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3. … auf der Höhe

Im Dokument VISUALISIERUNGEN VON KULT (Seite 66-71)

»Der Sohn der Civilisation hat den Drang , überall , wo er wirkt und wandert , eine Spur von sich zu hinterlassen ; [ … ] und wie er für sich selbst den Mittelpunkt der Welt bildet , [ … ] so hofft er , daß seine Spur , und wäre es auch nur der Namenszug mit ›manu prop-ria‹ auch bei den Anderen einigen Werth haben werde.«35 Schon Peter Rosegger hat am Beispiel des »Fremdenbuchs in den Alpen«36 ein Phänomen mit der Feder aufgespießt , das in unserer Zeit gern als »Selbstthematisierung«37 bezeichnet und als identitätskon-struktiver Akt gesehen wird – und dies zunehmend auch aus religionswissenschaftli-cher Perspektive , aus der solche Inszenierung des eigenen Selbst als eine Art ›Kult‹ dem durchgehend säkularisierten Menschen zugeschrieben wird , also dem jedweden trans-zendenten Außenhalts verlustig gegangenen Individuum , das nunmehr sich selbst »zur letzten dauerhaften ›Institution‹ und zum wichtigsten Glaubensinhalt«38 geworden ist.

Rosegger hat seinerzeit diese Formen der Selbstdeklaration und Selbstmarkierung we-niger tiefgründig betrachtet und so im Fremdenbuch schlicht »ein leibliches Kind un-serer schreibseligen Zeit« gesehen , »welches in Gasthäusern und Schutzhütten [ … ] und sonstigen Touristenzielen bereit lieg[T ], um den werthen Namen , das Gemüth , den Geist und Witz und die liebe Eitelkeit der Gäste in sich aufzunehmen«.39 Er überlie-fert in seiner feuilletonistischen Skizze im Weiteren denn auch einige Kostproben des

»menschlichen Bedürfnisses , sich auszuschreiben«40 – und wenn er darunter auch »ein paar goldene Zeilen reinster Poesie« auszunehmen meint , bringt er doch vor allem Bei-spiele für einen »trost- und endlosen Klingl-Klangl der Versifexen , eine Naturbesinge-rei , nicht warm und nicht kalt , ein GeNaturbesinge-reimel und Gebeimel , als wären die Nebel den Pa-pierkörben aller Redactionstuben entstiegen und hätten sich auf hoher Alpe entleert«.41

»Auf hoher Alpe entleert« – solcher Spott kann auch angesichts so mancher Eintra-gungen im »Hüttenbuch der A. G. D’Wildegger« in den Sinn kommen : Auch hier ist einiges an »Klingl-Klangl« zu lesen , in entsprechender handschriftlicher Pose geäußert und manchmal auch im Nachweis zeichnerischen Talents illustriert ( Abb. 1 ). Und auch die meist in Reimen offerierten Schilderungen eines strapaziösen Aufstiegs mögen eher in einem hochalpinen »Gipfelbuch«42 ihren Platz haben als im Besucherbuch eines wenig 35 Rosegger ( 1883 ) 121.

36 Rosegger ( 1883 ).

37 Hahn – Kapp ( 1987 ).

38 Knoblauch ( 2004 ) 360.

39 Rosegger ( 1883 ) 121–122.

40 Ebd. 122.

41 Ebd. 125.

42 Dessen Ableger das uns heute geläufige Format des Hüttenbuches ist ; s. Werner ( 1988 ); Schar-fe ( 2007 ) 267–268.

über 450 Meter gelegenen Schutzhauses.43 Aber über die Konstatierung solcher einschlä-gig launigen Inhalte hinaus interessiert das Hüttenbuch dieser Gaststätte auch als zeitge-schichtliches Dokument – und das bereits durch seine ehedem repräsentative Form , die in deutlichem Gegensatz zur bescheideneren Gestalt heutiger Eintragungsangebote steht : Wenngleich in nur sehr abgenutztem und unvollständigem Zustand erhalten , vermittelt der aus den 1930er-Jahren stammende Halblederband mit Deckel aus gewachstem Tex-tilüberzug und darin eingeprägtem Titel ( »Hüttenbuch der A. G. D’Wildegger« ) immer noch einen Eindruck von früherer Gediegenheit ( der vielleicht auch der Grund für man-che penibel und ›kunstvoll‹ ausgeführte Grafik ist ). Allerdings fehlen in dem Buch – des-sen erster Eintrag vom 25. Mai 1933 datiert und das mit einigen wenigen Eintragungen aus den Jahren 1942/46 endet – viele Seiten , vor allem im Zeitabschnitt 1935/1937 und 1937/1940 sind Blätter bündelweise herausgerissen. Wieweit das mit dem damaligen po-litischen Umfeld ( bzw. dessen späterer Verdunkelung ) zusammenhängt , kann nur ver-mutet werden : Immerhin wird dem seinerzeitigen Zeitgeist immer wieder gehuldigt , und die Eintragungen sind so manches Mal von politischen Slogans durchsetzt – ob ( Abb. 2 ) mit einem eher flüchtig notierten »Heil Dollfuß« , ob ( Abb. 3 ) in grafisch ausgefeilterer Bekundung des ideologischen Standortes in Form des Emblems der »Ostmärkischen Sturmscharen«44 ( wobei die jeweiligen Kommentierungen bzw. Einsprüche auf die dia-logische Virulenz autografischer Eintragungen verweisen ).

