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ReSaVoir:1 Die Prekarität des Lebens

Im Dokument VISUALISIERUNGEN VON KULT (Seite 85-89)

Die Sonnenfinsternis als modernes Wahrnehmungsritual und tr anslok ales

1. ReSaVoir:1 Die Prekarität des Lebens

Sonnenfinsternisse sind astronomische Ereignisse , die immer nur für wenige Minuten und von spezifischen , sich ändernden Orten aus erfahrbar sind. Eine totale Sonnen-finsternis tritt ein , wenn der Kernschatten des Mondes auf die Erde trifft. Dies ereignet sich nur sehr selten an den gleichen Orten der Erde. Die Verfinsterung der Sonne wird , vorausgesetzt es gibt keine Wolken , für das ›freie‹ Auge in Form einer schwarzen Schei-be mit hell erleuchtetem Ring sichtbar. Kennzeichnend für dieses Naturschauspiel ist erstens seine wetterbedingte , potenzielle Nichtverfügbarkeit für das menschliche Auge , dann nämlich , wenn etwa der Himmel wolkenverhangen ist. Das zweite kennzeich-nende Moment der Sonnenfinsternis ist ihre Berechenbarkeit und die damit verbun-dene Vorherseh- und Vorhersagbarkeit.2 Sonnenfinsternisse sind drittens durch eine nach einem spezifischen Muster verlaufende Wiederholung im Ablauf gekennzeichnet , die Menschen wie Tiere zu spezifischen , ›ritualisierten‹ Handlungsweisen motiviert. Bei Eintritt der Totalität wird das Restlicht so gering , dass für ein paar Minuten aus dem Tag eine Art helle Nacht wird. Menschen blicken häufig mit Augenschutz oder opti-schen Instrumenten zum Himmel , Tiere legen sich zur Ruhe , Vögel verstummen ,

Blü-1 Bartl – Hoenes – Mühr – Wienand ( 20Blü-1Blü-1 ).

2 Die Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit der Sonnenfinsternis wurden dem deutschen Philo-sophen Immanuel Kant bereits Ende des 18. Jahrhunderts zur kontrastiven Argumentationsfigur für die Freiheit und gleichzeitig Unbestimmtheit menschlichen Denkens und Handelns : »Man kann also einräumen , daß , wenn es für uns möglich wäre , in eines Menschen Denkungsart , so wie sie sich durch innere sowohl als äußere Handlungen zeigt , so tiefe Einsicht zu haben , daß jede , auch die mindeste Triebfeder dazu uns bekannt würde , imgleichen alle auf diese wirken-de äußere Veranlassungen , man eines Menschen Verhalten auf die Zukunft mit Gewißheit , so wie eine Mond- oder Sonnenfinsterniß , ausrechnen könnte und dennoch dabei behaupten , daß der Mensch frei sei.« Immanuel Kant , Kritik der praktischen Vernunft ( 1788 ), Ausgabe Rosen-kranz und Schubert ( Leipzig 1838 ) 230.

ten schließen sich , es kühlt ab und ein leichter Wind , ›Finsterniswind‹3 , ist zu spüren , wenn der Schatten des Mondes sich über die Sonne legt.

»Naturspektakel« oder »Naturschauspiel« – die Bezeichnungen indizieren bereits die Doppelstruktur von Performativität und scheinbar evidenter Naturhaftigkeit. Das ›rei-ne‹ Bild von der Sonnenfinsternis als solcher aber gibt es nicht. Bilder als kulturelle Sym-bolisierungen der Sonnenfinsternis , das will ich in diesem Beitrag zeigen , sind ebenso wie die jeweiligen Blicke , die diese generieren , in historische Wissensformationen und spezifische Kontexte eingebunden , die das zeitgenössische Sehen und Verarbeiten die-ses Ereignisdie-ses mitkonstituieren. Visualisierungen des Blicks auf die Sonnenfinsternis – also etwa Bilder , die Menschen an Teleskopen oder mit Sonnenfinsternisbrillen zeigen , in der Malerei ,4 der Fotografie , dem Film , dem Fernsehen oder im Internet – belegen nicht nur , dass das Sehen kontingent , sondern auch , dass das Ereignis der Sonnenfins-ternis medial vermittelt ist und zunehmend auch als Ritualisierung einer medial vermit-telten Wahrnehmung funktioniert. An der diskursiven und ritualisierten Herstellung von Sonnenfinsternissen werden Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der kulturellen Verarbeitung , medialen Sinngebung und Adressierung verschiedener Sinne durch Medi-en rekonstruierbar , die gMedi-enau darin als moderne Wahrnehmungsrituale beschreibbar sind.

