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GESCHICHTE NACH PLAN: ÜBERLEGUNGEN ZUR ERZÄHLSTRUKTUR DES FRIESES DER TRAIANSSÄULE *

Im Dokument H ISBN: 978-3-902976-53-6 (Seite 135-143)

Die ausführliche Darstellung der Dakerkriege auf der Säule des Traian soll zweifellos den Eindruck eines ausführlichen Berichts, gleichsam einer Chronik, vermitteln.1 Der tendenziöse Charakter dieses Berichts steht außer Frage:2 Seine einzelnen Abschnitte, in denen der Kaiser opfert, zu den Truppen spricht und sein Heer aufmarschieren, bauen oder kämpfen lässt, betonen stets einseitig die zum Sieg führenden Eigenschaften und glänzenden Taten des römischen Oberbefehlshabers und seiner Truppen.

Den Gegenpol zu den Soldaten Traians, die sogar auf göttliche Unterstützung zählen können, bilden natürlich die in jeder Hinsicht unterlegenen Barbaren. Ihr König Decebalus tritt im zweiten Teil des Berichts zwar ähnlich wie Traian in einer Feldherrnrolle auf, scheitert aber — wie zu erwarten — bei all seinen Aktionen und nimmt sich am Ende folgerichtig das Leben (Szene CXLV).3

Die ideologischen Konzepte der Kriegserzählung spiegeln sich darüber hinaus deutlich im Arran-gement vieler Szenen innerhalb des Reliefbands.4 Das betrifft beispielsweise die Friesabschnitte, die die offensiven Feldzüge Traians einleiten. Dreimal wird hier die gleiche, wenn auch variierte Hand-lungsabfolge aus Heeresaufbruch, Opfer und kaiserlicher Ansprache gezeigt. Dahinter steht unzwei-felhaft die Absicht, dem Kaiser und seinem Heer bestimmte Werte zuzuschreiben, und zwar virtus, pietas und fides; Werte, die nach dem Bildbericht wiederum eine beständige Grundlage für die römi-schen Kriegserfolge bilden.5 Ähnlich verdeutlicht der zu Beginn der ersten wie der zweiten Hälfte der Chronik geschilderte Kriegsrat jeweils die Voraussicht (providentia) Traians bei der Planung seiner militärischen Operationen.

In Anbetracht der tendenziösen Auswahl6 und Darstellungsweise der Szenen und Sequenzen stellt sich die Frage, wie die Erzählstruktur des Frieses insgesamt zu bewerten ist. Oder anders ausgedrückt:

Wie trägt sie zur Konstruktion von Geschichte bzw. eines spezifischen Geschichtsbildes bei? — Of-fenkundig stellt das Erscheinen der Victoria im Zentrum des Frieses (Szene LXXVIII) eine Zäsur dar, die am sinnvollsten damit zu erklären ist, dass tatsächlich je ein Dakerkrieg in den beiden Hälften ge-schildert wird. Klar ist auch die Gliederung des ersten Teils der Chronik in drei Abschnitte, die offen-bar einzelne militärische Operationen (‚Feldzüge‘) zum Gegenstand haben.7 Während der erste und der dritte Feldzug (Szenen I–XXX bzw. XLVI–LXXVII) aus römischer Sicht offensiv sind, ist die zweite, im Friesbericht etwas weniger Raum einnehmende Kampagne (Szenen XXXI–XLV) offen-kundig als Reaktion auf einen dakischen Angriff (Szenen XXXI/XXXII; s.u.) zu verstehen und kann insofern als defensiv bezeichnet werden. Demgegenüber wird in der Forschung gemeinhin angenom-men, der an das Bild der Siegesgöttin anschließende, narrativ kompliziertere Berichtsteil bestehe aus nur zwei Abschnitten, die jeweils auf ein historisches Kriegsjahr Bezug nähmen (Szenen LXXIX bis

* Für die kritische Lektüre des Manuskripts danke ich Martina Seifert.

