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Kapitel 2 – Chlorid-induzierter Aufbau perchlorierter Silane

2.2.5 Ringbildung

Neben der in Kapitel 2.2.2 diskutierten intramolekularen Ringbildung linearer Silanide ist auch die intermolekulare Dimerisierung zweier kleiner Silanide denkbar.

Die zweifach Chlorid-komplexierten dianionischen Cyclohexasilane entstehen dann durch die Dimerisierung der oben genannten Silanide 23, 2 und 38a.3 Die Dimerisierung zweier Anionen scheint auf Grund der zu erwartenden Coulomb-Repulsion zunächst als Reaktionsmotiv eher ungünstig, allerdings erfolgt die Dimerisierung head-to-tail, so dass die subvalenten Zentren der Silanide möglichst weit voneinander entfernt bleiben. Außerdem können wir vorgreifend auf Kapitel 2.5.4.

anhand von NPA Ladungsanalysen zeigen, dass die negative Ladung auf den

3 Die Reaktivität von 3 wird an dieser Stelle zunächst vernachlässigt und in Kapitel 2.5.3 ausführlich diskutiert.

Schema 35. Dimerisierung zweier Silanide (a) Beispiel für Edukte und Produkt einer head-to-tail Addition, (b) schematische Orbitalwechselwirkung.

Chloratomen in der Peripherie lokalisiert ist und nicht im Siliciumrückgrat und, mit Ausnahme von 3, auch nicht am subvalenten Siliciumatom. Analog zur Silyladdition verläuft die Bildung cyclischer Silane über einen SN2-artigen Übergangszustand (Schema 35a). Bei der Dimerisierung wechselwirkt das am subvalenten Zentrum des einen Silanids lokalisierte freie Elektronenpaar mit einem transständigen σ*(Si–Cl)-Orbital im Rückgrat des anderen Silanids, wobei sich aufgrund sterischer Restriktionen zunächst ein Cyclopentasilan ausbildet (Schema 35b). Dabei erfolgt die Bildung der beiden Si–Si Bindungen in Abhängigkeit von der Natur der Silanide konzertiert oder in zwei direkt aufeinanderfolgenden Schritten. Die Dimerisierung führt also nicht unmittelbar zu einem Cyclohexasilan. Vielmehr zeigen wir im Folgenden, wie je nach Verzweigungsgrad der beteiligten Silanide und damit in Abhängigkeit von sterischen Restriktionen (substituierte) Cyclohexasilane, Cyclotetrasilane oder offene hyperkoordinierte Verbindungen entstehen. Folglich ist eine Ringerweiterung ein notwendiger Elementarschritt, der als eine Variante der bereits erläuterten [1,2]–Silylwanderung erfolgt, nämlich einer endocyclischen [1,2]–

Silylwanderung, an die sich in einigen Fällen eine BPR anschließt. Diese Silylwanderung führt zu einem µ6-koordinierten Chloridion über dem planarisierten Sechsring (Schema 36a). Voraussetzung für die Ringerweiterung ist, analog zu Silyl- und Chloridwanderung, mindestens ein pentakoordiniertes Zentrum im Ring. Die Wanderung des formal subvalenten Terminus erfolgt durch eine Koordination des freien Elektronenpaars am Silanid mit dem entsprechenden transständigen σ*(Si–Cl)-Orbital (Schema 36b). Die [1,2]–Silylwanderung ist auch für Cyclosilananionen mit zwei pentakoordinierten Zentren möglich. Mit Dimerisierung und Ringerweiterung

Si

Cl2Si Si SiCl2 Cl2 Si

SiCl3 Cl

Cl

Cl Cl Cl

LP(SiCl2R)

LP(SiCl2R) σ(Si–Cl)

σ(Si–Cl) Si

ClCl

Si Cl

Cl

Cl Cl

Cl Cl

Cl

(a) (b)

Schema 36. Ringerweiterung: (a) Beispiel für Edukt, Intermediat und Produkt der Isomerisierung, (b) schematische Darstellung der beteiligten Orbitalwechselwirkungen.

als neue Elementarschritte, die im Aufbaumechanismus für die verzweigten Silikate noch nicht vorkamen, lässt sich der Bildungsmechanismus der röntgen-kristallographisch charakterisierten zweifach Chlorid-komplexierten Cyclohexasilane folgendermaßen formulieren: Zwei Silanide, hier 23, dimerisieren mit einer moderaten Aktivierungsbarriere und bilden das dianionische Cyclopentasilan 41a2–