Es sind ( wissenschaftliche ) Beobachtungsformationen und rituelle Erfahrungs- und Mediatisierungsformen , die die Sonnenfinsternis zu einem modernen Wahrnehmungs-ritual machen. Dies vor allem deshalb , weil die totale Sonnenfinsternis die sinnliche Wahrnehmung selbst wie auch ihre mediale Form zur empirischen und historischen Disposition stellt. Insbesondere seit dem 19. Jahrhundert erzeugten diverse Technolo-gien des Sehens und Techniken der Sichtbarmachung den ›modernen‹ Blick auf die Sonnenfinsternis , den ich sowohl in den kulturellen Symbolisierungen als auch in der zunehmend mediatisierten Erfahrung der Sonnenfinsternis als modernes Wahrneh-mungsritual beschreiben will. Das WahrnehWahrneh-mungsritual ist durch das Zusammenwir-ken körperlicher und ästhetischer Momente geZusammenwir-kennzeichnet.

In der gemeinschaftlichen und medial vermittelten Erfahrung wie auch der kultu-rellen Deutung der Sonnenfinsternis , so meine erste These , bestätigen und affirmieren sich in erster Linie die Machteffekte der Medien selbst. »Die performative Magie von Ritualen bewirkt , dass alle am Ritual Beteiligten die im Ritual inszenierten Macht-verhältnisse anerkennen.«5 Mit Bourdieu weitergedacht bedeutet dies , dass im

Wahr-3 Hartl ( 1999 ) 22.

4 Zu der Sonnenfinsternis 1842 , die auch in Wien zu sehen war , vgl. etwa die Gemälde von Jakob Alt , »Die Sonnenfinsternis über Wien am 8. Juli 1842« , Aquarell ( Wien , Historisches Museum der Stadt Wien ), und von Leander Russ , »Die Sonnenfinsternis über dem Marchfeld am 8. Juli 1842« , Aquarell und Deckfarbe ( Albertina Wien ).

5 So formuliert Christoph Wulf mit Bourdieu : Wulf ( 2004 ) 14.

nehmungsritual Sonnenfinsternis die Regime der Sichtbarkeit , die die Moderne seit dem 18. Jahrhundert hervorgebracht hat , instituiert , bestätigt und legitimiert werden.6 Fotomontagen zeigten 1999 im Vorfeld der letzten totalen Eklipse , die in Mitteleuropa zu sehen gewesen ist , was bei der totalen Sonnenfinsternis zu sehen sein würde. Lange vor dem ›eigentlichen‹ Ereignis zirkulierte das Bild der schwarzen Sonne mit Lichter-kranz in verschiedensten Medien.7

Das moderne Wahrnehmungsritual der Sonnenfinsternis fungiert , so meine zweite These , im Modus des ›ReSaVoir‹8 als Erfahrung von etwas bereits Gesehenem und Ge-wusstem in der Einmaligkeit des gegenwärtigen Augenblicks. Der Neologismus ReSa-Voir verbindet die französischen Begriffe ›savoir‹ ( wissen ) und ›voir‹ ( sehen ) mit dem präfix ›re‹ und bezeichnet damit den unabdingbaren Zusammenhang des Visuellen , der Macht und des Wissens , in dem Bilder erst ihre Bedeutung gewinnen. ReSaVoir be-zeichnet ein Handlungsfeld , »in dem mit Bildreserven operiert und neue ebenso wie alte Sichtbarkeiten entworfen werden , in das auch die Betrachtenden mit eingespannt sind«.9 Sonnenfinsternisse als Wahrnehmungsrituale werden im Folgenden als Teil einer Bildpolitik verstanden , durch die 1. die Prekarität des Lebens gleichermaßen erinnert wie auch vergessen gemacht wird und 2. die sinnliche Wahrnehmung und die Wahr-nehmung der Sinne historisch und medial verhandelt werden.