1 Vgl. Hölscher (2002) 134: „Der Bericht gibt sich von Anbeginn als dichte Chronik“. Gelegentlich wurde sogar ein Be-zug zu Traians verlorenen commentarii zu den Dakerkriegen vermutet: Zanker (1970) 527–528; Gauer (1977) 53–54; Höl-scher (1980) 291; Stucchi (1989) 253–257; Coarelli (2000) 10–16; Heitz (2009) 96; vgl. hierzu die relativierenden Ausfüh-rungen von Fehr (1985/1986) 51–54. In diesem Zusammenhang hat man das Reliefband auch mit einer Buchrolle vergli-chen, vgl. etwa Huet (1996) 21–24.

2 Vgl. Hölscher (1991) 261–262.

3 Vgl. Faust (2012) 73–75. 84–85.

4 Hölscher (1991) 265 spricht in diesem Zusammenhang von der „narrativen Systematik“ der Szenen, vgl. auch den Bei-trag von T. Hölscher in diesem Band.

5 Grundlegend hierzu Hölscher (1980) 290–297; Hölscher (1991) 265; Hölscher (2000) 135–136.

6 Zum selektiven Charakter des Bildberichts vgl. Hölscher (1991) 264; Hölscher (2000) 135.

7 Hölscher (1991) 267 Abb. 1; Hölscher (2002) 92–94; Bode (1992) 127; Faust (2012) 89; vgl. auch Gauer (1977) 9–12.

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XCIX/C bzw. CI–CLV).8 Vor allem das letzte ‚Kapitel‘ wäre demnach extrem lang. Ob diese Eintei-lung wirklich den strukturellen Eigentümlichkeiten der ErzähEintei-lung gerecht wird, soll im Folgenden untersucht werden. Dafür muss zunächst auf die narrativen Prinzipien des Frieses eingegangen wer-den.

Um die Syntax und die rhetorischen Qualitäten des Berichts — mithin seine Bildsprache und Er-zählweise — zu analysieren, sind die Abschnitte mit Schlachten und Belagerungen besonders gut ge-eignet. Sie stellen nicht nur inhaltliche Höhepunkte respektive Einschnitte in der Erzählung dar, son-dern weisen auch kompositorische Gemeinsamkeiten auf. So lassen sich zwei Kompositionsmuster unterscheiden, die bei der Gestaltung zahlreicher Sequenzen zum Einsatz kamen. Ihre Variation kon-stituiert überhaupt erst die augenscheinliche Komplexität der dargestellten Geschehnisse, wie sich anhand der bislang von der Forschung missverstandenen Sequenz der Szenen XCV–XCVII nachwei-sen lässt. Ausgehend von den Schlachtenbildern können dann weiterführende Überlegungen zur Er-zählstruktur des ganzen Friesberichts angestellt werden.

Das erste, besonders häufig für Schlachtenszenen verwendete Kompositionsmuster, hier Schema A genannt, wurde in seinen Grundzügen schon von Werner Gauer beschrieben.9 Es wird im ersten Schlachtenbild (Szene XXIV) gewissermaßen in seiner Reinform eingeführt.10 Das Schema besteht aus vier Komponenten, die im Fries in der Regel von links nach rechts angeordnet sind: 1.) Die bereit stehende ‚Schlachtreserve‘ bzw. heranrückende Einheiten, hier bestehend aus einer Gruppe von Le-gionären mit Feldzeichenträgern an der Spitze. 2.) Traian, häufig von seinen Offizieren begleitet. In der Szene XXIV werden dem Kaiser von zwei Auxiliaren Dakerköpfe präsentiert; im Vordergrund reiten Angehörige der Kavallerie nach rechts. 3.) Durch die beiden Soldaten mit ihren Trophäen und die Reiter wird der zweite mit dem dritten Bestandteil des Musters verschränkt, der die eigentliche Schlacht zum Gegenstand hat. Auf Seiten der Römer nimmt Jupiter, dessen Büste am oberen Szenen-rand wiedergegeben ist, selbst am Geschehen teil. Ob sein Erscheinen wirklich auf das Unwetter bei der historischen Schlacht von Tapae anspielt, wie man des Öfteren gemeint hat,11 sei dahingestellt. Im Kontext der Bilderzählung wie auch ikonographisch ist Jupiter eher als Vorkämpfer (propugnator) zu deuten, zumal er an vorderster Front erscheint und dabei in gleicher Weise wie die Soldaten unterhalb von ihm mit der verlorenen Waffe ausholt.12 4.) Das vierte, gelegentlich fehlende Element führt noch einmal, als Höhepunkt einer szenenimmanenten Handlungsentwicklung, eindringlich die dramatischen Folgen der Schlacht für die Daker vor Augen, die hier durch die Bergung von Verletzen angezeigt werden. Die den Barbaren als Zuflucht dienende Wildnis steht im Gegensatz zu dem befestigten römi-schen Lager, vor dem auf der andern Seite des Schlachtfeldes Traian erscheint.

