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Rolle der Eltern im Bildungsprozess

4. Das pädagogische Konzept berufsvorbereitender Maßnahmen

6.1 Rolle der Eltern im Bildungsprozess

fördern und erleichtern, sondern diese zu einem großen Teil auch selbst darstellen. Dies wiederum beinhaltet eine eindeutige politische Forderung: Politik sollte sich weniger auf das Fordern und Sanktionieren konzentrieren, sondern Bildungschancen und erleichterte Zugänge schaffen. Denn wer Integration wirklich will, sollte praktisch und unmittelbar handeln.

diesem Zusammenhang auch Merkens/Schmidt. Des Weiteren stellten die Autoren fest, dass der überwiegende Anteil der befragten türkischen Schüler einen höheren Abschluss als den auf Hauptschulniveau anstrebte (Merkens/Schmidt 2001, S. 115). Auch die Bildungsaspiration der Eltern lag bei diesen Schülern sehr hoch.

Dass grundsätzlich Eltern mit höherem Bildungsgrad auch mehr Wert auf gute Schulabschlüsse oder qualifizierende Ausbildungsplätze ihrer Kinder legen und sich deren Chancen auf höhere und weiterführende Bildungsabschlüsse damit erhöhen, haben verschiedene Untersuchungen gezeigt (vgl. Nauck/Diefenbach/Petri 1998; Toprak 2004;

Kristen/Granato 2005). Nun verfügen türkische Eltern insbesondere der ersten Migrantengeneration im Vergleich zu Deutschen in der Regel nicht über das Wissen, von dem ihre Kinder profitieren könnten. Häufig können die Erwachsenen nur auf Kenntnisse aus der Grundschulzeit in der Türkei zurückgreifen, wenige von ihnen besuchten je die Oberschule.

Dass hierbei türkische Migranten selbst unter denen aus klassischen Einwanderungsnationen das geringste Bildungsniveau besitzen, zeigt unter anderem die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Auftrag gegebene Repräsentativbefragung, nach der Personen türkischer Herkunft den größten Anteil an allen Ausländern ohne Schulabschluss ausmachten (von Gostomski 2008, S. 18). Zwar mögen Kinder der zweiten und dritten Generation Eltern haben, die wenigstens zum Teil in Deutschland aufgewachsen sind; das heißt allerdings nicht, dass die Bildungsabschlüsse sehr hoch sind. Bereits 1987 konstatierte Nauck (1987b, S. 90) in diesem Zusammenhang, dass sich türkische Familien selbst nach Jahren des Aufenthaltes in Deutschland entsprechend der Abstammung aus dörflichen oder urbanen Regionen der Türkei oder der erworbenen Schulbildung unterscheiden würden. Mit der Immigration nach Deutschland multiplizierten sich aufgrund der mangelhaften Deutschkenntnisse zunehmend die Probleme in der Aufnahmegesellschaft, wobei sich der Grad der Sprachkompetenz nach Sen/Sauer/Halm (2001, S. 61) nach unterschiedlichen Faktoren in Abhängigkeit vom Land, in dem der Schulabschluss erworben wurde, der Aufenthaltsdauer und dem Alter differenzieren lässt. Die mit dem Spracherwerb erlangte Sprachkompetenz dient jedoch nicht ausschließlich zu Kommunikationszwecken; sie ermöglicht darüber hinaus die Fähigkeit, sich in einem fremden politischen, sozialen und kulturellen Raum zurechtzufinden und aktiv am öffentlichen Leben teilzunehmen. Mangelt es an den entsprechenden Fähigkeiten, ist eine gesellschaftliche Partizipation jedoch kaum möglich.

Gleichwohl muss aber die Frage gestellt werden, ob mit der politischen und sozialen Partizipation alle Probleme und Unterschiede zwischen Deutschen und Türken aufgehoben

sind. Problemlos partizipieren nur die Bürger mit Migrationshintergrund, denen das herrschende System den Eindruck vermitteln kann, ihre individuellen Interessen zu vertreten.

Was aber bedeutet Partizipation? Vilmar gibt hierzu eine Definition: „Partizipation bedeutet jede Beteiligung des Bürgers an gesellschaftlichen Prozessen, und zwar sowohl an Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen als auch an sozialen und speziell politischen Aktivitäten selbst“ (Vilmar, 1986, S. 340).

