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4. Das pädagogische Konzept berufsvorbereitender Maßnahmen

5.2 Stichprobe

5.2.2 Induktive Datenanalyse der Elternfragebogen

5.2.2.6 Art der Berufstätigkeit

Die Frage nach der Art des ausgeübten Berufes spielt in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle, da dieser als Indikator zur Bestimmung des sozioökonomischen Kapitals sowie des Bildungskapitals generell Rückschlüsse auf die Stellung der Person in der Hierarchie einer Gesellschaft zulässt (Hoffmeyer-Zlotnik/Geis 2003, S. 125). Bildung steht also im engen Zusammenhang mit der beruflichen Position (vgl. u. a. Isengard 2001) und hat nach Gangl in der empirischen Sozialforschung sogar den „robustesten Einfluss auf die Arbeitsmarktposition“ (Gangl 2003, S. 6). Je höher folglich die berufliche Stellung der Eltern ist, umso mehr verwertbares sozioökonomisches Kapital steht den Kindern auf dem Weg zu einem erfolgreichen Bildungsabschluss zur Verfügung. Dies impliziert, dass sich aus der sozialen Stellung der Eltern im Berufsleben – und auch in der Gesellschaft – die Bildungsleistungen der Kinder ableiten lassen. Diese Aussage lässt sich in der Tat auf die Erkenntnisse der PISA-Studien stützen, nach der in keinem anderen Industrieland die soziale Herkunft so entscheidend über den Lernerfolg sei, wie in Deutschland (vgl. u. a. Ratzki 2002;

Reith 2002). Aufgrund der sozialen Undurchlässigkeit des deutschen Bildungssystems können herkunftsbedingte Lernnachteile nicht ausgeglichen werden (vgl. OECD 2007), und so bleiben selbst Unterschichtskinder mit besten Leistungen auf der Hauptschule, ohne die Möglichkeit, höhere Schularten zu besuchen. Soziale Herkunft und Kompetenzerwerb sind hier in hohem Ausmaß aneinander gekoppelt: Armut ist in Deutschland vererbbar.

In welchem Maßstab können diese Erkenntnisse über den Einfluss der beruflichen Stellung auch auf die Situation der hier untersuchten Eltern übertragen werden? In Anbetracht der in der Türkei erreichten höheren Schulabschlüsse – und damit höheren Bildungsniveaus – der RS-Eltern liegt die Vermutung nahe, dass diese im Vergleich zu BvB-Eltern häufiger Berufe

127 Zusammenfassung der Quoten für die Antwortvorgaben „keine Arbeit, aber suchend“ und „keine Arbeit und nicht suchend“.

mit höherem sozialem Prestige und sozialer Stellung ausüben und demzufolge erfolgreicher im Berufsleben sind. Die Abbildung 16 gibt einen grafischen Überblick über die Häufigkeit der vertretenen Berufsbereiche, die von Eltern aus beiden Gruppen angeführt wurden. Auf den ersten Blick zeigt sich, dass BvB-Eltern deutlich häufiger in Handwerksberufen beschäftigt waren als RS-Eltern. Des Weiteren lässt sich feststellen, dass RS-Eltern häufiger in Berufen in Industrie und Produktion tätig waren als BvB-Eltern. Auch im Vergleich der Gruppenquoten bei den Selbstständigen waren RS-Eltern gegenüber BvB-Eltern deutlich bessergestellt – dreimal mehr RS- als BvB-Eltern unterhielten ein Gewerbe.

Abbildung 16: Häufigkeit der angegebenen Berufsbereiche im Gruppenvergleich

7 10

10 17

5 1414 20

3 6

4 10

4 7

0 5 10 15 20

Einzelhandel/Verkauf Reinigungskraft Handwerk Industrie und Produktion Hilfstätigkeiten Selbstständigkeit Pflege-/Soziale Dienste

BvB RS

Eigene Berechnung und Darstellung.

Als weiteres Indiz für die höhere berufliche Stellung der RS-Eltern lässt sich die Tatsache werten, dass RS-Eltern häufiger in Pflegeberufen und Berufen im sozialen Bereich tätig waren. Auch für die Dienstleistungsbranche im Einzelhandel und Verkauf lag die Quote der hier berufstätigen RS-Eltern höher. Im niedrigschwelligen Berufssektor (Hilfstätigkeiten und Reinigung) arbeiteten dagegen nahezu doppelt so viele BvB- als RS-Eltern. Bemerkenswert ist hierbei, dass in der Gruppe der BvB-Eltern die häufigste Antwort auf „Reinigungsberufe“

entfiel, von den RS-Eltern dagegen waren die meisten im Bereich der Industrie und Produktion beschäftigt.