Wie das Muster im weiteren Verlauf der Erzählung variiert wird, verdeutlichen beispielsweise die Szenen XL/XLI.13 In diesem Abschnitt ist die am Anfang stehende Schlachtreserve um das außerge-wöhnliche Motiv der Versorgung von Verwundeten erweitert. Rechts davon wird dem Kaiser anstelle von Feindeshäuptern nun ein Gefangener vorgeführt. Der Gefangene wie auch die Geschütze im Hin-tergrund verweisen wiederum auf das anschließende Kampfgeschehen (Element 3). Den vierten Teil bildet schließlich ein Gemenge aus dakischen Fliehenden, Sterbenden und Gefallenen (Szene XLI).

Die hoffnungslose Situation der Barbaren am Ende der Szene kontrastiert mit der am Anfang

8 Lehmann-Hartleben (1926) 114; Gauer (1977) 9–12. 41–45; Hölscher (1991) 267 Abb. 1; Hölscher (2000) 92–94; Bode (1992) 159–168.

9 Gauer (1977) 67–71; Faust (2012) 41; vgl. auch Lehmann-Hartleben (1926) 93–101. — Fast alle Schlachtenszenen in der unteren Hälfte des Reliefbands sind nach dem Kompositionsmuster A gestaltet (Szenen XXIV, XXXVI–XXXVIII, XL–

XLI, LXIII/LXIV, LXVI, LXVIII–LXXI und LXXII). Zudem bieten die Szenen XCV–XCVII, die zum Bericht des zweiten Kriegs gehören, ebenfalls eine Variation des Schemas (s.u.).

10 Zur Szene XXIV vgl. Cichorius (1896) 111–121; Lehmann-Hartleben (1926) 93–95; Gauer (1977) 67–68; Hölscher (1991) 290–291; Koeppel (1991) 152–155 Kat.-Nr. 24; Bode (1992) 140–142; Faust (2012) 37–42.

11 Cichorius (1896) 116–117; Hamberg (1945) 117–118; Gauer (1977) 25; Strobel (1984) 176; Hölscher (1991) 290–291, Bode (1992) 142. — Der sich für die römischen Truppen günstig auswirkende Gewittersturm in der Schlacht von Tapae wird bei Cass. Dio 68, 8, 1–2 erwähnt.

12 Vgl. Faust (2012) 39–40 mit Anm. 253.

13 Zu den Szenen XL/XLI vgl. Cichorius (1896) 197–207; Lehmann-Hartleben (1926) 95–96; Gauer (1977) 68–69; Höl-scher (1991) 289; Koeppel (1991) 167–170 Kat.-Nr. 40–41; Bode (1992) 153–154; Faust (2012) 51–54.

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ten wundärztlichen Behandlung römischer Soldaten.14 Die Betonung der dakischen Unterlegenheit, die Darstellungen von Verwundeten auf beiden Seiten und sogar eines germanischen Gefallenen auf dem Schlachtfeld, also eines Mitglieds der irregulären Hilfstruppen der Römer, entspricht der Heftigkeit des im Zentrum gezeigten Kampfes: Offenbar ist eine auch für die Römer schwierige Schlacht ge-meint.

Das zweite Schlachtenmuster, Schema B, wird verwendet, wenn die Daker in der Offensive sind.15 Im Bericht der Säule gibt das an drei Stellen wiederholte aggressive Verhalten des Gegners den Römern immer den Anlass zu neuen, so genannten defensiven Feldzügen. Das Kompositionsschema B kommt zum ersten Mal in den Szenen XXXI/XXXII vor, dem zweiten Schlachtenbild des Frieses, das kaum zufällig genau eine Windung über der Szene XXIV angeordnet ist.16 Es besteht aus nur zwei Teilen, und zwar 1.) einer Aktion der Daker, die den Angriff einleitet. Sie zeigt in der Szene XXXI die Durchquerung eines Flusses, vermutlich der Donau, bei der die Barbaren sich offenbar recht unge-schickt und kopflos anstellen, so dass es schon zu ersten Verlusten durch Ertrinken ihrer Reiterei kommt. Wie anders gehen solche Truppenbewegungen doch bei den Römern vonstatten, wenn sie zu Beginn ihrer großen Offensiven geordnet über eigens errichtete Brücken die Donau passieren! 2.) An zweiter Stelle, hier Szene XXXII, folgt typischerweise der Kampf um ein befestigtes römisches Auxi-liarlager, das von der Besatzung erfolgreich verteidigt wird.