Trotz der zahlreichen gesetzlichen (Neu-)Regelungen zur Gleichstellung der ehemaligen türkischen Arbeitsmigranten mit der deutschen Bevölkerung befinden sich diese weiterhin in einer sozialrechtlichen Randposition (vgl. Prümm 2003). Eine gleichberechtigte Beteiligung der türkischen Bevölkerung an politischen Entscheidungen wäre synonym mit der Zuerkennung von bürgerlichen Rechten, welche in erster Linie die Mitglieder der Mehrheitsbevölkerung als vollwertige Staatsbürger ganz für sich beanspruchen. Die Bereitschaft der deutschen Mehrheitsgesellschaft, das an den deutschen Pass gebundene

„Monopol“ auf staatsbürgerliche Rechte mit ethnischen und nationalen Minderheiten gleichermaßen zu teilen, wäre ein entscheidender Schritt im Integrationsprozess, von dem man in Deutschland jedoch noch weit entfernt ist. Andererseits bleibt es aber auch zu erwähnen, dass die sozialgesellschaftliche Isolation, in der sich viele türkische Migranten befinden, mitunter selbstgesteuert ist. Wie bereits dargestellt, legen viele keinen großen Wert auf das Erlernen der deutschen Sprache, da sie in ihren ethnisch homogenen Wohnvierteln eine durch das Überangebot an türkischen Geschäften und Einrichtungen von der deutschen Außenwelt völlig isolierte Lebensweise führen können. Die in dieser subkulturellen Umgebung lebenden türkischen Kinder finden eine präparierte soziokulturelle Nische vor, in die sie früh eingebunden werden. Somit wachsen sie in ein ethnisch homogenes Milieu mit geringem Bildungsniveau hinein, in dem ihre Bildungsmöglichkeiten mehr oder weniger vorgegeben sind. Hinzu kommt, dass sich das niedrige Bildungsniveau der Eltern in vielen türkischen Familien negativ auf den Bildungsprozess der Kinder auswirkt, was nach Wagner et al. (vgl. 1998) und Leggewie (vgl. 2000) stärker als bei deutschen generell auf ausländische Familien zutreffe. Besonders im Hinblick auf ihre berufliche Zukunft fehlt türkischen Jugendlichen die Unterstützung ihrer Eltern bei der Suche nach einem geeigneten Ausbildungs- oder Arbeitsplatz. Die Gründe hierfür sind verschiedenartig:

Zum einen liegt dies in den mangelhaften bis kaum vorhandenen Deutschkenntnissen der Eltern begründet. Ihr sprachliches Defizit hindert sie an der gezielten Leitung und Orientierung ihrer Kinder. Zu den zusätzlich fehlenden Kenntnissen der Eltern über das

deutsche Bildungssystem kommen häufig auch Vorstellungen einer autoritären Erziehung in Schulen hinzu, wie sie aus der eigenen Schulzeit in der Türkei noch bekannt ist.

Dementsprechend bleibt es für sie unverständlich, dass in deutschen Schulen den Lehrern kein Respekt entgegengebracht wird oder die Verordnung von strengen pädagogischen Maßnahmen als Strafe ausbleibt (vgl. hierzu Neumann 1981). Diese und ähnliche Wissensdefizite der Eltern über das deutsche Schulwesen haben in Bezug auf die schulische Entwicklung ihrer Kinder gravierende Auswirkungen, da sie nicht oder kaum in der Lage sind, die Probleme, Wünsche oder auch Sorgen ihrer Kinder in einem ausreichenden Maß vor den Bildungsinstitutionen zu artikulieren.