(Schema 37). Erst eine BPR führt zu dem thermodynamisch stabilen Cyclopentasilan mit µ5-koordiniertem apikalen Chloridion 41b2–. Genau dieses Cyclopentasilan entsteht auch mit einer moderaten Aktivierungsbarriere bei der Reaktion von 23 mit 2, allerdings bildet sich in diesem Fall zunächst eine offene dianionische Spezies 41c2–, die sich nahezu barrierefrei zu 41b2– schließt. Ausgehend von 41b2– ist die Ringöffnung mit anschließender Chloridmigration zur Bildung des zweifach Chlorid-komplexierten Cyclohexasilane 352– exergon und kinetisch ungehemmt. Ganz ähnlich verläuft die Bildung des einfach silyl-substituierten Cyclohexasilans 42c2–, ein

Schema 37. Dimerisierung der Silanide 23 und 3; SMD-RI-M06-L/6-31+G(d,p); solvent = Dichlor-methan, ∆G298 in kcal mol–1, Aktivierungsbarrieren in blau relativ zum entsprechenden vorgelagerten Minimum, kristallographisch nachgewiesene Spezies sind mit einem Kasten hinterlegt.

Cl

Schema 38. Dimerisierung der Silanide 23 und 39b; SMD-RI-M06-L/6-31+G(d,p); Solvens = Dichlor-methan, ∆G298 in kcal mol–1, Aktivierungsbarrieren in blau relativ zum entsprechenden vorgelagerten Minimum, kristallographisch nachgewiesene Spezies sind mit einem Kasten hinterlegt.

ebenfalls röntgenkristallographisch nachgewiesenes Produkt der Umsetzung von Si2Cl6 mit Chloridionen (Schema 38). Zunächst dimerisieren 23 und 38a mit moderater Barriere zu 42a2–, das via BPR in einen stabilen Cyclopentasilan mit einem µ5-koordinierten Chloridion 42b2– isomerisiert. Auf die Bildung von 42b2– folgt eine Ringöffnung mit gleichzeitiger Wanderung eines Chloridions in eine µ6-Position über den Sechsring, es entsteht 42c2–, die thermodynamische Senke der Dimerisierung.

Auch hier ist die Ringöffnung lediglich mit einer kleinen Aktivierungsbarriere behaftet.

Die Bildung der experimentell ebenfalls beobachteten zweifach Silyl-substituierten Cyclohexasilane erfolgt durch Dimerisierung des verzweigten Silanids

Schema 39. Schematische Darstellung (a) der Ringöffnung zu den drei möglichen Isomeren von [Si8Cl16Ÿ2Cl]2– und (b) der räumlichen Orientierung der beiden Silanide 38a im Übergangszustand.

42c2–

(–36.4) Cl

Cl Si

Cl Cl

23 (0.0)

38a

13.9

Cl Cl Cl

Cl Cl

BPR

Cl

Cl Cl

~SiCl2R 5.7

42a2–

(10.0)

42b2–

(–6.6)

Si ClCl

Si Cl

Cl

1,1

1,4 1,3

(a) (b)

Cl

Cl Cl

Cl TS16

i70

TS17 i17 Cl

Cl

38a. 38a dimerisiert zu einem dreifach Silyl-substituierten Cyclopentasilan, aus dem sich mühelos die Bildung aller röntgenkristallographisch beobachteten Isomere des Cyclohexasilans erklären lässt (Schema 39a). Es gibt drei Möglichkeiten, den Fünfring zu erweitern: (1) in rot markiert die Ringerweiterung zu [1,1-(SiCl3)2Si6Cl12Ÿ2Cl]2–, (2) in grün markiert die Ringerweiterung zu [1,3-(SiCl3)2Si6Cl12Ÿ2Cl]2– und (3) in blau markiert die Ringerweiterung zu [1,4-(SiCl3)2Si6Cl12Ÿ2Cl]2–. Andere Substitutions-muster sind nicht möglich. In Abhängigkeit von der räumlichen Orientierung der beiden Silanide zueinander entsteht während der Dimerisierung im ersten Schritt entweder ein (substituiertes) Cyclotetrasilan oder ein (substituiertes) Cyclopentasilan (Schema 39b). Die orthogonale Anordnung der Monomere führt zu einer Wechselwirkung eines Silanid-Zentrums mit dem tertiären Zentrum des anderen Silanids in trans-Stellung zu einer Si–Si Bindung, sowie eine Wechselwirkung des zweiten Silanid-Zentrums mit der endständigen Silylgruppe des ersten Monomers in trans-Stellung zu einer Si–Cl Bindung. Es entsteht das dreifach Silyl-substituierte Cyclopentasilan [1,1,3-(SiCl3)3Si5Cl10Ÿ2Cl]2– 43a2– mit einer moderaten