Die Sonnenfinsternis als ein Ereignis , das wiederholt und für den Zeitraum von ein paar Minuten grundlegend auf die Bedingtheit und prinzipielle Endlichkeit des Lebens verweist , ist also ein Beispiel dafür , wie die gesellschaftliche Erfahrung von Unsicher-heit und Fragilität des Lebens kognitiv , kulturell und visuell / medial verarbeitet wurde.

Bilder der Sonnenfinsternis sind vor diesem Hintergrund immer auch Bilder der Angst vor der Endlichkeit des Lebens und Bilder zur Beruhigung dieser Angst. Das symbo-lische Spannungsverhältnis von Licht und Dunkel , ob als Ergänzung oder als Gegen-satz gedacht , wird in den kulturellen Repräsentationen der Sonnenfinsternis fast immer mittransportiert. Der Begriff der ›Sonnenfinsternis‹ selbst bezeichnet zumindest in der deutschen Sprache genau diese spannungsgeladene Dimension des Kontrasts als Pola-rität von Sonne / Leben und Finsternis / Tod.

Die kulturellen Bedeutungen , die der totalen Eklipse zugeschrieben wurden , ha-ben überwiegend mit den unheimlichen , abjekten Dingen des Leha-bens zu tun. Die tra-dierten Symbolisierungen und Narrationen reichen von der Vorstellung der verkehrten Welt über das Zeichen für den bevorstehenden Weltuntergang bis hin zum Sinnbild für die von sich selbst entfremdete Natur. Bedrohlich , so hieß es bereits im Phaidon , 6 Bourdieu ( 1982 ) 85–94 , insbes. 86 f.

7 »Sonnenfinsternis über dem Deutschen Museum« , in : Hartl ( 1999 ) 18.

8 Bartl – Hoenes – Mühr – Wienand ( 2011 ) 15.

9 Ebd. 9.

ist nicht nur der direkte Blick in die Sonne , sondern eben auch der ungeschützte Blick in die verdunkelte Sonne der Sonnenfinsternis.10 Das Motiv der Sonnenfinsternis ist auch ein biblisches Motiv , dem Kreuzigungstod folgt im Lukas-Evangelium eine Son-nenfinsternis. Die Idee , dass die Sonne sich schäme und daher verstecke , wird aus dem heutigen Syrien überliefert. In China , wo es die frühesten astronomischen Berechnun-gen von Sonnenfinsternissen gab ,11 war demgeBerechnun-genüber noch die Vorstellung vom Dra-chen verbreitet , der die Sonnenkugel verschluckt. Auch Adalbert Stifter , der bis heu-te meistzitierheu-te Autor zur Sonnenfinsheu-ternis im deutschsprachigen Raum , schreibt 1842 bildschwer von einem seltsamen Tier , das die Sonne langsam wegfrisst : »Seltsam war es , daß dies unheimliche , klumpenhafte , tiefschwarze , vorrückende Ding , das langsam die Sonne wegfraß , unser Mond sein sollte …«12

Sexuelle Konnotationen verbinden sich häufig mit gegenderten Narrativen zur Son-nenfinsternis. Die Sonne wird dabei zumeist männlich , der Mond weiblich markiert.

Die Deutung der Sonnenfinsternis als eine Art Geschlechtsakt der Himmelskörper hat eine breite kulturelle Tradition und fand zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Georges Méliès’ Film »L’éclipse du soleil en pleine lune« ( F 1907 ) einen filmisch-medialen Aus-druck mit homoerotischen Konnotationen. Méliès’ kurzer Film handelt von einem As-tronomen , bei dessen Vortrag über die Sonnenfinsternis nicht nur die Studenten ein-schlafen , sondern auch eine Sonnenfinsternis stattfindet. In sexualisierter Symbolik zeigt der zweite Teil des Films , wie der rationale Wissenschaftler und Astronom diese in ei-nem überdimensionalen Teleskop beobachtet. Die Sonnenfinsternis wird dabei als ero-tisch-laszives Vereinigungsritual von einem feminisierten männlichen Mond und einer maskulinisierten Sonne inszeniert.13 In Méliès’ Film wird die Sonnenfinsternis damit zum Transmitter eines satirischen Blicks auf die Rationalität wissenschaftlicher Erkennt-nis , die das Begehren und die Libido als Antrieb ihrer ErkenntErkennt-nis gerne unterschlägt.

