer aufgrund fehlender Sprachkenntnisse sowie institutioneller Hemmnisse nicht für Dienstleistungsberufe im tertiären Sektor infrage kamen (Hernold/von Loeffelholz 2002, S. 33). Obwohl sich zwar die Muster der Erwerbsbeteiligung von Migranten seit diesem Zeitpunkt den Beschäftigungsverhältnissen der deutschen Wohnbevölkerung annäherten, zeigen die Beschäftigtenquoten in den einzelnen Berufsbereichen, dass nichtdeutsche Arbeitnehmer – und insbesondere mit türkischem Hintergrund – weiterhin überwiegend Tätigkeiten in Fertigungsberufen ausführen. Die Überrepräsentation türkischer Arbeiternehmer in diesen Berufen nährt die gängigen Vorurteile in der deutschen Mehrheitsgesellschaft über die Türken als Hilfsarbeiter. Dieser Eindruck erhält eine zusätzliche Bestärkung in der Tatsache, dass türkische Staatsbürger im Jahr 2004 mit über 30% die meisten aller erwerbstätigen Ausländer in Reinigungs- und Entsorgungsberufen stellen. Im Gegensatz dazu waren weniger als 5% der deutschen Erwerbstätigen in diesem Berufssektor beschäftigt.37

Aus einem weiteren Gesichtspunkt heraus betrachtet, stellt die aus den Zahlen der Arbeitsmarktstatistik hervorgehende hohe Arbeitslosigkeit junger türkischer Migranten in

37 Vgl. Sozioökonomische Forschung und Beratung: Der Beratungsbedarf türkischer Erwerbspersonen in Deutschland 2004, März 2005.

Deutschland für die Betroffenen – durch den Ausschluss vom Berufsleben – eine große Belastung dar. Dabei erfährt der Mensch gerade durch die Selbstdefinition über Arbeit seine gesellschaftliche Wertschätzung (vgl. Büntig 2001). Folglich ist Arbeit eine Art soziale Beziehung, über die das persönliche Gleichgewicht ausbalanciert wird und als Produktivitätsmerkmal gleichermaßen das Zugehörigkeitsgefühl zur Leistungsgesellschaft wachsen sowie das Selbstwertgefühl steigern lässt. Nun haben Arbeitslose grundsätzlich nicht die Möglichkeit, sich über Arbeit zu definieren; demzufolge bleibt das Gefühl, als wertvolles Mitglied der Gemeinschaft anerkannt zu werden, aus. Nicht selten führt dieser Zustand in eine soziale sowie persönliche Identitätskrise. Besonders bei Menschen mit Migrationshintergrund wird dies durch die Tatsache verstärkt, dass die Betroffenen in einem fremden Land mit fremder Kultur und Sprache leben. So gesehen stehen sie abseits jeglicher Partizipation am Gemeinschaftsleben. Zum anderen besteht die Gefahr für die türkische Erwerbsbevölkerung darin, dass sie aufgrund ihrer unterdurchschnittlichen Beteiligung in höhergestellten Berufen dauerhaft vom Strukturwandel in Deutschland ausgesondert werden und dadurch in eine soziale Marginalität geraten. Die berufliche Integration insbesondere von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist jedoch nur über eine berufliche Qualifikation zu erreichen (vgl.

Granato 2003). Deshalb ist es zwingend notwendig, Berufsqualifizierung und Arbeitsmarktförderung für diesen Personenkreis dahingehend zu lenken, dass die Beteiligung an unterrepräsentierten Bereichen wie die des tertiären Sektors durch die Erleichterung des Zugangs zum Arbeitsmarkt weiter zunimmt.