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Selbstbild und Selbstbildnis

Im Dokument VISUALISIERUNGEN VON KULT (Seite 197-200)

ANNA STAINER-KNITTEL UND DIE GEIER-WALLY

3. Selbstbild und Selbstbildnis

Auch wenn Anna Stainer-Knittel bereits zu jenen Frauen gezählt werden kann , die den traditionellen Rollenzwängen mit etwas Geschick und Diplomatie zumindest in man-cher Hinsicht entkommen konnten , war sie zahlreichen , durch die Gesellschaft und das akademische System vorgegebenen Einschränkungen unterworfen. Die Künstle-rin äußert sich in ihren Aufzeichnungen nicht negativ über die ihr auferlegten Re-striktionen , sondern scheint diese als gegeben hinzunehmen – somit kann auch ange-nommen werden , dass die verinnerlichten Konventionen Niederschlag in ihrem Werk fanden. Die angesichts der fühlbaren Widerstände sehr unkritische Haltung Anna Stai-ner-Knittels mag zwar überraschen , sie ist jedoch ein häufig beobachtetes Phänomen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts : Trotz der um 1900 erstarkenden Frauen-bewegung scheint es , als würde die Internalisierung der geprägten Rollenbilder keine kritische Bewertung der eigenen Lebensumstände mehr zulassen.10 Der aussagekräf-tigste Ansatzpunkt für eine Auseinandersetzung mit der Selbsteinschätzung Anna Stai-ner-Knittels – vor allem in Hinblick auf ihr Selbstverständnis als Künstlerin – sind hier also nicht ihre repräsentativen , für die Öffentlichkeit gedachten Auftragswerke , son-dern die Selbstbildnisse der Künstlerin , die den größten Spielraum für einen subjek-tiven , persönlichen Ausdruck bieten.

Im Nachlass Anna Stainer-Knittels finden sich insgesamt sechs Selbstbildnisse , die zwischen 1861 und 1915 entstanden sind und sich somit relativ gleichmäßig über ihre Lebenszeit verteilen. Die Reihe beginnt mit ihrem ersten Selbstporträt aus dem Jahr 1861 , das aus der Ausbildungszeit der Künstlerin stammt ( Taf. 3 , Abb. 3 ).11 Es han-delt sich um ein etwas weiter gefasstes Schulterstück im Dreiviertelprofil vor einem in Braun- und Grüntönen changierenden Hintergrund. Durch die Anlage des Bildnisses 10 Vgl. Doppler ( 1999 ) 10.

11 Anna Stainer-Knittel , Selbstportrait , Öl auf Leinwand , 45 × 36,5 cm , 1861 , Privatbesitz.

als Schulterstück gibt es keine Möglichkeit , die Hände in die Komposition mit einzu-beziehen , die einzigen Attribute sind der vor dem dunklen Gewand hell hervortreten-de Kragen mit zwei Quasten sowie das dunkle Haarnetz , das am Oberkopf mit einer Schleife befestigt ist. Der neutrale Ausdruck und die schmucklose Aufmachung geben dem Porträt den Charakter einer sorgfältig beobachteten Alltagsszene. Durch die Auf-zeichnungen der Künstlerin wird bestätigt , dass es sich um ein Studienporträt handelt.

Das nächste erhaltene Selbstbildnis zeigt die Malerin zwei Jahre später , nach Ab-schluss ihrer Ausbildung ( Taf. 3 , Abb. 4 ).12 In Ermangelung weiterer Stipendien gelder war zu diesem Zeitpunkt bereits klar , dass eine Rückkehr nach München und somit ein weiteres Studium nicht möglich sein würde , woraufhin Anna Stainer-Knittel ihre Tätigkeit vorwiegend in ihrer Heimat im Lechtal ausführte. Aus ihren Aufzeichnun-gen geht hervor , dass die Künstlerin keine Modelle für ihre Porträtstudien gewinnen konnte und so dazu überging , sich selbst in ihrer traditionellen Tracht zu porträtie-ren : »1863 war’s im Frühjahr und neben der wieder beginnenden Feldarbeit ging ich an mein eigenes Bild zu malen , weil sich eben jetzt niemand fand , der sich malen lassen wollte. Ich suchte mir ein schönes Lechtalerkostüm zusammen , samt Hut und allem was dazu erforderlich schien.«13 Es handelt sich hier um ein erweitertes Brustbild , der Oberkörper wird bis zur Taille wiedergegeben , die Arme sind bis zum Ellbogen sicht-bar. Während die linke Schulter nach hinten weist und der Oberkörper leicht gedreht ist , wird das Gesicht beinahe frontal gezeigt. Das Gesicht ist hier ganz ausgeleuchtet , nur die Stirn wird durch die Krempe des Hutes beschattet , wobei der geschwungene Schatten die Linie der Augenbrauen aufgreift. Die Augen blicken aus dem Bild heraus , wobei das rechte Auge direkt den Blick des Betrachters sucht , das linke hingegen dia-gonal nach rechts aus dem Bild hinauszublicken scheint. Die leichten Verschiebungen in der Perspektive sind wahrscheinlich auf die Arbeit vor dem Spiegel zurückzufüh-ren. Der Gesichtsausdruck ist aufmerksam , jedoch insgesamt als neutral zu bezeich-nen , das Inkarnat hebt sich sehr hell und ebenmäßig vom dunklen Hintergrund ab.

