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Der Aufbau verzweigter Spezies – Reaktionsmechanismus

Kapitel 2 – Chlorid-induzierter Aufbau perchlorierter Silane

2.2.4 Der Aufbau verzweigter Spezies – Reaktionsmechanismus

Analog zum Aufbau unverzweigter Silane beginnt die Reaktionskaskade für den Chlorid-induzierten Aufbau verzweigter Silane mit 20a, woraus sich zwei mögliche Reaktionspfade ergeben: (i) Die Isomerisierung mit anschließender SiCl4 Abspaltung und (ii) der lineare Aufbau von 21a (Schema 30). Alle Isomerisierungsreaktionen auf dem Weg von 20a zu 20e verlaufen quasi barrierefrei, erst eine Eliminierung von SiCl4 führt zu der effektiven Aktvierungsbarriere von 22 kcal mol–1, in einem schwach endergonen Schritt entsteht 1. Der weitere Aufbau zu 21a verläuft exergon über die Addition von 1 an Si2Cl6 und ist mit einer moderaten Aktivierungsbarriere von 12 kcal mol–1 behaftet. Die alternative Abstraktion des Chloridions aus 20a mittels Si2Cl6

verläuft mit einer moderaten Barriere von 20 kcal mol–1, allerdings ist die Bildung von Si3Cl8 mit 8.5 kcal mol–1 thermodynamisch etwas günstiger als die Bildung des Silanids 1 mit 10.1 kcal mol–1. Allerdings sind die der Silanidbildung vorgelagerten Silikate 20b, 20c und 20d thermodynamisch stabiler als Si3Cl8. Ausgehend von Si3Cl8 erfolgt der Aufbau über eine Addition von SiCl3 und resultiert mit einer effektiven Aktivierungsbarriere von 24 kcal mol–1 in 21a. In diesem Fall erfolgt die Bildung des SiCl3 aus 19a, also autokatalytisch. Insgesamt ist der Reaktionspfad über Isomerisierungsreaktionen der Silikate mit den kleineren Aktivierungsbarrieren behaftet und erklärt die Bildung der experimentell nachgewiesenen Spezies 20b. Produkt des Aufbaus ist in beiden Fällen das Silikat 21a, das erneut auf zwei Wegen weiterreagieren kann: Die bereits diskutierte Bildung von Si4Cl10 mittels

Schema 30. Initiale Bildung von 20a (grau hinterlegt) und Reaktionskaskade für die beiden Reaktionsmöglichkeiten von 20a zu 21a; SMD-RI-M06-L/6-31+G(d,p); Solvens = Dichlormethan,

∆G298 in kcal mol–1, Aktivierungsbarrieren in blau relativ zum entsprechenden vorgelagerten Minimum, kristallographisch nachgewiesene Spezies sind mit einem Kasten hinterlegt.

Chloridabstraktion mit darauffolgender Silyladdition (grau in Schema 30) ist thermodynamisch und kinetisch gegenüber der Isomerisierungsreaktion zu 21b deutlich benachteiligt (Schema 31). Aus 21a entsteht zunächst durch eine nahezu barrierefreie BPR 21b, eine Spezies, in der das Chloridion nicht mehr einem pentakoordinierten Zentrum zugeordnet werden kann, sondern trans zu vier Si–Cl Bindungen lokalisiert ist. An dieser Stelle taucht das in den zweifach Chlorid-komplexierten dianionischen Sechsringen ebenfalls auftretende Bindungsmotiv einer Wechselwirkung der freien Elektronenpaare am Chloridion mit den σ*(Si–Cl)-

Si

Schema 31. Mechanismus für die Silanidbildung aus 21a; SMD-RI-M06-L/6-31+G(d,p); Solvens = Dichlormethan, ∆G298 in kcal mol–1, Aktivierungsbarrieren in blau relativ zum entsprechenden vorgelagerten Minimum, kristallographisch nachgewiesene Spezies sind mit einem Kasten hinterlegt.