Doch was einige der hier versammelten Schreibakte besonders eindrücklich macht , ist ihr jenseits des zeitpolitischen Kontextes zu verortender Anlass , nämlich jenes kul-turelle Muster des ›Auf der Höhe‹-Seins , wie es sich zunächst wohl der Entdeckung und Ästhetisierung der »modernen Tektonik des Alpinen«45 verdankt , das sich aber über dieses Naturphänomenologische hinaus auch als Metapher für die entsprechende kulturelle Setzung im psychischen Haushalt eingelebt hat : ›In der Höhe‹ erfahren wir ( um eine Bemerkung Gernot Böhmes über das »Atmosphärische der Dämmerung« ab-zuwandeln ) »nicht nur die Natur , sondern in gewisser Weise auch uns selbst«46 , und ein »Wort von hoher Warte« ( um auf den eingangs zitierten Gottfried Benn zurück-zugreifen ) erhält so die »Beziehungsträchtigkeit eines Symbols«47 : Dem Schreibenden 43 Es handelt sich um das Schutzhaus und spätere »Bergrestaurant« auf dem Buchberg bei

Neu-lengbach , das um 1900 von der »Alpinen Gesellschaft« »D’Wildegger« ( einem NeuNeu-lengbacher Touristenverein ) gegründet wurde und , wiederholt um- und ausgebaut , bis in die 1980er-Jahre ( und nach Unterbrechung bis heute ) ein seiner Fernsicht wegen beliebtes Ausflugslokal der nä-heren Umgebung ist. Vgl. Geschichte der Warte ( 2011 ); Gedenkschrift ( 1901 ); Unser Buchberg ( 1924 ). Das hier herangezogene Hüttenbuch befindet sich im Privatarchiv Herbert Nikitsch.

44 Vgl. Diem ( 1995 ) 75.

45 Tschofen ( 2000 ) 46.

46 Böhme ( 1998 ) 18.

47 Ebd. 18.

( Abb. 4 ), der zunächst auf poetische Reminiszenz gestützt ( »Pfingsten , das liebliche Fest war gekommen« ) die Gegend im Aussichtsrund überschaut , mag sich der Blick auf sein Leben aufdrängen – und auf dessen Horizont ( »wie lange noch« ). Und die handschrift-liche Spiegelung dieser Situation wird nicht nur an der alles besetzenden und alles an-dere somit ausschließenden Nutzung des Schreibraums ersichtlich , sondern etwa auch an dem Gebrauch des Gedankenstriches , bei dem der – nach meinem Schrifteindruck als schreibgewohnt einzuschätzende und vermutlich männliche – Schreiber von ei-nem zunächst der Syntax verpflichteten in einen grammatikalisch nachlässigeren und im Weiteren emotionaler Motivation folgenden Einsatz dieser Interpunktion wechselt.

Das Außergewöhnliche eines Rundblicks ›von hoher Warte‹ – seine ›Atmosphäre‹ , um an diesen Begriff zu erinnern – verdankt sich einer Art perspektivischer Verzückung : Das Panorama einer ( ich setze voraus : bekannten ) Gegend übt einen Reiz aus , der in der raum-perspektivisch begründeten Exotik von gewohnt-vertrauter Nähe liegt : Es be-mächtigt sich des Betrachters jene ›Aura‹ des Wahrgenommenen , die Walter Benjamin als »einmalige Erscheinung einer Ferne , so nahe sie sein mag«48 , beschrieben hat ; und es ist eben dieses Auratische , das ihn gegebenenfalls ( und das heißt wohl : günstigsten-falls ) auf sich selbst zurückwirft , das ihn – analog etwa zur produktiven Rezeption eines Kunstwerks – mit sich selbst konfrontieren lässt.