Die Gesamtkomposition ist kompakter und weiter vom Betrachter abgerückt als beim Selbstporträt der Studienzeit , der Oberkörper wird mittig in der Bildfläche wieder-gegeben und Überschneidungen mit dem Bildrand werden vermieden. Anna Stainer-Knittel porträtiert sich in sehr aufrechter Haltung , wahrscheinlich stehend , die Hände sind wie im Selbstporträt von 1861 nicht sichtbar und somit nicht als Ausdrucksträ-ger eingesetzt. Im Unterschied zum Selbstporträt der Studienzeit zeigt sich hier jedoch ein Element bewusster Inszenierung : Die Künstlerin zeigt sich nicht wie vorher in all-täglicher Kleidung , sondern in der traditionellen , festtäglichen Version der Lechtaler 12 Anna Stainer-Knittel , Selbstportrait in Lechtaler Tracht , Öl auf Leinwand , 83 × 67 cm , 1863 ,

Ti-roler Landesmuseum Ferdinandeum , Inv.-Nr. Gem. 1760.

13 Stainer-Knittel ( 1910 ) 31.

Tracht , deren Oberfläche und Details minutiös wiedergegeben werden. Auf die stellung der Hände wird verzichtet , gleichzeitig wird die Lücke aber durch die Dar-stellung der aufwendig gearbeiteten Festtagskleidung und des zugehörigen Schmucks gefüllt. Die zentrierte und leicht vom Betrachter abgerückte Position der Malerin im Bildfeld erzeugt einen geschlossenen und sehr stattlich wirkenden Eindruck , der durch die festliche Ausstattung unterstützt wird.

Zusammenfassend kann für dieses Selbstporträt festgestellt werden , dass hier eine Art Abschlussarbeit im Bereich der Porträtkunst vorliegt , worin Anna Stainer-Knittel bis zu diesem Zeitpunkt auch eine intensive Ausbildung erhalten hatte. In der Intimi-tät des Porträts und der Konzentration auf eine Auswahl an Einzelheiten bietet sich eine hervorragende Gelegenheit , malerisches Können sowohl durch die naturgetreue Dar-stellung der Person als auch durch die minutiöse Oberflächengestaltung der verschiede-nen Materialien zu demonstrieren , welche die Malerin in einem Bild kombiniert. Die Tracht spielt in diesem Fall nicht die Hauptrolle in der Darstellung , sie macht jedoch einen entscheidenden Aspekt in der Aussage des Porträts aus. Die Präsentation der ei-genen Person in einer speziellen Kleidung , sei es eine traditionelle Tracht , eine Uni-form oder dergleichen , fungiert als identitätsstiftendes Element und ruft beim Betrach-ter eine Fülle von Assoziationen hervor. Mit Sicherheit handelt es sich gewissermaßen um eine Anspielung auf die Herkunft der Künstlerin und um eine aktive Verankerung ihrer selbst im sozialen Gefüge. Vor dem Hintergrund des aufstrebenden Tourismus , mit seinem verklärten Blick auf die ländliche Gesellschaft und das kultivierte Tiroler-tum , liegt außerdem nahe , dass die Aktivierung bestimmter Assoziationen – etwa wür-dig , bodenstänwür-dig oder ehrlich – beabsichtigt war. In dem eingangs angeführten Zitat schreibt die Künstlerin , sie habe sich ein Lechtaler Kostüm »zusammengesucht« – be-reits anhand dieser Formulierung wird deutlich , wie reflektiert die Kleidung hier ein-gesetzt wird. Die Tracht als Symbol für Authentizität , so unauffällig sie hier auch be-nutzt ist , mag in diesem Fall erheblich zum Erfolg des Bildes beigetragen haben. Nach der Fertigstellung sandte Anna Stainer-Knittel das Selbstporträt in Lechtaler Tracht an die Kunsthandlung Unterberger14 am Innsbrucker Marktplatz , von wo es kurze Zeit später vom Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum angekauft wurde.15 Die Entschei-dung , das Porträt als Vorzeigestück an die Kunsthandlung zu geben , war ursprünglich nicht intendiert , sondern fiel erst in Anbetracht des sehr zufriedenstellenden

