• Keine Ergebnisse gefunden

SEPULKRALKUNST VOR UND NACH DER TRAJANSSÄULE *

Im Dokument H ISBN: 978-3-902976-53-6 (Seite 193-200)

Die Trajanssäule stellt mit ihrem umlaufenden Bilderfries ein einzigartiges Kunstwerk dar, das, zu-mindest was die spezielle Form anbelangt, ohne direkte Vorbilder ansatzlos zu einem Höhepunkt der römischen Friesdarstellungen führt und in der Folge selbst ein Leitmonument römischer Kunst wird.

Gleichwohl gibt es etliche ältere und dann natürlich zahlreiche jüngere Monumente, die sich die spezi-elle Ästhetik und wohl auch die besondere Aussagekraft historischer Bilderfriese zunutze machten. Im Folgenden sollen kunsthistorische Aspekte der Darstellungsweise der Bildgeschichte thematisiert wer-den, die das Fortlaufen der Erzählung und die Kommunikation von Handlungssträngen sichern: Ge-sten und Interaktion von Figuren innerhalb einer Erzähleinheit, verbindende und trennende Elemente von Episoden, Behandlung von mehrmals auftauchenden Personen. Vor dem Hintergrund der Wiener Forschungen von Franz Wickhoff und dem von ihm geprägten Begriff des kontinuierenden Stils sei insbesondere der Frage nachgegangen, ob sich für charakteristische Gemeinsamkeiten in der Darstel-lungsweise verschiedener Bildgeschichten auf unterschiedlichen Monumenten nicht eine gemeinsame Aussageabsicht erkennen lässt. Hierzu werden bevorzugt (aber nicht ausschließlich) Monumente der Sepulkralkunst herangezogen.

Prämisse

Die erzählerischen Bildmittel in historischen Friesdarstellungen weisen von der Antike bis ins Mittel-alter Kontinuitäten auf, und in der Trajanssäule als dem prominenten römischen Leitmonument bün-deln sich ihre typischen Charakteristika in besonderer Weise. Angesichts der großen Masse an Litera-tur zur Trajanssäule und speziell auch der Zahl grundlegender Studien zur römischen Erzählkunst ist in diesem Kontext auf eine umfassende Forschungsgeschichte verzichtet.1 Es sei vorweg in diesem Rahmen jedoch an einige Wiener Beiträge zur Erforschung der römischen Erzählkunst und der Tra-janssäule erinnert, an die sich mitunter gedankliche und methodische Anknüpfungspunkte ergeben, nämlich zuvorderst die Arbeit von F. Wickhoff2, auf den der Begriff des kontinuierenden Stils zurück-geht, aber auch Studien von H. Kenner3 und K. Krierer4, die jeweils wertvolle Analysen zur Idee und Darstellungsweise der Säule beisteuerten. In diesem Beitrag über das Erzählen von Geschichten und das Erzählen von Geschichte wird nicht versucht, einzelne Szenen der Trajanssäule bezüglich des Dargestellten und seiner Historizität zu hinterfragen. Vielmehr soll in der Gesamtsicht auf die Erzähl-situation der Säule und einer Reihe weiterer ausgewählter Monumente, die sich ganz bewusst einer vergleichbaren Darstellungsart bedienen, eine dieser Darstellungsweise inhärente gemeinsame

* Für die Möglichkeit der Teilnahme an der Tagung und für die Aufnahme unseres Beitrages in den Aktenband möchten wir uns herzlich bei den Organisatoren bedanken. Die hier vorgetragenen Überlegungen sind Teil einer größeren gemeinsa-men Forschungsarbeit zu historischen Friesdarstellungen von der Antike bis ins Mittelalter, welche die Autoren seit einigen Jahren in wechselnder Intensität vorantreiben; die Trajanssäule dient dabei eher als Anlass und Angelpunkt denn als For-schungsobjekt. In diese Arbeit flossen zahlreiche Vorarbeiten und Anregungen ein, die auf ein Herta-Firnberg-Programm des FWF von Barbara Zimmermann (Wien) zurückgehen (vgl. B. Zimmermann [2004]), wofür ebenfalls vorweg gedankt sei.

1 Aus der reichen Literatur seien stellvertretend erwähnt Cichorius (1896); Zanker (1970); Torelli (1982); Settis (1988);

Baumer et al. (1991); Koeppel (1991); ders. (1992); Coarelli (1999); ferner sei insbesondere auf die übrigen Beiträge in diesem Band verwiesen.

