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Reaktionsmechanismus für den Abbau von neo-Si 5 Cl 12

Kapitel 2 – Chlorid-induzierter Aufbau perchlorierter Silane

2.5 Aufbau und Abbau von neo-Si 5 Cl 12

2.5.3 Reaktionsmechanismus für den Abbau von neo-Si 5 Cl 12

Im Folgenden stellt sich die Frage nach dem Reaktionsmechanismus für die Bildung des Silanids 3 und der dianionischen Cyclohexasilane aus neo-Si5Cl12 und [Et4N]Cl.

[Me4N]Cl wird als vereinfachtes Modellsystem an Stelle von [Et4N]Cl verwendet. Die Übertragung eines Chloridions aus dem Ammoniumchlorid auf eine der Silylgruppen am neo-Si5Cl12 verläuft barrierefrei und trotz der Ladungstrennung nahezu thermoneutral (Schema 64). Die darauf folgende Eliminierung von SiCl4 aus dem Silikat 36g ist mit einer vernachlässigbar kleinen Aktivierungsbarriere behaftet und führt zu dem thermodynamisch stabilen und röntgenkristallographisch nachgewiesenen Trisilylsilanid 3. Damit zeigen wir, dass der Reaktionsmechanismus für die Bildung des Silanids zwei simple Schritte beinhaltet, nämlich die terminale Anlagerung eines Chloridions und die Abspaltung von SiCl4.

Nach etwa einem Tag erscheinen im 29Si-NMR-Spektrum neben den Signalen für das Trisilylsilanid 3 weitere Signale und es stellt sich die Frage, welche Spezies neben 3 aus neo-Si5Cl12 entstehen können. Im einfachsten Fall entstehen andere Silikate als 36g, wie etwa das etwas instabilere Silikat 36e, das durch Anlagerung eines Chloridions an das zentrale Si(0)-Zentrum in neo-Si5Cl12 entsteht (Schema 64a).

Aus 36e lässt sich in einem endergonen Prozess mit einer moderaten Aktivierungs-barriere von 18 kcal mol–1 SiCl3 abspalten, es entsteht iso-Si4Cl10. Thermodynamisch und kinetisch ist eine Isomerisierung von 36e über 36h zu 36g günstiger, dieser

Schema 64. Alternative Reaktionspfade für die Reaktion von neo-Si5Cl12 mit [Me4N]Cl, (a) Chlorid-Addition und (b) Silanid-Chlorid-Addition; SMD-RI-M06-L/6-31+G(d,p); Solvens = Dichlormethan, ∆G298 in kcal mol–1, Aktivierungsbarrieren in blau relativ zu dem entsprechenden vorgelagerten Minimum, kristallographisch nachgewiesene Spezies sind mit einem Kasten hinterlegt.

Prozess verläuft nahezu barrierefrei und mündet in der Eliminierung von SiCl4 aus 36g und damit in der Entstehung von 3. Folglich ist die Entstehung substantieller Mengen an iso-Si4Cl10 in der Reaktionslösung unplausibel. Eine Alternative zum Abbau von neo-Si5Cl12 ist ein Aufbau mittels SiCl3 Addition, der unter der Annahme möglich ist, dass in einer Reaktionslösung, in der Chloridionen und Silane vorliegen, immer auch eine gewisse Menge an reaktivem SiCl3 entsteht. Die Addition von SiCl3 trans zu einem Si–Si Vektor an neo-Si5Cl12 ist thermodynamisch günstig und führt mit einer moderaten Aktivierungsbarriere von 12 kcal mol–1 zum röntgenkristallo-graphisch nachgewiesenen Silikat 37i (Schema 64b). Die Isomerisierung von 37i zu

37b (–7.1) Cl Cl (b)

23.4

37i (1.5)

Cl Cl

Cl

neo-Si5Cl12 (0.0) (a)

neo-Si5Cl12 (0.0)

[Me4N]+ [Me4N]Cl

36g (–7.1)

Cl Cl

Cl

Cl SiCl4

3.6

3 (–4.5)