Nach dem gleichen Muster ist auch die erste dakische Offensive des zweiten Krieges (Szenen XCIII/XCIV) gestaltet.17 Den Auftakt bildet in diesem Abschnitt keine Flussdurchquerung, sondern die Versammlung der Barbaren in einer ihrer Festungen im Gebirge. Im Zentrum der Anlage erscheint ein in ganzer Gestalt wiedergegebener Barbar, in dem aufgrund seiner hervorgehobenen Stellung im Bild und des distinktiven, an der Hüfte befestigten Schwertes gewiss Decebalus, der Dakerkönig, zu erkennen ist.18 Durch zwei Toröffnungen betreten links und rechts weitere Gruppen von Kriegern die Festung. Offenbar suchen die wild gestikulierenden Barbaren auf der rechten Seite in der Anlage Zu-flucht. Der Grund ihres Rückzugs erklärt sich aus der Darstellung der Szene XCIV. Darin ist — ge-mäß dem Muster B — wie in der Szene XXXII die Auseinandersetzung um einen römischen Stütz-punkt wiedergeben. Hier haben die Auxiliare sogar einen Ausfall unternommen, der sich erwartungs-gemäß verheerend für die dakischen Belagerer auswirkt, die teils schon zu Boden gegangen sind und teils unter Gesten der Verzweiflung fliehen.

An die Darstellung der missglückten Belagerung schließt sich ein Abschnitt mit weiteren Kampf-handlungen an (Szenen XCV–XCVII), dessen Deutung seit langem umstritten ist.19 Gerade an ihm lässt sich aber die Bedeutsamkeit der Schlachtenmuster für die Erzählweise des Frieses besonders gut demonstrieren. Dargestellt ist ein Kampf zwischen Römern und Dakern im Kontext dreier schräg durch den Bildraum verlaufender, paralleler Mauern. Versucht man, das Geschehen in der üblichen Weise von links nach rechts zu entschlüsseln, stößt man ab einem gewissen Punkt auf Schwierigkei-ten. Am Anfang, so scheint es wenigstens auf den ersten Blick, steht ein erneuter Angriff der Daker, der sich gegen die erste, von Auxiliaren verteidigte Mauer richtet. Die Auseinandersetzungen setzen sich in den Zwischenräumen zur zweiten und zur dritten Mauer hin fort. Hinter einer Felsformation, die im oberen Drittel der mittleren Mauer ansetzt, taucht eine Gruppe von Legionären auf, die sich nach links auf ein schmales Tor zubewegt. Sie wird dabei angeführt von einem Offizier, dem ein in-nerhalb der Anlage erscheinender Soldat einen gefangenen Barbaren vorführt. Soweit scheint der

14 Vgl. den Beitrag von D. Aparaschivei in diesem Band.

15 Faust (2012) 44.

16 Zu den Szenen XXXI/XXXII vgl. Cichorius (1896) 146–154; Lehmann-Hartleben (1926) 102–103; Bode (1992) 147–

148; Koeppel (1991) 159–160 Kat.-Nr. 31–32; Faust (2012) 42–44.

17 Zu den Szenen XCIII/XCIV vgl. Cichorius (1900) 108–116; Lehmann-Hartleben (1926) 104; Bode (1992) 163–164;

Koeppel (1992) 75–76 Kat.-Nr. 93–94; Faust (2012) 65–66.

18 Zur Darstellung des Decebalus auf der Traianssäule vgl. Settis (1988) 143–146; Galinier (2007) 64–67 mit Abb. 17;

Faust (2012) 73–75.