Schema 40. Dimerisierung des Silanids 38a; SMD-RI-M06-L/6-31+G(d,p); Solvens = Dichlormethan,

∆G298 in kcal mol–1, Aktivierungsbarrieren in blau relativ zum entsprechenden vorgelagerten Minimum, kristallographisch nachgewiesene Spezies sind mit einem Kasten hinterlegt.

Si Cl Cl

38a (0.0)

11.9

9.4

Cl Cl

Cl Cl

43a2–

(5.2)

43b2–

(0.3) Cl

Cl

~SiCl2R 8.2 38a

38a

BPR 2.6

Cl

43c2–

(–10.7) Cl

Cl ClCl

BPR/~SiCl2R

9.6

Cl

Cl

Cl

Cl

~SiCl2R 12.8

Cl

Cl 44a2–

(–35.1)

44b2–

(–35.4)

44c2–

(–36.3)

~SiCl2R 14.5

Aktivierungsbarriere von 12 kcal mol–1 (Schema 40). Liegen die beiden Monomere parallel zueinander vor, addieren beide subvalenten Zentren trans zu einem Si–Cl Vektor am tertiären Siliciumatom des jeweils anderen Monomers. In diesem Fall entsteht mit einer Barriere von lediglich 9 kcal mol–1 das symmetrische Cyclotetrasilan [1,1,3,3-(SiCl3)4Si4Cl8Ÿ2Cl]2– 43b2–. Die Ringöffnung zu 43b2– ist mit einer vernachlässigbar kleinen Aktivierungsbarriere behaftet und leicht endergon. Das thermodynamisch stabile Cyclohexasilan 43c2– mit einem µ5-koordinierten Chloridion über der nun planarisierten Ringebene entsteht nahezu barrierefrei via Berry- Pseudorotation bei gleichzeitiger Chloridwanderung. Ausgehend von 43c2– können nun alle Isomere des zweifach Silyl-substituierten Cyclohexasilans gebildet werden. In Übereinstimmung mit den experimentellen Befunden ist die Bildung des 1,1-Isomers 44a2– kinetisch gegenüber der Bildung des trans-1,3-Isomers 44b2– und des trans-1,4-Isomers 44c2– bevorzugt, die Aktivierungsbarrieren sind mit 10 bis 15 kcal mol–1 in allen Fällen moderat. Alle zweifach Chlorid-komplexierten Cyclohexasilane sind thermodynamische Senken der Aufbaureaktion.

Schema 41. Schematisches Energieprofil der Reaktionskaskade für den Chlorid-induzierten Aufbau der Sechsringe 44a2–, 44b2– und 44c2–.

∆G298 (kcal mol–1)

19a

20a BPR 5.0

Cl Cl

Cl

20b

21e Cl Cl

37b Cl Cl

44a2–

44b2–

44c2–

Cl

Cl

Cl

Cl Cl

Cl

–50 °C –40 °C 20 °C

20 20

24 14

Unsere quantenchemischen Berechnungen resultieren in einem Reaktions-mechanismus, der alle röntgenkristallographisch nachgewiesenen Produkte beinhaltet (Schema 41). Dabei sind, mit Ausnahme von 20a, alle theoretisch vorhergesagten lokalen Minima auch in ihrer Konformation identisch mit den experimentell beobachteten Spezies. Die acyclischen Silikate sind über Gleichgewichtsreaktionen miteinander verknüpft, wobei beim Fortschreiten des Aufbaus die Aktivierungs-barrieren für die Rückreaktionen immer höher sind als die Barrieren für den nächsten Aufbauschritt. Erst die zweifach Chlorid-komplexierten Cyclohexasilane stellen jedoch eine so ausgeprägte thermodynamische Senke dar, dass eine Rückreaktion bei Raum-temperatur nicht mehr stattfindet.