2 Wickhoff (1895); zu seiner Definition des kontinuierenden Stils s.u.

3 Kenner (1985).

4 Krierer (2002).

Norbert Zimmermann — Monica Salvadori 180!

geabsicht herausgestellt werden.5 Ihr Erfolg wurde durch das seit ihrer Errichtung stets vor Augen stehende Exempel der Trajanssäule sicherlich noch stark unterstützt und fand insbesondere in der Kunst nach der Trajanssäule weiteste Anwendung. Als Ausgangsthese sei vorweg formuliert, dass es in solchen narrativen, historischen Friesen nicht nur um das Nacherzählen einer konkreten Geschichte geht, sondern zugleich oft geradezu um die Konstitution von Geschichte schlechthin, um die Kodifi-zierung der erzählten Geschichte durch die Art der Bilderzählung als Historie.6 Ausgangspunkt des Gedankenganges sind ganz einfache Beobachtungen, die in der faktischen Macht der Bilder ihren Ur-sprung haben und letztlich darin münden, dass die Schaffung von historischen Bilderfolgen den mo-numentalen Anspruch auf die Hoheit über das Geschichtsbild erhebt.

A. Die Trajanssäule und ihre Kommunikationssituation

Nach Cassius Dio geht die Anlage des Trajansforums samt der Basilica Ulpia und auch die Konzepti-on der Säule in der Mitte des abschließenden Hofs, zwischen den beiden Bibliotheken, auf Apollodor von Damaskus zurück, der selbst auch Teilnehmer der Kriege war. In einem ununterbrochenen Bilder-strom fließt der Bericht von Trajans beiden Dakerfeldzügen in 23 Windungen auf rund 200 m Spiral-band um den Säulenschaft in die Höhe, sprich 100 Fuß oder annähernd 30 m, mit Sockel und Podest rund 40 m hoch, zum Standbild des Kaisers auf der Säule. Die Siegesgöttin Victoria trennt auf halber Höhe den Fluss beider Kriegsberichte, und damit die über 2500 menschlichen Figuren von bis zu 75 cm Höhe, die in mehreren Bildebenen des Reliefgrundes hintereinander gestaffelt sind. Der ebenso vielschichtige Sinn dieses römischen Staatsmonumentes ersten Ranges7 ist zu Recht in einer Reihe von einander ergänzenden Funktionen gesehen worden, natürlich als Triumphmonument der beiden Daker-feldzüge Trajans, sodann als bildlicher Tatenbericht, als panegyrischer Bildtext und zugleich in einem weiteren Sinne als Werk der kaiserlichen Legitimation und Propaganda, der Abbildung der generellen Vormacht Roms, seiner Herrschaft und seiner Sieghaftigkeit, ferner ganz praktisch auch als Gelände-marke für den abgetragenen Teil des Quirinals, wie es ja auch die Inschrift ausdrückt, und schließlich und endlich natürlich als Grabmonument des Kaisers und seiner Frau. Insbesondere der Umstand, dass die Grabkammer im Sockel nicht erst sekundär, sondern konzeptionell von Anfang an angelegt war, sei hervorgehoben.8 Das ungewöhnlichste Element des mit Sockel, Säule und oberer Statue dreiteili-gen Monuments ist zweifellos der Schaft mit seinem Bildbericht des Relieffrieses, der in nie erreichter Länge minutiös die Etappen der Feldzüge vorführt und das Geschehen der Dakerkriege der Jahre 101–

102 und 105–106 in Bildern erzählt: Vom Auszug und Vorrücken der Truppen, der Überquerung der Donau und der Anlage von Verteidigungsbollwerken, von einzelnen Schlachten und Episoden der Kriegszüge erzählen die Bilder, vor allem aber immer wieder vom Kaiser, der befehligt und kontrol-liert, Ansprachen und Kriegsrat hält, Truppenteile entsendet und empfängt und immer wieder Opfer darbringt. Rund 60 Mal erscheint Trajan selbst im Bild, als Dreh- und Angelpunkt der Geschichte.

Zunächst sei der historischen Darstellungsweise nochmals Aufmerksamkeit geschenkt, wobei Aussage und Intention der Säule losgelöst von der (Un-)Möglichkeit einer detaillierten Rezeption der einzelnen Szenen durch spiralförmig aufsteigendes Umwandeln der Säule zu sehen sind.9 Die gewählte Darstel-lungsweise sei exemplarisch an einigen wenigen Szenen erläutert.