36e (1.8) Cl

~Cl 2.0 36h (2.6)

Cl Cl Cl Cl BPR

SiCl3

11.0

BPR/~Cl/~SiCl3 SiCl3

17.9

iso-Si4Cl10 (9.6)

Cl Si

37b geht mit einer vergleichsweise hohen Barriere von 24 kcal mol–1 einher und damit ist eine Einmündung in den Mechanismus für die Chlorid-induzierte Bildung von dianionischen Cyclohexasilanen aus Si2Cl6 unwahrscheinlich. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass 3, SiCl4 und noch nicht verbrauchtes Edukt, also neo-Si5Cl12, die dominanten Spezies in der Reaktionslösung darstellen.

Wir haben die head-to-tail Dimerisierung der Silanide zur Bildung von [Si6Cl12Ÿ2Cl]2– und [1,y-(SiCl3)2Si6Cl12Ÿ2Cl]2– mit y = 1,3,4 bereits in Kapitel 2.2.5 eingeführt, aber die Dimerisierung von 3 bisher nicht diskutiert. Die konzertierte head-to-tail Addition von zwei 3 Molekülen verläuft jeweils trans zu einer Si–Cl Bindung und weist eine verhältnismäßig hohe Aktivierungsbarriere von 32 kcal mol–1 auf; darüberhinaus ist das aus der Dimerisierung entstehende Cyclopentasilan 65a2–

instabil (Schema 65a). Alternativ ist eine Addition in zwei Schritten denkbar, die in der Bildung der dianionischen Spezies 65b2– resultiert. Die Barriere für diese Reaktion ist allerdings nur wenig günstiger als die Barriere für die konzertierte Dimerisierung und die Bildung von 65b2– ist ebenfalls deutlich endergon. Eine Reaktion von 3 mit sich selbst kann somit ausgeschlossen werden. Da experimentelle Evidenz für die Bildung der zweifach Chlorid-komplexierten Cyclohexasilane vorliegt, stellt sich die Frage, wie andere subvalente Silanide als 3 entstehen können, von denen wir wissen, dass ihre Dimerisierung mit moderaten Aktivierungsbarrieren behaftet ist. Aus der

Schema 65. Reaktionspfad für den Aufbau höherer Silane aus 3: (a) Dimerisierung und (b) Chloroniumabstraktion; SMD-RI-M06-L/6-31+G(d,p); Solvens = Dichlormethan, ∆G298 in kcal mol–1, Aktivierungsbarrieren in blau relativ zum entsprechenden vorgelagerten Minimum.

Si

3 (0.0) (a)

31.8 3

30.0

TS21 (31.8) Si

Si

Cl

Cl Cl Cl

Cl

Cl

65a2–

(30.2)

TS22 (30.0) Si

Si Si Cl

65b2–

(18.0)

(b)

Si

3 (0.0)

33.7

34.7 neo-Si5Cl12 iso-Si4Cl10

Si Cl Cl

SiCl4 iso-Si4Cl10 Si Cl

Cl Cl

SiCl3 (14.1) 40d (12.6)

Chemie der zu den subvalenten Silaniden isoelektronischen Phosphanen wissen wir, dass im ersten Schritt der Appel-Reaktion Triphenylphosphan aus Tetrachlormethan ein Chloratom abstrahiert wodurch ein Carbanion und Triphenylphosphoniumchlorid entsteht.[312] Für subvalente Silanide finden wir einen analogen Elementarschritt, den wir als Chloroniumabstraktion bezeichnen (Schema 66). Bei dieser Elementarreaktion wird formal eine Cl+, also ein Chloroniumion, mit einem Silanid aus einem Silan abstrahiert. Das Silanid dient als Chloroniumakzeptor und das Silan als Chloroniumdonor. Im Übergangszustand bildet sich eine Si–Cl–Si Einheit mit einem stumpfen Winkel. Aufgrund der Elektronegativität des Chloratoms mutet die Chloroniumabstraktion eher ungewöhnlich an, jedoch gibt es Fälle, in denen sie kinetisch und thermodynamisch durchaus konkurrenzfähig zu anderen Isomerisierungen ist (Tabelle 14). Die Chloroniumabstraktion aus iso-Si4Cl10 mit verschiedenen Silaniden ist in allen Fällen exergon und weist bei Raumtemperatur leicht überwindbare Aktivierungsbarrieren zwischen 12 und 23 kcal mol–1 auf. Die thermodynamische Triebkraft für diese Reaktion stammt aus der Stabilität des resul-tierenden Silanids 3. Da in der Reaktionslösung sowohl SiCl4, als auch neo-Si5Cl12 als Chloroniumdonor vorliegen können, haben wir deren Umsetzung mit 3 als Chlo-roniumakzeptor untersucht (Schema 65b). Die Chloroniumabstraktion aus neo-Si5Cl12