Endergeb-14 Der Inhaber der Kunsthandlung war Franz Unterberger , der Vater des Landschaftsmalers Franz Richard Unterberger. Der Mentor Stainer-Knittels , Anton Falger , hatte selbst mehrmals mit der Kunsthandlung zusammengearbeitet und zahlreiche Innsbrucker Sehenswürdigkeiten so-wie Trachtenbilder für Unterberger lithografiert. Vgl. Spieß ( 1989 ) 12.

15 Der Ankauf für 44 Gulden wird durch die erhaltene Kaufurkunde , datiert mit Dezember 1863 , belegt.

nisses.16 Somit erfüllt das Selbstbildnis eine Art Doppelfunktion : Es handelt sich nicht nur um ein repräsentatives Selbstporträt , sondern in gleichem Maße auch um ein Vor-zeigestück , das die Fähigkeiten der Malerin im Bereich der Porträtkunst und der natu-ralistischen Oberflächengestaltung zeigt.

Das Selbstporträt im Adlerhorst entstand nur wenig später im Jahr 1864 und zeigt eine völlig neue Herangehensweise an die Komposition ( Taf. 3 , Abb. 2 ). Wie bereits ge-schildert , handelt es sich um ein ›von außen‹ angeregtes Selbstbildnis. Im Kontrast zu den vorher entstandenen Porträts zeigt sich die Künstlerin hier zum ersten Mal ganz-figurig und in Aktion , außerdem lässt sie den klassischen Aufbau vor neutralem Hin-tergrund hinter sich und verbindet die Szene mit einer Landschaftsansicht. Wie im Selbstporträt in Lechtaler Tracht finden sich hier Elemente bewusster Selbstinszenie-rung , die jedoch angesichts der Entstehungsumstände des Gemäldes unter anderen Ge-sichtspunkten bewertet werden müssen. Das Bedürfnis , jenes Bild zu korrigieren , mit dem Matthias Schmid sie der Öffentlichkeit preisgab , ist bemerkenswert. Allerdings stellt sich die Frage , ob Anna Stainer-Knittel ohne diesen Zwischenfall das Sujet über-haupt jemals in ihrem Schaffen aufgegriffen hätte. Die Begeisterung der Zeit für das wildromantische Landleben sicherte den Erfolg ihrer Geschichte , wobei , wie auch im Fall des Selbstporträts in Lechtaler Tracht , die Bezugnahme auf das tirolische Element nicht unbewusst Eingang in das Gemälde gefunden hat.

Das folgende Selbstporträt aus dem Jahr 1864 zeigt die Künstlerin beim Natur-studium ( Taf. 4 , Abb. 5 ).17 Bei diesem kleinformatigen Gemälde handelt es sich wieder um eine Kombination verschiedener Gattungen. Anna Stainer-Knittel porträtierte sich hier beim Landschaftsstudium in den Lechtaler Alpen , eine Tätigkeit , die sie vor allem , angeregt durch die Arbeit am »Adlerbild« , seit den Jahren um 1864 ausübte. Inmitten menschenleerer Hochgebirgslandschaft zeigt sich die Malerin umgeben von ihren Uten-silien und in Gesellschaft von zwei Ziegen , die ihr die Mutter als Gesellschaft und zur Versorgung mit Milch mitgegeben hatte. Die für die Freilichtmalerei typische Ausrüs-tung , also Schirm , Sonnenhut , Fernrohr , Ledertasche und Malkasten , sind pittoresk um die Malerin ausgebreitet und wirken in ihrer sorgsamen Anordnung wie ein Still-leben. Der zusammengefaltete Schirm deutet bereits das Ende der Arbeitsphase an , die Künstlerin lehnt sich an einen mit Alpenrosen bewachsenen Felsvorsprung und blickt in die Ferne , während sie Palette , Pinsel und Malstock noch in ihrer rechten Hand hält.

16 Vgl. Stainer-Knittel ( 1910 ) 32. »Indessen hatte ich mein Bild fertig gemalt. Vater und Herr Fal-ger waren damit zufrieden , ersterer machte mir sogar eine dunkle Rahme dazu und so wagte ich es und schickte es nach Innsbruck , voll Bangen , was etwa die Kunstverständigen dort dazu sagen würden.«

17 Anna Stainer-Knittel , Selbstportrait in den Lechtaler Alpen , Öl auf Leinwand , 53 × 38 cm , 1869 , Privatbesitz.

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