19 Zu den Szenen XCV–XCVII vgl. Cichorius (1900) 116–130; Lehmann-Hartleben (1926) 104–105; Malissard (1976);

Gauer (1977) 70; Strobel (1984) 208–211; Bode (1992) 164; Koeppel (1992) 75–77 Kat.-Nr. 93–97; Faust (2012) 67–73.

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schnitt verständlich zu sein: Die Daker haben eine römische Bastion angriffen, sind zum Teil sogar in sie eingedrungen, werden dabei aber von den Verteidigern bereits zurückgedrängt. Diese Lesart wird jedoch in Frage gestellt durch die Figuren dreier Legionäre, die von rechts mit Äxten auf die dritte Mauer einschlagen. Dass es sich hierbei um einen Zerstörungsakt gegen eine dakische Sperre handelt und nicht etwa um eine Baumaßnahme, belegt der Vergleich mit der Szene CXVI, wo Soldaten die Mauern der dakischen Hauptstadt einreißen.20

Dem Kampfgeschehen in den Szenen XCV/XCVI nähert sich von rechts außerdem eine Anzahl von römischen Reitern, an der Spitze Traian selbst, mit vorgestreckter rechter Hand (Szene XCVII).

Im Vordergrund werden Straßenbauarbeiten durchgeführt. Die auch von Reiterstatuen her bekannte kaiserliche Geste dürfte ein lenkendes Eingreifen des obersten Befehlshabers signalisieren. Analog ist übrigens die gleichartige Gebärde Marc Aurels in der Szene XXVII auf der Marcussäule zu verstehen, in der das kaiserliche Pferd interessanterweise ebenfalls von rechts heransprengt.21

Die Betrachtung der Szenen XCV–XCVII gibt Anlass zu Fragen: Zu welcher Kriegspartei gehö-ren die einzelnen Mauern? Wer greift hier wen an? Warum bewegt sich der Kaiser ausnahmsweise entgegen der üblichen ‚Siegerrichtung‘ nach links? Auf diese Fragen wurden durchaus gegensätzliche Antworten gegeben: Conrad Cichorius etwa nahm an, der zuständige Bildhauer habe zwei unter-schiedliche Talsperren, eine römische und eine dakische, die die Bildvorlage gezeigt habe, im Relief verkürzt und somit missverständlich durch die drei Mauern wiedergegeben.22 Dagegen vermutete Karl Lehmann-Hartleben, die linke und mittlere Mauer stünden für ein römisches Hilfstruppenlager, wäh-rend die dritte Sperre als dakischer Belagerungsbau zu deuten sei.23 Besonders kompliziert, und mit der Erzählweise des Frieses kaum in Einklang zu bringen, ist schließlich die Deutung Alain Malis-sards, wonach die schon in der Szene XCIII dargestellte Festung, in der sich die Daker unter Deceba-lus‘ Führung versammeln, in den ersten beiden Mauern wiederholt und mit der dritten Mauer noch-mals angedeutet würde, um unterschiedliche Zeitpunkte in der Auseinandersetzung um ebendiese Ba-stion wiederzugeben.24 Anhänger historischer Deutungsmodelle stören sich vor allem an der Anwe-senheit Traians (Szene XCVII), der als „numinös heroisierter Reiter“25 bezeichnet wird, dessen „etwas geisterhafte Erscheinung“26 als sinnbildlich verstanden werden dürfe. In der Wirklichkeit habe Traian nämlich an den hier angeblich dargestellten Kämpfen, die den zweiten Dakerkrieg auslösten, gar nicht teilgenommen.27 Die heimliche Hauptfigur des Abschnitts sei der Offizier, dem inmitten des Gesche-hens ein Gefangener präsentiert wird. Er sei mit dem hochrangigen Militär Longinus zu identifizieren, der laut Cassius Dio zu Beginn des zweiten Dakerkriegs Selbstmord beging, nachdem er selbst in da-kische Gefangenschaft geraten war.28 Doch gibt es keine sicher benannten Bildnisse des Longinus, die man mit der Physiognomie der betreffenden Figur vergleichen könnte, zudem fiele eine Anspielung auf jene Person an dieser Stelle des Frieses allzu kryptisch aus.