weist mit 34 kcal mol–1 eine hohe Aktivierungsbarriere auf und führt in einem endergonen Schritt zum Silanid 40d. Ebenso ungünstig ist die Abstraktion aus SiCl4, die mit einer Barriere von 35 kcal mol–1 zu SiCl3 führt. Wir können daher diesen

Schema 66. (a) Chloridabstraktion aus einem Silikat mittels Silan, (b) Chloroniumabstraktion aus einem Silan mittels Silanid.

Cl Cl

Cl Cl

Cl Si Si

ClCl Si Cl3Si SiCl3

Cl Cl

(a) Chloridabstraktion (b) Chloroniumabstraktion

Silanid Chloroniumakzeptor Silan

Chloridakzeptor Silikat Chloriddonor

Silan Chloroniumdonor

Si Cl Cl Cl Cl Si

Cl Cl

Cl

Tabelle 14. Thermochemie und Aktivierungsenergien für Chloroniumabstraktionen aus iso-Si4Cl10; SMD-RI-M06-L/6-31+G(d,p); solvent = Dichlormethan, ∆G298 in kcal mol–1 und Aktivierungsbarrieren ∆G in kcal mol–1.

Chloroniumdonor Chloroniumakzeptor ∆G298 (kcal mol–1) ∆G in kcal mol–1

iso-Si4Cl10 SiCl3 –14.1 20.6

[Si2Cl5] 1 –14.7 23.1 [Si3Cl7] 23 –14.6 21.5 [Si3Cl7] 2 0–9.6 17.1 [Si4Cl9] 25 –12.7 21.5 [Si4Cl9] 38a –12.9 21.6 [Si4Cl9] 3 0–0.0 12.4

Elementarschritt für die Umsetzung von 3 mit neo-Si5Cl12 und SiCl4 ebenfalls ausschließen. Es bleibt zu überprüfen, ob ein Aufbau höherer Silane durch Silanid- Addition von 3 an neo-Si5Cl12 eine Alternative zu Dimerisierung und Chloroniumabstraktion ist. Die Addition von 3 an neo-Si5Cl12 weist tatsächlich eine moderate Aktivierungsbarriere von lediglich 11 kcal mol–1 auf und bildet in einem thermoneutralen Schritt das Silikat 81a (Schema 67a). Eine Reihe von Isomerisierungsreaktionen, die wir nicht näher untersucht haben, führen zu einem Isomer (81b), aus dem SiCl4 eliminiert werden kann und in einem endergonen Schritt das Silanid 82a entsteht. Die Barriere für die Eliminierung ist mit 5 kcal mol–1 klein. Da 81b jedoch instabiler ist als 81a, ist die effektive Aktivierungsbarriere, die 21 kcal mol–1 beträgt, hier für die Reaktionsgeschwindigkeit entscheidend. Beide Silikate können durch eine Berry-Pseudorotation ein drittes Silikat 81c bilden, in dem das Chloridion keinem Siliciumatom mehr eindeutig zugeordnet werden kann, sondern mit drei σ*(Si–Cl)-Orbitalen im Silanrückgrat wechselwirkt. Aus 81c kann iso-Si4Cl10 mit einer effektiven Barriere von 22 kcal mol–1 eliminiert werden. Das daraus resultierende Silanid 39c ist um 5 kcal mol–1 instabiler als das aus 81b gebildete Silanid 82a. Alternativ dazu ist ein Chloridverlust aus den Silikaten denkbar, der zu der neutralen Si9-Spezies 83 führt (Schema 67b). Die Bildung von 83 ist jedoch stärker endergon als die Bildung der beiden Silanide 39c und 82a. Die Silanidbildung erscheint trotz ihrer Endergonizität plausibel, da die thermo-dynamische Triebkraft für die Aufbaureaktion auch in den vorangegangenen Kapiteln aus der Bildung der dianionischen Cyclohexasilane stammt und nicht aus der