Eklipsen wurden im 20. Jahrhundert nicht nur Gegenstand einer ›begehrlichen‹

Wissenschaft , sondern parallel und relational dazu auch der Popkultur. Astronomen , aber eben auch Dichter , Filmemacher und Donald Duck haben sich mit der Sonnen-finsternis beschäftigt. Insbesondere das Hubble-Teleskop , das den Blick in das Weltall radikal veränderte , aber auch Amateurteleskope , geschwärzte Gläser , alubeschichtete Brillen gehören zu der dinglichen Ausstattung der medialen Darstellung der Sonnen-finsternis als soziales Ereignis. Auch die Uhr , die die Erfahrung der SonnenSonnen-finsternis als zeitliches Ereignis , als Differenz durch die Zeit symbolisiert , ist ein immer wieder-kehrendes Artefakt der Repräsentation von Eklipsen. Die Uhr als moderner Zeitgeber 10 Zitiert nach : Eickenrodt ( 2006 ) 189.

11 Guillermier – Koutchmy ( 1999 ) 82.

12 S. die Ausgabe von Pils ( 1992 ) 12 ; vgl. dazu auch Hunfeld ( 2004 ).

13 Vgl. Cornea ( 2007 ) 14 f.

signifiziert den Ablauf des Ereignisses in der Zeit , das Davor und das Danach , die im Sinn von Reinhart Koselleck das Ereignis erst mit Bedeutung versehen.14

In einer Donald-Duck-Geschichte aus dem Jahr 1955 , »The Heirloom Watch / Die Erbuhr« ( Carl Barks , USA 1955 ), besitzt Dagobert ein wertvolles Familienstück seines Großonkels David , eine Taschenuhr , die die nächste Sonnenfinsternis auf die Minute genau vorhersagen kann. Das Familienerbstück geht kaputt , als Dagobert es angebe-risch Donald vorführt. Um das Erbe des Onkels antreten zu können , muss Dagobert eine funktionstüchtige Uhr besitzen , er lässt sie deshalb von Düsentrieb reparieren und reist nach Schottland zum Notar. Dort sagt die Uhr unerwartet eine Sonnenfinsternis voraus , die dann kurz darauf , durch einen unbekannten Planeten verursacht , tatsäch-lich eintrifft. Das Erbe , das Dagobert nun antreten kann , ist ein kleiner Rubin , der ge-nau in das rechte Auge des Hirsches auf dem Uhrdeckel passt.

Aus dieser kleinen Episode lassen sich zwei Beobachtungen der Sonnenfinsternis als Wahrnehmungsritual und Medienereignis im 20. Jahrhundert gewinnen. Erstens ist die Sonnenfinsternis mit Donald Duck in der Mitte des 20. Jahrhunderts im Zen trum der US-amerikanischen Populärkultur angekommen. Zweitens deutet die Verbindung der zeitlichen Berechenbarkeit der Sonnenfinsternis ( symbolisiert in der Uhr ) und der Metaphorik des Auges ( Rubinstein im Auge des Hirsches auf dem Uhrdeckel ) eine zen-trale und lang tradierte kulturelle Verarbeitungsform der Sonnenfinsternis als Wahr-nehmungsritual an , das dem Primat des Sehsinns in der Moderne entspricht. Die Ver-unsicherung , die Erinnerung an die prinzipielle Prekarität des Lebens , die das Ereignis der Sonnenfinsternis auslöst , wird im 20. Jahrhundert medial zu beruhigen versucht.

Dabei passt die mediale Inszenierung der Sonnenfinsternis als planetarisches , gemein-schaftliches Medienereignis hervorragend in das Bewältigungs- und Sicherheitsphan-tasma des 20. Jahrhunderts.15

2. Planetarisches Medienereignis und

Im Dokument VISUALISIERUNGEN VON KULT (Seite 85-89)