Um die Szenen schlüssig zu deuten, muss man sich nochmals das oben vorgestellte Kompositi-onsmuster A vergegenwärtigen. Drei der vier Komponenten dieses Schemas kommen auch hier vor, nur in anderer Reihung:29 Links wird das üblicherweise an dritter Stelle stehende Element, die eigent-liche Schlacht, mit dem Kampf um die Mauern umgesetzt. Die Schlachtreserve aus Legionären (Ele-ment A1) ist an den oberen Bildrand gerückt, und die Kaisergruppe (Ele(Ele-ment A2) erscheint ganz rechts. Weil das Schema A stets die Römer in der Offensive zeigt, muss auch hier ein unter Traians

20 Vgl. Faust (2012) 76–81.

21 Vgl. Faust (2012) 106 Taf. 43, 3. 4.

22 Cichorius (1900) 117–121. 122–125; vgl. auch Strobel (1984) 209, nach dem „hier die auf eine Szene konzentrierte Darstellung eines komplexen Handlungsinhaltes offensichtlich mißlungen ist.“

23 Lehmann-Hartleben (1926) 104–105. Ähnlich schreibt Bode (1992) 164 den Dakern eine offensive Rolle zu und inter-pretiert die Sequenz als „die extrem verkürzte Formulierung für einen weiträumigen dakischen Aufstand.“

24 Malissard (1976).

25 Bode (1992) 164.

26 Gauer (1977) 35.

27 Gauer (1977) 34–35; Strobel (1984) 210; Bode (1992) 164.

28 Cass. Dio 68, 12, 1–3; vgl. Cichorius (1900) 119–120; Gauer (1977) 34–35. 52. 70; Strobel (1984) 210; Bode (1992) 164. Zur Biographie des Cn. Pinarius Aemilianus Cicatricula Pompeius Longinus vgl. Strobel (1984) 75.

29 Vgl. Faust (2012) 69. Bereits Gauer (1977) 70 hat die Verwendung einzelner Elemente des Kompositionsmusters in dieser Sequenz beobachtet, sie allerdings nicht hinreichend erklärt.

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Führung erfolgender Angriff — und nicht etwa die Verteidigung eigener Anlagen — gemeint sein, ein Angriff, der sich offenbar gegen drei dakische Talsperren richtet und im Bild ausnahmsweise nicht von links nach rechts, sondern von rechts nach links entwickelt wird. Doch wie ist dieser bewusste Bruch mit der sonst konsequent eingehaltenen kontinuierenden Erzählweise zu erklären? Offenbar ergibt er sich aus der inhaltlichen Verbindung mit der unmittelbar vorangehenden narrativen Einheit, den Szenen XCIII/XCIV. Wie wir gesehen haben, tritt am Anfang dieses (mithilfe des Schemas B gestalteten) Abschnitts der Dakerkönig selbst auf. Er zeichnet für die Aufnahme aggressiver Handlun-gen auf Seiten der Daker verantwortlich, die im Bildbericht überdies den Anlass für den Zweiten Da-kischen Krieg darstellen. Die Gestalten des Decebalus und des Traian sind also als gegensätzliche Pole zu verstehen: Beide verfolgen vergleichbare militärische Ziele — nämlich die Belagerung bzw. Ein-nahme von befestigten Anlagen —, nur mit diametralen Ergebnissen. Die Sequenz der Szenen XCIII–

XCVII, die von gleichartigen Arbeitsbildern zusätzlich eingefasst wird (Szenen XCII und XCVII),30 erweist sich somit als thematisch geschlossener Entwurf, der den Misserfolg bzw. den Erfolg der zwei Kriegsparteien gegenüberstellt. Innerhalb der Komposition wird die Kategorie der Zeit, die im Relief-band von links nach rechts fortschreitet, besonders geschickt umgesetzt: Die Aktion des Decebalus verlangt eine Reaktion des Kaisers, die sofort (d.h. im Fries direkt anschließend) erfolgt. Die Unmit-telbarkeit des Gegenschlags wird nicht zuletzt dadurch verdeutlicht, dass das römische Heer dieses eine Mal von rechts angreift.