Zum anderen bewegen sich die meisten türkischen Migranten in gleichen ethnischen und kulturellen Sozialisationsfeldern und haben daher außerhalb ihres Arbeitsplatzes keinen oder kaum Kontakt zu Deutschen. Dies wiederum bedeutet, dass sie nicht in der Lage sind, Informationsnetzwerke in ihrem Umfeld oder in ihren Betrieben aufzubauen, von denen ihre Kinder profitieren könnten. Hinzu kommt, dass in vielen türkischen Familien das Interesse für die berufliche Zukunft der Kinder und Jugendlichen gering ist. Wie bereits geschildert, wird hier früh das Geldverdienen als eine der zentralen Lebensaufgaben zitiert. Eine buchstäblich konträre Haltung äußert sich aber auch darin, dass manche türkische Eltern ihre Kinder zu schulischen Erfolgen förmlich drängen. Der auf den Kindern und Jugendlichen lastende Leistungsdruck wird umso größer, je weniger die Eltern aufgrund mangelnder Schulkenntnisse Hilfestellungen für das Erreichen der erwünschten Ziele geben können. Das hier scheinbar paradoxe Verhalten der Eltern, die überwiegend in Bezug auf ihre Söhne eine hohe Bildungsaspiration haben (vgl. Steinbach/Nauck 2005, S. 113), spiegelt die Fehleinschätzung der Fähigkeiten ihrer Kinder wider: Aufgrund ihrer mehrheitlich aufstiegsorientierten Einstellung wünschen Migrantenfamilien (für) sich gute Schulabschlüsse ihrer Kinder, nach Möglichkeit Abitur und Studium (vgl. Ucar 2001); sie schicken die Kinder auch gegen die Empfehlung der Grundschulen auf Gymnasien, wo sie allerdings aufgrund des mangelnden Potenzials schließlich scheitern (Neumann 1997, S. 152). Häufig kommt wenig förderlich hinzu, dass aufgrund der engen Wohnbedingungen kaum Platz für Privates bleibt und das damit verbundene Arbeiten am Küchen- oder Wohnzimmertisch sehr ungünstig für das Lernen sind.187 Der schulische Misserfolg verursacht bei vielen Kindern und Jugendlichen schließlich Schuldgefühle – und kann im Weiteren zu einer Identitätskrise führen –, da man den elterlichen Ansprüchen nicht gerecht werden kann.

187 Auszug aus einem Interview mit dem Vorsitzenden des Türkischen Elternvereins Berlin, Ilfan Kizgin, am 04.08.2005. Geführt und transkribiert von H. Gillmeister für den Türkischen Bund in Berlin-Brandenburg e.V.

Die im Rahmen dieser Arbeit vielfach angesprochenen erschwerten Lebensbedingungen für türkische Jugendliche in Deutschland treffen explizit auf junge Mädchen und Frauen zu. Fast immer haben in ihrer Sozialisation mädchenspezifische Normen eine große Rolle gespielt.

Türkische Mädchen und junge Frauen werden anders erzogen und behandelt als Jungen. Bei vielen von ihnen bleibt noch immer ein beträchtliches Maß an Kontrolle durch die Familie oder Nachbarn bestehen (vgl. Salman 1999). Es soll aber auch nicht der Eindruck erweckt werden, dass alle Mädchen und jungen Frauen türkischer Herkunft zwangsläufig von dieser patriarchalischen Unterordnung sowie sozialen Bewachung innerhalb der Familie betroffen sind. Viele Familien erziehen ihre Töchter in weiten Teilen „liberal und […] westlich aufgeschlossen“ (Sen 1994, S. 55). Es gibt zudem viele Studien, deren Ergebnisse belegen, dass türkische Mädchen neben einer hohen Bildungsaspiration (vgl. auch Gültekin 2003;

Weber 2003) in vielen Punkten (z. B. Selbstständigkeit und Bereitschaft zur Auseinandersetzung im Elternhaus) durchaus ähnlich positive Tendenzen wie Mädchen anderer ethnischer Herkunft zeigen (vgl. u. a. Shell-Studie 2000; Weidacher 2000) und insofern nicht pauschal der ihnen oftmals in der Literatur und in den Medien zugeschriebenen Opferrolle entsprechen. Allerdings lassen sich solch temporäre Ergebnisse nicht auf die generellen Ausgangsbedingungen türkischer Mädchen und junger Frauen übertragen, deren familiäre Situation sich grundlegend von den Verhältnissen in Familien anderer ethnischer Herkunft unterscheidet. Die traditionell patriarchalischen Strukturen haben in den meisten in Deutschland lebenden türkischen Familien dennoch Bestand. Weiterhin verbringen viele junge Türkinnen ihre Freizeit meistenteils im Elternhaus, wo sie frühzeitig in die Hausarbeit mit eingebunden werden und einen großen Teil der Pflichten im Haushalt übernehmen (Müller 1999, S. 23).