5 Grundlegend zur Semantik der römischen Bildersprache Hölscher (1987).

6 Eine Auseinandersetzung mit der Terminologie und Bedeutung des Begriffes ‚historischer Fries‘ oder ‚historisches Re-lief‘ wäre leicht ein eigener Beitrag. Generell wurden in der Forschung oft Darstellungsweise (‚Stil‘), Darstellungsinhalt und Darstellungsintention nicht strikt voneinander getrennt, zudem wurde öfters zu kategorisch getrennt zwischen ‚historischen‘

und ‚zeitlosen‘ bzw. ‚realen‘ und ‚ideellen‘ oder auch ‚dokumentarisch-narrativen‘ und ‚zeremoniell-repräsentativen‘ Dar-stellungen in den römischen Staatsdenkmälern, vgl. die Darstellung der Diskussion bei Engemann (1988) 988–992, mit aus-führlicher Literatur, auch B. Zimmermann (2004) 202–208.

7 Detailliert entschlüsselt im Beitrag von T. Hölscher in diesem Band.

8 Zanker (1970) 532–533 mit Abb. 55–56. Damit ist die Säule auch immer als Grabmonument konzipiert gewesen, anders dagegen die Beiträge von W. Eck und E. Weber in diesem Band.

9 Angesichts der extrem figurenreichen umlaufenden Friesbänder und der großen Höhe der Säule ist eine Rezipierbarkeit der einzelnen Darstellungen auch dann nicht gegeben, wenn man sie sich vollständig in Farbe gefasst vorstellt, wie zuletzt bei Pogorzelski (2012); vgl. zur Möglichkeit der Rezeption ablehnend Engemann (1988) 985–986; vgl. jetzt auch den Bei-trag von T. Hölscher in diesem Band.

Vom Geschichtenerzählen zum Erzählen von Geschichte 181!

Generell sind auf dem Friesband die Ereignisse in — je nach Zählung — 158 einzeln benennbaren Szenen aufgereiht, wobei in aller Regel sehr figurenreich in vielfacher Staffelung der Personen und in bis zu drei Bildebenen mit Vor-, Mittel- und Hintergrund erzählt wird. Der Bildraum der einzelnen Szenen bzw. Erzähleinheiten wird ständig wechselnd unterteilt und gestaffelt, bald horizontal, vertikal oder diagonal, wie es Dramatik oder Dynamik der Handlung erfordern. Die maximale Szenenbreite scheint in der optischen Wahrnehmung angesichts der Rundung der Säule vorgegeben gewesen zu sein, jedoch sind im Bilderstrom keine einheitlichen Bildbreiten eingehalten und somit keine systema-tisch wiederkehrenden Bildrhythmen erzeugt. Der Erzählfluss der Szenen war sichtlich wichtiger als etwa das regelmäßige Übereinanderstehen von Hauptfiguren oder bestimmten Handlungen im Sinne der Anlage einer Schauseite.10 Mit großer Detailtreue sind der Kaiser, seine Soldaten in ihren ver-schiedensten Rängen und Truppenteilen, aber auch die dakischen Krieger und Zivilisten unterschie-den. In jeder einzelnen Szene ist die Schilderung so lebhaft — oder besser: so erzählerisch wie mög-lich gestaltet, indem die sehr zahlreichen Figuren nicht als homogene Masse, sondern als aktiv mitein-ander verflochtene und untereinmitein-ander in Kommunikation stehende Individuen gezeigt sind.