Ausgehend von den Szenen XCIII–XCVII lassen sich auch weiterführende Überlegungen zum Bildbericht des zweiten Dakerkriegs anstellen. Wie gesagt wird in der Forschung aufgrund historio-graphischer Überlegungen allgemein von der Existenz zweier langer Abschnitte ausgegangen.31 Der erste Teil habe die Reise des Kaisers in römisch-dakisches Grenzgebiet zum Thema, die mit dem kai-serlichen Opfer an der Donaubrücke (Szenen XCVIII/XCIX) und dem Empfang von Gesandten (Sze-ne C) ende.32 Darin sei als ‚Nebenhandlung‘ der eben besprochene Abschnitt mit der Niederschlagung eines dakischen Aufstands integriert (Szenen XCIII–XCVII).33 Der zweite Teil, ab Szene CI, sei der groß angelegten Offensive Traians gewidmet, die zur Eroberung Sarmizegetusas und zum Selbstmord des Decebalus führt. Ob diese ungleichmäßige Unterteilung plausibel ist, erscheint schon im Vergleich mit der klar in drei Feldzüge gegliederten unteren Frieshälfte zweifelhaft: Denn hier lassen sich ja drei Feldzüge unterscheiden, von denen der erste und der dritte (Szenen I–XXX bzw. XLVI–LXXVII) als offensiv bezeichnet werden können. Demgegenüber wird der zweite, defensive Feldzug Traians (Sze-nen XXXI–XLV) durch dargestellte Aktion der Daker veranlasst. Dem einleitenden Abschnitt (Sze(Sze-nen XXXI/XXXII) liegt, wie oben dargelegt, das Kompositionsmuster B zugrunde.

Solche dakischen Operationen nach dem Schema B kommen noch zweimal in der oberen Hälfte des Frieses vor: Einmal in den ebenfalls bereits besprochenen Szenen XCIII/XCIV, in denen Deceba-lus selbst als Aggressor auftritt, und einmal, besonders ausführlich geschildert, in den Szenen CXXXI/CXXXII–CXXXV.34 Hier ist dargestellt, wie die Daker, die sich selbst schon von römischen Truppenbewegungen bedroht sehen (Szene CXXXI), aus einem Fort ziehen, um wiederum den An-griff auf ein Hilftstruppenlager zu wagen. Zeuge des zu erwartenden dakischen Misserfolgs ist wie-derum König Decebalus (Szene CXXXV). An dieser Stelle werden die Römer also zu einem letzten, defensiven Feldzug provoziert, dessen Höhepunkt zweifellos der Freitod des aufsässigen Dakerkönigs (Szene CXLV) darstellt. Diesem letzten Abschnitt des Frieses dürfte — im Vergleich zum gleichmä-ßigen Aufbau des ersten Kriegsberichts — ein offensiver Feldzug vorangehen. Tatsächlich ist das Opfer Traians an der Donaubrücke (Szene XCIX), das man bisher als Abschluss der kaiserlichen Rei-se angeRei-sehen hat,35 wohl eher das Vorspiel zu dieser offensiven Kampagne, die im Anschluss denn

30 Vgl. Faust (2012) 72–73.

31 S.o. Anm. 8.

32 Zur Sequenz der Kaiserreise vgl. Lehmann-Hartleben (1926) 29–38; Gauer (1977) 31–36; Strobel (1984) 206–207; Set-tis (1988) 149–150; Bode (1992) 159–165; Winkler (1991) 271–277; Faust (2012) 63–65.

33 Vgl. Gauer 1977, 33–35; Winkler (1991) 271.

34 Zu den Szenen CXXXI–CXXXV vgl. Cichorius (1900) 299–319; Lehmann-Hartleben (1926) 107–108; Bode (1992) 167; Koeppel (1992) 102–104 Kat.-Nr. 131–135; Faust (2012) 81–83.

35 S.o. Anm. 32.

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auch mit dem obligatorischen zeremoniellen Akkord (aus Heeresaufbruch, Opfer, Ansprache und con-silium; Szenen CI–CV) eingeleitet wird und die die Eroberung der zentralen dakischen Siedlung zum Ziel hat. Das bedeutet nun, dass die Szenen XCIII–XCVII einen ganz typisch eingeleiteten defensiven

auch mit dem obligatorischen zeremoniellen Akkord (aus Heeresaufbruch, Opfer, Ansprache und con-silium; Szenen CI–CV) eingeleitet wird und die die Eroberung der zentralen dakischen Siedlung zum Ziel hat. Das bedeutet nun, dass die Szenen XCIII–XCVII einen ganz typisch eingeleiteten defensiven

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