Die Erfahrungen aus der täglichen pädagogischen Arbeit mit türkischen Mädchen in sozialen Einrichtungen legen die Gegensätze zwischen den allgegenwärtigen familiären Pflichten und dem Wunsch nach individueller Emanzipation offen dar. Ein bedeutender Faktor ist hierbei die Lebensplanung der Töchter, die in der Hand der Eltern liegt. Die traditionellen Wertvorstellungen der Eltern und ihre Zukunftspläne für ihre Töchter erschweren und verhindern zusätzlich zu den gesellschaftlichen Hindernissen die berufliche Entfaltung.

Anders als bei männlichen Türken kann sich eine türkische Familie kaum vorstellen, die Tochter allein in Deutschland zu lassen. Da es schwierig für die Eltern ist, langfristige Vorstellungen über die berufliche Zukunft ihrer Töchter zu entwickeln, wird von ihnen die Ausrichtung ihrer Lebensplanung nach elterlichen Vorstellungen erwartet. Dies engt die

beruflichen Möglichkeiten der jungen Türkinnen in Deutschland zunehmend ein.

Gieseke/Kuhs (1999, S. 25) zufolge würden sich zudem auch Diskriminierungsmechanismen der Betriebe beim Zugang zu Arbeit und Beruf hinderlich auf die berufliche Entfaltung junger türkischer Frauen auswirken. Hier existieren weiterhin Vorurteile und Befürchtungen bzw.

Bedenken, dass türkische Auszubildende die Ausbildung wegen Eheschließung und/oder vorzeitiger Rückkehr in die Heimat abbrechen oder sich die Eltern in die Ausbildung einmischen.

Insgesamt lässt sich resümieren, dass sich Mädchen und junge Frauen türkischer Herkunft mit ihren eigenen Interessen an drei wesentlichen soziokulturellen und gesellschaftlichen Konfliktpunkten (zer-)reiben, die einen starken Einfluss auf den Prozess ihrer Selbstverwirklichung haben:

• Sie erleben die tägliche Konfrontation mit den Einschränkungen durch die ihnen zugewiesene Frauenrolle im patriarchalischen Familiensystem.

• Sie erfahren in der auf Frauenberufe ausgerichteten Sozialisation die gesellschaftlichen Grenzen ihrer persönlichen und beruflichen Verwirklichung.

• Sie erfahren die Ablehnung bei der Ausbildungsplatzsuche aufgrund von Vorurteilen und der kulturellen Stigmatisierung durch die Betriebe.

Türkische Eltern sollten sich positiv und effektiv in die Lebensorientierung und berufliche Planung ihrer Töchter involvieren und deren Wunsch nach beruflicher Selbstverwirklichung respektieren, um ihr Selbstwertgefühl sowie das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu steigern und dadurch die Optimierung ihrer Chancen auf dem Ausbildungs- sowie Arbeitsmarkt gewährleisten zu können. In diesem Zusammenhang ist es auch notwendig, Alternativen zu den bekannten Frauenberufen aufzuzeigen und sie an qualifizierende Berufszweige, etwa im sekundären oder tertiären Sektor, heranzuführen. Eltern junger Türkinnen müssen hierfür auf die sozialen und beruflichen Begabungen sowie Fertigkeiten ihrer Töchter aufmerksam gemacht werden. In Zusammenarbeit mit Beratungsstellen für Migranten, den Beratungsfachkräften der Arbeitsagentur, Arbeitgeberorganisationen, Integrationsträgern sowie Ausbildungsbetrieben wäre die Einrichtung von regelmäßigen Fachtagungen sinnvoll, in denen türkische Eltern mit ihren Töchtern über die Möglichkeiten der dualen Ausbildung in Deutschland aufgeklärt und darüber hinaus bestehende Vorurteile und Einstellungshemmnisse deutscher Ausbildungsbetriebe abgebaut werden könnten.