Doch kann solche Selbstbegegnung auch an so manchen anderen Orten widerfah-ren – etwa im Erlebnisraum Museum , dessen Spezifik »der Umgang mit authentischen Objekten«49 ist und der so für außergewöhnliche Erfahrungen prädestiniert ist.

4. … im Museum

Auch im Museum , wo die räumliche Perspektive ins Zeitlich-Historische wechselt , er-öffnet sich angesichts der »Konträrfaszination des Authentischen , welche von den Din-gen ausgeht , die uns historisch fern und fremd , aber räumlich nahe sind« , die Mög-lichkeit , die eigene Person von gewissermaßen ›hoher Warte‹ zu sehen. Auch dieser

»Sammel- und Zeigeort der materiellen Kultur« , dessen Exponate »zwischen dem Sicht-baren und dem UnsichtSicht-baren , zwischen der Materialität des AnschauSicht-baren und der ›Im-materialität‹ des Erinnerbaren« vermitteln , bietet die in unserer »durch und durch me-dialen Welt« nicht gerade häufige Chance der »Begegnung mit dem Unmittelbaren«50.

Diese Chance verdankt sich dem Museum als atmosphärisch »gestimmtem Raum«51

48 Benjamin ( 1977 ) 15.

49 Korff ( 2002 ) 142.

50 Ebd. 141–142.

51 Böhme ( 1998 ) 19.

wie auch dem darin begangenen »Ritual« eines Ausstellungsbesuchs52 – und Ausdruck von beidem sind die handschriftlichen Relikte im Besucherbuch.

Besucherbücher von Museen wurden schon des Öfteren als Spiegel der Reaktionen des Publikums herangezogen ,53 wobei sie in der Regel nach ihren inhaltlich-themati-schen Aussagen durchforstet wurden – von den üblichen verärgerten Bemerkungen zu mangelhafter Beschriftung oder Beleuchtung der Exponate und entsprechenden mu-seologischen Privatreflexionen bis zu Beanstandungen des Objektarrangements und Be-urteilungen der zeitpolitischen oder weltanschaulichen Implikationen der gebotenen Inszenierung. Solche Eintragungen sagen sicher einiges über die Einstellungen und Hal-tungen der Museumsbesucher aus ,54 weniger freilich über den Gebrauch der Besucher-bücher selbst als »stages of performance« , als »product and locus of representation«55.

Im Gästebuch des Österreichischen Museums für Volkskunde – das sich als schlich-tes Geschäftsbuch in schwarzem Pappumschlag präsentiert – offerieren die Besucher auf den ersten Blick ebenfalls zunächst vor allem ihre Gedanken und Meinungen zum Gesehenen – im konkreten Fall zu einer Ausstellung , in der die christliche Heiligenver-ehrung unter ihrem traditionellen Aspekt wie auch mit Blick auf ihre Funktionalisie-rung in weltlich-politischem Interesse thematisiert wurde.56 Dabei sollte diese Trans-formierung religiöser Traditionen in profane Traditionskonstrukte einerseits durch die Präsentation von chronologisch wie qualitativ höchst unterschiedlichen Objekten ( von der gotischen Skulptur bis zum religiösen Trash ) sichtbar gemacht und anderer-seits die politisch-ideologischen Überlagerungen popularer Frömmigkeitsformen durch eine Inszenierung vermittelt werden , die im Einsatz von zum Teil altarartigen Staffa-gen und gedämpfter Beleuchtung bewusst mit der Weckung jener »diffuse[ n ] qua-si-religiösen Emotionen« spielte , wie sie aus theologischer Sicht geradezu die Bestäti-gung der »prinzipielle[ n ] Transzendenzlosigkeit als Grundzug gegenwärtiger alltäglicher Wirklichkeitserfahrung«57 ist.

Wieweit die solcherart in dieser Ausstellung demonstrierte und zum Teil ironisch grundierte Distanz zu der auf den ersten Blick klassischen religionsvolkskundlichen Thematik des Heiligenkultes dem Publikum plausibel gemacht werden konnte , soll hier nicht interessieren. Die vielen Eintragungen , die vermuten lassen , dass einige In-stallationen ( oft in auch grafisch artikuliertem Ausschluss jeden Einspruchs , Abb. 5 ) zu wörtlich genommen wurden , sollen also ebenso unbeachtet bleiben wie der immer