In den Sozialwissenschaften wird bei Berufstätigen häufig die Art der Beschäftigung als Indikator für das Berufsprestige zur Interpretation der sozialen Stellung im Beruf verwendet.

Zudem dienen berufsbasierte Messinstrumente in diesem Rahmen als Werkzeug zur Erfassung sozialer Ungleichheit (vgl. Christoph 2005). Die Bestimmung der sozialen Stellung von Berufstätigen geschieht in Deutschland unter Verwendung der von Wegener (vgl. 1988)

entwickelten Magnitude-Prestige-Skala (MPS), wobei die MPS Werte zwischen 20,0 (Handlanger, Hilfsarbeiter) und 186,8 (Ärzte) annehmen kann (Hadjar 2008, S. 209).

Allerdings ist ihre Anwendung an die Verschlüsselung von Berufen gebunden, bei der eng verwandte Berufe zu Berufsgruppen zusammengefasst werden und so eine Art

„monohierarchisches Klassifikationsschema“ entsteht. Eine standardisierte Klassifikation dieser Gattung ist die ISCO 88128 (vgl. Elias/Birch 1994), mittels derer internationale Arbeits- und Bevölkerungsstatistiken vergleichbar gemacht werden sollen. Auf nationaler Ebene erfolgt dies nach der „Klassifizierung der Berufe“ (KldB)129. Bei der Übertragung Wegeners Magnitude-Prestige-Skala auf die Klassifizierung der Berufe erreichen Pflege- und soziale Berufe im Durchschnitt einen MPS-Wert von 62 und Berufe im Verkaufswesen (Einzelhandel, Fachverkäufer) einen MPS-Wert von 51. Mit ca. 41 ist der durchschnittliche MPS-Wert für Handwerksberufe geringer als im Pflege- oder Verkaufsbereich, jedoch höher als vergleichsweise der Wert für Berufe in Industrie/Produktion (34). Mit einem MPS-Durchschnittswert von 32 schneiden Berufe in der Reinigungsbranche (Raumpflege, Gebäudereinigung) am schlechtesten ab.130 Die Wertetabelle der MPS als Operationalisierungsinstrument für die soziale Position von Berufen veranschaulicht das niedrige Prestigeniveau von Berufen in der Reinigungsbranche im Vergleich zu anderen Berufsgruppen. Genau in diesem Sektor, in Berufen mit sehr niedriger sozialer Stellung, arbeiteten BvB-Eltern als un- und angelernte Arbeiter (Reinigung, Hilfsarbeiter) häufiger als Eltern. Trotz der in den Ergebnissen angedeuteten beruflich besseren Stellung von RS-Eltern ergibt sich zwar mit Chi-Quadrat=12,398/p=0,088 ein sichtlicher, jedoch kein signifikanter Zusammenhang zwischen der ausgeübten Beschäftigung und der Gruppenzugehörigkeit.

Zwar lassen sich in Bezug auf die beiden untersuchten Gruppen anhand der ermittelten Ergebnisse sozial homogene Berufsklassen nicht nachweisen, jedoch belegen sie, dass RS-Eltern tendenziell häufiger in Berufen mit höherem sozialem Prestige tätig waren. Eine mögliche Erklärung hierfür liefert unter anderem der Bildungshintergrund der Befragten, da mit höheren Bildungsabschlüssen auch allgemein die Chancen auf einen Arbeitsplatz steigen.

Um die Intensität des Zusammenhanges zwischen dem Bildungshintergrund und der Erwerbstätigkeit zu ermitteln, wurden zunächst die jeweiligen Aspekte der Variablen

128 International Standard Classification of Occupations (ISCO) aus 1988.

129 Klassifizierung der Berufe, Ausgabe 1992. Quelle: Statistisches Bundesamt 1996.

130 Die Ermittlung der Durchschnittswerte für die einzelnen Berufsklassen nach der MPS erfolgte anhand der Auswahl der von beiden Elterngruppen genannten Berufe (gerundete Werte).