Die Betonung des erzählerischen Moments11 sei in aller Kürze an zumindest drei Szenen nach-vollzogen. Selbst bei militärischen Vorgängen wie dem Vorrücken der Truppen über die Schiffsbrücke sind Arm- und Handhaltungen variiert (Taf. 60, Abb. 1), und es werden aufeinander bezogene Blicke in und gegen die Bewegungsrichtung gewechselt, so dass sich zahlreiche erzählerische Interaktionen der in Ausrüstung sowie Alter, Haar- und Barttracht differenzierten Soldaten ergeben, die das Gesche-hen lebendig macGesche-hen. Insbesondere an den RandbereicGesche-hen einzelner Szeneneinheiten werden durch Rück- und Vorwendungen Verbindungen geschaffen, um den Erzählfluss nicht zu unterbrechen. Das selbe geschieht auch bei eher statischen Bildern, etwa dem Kriegsrat Trajans (Taf. 60, Abb. 2), bei dem Kaiser und Offiziere die Kommunikation untereinander mit Blickwechseln bei Kopfwendungen und Armgesten in Rede und Gegenrede erwidern, während die vexilla vorbeigetragen werden, wobei ebenfalls Blickkontakt und damit ein Bildzusammenhang gegen die Bewegungsrichtung gesucht ist. In ohnehin handlungsreichen Szenen wie einem Schlachtgetümmel ist genau dieses Getümmel in inein-ander verkeilten Figurengruppen eingefangen, wobei bisweilen die römische Ordnung sozusagen dem Chaos der wilden Horden gegenübersteht. Im Bild des ersten kriegerischen Kontakts bei der Schlacht bei Tapae (Taf. 61, Abb. 3) treten alle genannten erzählerischen Elemente auf: Auf der linken Seite stehen in bis zu vier Reihen Legionäre und Prätorianer bereit, sie sind wie üblich mit Blicken in und gegen die Marschrichtung miteinander verbunden. Trajan steht erhöht im Bildzentrum und in Blick-kontakt mit dem Offizier vor ihm, zugleich werden ihm die ersten Trophäen in Form abgeschlagener Barbarenköpfe aus dem Kampfgetümmel rechts präsentiert. Im Bildvordergrund stürmen berittene Auxiliareinheiten in die Schlacht voran. In jeder einzelnen Figur ist die Dynamik der Erzählung aus-gedrückt.

Die Friesrichtung von links nach rechts ist generell die Siegerrichtung der Römer. Alle Darge-stellten, also auch der Kaiser, sind ungefähr gleich groß gegeben, nur die hier und da auftretenden Götter — der Flussgott, Jupiter, Viktoria — überragen die Menschen geringfügig. Die Betrachterposi-tion ist den Göttern gleich, nämlich aus einer leicht erhöhten Vogelperspektive, die ein volles Wahr-nehmen der Ereignisse von schräg oben sichert. Alle Dargestellten sind völlig in die Ereignisse inte-griert und bildlich vertieft, es gibt keinen direkten Blickkontakt aus dem Bild heraus mit einem Be-trachter und kein frontal herausblickendes Gesicht oder eine frontal stehende Figur. Fast filmisch zieht der Handlungsstrang von links unten nach rechts oben vorbei. Und obwohl die einzelnen Erzählbilder und Episoden öfters durch verschiedene Elemente wie Architekturen, Landschaftsmarken oder Bäume in chronologische oder handlungslogische Sinneinheiten untergliedert sind, wird zugleich alles daran gesetzt, den Fluss der Erzählung nicht zu unterbrechen sondern voranzutreiben: gerade an den Naht-stellen von Szenen werden entweder einzelne Personen oder Tiere als verbindende Elemente der

10 Dieser Umstand wird besonders deutlich im Vergleich mit der Arkadiussäule in Konstantinopel, die bei größerer Ge-samthöhe des Säulenschaftes dennoch die Personenzahl reduziert, die Figurengröße steigert und bestimmte Szenen mit auf Rücksicht auf die Erzeugung einer vom Betrachter rezipierbaren Schauseite anordnet, vgl. Engemann (1988) 985–988.

11 Vgl. Settis (1988) 132–182.

Norbert Zimmermann — Monica Salvadori 182!

schichte benutzt, oder Blickwendungen und Hand- und Armgesten werden systematisch in die Gegen-richtung der Haupthandlung gesetzt, um optische Brücken zu schaffen.

So werden Kampfgruppen, Truppenverbände, Heeresbewegungen zu Land oder zu Wasser, zu Fuß oder beritten, immer wieder vom Kaiser begutachtet, kontrolliert, befehligt. Die Bilderzählung strömt im besten Sinne des Wortes ununterbrochen voran. Diese Ereignisgeschichte faktisch und zu-gleich symbolhaft in das Friesband eines einzigen Monuments zu fügen ist der Hauptsinn der Säule.

Natürlich sind zahlreiche Vielschichtigkeiten in den Bildern angelegt, es sei nur auf ein Detail wie das Opfer des Kaisers vor der Donaubrücke erinnert — der Kaiser ist im Ritual des Opfers gezeigt, zu-gleich ist er im übertragenen wie praktischen Sinne „oberster Brückenbauer“ (Szene XCIX).12 Und doch geht es angesichts der Kommunikationssituation der Säule in ihrem architektonischen Kontext nicht um eine Lesung Szene für Szene, sondern um ein Abbild der Geschichte an sich.13 Die Chronik der Dakerkriege wird zur Chronik des siegreichen Kaisers und zur Chronik Roms.