52 Macdonald ( 2005 ) 125.

53 Einige Beispiele genannt von Bounia ( 2011 ) 112.

54 Siehe beispielsweise Alexander ( 2000 ); Petrov ( 2002 ); Macdonald ( 2005 ).

55 Bounia ( 2011 ) 112.

56 Nikitsch u. a. ( 2010 ).

57 Casper ( 1992 ) 11.

wieder zu beobachtende Gebrauch von Besucherbüchern zu Interaktion , Dialog und Kommunikation ,58 bei dem einige Besucher sich auf frühere Eintragungen beziehen ( wie in Abb. 6 ) oder sich in ihren Meinungskundgebungen an künftige Besucher wen-den. Und auch die generell wohl vorherrschende Motivation , sich dem Besucherbuch anzuvertrauen , sei nur am Rande erwähnt : Dass es meist vor allem darum geht , aus der Anonymität zu treten , ja mehr noch : die eigene Präsenz zu »monumentalisieren«59 , sich also gewissermaßen ein Denkmal zu setzen und ( wie man ja auch bezeichnender-weise sagt ) zu ›verewigen‹ , das zeigt ja bereits die bereitwillige Ausführlichkeit der In-formationen zur Person ( meist unter voller Namensnennung und Angabe der geogra-fischen Herkunft ) und illustriert sich beispielsweise ( Abb. 6 ) auch in der ( durch den Einsatz des verwendeten Schreibzeugs unterstützten ) Exerzierung einer sorgfältig-kla-ren Handschrift , die dem Leser eine »richtige Haltung beim Schreiben als Ausdruck einer korrekten Lebenshaltung« suggerieren will und insgesamt daran erinnern mag ,

»dass Schreiben in schöner und gültiger Form auch eine therapeutische Wirkung hat , als ein ins Bewusstsein gerücktes Verständnis der eigenen Probleme«.60

Auf Eintragungen dieser Art stößt man beim Durchblättern des Besucherbuchs jedweden Museums – darin unterscheidet es sich nicht von dem oben angesprochenen touristischen Gästebuch. Was allerdings hier wie dort die Aufmerksam erregt , sind jene grafischen Artikulationen , in denen sich eine gewisse Renitenz , ein gewisses Verweige-rungsverhalten gegenüber dem spezifischen Eintragungsangebot manifestiert. Dieses wird zwar genützt , aber unter Protest und jedenfalls zweckentfremdet ; und es finden sich dann – wohl von »[ visitors ] discouraged to participate due to lack of literary skills , connoiseurship , etc.«61 – recht persönliche , die elitäre Institution Museum torpedieren-de Eintragungen , in torpedieren-denen das gängige »ritual of exhibition visiting«62 durchbrochen und dessen zugemutete Anmutungen zumindest im autografischen Kontext zurückge-wiesen werden : Eintragungen , in denen etwa ( in üblicher zahmer Zurückhaltung ) die eigene Anwesenheit in ironischer Brechung demonstriert und gewissermaßen entschul-digt wird ( »ich war auch da« ); manchmal aber auch Eintragungen , in denen in einer Art grafischen Aufstands die Regeln gebrochen werden und mit einem kleinen Vanda-lenakt auf jenes Gefühl des Ausgeschlossensein reagiert wird ( Abb. 7 ).

In einer ganz anderen Weise wird das »ritual of exhibition visiting« aber in jenen Ein-tragungen durchbrochen , die Zeugnis eines völlig anderen Rituals , somit eines als anders erlebten atmosphärischen Raumes sind – indem sie nämlich das Außergewöhnliche eines

58 Macdonald ( 2005 ) 122.

59 Bounia ( 2011 ) 113.

60 Hugger ( 2010 ) 7.

61 Bounia ( 2011 ) 117.

62 Macdonald ( 2005 ) 125.

Museumsbesuchs gewissermaßen mit der Aura eines Kirchganges versehen ( Abb. 8 ): An-gesprochen werden hier nicht die Ausstellungsgestalter oder andere Besucher – angespro-chen wird das , was in der exemplarisch herangezogenen Ausstellung ( freilich anders in-tendiert ) thematisiert wurde : jene Heiligengestalten , die nun von manchem Besucher zum direkten Vis-à-vis der Ansprache genommen werden. Womit das Besucherbuch zum Anliegenbuch mutiert , zu jenem Dokument »schriftlicher Devotion«63 also , wie es in vielen Kirchen zur schriftlichen Äußerung von Sorgen , Wünschen und Bitten ein-lädt – und das hier abschließend noch aufgeschlagen werden soll.

Im Dokument VISUALISIERUNGEN VON KULT (Seite 66-71)