Schema 67. Reaktionsmechanismus für die Addition von 3 an neo-Si5Cl12 mit (a) darauffolgender Silanid-Eliminierung oder (b) darauffolgendem Chloridverlust; SMD-RI-M06-L/6-31+G(d,p); Solvens = Dichlormethan, ∆G298 in kcal mol–1, Aktivierungsbarrieren in blau relativ zu dem entsprechenden vorgelagerten Minimum.

Stabilität der im Verlauf der Aufbaureaktion gebildeten Silanide. Tatsächlich bildet 82a in einer intramolekularen Silanid-Addition mit einer Aktivierungsbarriere von lediglich 8 kcal mol–1 ein Cyclotetrasilan 82b, der sich nach der Addition eines zweiten Chloridions leicht zum dianionischen Chlorid-komplexierten Cyclohexasilan 43c2– öffnet (Schema 68a). Die Ringöffnung von 43c2– verläuft mit moderaten Aktivierungsbarrieren zu den drei röntgenkristallographisch charakterisierten Cyclohexasilanen 44a2–, 44b2– und 44c2–, deren 29Si-NMR-Signale sich im Spektrum für die Umsetzung von neo-Si5Cl12 mit Chloridionen nach einem Tag Reaktionszeit zeigen. Alle Reaktionsschritte bis zur Bildung der dianionischen Cyclohexasilane sind Teil eines Gleichgewichts, damit ist die Bildung anderer Silanide und damit auch die

Si

3 (0.0)

neo-Si5Cl12

11.2

81a (0.7)

Cl Cl

Cl

BPR/~Cl

82a (7.7) Si

Cl Cl

Cl Cl

Cl Cl

BPR Cl

SiCl4

4.5

81b (16.6)

iso-Si4Cl10

14.8

81c (6.9)

Si Cl Cl

39c (12.6) BPR barrierefrei

(a)

(b)

Si

3 (0.0)

neo-Si5Cl12

11.2

81a (0.7)

Cl Cl

Cl

[Me4N]+ [Me4N]Cl

83 (15.6)

Schema 68. Reaktionsmechanismus für (a) den Aufbau der dianionischen Cyclohexasilane und (b) eines verzweigten Polysilans; SMD-RI-M06-L/6-31+G(d,p); Solvens = Dichlormethan, ∆G298 in kcal mol–1, Aktivierungsbarrieren in blau relativ zum entsprechenden vorgelagerten Minimum.

Bildung alternativer dianionischer (silylsubstituierter) Cyclohexasilane mit einem anderen Substitutionsmuster als die hier genannten denkbar. Außerdem ist ein weiterer Additionsschritt von 3 an 82a denkbar, der in einem Polymer mit neo-Zentren entlang der Kette resultiert (Schema 68b).

Zusammenfassend zeigen unsere Berechnungen, dass die Bildung von 3 aus neo-Si5Cl12 nahezu barrierefrei möglich ist, bei längeren Reaktionszeiten wird 3 allerdings, wie im Experiment beobachtet, ganz im Sinne des Chlorid-induzierten Aufbaus aus Kapitel 2.2, an in der Reaktionslösung verbliebene Silane addiert und in einem Gleichgewicht unterschiedliche Silikate und Silanide gebildet, die schließlich zu dianionischen Cyclohexasilanen oder polymeren Ketten mit neo-Zentren werden.