B. Franz Wickhoff und der kontinuierende Stil

Der in höchster Meisterschaft ausgeführte historische Fries der Trajanssäule ist das Paradebeispiel für eine Darstellungsweise, die Franz Wickhoff treffend als den kontinuierenden Stil bezeichnet hat, und dessen Höhepunkt und zugleich Leitmonument die Trajanssäule darstellt. In der Schaffung dieses Terminus hat Wickhoff einen grundlegenden und bleibenden Beitrag zur Forschungsgeschichte gelei-stet und zum Verständnis dieser Darstellungsweise. In der Auseinandersetzung mit den alttestamentli-chen Bildern der Wiener Genesis, eines wohl syro-palästinensisalttestamentli-chen purpurnen Prachtcodex des 6.

Jhs.,14 unterschied er für narrative Darstellungen den distinguierenden, den komplettierenden und den kontinuierenden Stil.15 Die Eigenart des kontinuierenden Stils ist es, dass die Einheit von Raum und Zeit zugunsten der kontinuierlich fortschreitenden Erzählung im Bild aufgelöst wird, so dass vor dem gleichen Hintergrund gleiche Personen in verschiedenen Momenten eines Erzählstranges erscheinen

— eben der Logik der fortschreitenden Erzählung folgend. Bereits für Wickhoff war die Trajanssäule das Beispiel schlechthin dieser Darstellungsweise, und zugleich charakterisiert sie eine große Anzahl der Illustrationen der Wiener Genesis, die halbseitig in ein oder zwei Registern zumeist in kontinuie-renden Bilderfriesen den alttestamentlichen Text im Bild erzählt.

C. Die Tradition historischer Bilderfriese in römischen Gräbern:

Das Columbarium vom Esquilin, das Aurelier-Hypogäum und das Arkosol der Vibia

Die kontinuierende ist wie gesagt nur eine der Möglichkeiten für die Darstellungsweise einer Ge-schichte in Bildern, wenn auch vielleicht eine besonders ausdrucksstarke und eingängige. Erzählende Darstellungen haben bereits eine jahrhundertealte Tradition in orientalischer und griechischer Kunst ebenso wie in etruskischer, was hier nicht thematisiert werden kann.16 Und erzählerische Elemente finden sich selbstverständlich regelmäßig auf den Friesen römischer Staatsmonumente wie den Sieges- und Ehrenbögen oder etwa der Ara Pacis. Zumindest ein Beispiel für die Tradition solcher Bilderfriese in römischen Grabmonumenten sei jedoch kurz betrachtet, weil sich vielsagende Parallelen ergeben.

Gemeint sind die Friese aus dem Columbarium vom Esquilin, dem Grab der Gens Statilia, aus

12 Zu den Opferszenen und ihrer systematischen Anordnung s. die Beiträge von T. Hölscher und J. Scheid in diesem Band.

13 Die öfters als filmisch bezeichnete Art der Aneinanderreihung und Verbindung der Szenen wurde immer wieder mit dem Eindruck einer überdimensionalen Buchrolle in Zusammenhang gebracht, vgl. die Übersicht bei Engemann (1988) 985–986;

zuletzt dazu B. Zimmermann (2004) 216–222, vgl. Brilliant (1984) 90–109. Unabhängig davon, wie man die Hypothese der Existenz eines in gemeinsamer Redaktion abgestimmten Begleittextes zu den Friesen der Trajanssäule bewertet, es ergeben sich stringente Parallelen zur erzählerischen Darstellungsweise von Monumenten, die ein solches Illustrationsverfahren zwi-schen Text und erzählenden, kontinuierenden Bildern aufweisen, etwa den biblizwi-schen Mosaikerzählungen im Langhaus von S. Maria Maggiore in Rom oder der Wiener Genesis, vgl. B. Zimmermann (2003) 217–219, aber auch zum Josua-Rotulus und den Samson-Mosaiken in Misis-Mopsuestia, vgl. Buschhausen (2002) 181–200.