Arbeitssituation mit den Variablen Schulbesuch in Deutschland und Schulabschluss in Deutschland getestet: Die Häufigkeitsverteilung verdeutlicht, dass lediglich zwei Drittel (65,6%) der Befragten, die in einem Arbeitsverhältnis standen, in Deutschland auch eine Schule besucht haben. Interessant ist zudem die Tatsache, dass von 10 Befragten, die nach eigenen Angaben nie in Deutschland gearbeitet haben, 9 Personen hier auch nie zur Schule gegangen sind. An den Messergebnissen (Chi-Quadrat=16,881/p=0,001) lässt sich eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine systematische Abweichung in den beobachteten Häufigkeiten ablesen. Ein nicht signifikanter, aber doch augenfälliger Zusammenhang zeigt sich auch zwischen der Arbeitssituation der Befragten und ihrem in Deutschland erworbenen Schulabschluss: Demnach waren weniger als zwei Drittel der Eltern mit Hauptschulabschluss (62,2 %) erwerbstätig; bei denjenigen mit Realschulabschluss und Abitur gingen mit 93,3 % bzw. 75 % deutlich mehr einer Beschäftigung nach.

Ebenso wie auf die Erwerbstätigkeit zeigt der Schulbesuch in Deutschland einen hoch signifikanten Einfluss (Chi-Quadrat=18,385/p=0,010) auch auf die Art der ausgeübten Tätigkeit der Eltern. Am größten ist der Unterschied zwischen den Personen mit und ohne Schulbesuch in Deutschland für den Bereich Einzelhandel/Verkauf: Mehr als drei Viertel (76,5 %) der Eltern, die in diesem Dienstleistungssektor beschäftigt waren, haben hier eine Schule besucht und absolviert. Auch im Hinblick auf die eigene Existenzgründung ging vom Schulbesuch in Deutschland ein positiver Effekt aus: etwa zwei Drittel (64,3 %) aller Selbstständigen haben Angebote des deutschen Bildungswesens erfolgreich durchlaufen. Im Gegensatz dazu waren im Beschäftigungssektor mit niedrigschwelligen Berufen häufiger Personen ohne Schulbesuch in Deutschland tätig: Mit 63 % gaben nahezu doppelt so viele Eltern ohne Schulbesuch in Deutschland an, in Reinigungsberufen zu arbeiten. Auch im Bereich der Tätigkeiten als un- oder angelernte Hilfskräfte waren tendenziell häufiger Personen ohne Schulbesuch in Deutschland beschäftigt.

Die Ergebnisse belegen deutlich, dass Bildungskapital und die Art der Beschäftigung signifikant miteinander korrelieren. Da im Rahmen der soziologischen Einordnung des Prestigeniveaus von Berufen (vgl. MPS von Wegener) die Art der Beschäftigung die Grundlage der Messungen darstellt, geht vom Bildungskapital folglich auch ein Effekt auf die soziale Stellung im Beruf aus. Ebenso wie in den Untersuchungen von Bender/Seifert offenbaren sich bei den befragten Eltern mit Schulbesuch in Deutschland weit günstigere berufliche Positionen (Chi-Quadrat=56,859/p=0,000). Es zeigt sich deutlich, dass die schulische Laufbahn in Deutschland einen signifikant positiven Einfluss auf die

Beschäftigungssituation der Befragten hatte. Der Umstand, im Aufnahmeland eine Schule besucht und diese abgeschlossen zu haben, schaffte somit die formalen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behauptung auf dem Arbeitsmarkt (Zapf/Schupp/Habich 1996, S. 241).

Neben dem Erwerb von – für einen erfolgreichen Berufsweg – unerlässlichen Qualifikationen ist der Schulbesuch im Aufnahmeland auch im Hinblick auf den Erwerb sprachlicher Fähigkeiten (als eine der wichtigen Kulturtechniken) von Bedeutung, welche die Grundlage für interethnische Kommunikation in der deutschen Gesellschaft – beispielsweise bei der Bewerbung um einen Arbeitsplatz – bilden. In diesem Zusammenhang haben bereits Bender/Seifert (1998b, S. 84) in ihren Forschungsergebnissen auf die Voraussetzung von Deutschkenntnissen für das „Vordringen in höhere berufliche Positionen“ hingewiesen, da fast 80 % der Ausländer mit schlechten Deutschkenntnissen als un- und angelernte Arbeiter tätig waren. Vor diesem Hintergrund ist auch nachvollziehbar, warum es bei der vorliegenden Untersuchung mit einem Anteil von 90 % fast ausschließlich auf Eltern ohne Schulbesuch in Deutschland zutraf, im Laufe ihres Aufenthaltes nie einer Beschäftigung nachgegangen zu sein.