14 Vgl. B. Zimmermann (2003).

15 Wickhoff (1895) 7; vgl. B. Zimmermann (2004) 208.

16 Stellvertretend sei verwiesen auf die einzelnen Beiträge in Bietak, Schwarz (2002), insbesondere Borchardt (2002).

Vom Geschichtenerzählen zum Erzählen von Geschichte 183!

steischer Zeit.17 Auf dem 38 cm hohen Friesband erzählen Bilder aus der mythologischen Geschichte Roms, so etwa der Schlacht zwischen Rutulern und Trojanern mit Aeneas, der rechts außen von Victo-ria bekrönt wird, dem Bau der Stadt Lavinium oder dem Lupercal und der Aussetzung von Romulus und Remus (Taf. 61, Abb. 4). Zwar können viele Fragen zum genauen Bildkontext nicht eindeutig geklärt werden, jedoch ist klar, dass der Bilderfries hier die mythische Stadtgeschichte Roms in der Absicht in die Grabanlage der Gens Statilia einbaut, um eine Überhöhung der eigenen Bedeutung durch die erzählte Chronik, in deren Schatten man sich stellt, zu bewirken. Die — mythischen — Fak-ten sind dabei durch die Bilderzählung historisiert, es ist das gleiche Prinzip genutzt wie in den Bildre-liefs der Trajanssäule, in den räumlich beschränkten Ausmaßen freilich, wie es die Dimension und Architektur des Columbariums zuließen.18 Die Zahl älterer Beispiele für erzählende Bildfriese ließe sich leicht vermehren.19

In der Zeit nach der Errichtung der Trajanssäule fällt eine Reihe von Ausstattungen anspruchsvol-ler Grabanlagen ins Auge, die sich ebenfalls historischer Friesdarstellungen bedienen und von denen die wichtigsten genannt seien. Aus spätseverischer Zeit stammt das Aurelier-Hypogäum am Viale Manzoni.20 Die Grabanlage bestand aus zwei ober- und zwei unterirdischen Kammern mit einem komplexen und zum Teil weiterhin rätselhaften Bildprogramm,21 von dem die Malereien der kleineren unterirdischen Kammer A betrachtet seien. Über einer Reihe fast lebensgroß abgebildeter Philosophen in der Hauptzone ist in der oberen Wandzone ein historischer Fries gelegt, in Bewegung von links nach rechts. Der exakte Bildinhalt der figurenreichen Darstellungen ist unbekannt, aber man erkennt einen kontinuierenden Handlungsstrang, der vom adventus eines Reiters in einer Stadt auf der linken Raumseite (Taf. 61, Abb. 5) über verschiedene Begebenheiten auf großen Platzanlagen oder Höfen in der Lunette oberhalb der schmäleren Hauptwand bis hin zu einer Mahlszene an der gegenüberliegen-den Wand führt. Trotz der relativ kleinen Größe der Figuren sind wiederum Personengruppen mit auf-einander bezogenen Gesten und Blicken verbunden, und der Handlungsstrang ist in erzählerischer Form über mehrere Stationen und Raumkanten hinweg vorangetrieben. F. Bisconti hat wiederholt die Auffassung vertreten, bei den drei mehrfach erkennbaren Hauptfiguren handele es sich um die drei im Bodenmosaik genannten Aurelier Onesimo, Papirio und Aurelia, die in einer jenseitigen Sphäre ein-treffen und in mehreren Schritten zunächst begrüßt und aufgenommen werden und dann in einen elysi-schen Garten zum Mahl eingehen.22 Ein exaktes Verständnis der Szenenfolge ist zumindest für die generelle Beobachtung nicht notwendig, dass der Fries die kontinuierende Darstellungsweise benutzt, um eine Verbindung zu schaffen von der Realität des Diesseits zur erhofften und schon ins Bild ge-bannten Realität des Jenseits, eine prospektive Chronik sozusagen, die eben durch die historisierende Darstellung suggestive Kraft auf die erhoffte Ereignishaftigkeit des Dargestellten gewinnen will.

Nichts anderes will auch die gut 100 Jahre jüngere Grabanlage des Sabaziuspriesters Vincentius und seiner Frau Vibia in der gleichnamigen kleinen Katakombe an der via Appia, etwa aus der Mitte des 4. Jhs. Die über alle Flächen des Arkosolgrabes23 verteilte und durch Inschriften zudem erläuterte

Nichts anderes will auch die gut 100 Jahre jüngere Grabanlage des Sabaziuspriesters Vincentius und seiner Frau Vibia in der gleichnamigen kleinen Katakombe an der via Appia, etwa aus der Mitte des 4. Jhs. Die über alle Flächen des Arkosolgrabes23 verteilte und durch Inschriften zudem erläuterte

Im Dokument H ISBN: 978-3-902976-53-6 (Seite 193-200)