Orbitalen im Silanrückgrat nCl σ*Si–Cl zum ersten Mal auf. Ausgehend von 21b sind zwei Reaktionen denkbar, zum einen die thermodynamisch und kinetisch weniger plausible BPR zu 21c mit darauffolgender SiCl4 Eliminierung, die in der Bildung des linearen Silanides 23 resultiert, und zum anderen die Bildung der röntgen-kristallographisch charakterisierten Spezies 21e, die innerhalb der Silikate mit vier Siliciumatomen auch in unseren Berechnungen das globale Minimum darstellt. 21e entsteht durch eine Reihe von Isomerisierungsreaktionen, die eine moderate Aktivierungsbarriere aufweisen. Aus diesem Intermediat erfolgt die Bildung des Silanides 2 nach einer weiteren Chloridwanderung und unter Verlust von SiCl4 mit einer effektiven Barriere von 20 kcal mol–1 in einem schwach endergonen Prozess,

ungünstiger ist. Folglich ist das verzweigte Silanid 2 ein Schlüsselintermediat für den weiteren Aufbau höherer Silane. Eine naheliegende Weiterreaktion ist die Addition von 2 an ein Silan, entweder an das Edukt Si2Cl6 oder an das durch den Aufbau entstandene Si3Cl8 (Schema 32). Im Gegensatz zu SiCl3 kann das Silanid 2 sowohl trans zu einem Si–Si Bindungsvektor als auch trans zu einem Si–Cl Bindungsvektor addieren. Beide Additionsschritte sind mit einer kleinen Aktivierungsbarriere behaftet und führen exergon zu unterschiedlichen Silikaten (36a respektive 36c). Für die Addition von 2 an Hexachlordisilan ist die Addition trans zu einem Si–Cl Bindungsvektor mit einer Barriere von 10 kcal mol–1 gegenüber der Addition trans zu einem Si–Si Bindungsvektor mit 13 kcal mol–1 kinetisch leicht bevorzugt. Eine denkbare Alternative stellt die Addition von 2 an das nächst höhere im Verlauf der Aufbaureaktion gebildete Silan Si3Cl8 dar. Tatsächlich verläuft die Addition von 2 an Octachlortrisilan nicht nur nahezu barrierefrei, sondern führt auch in einem deutlich exergonen Schritt zu 37b, einem Silikat, das von Tillmann röntgenkristallographisch charakterisiert wurde. Da die Silikate 36a, 36b, 36c, 37a und 37b lediglich

Schema 32. Mechanismus für die Weiterreaktion des Silanids 2 mit Si2Cl6 und Si3Cl8; SMD-RI-M06-L/6-31+G(d,p); solvent = Dichlormethan, ∆G298 in kcal mol–1, Aktivierungsbarrieren in blau relativ zum entsprechenden vorgelagerten Minimum, kristallographisch nachgewiesene Spezies sind mit einem Kasten hinterlegt.

Zwischenstufen darstellen, fehlt in der Darstellung für den Aufbau aus 2 und einem Silan noch ein weiterer Schritt, nämlich die Abspaltung von SiCl4 oder Si2Cl6, die zur Entstehung eines höheren Silanids führt. Aus den Silikaten 36a, 36b und 36c wird SiCl4 eliminiert, aus dem höheren Silikat 37b Si2Cl6 (Schema 33). Auf diese Weise können nach einer Reihe von Isomerisierungsreaktionen zwei verschiedener Silanide, 38a und 3, entstehen. 36c ist das Produkt des kinetisch bevorzugten

Schema 33. Mechanismus für die Weiterreaktion der Silikate (a) 36a, 36c und (b) 37b; SMD-RI-M06-L/6-31+G(d,p); Solvens = Dichlormethan, ∆G298 in kcal mol–1, Aktivierungsbarrieren in blau relativ zum entsprechenden vorgelagerten Minimum, kristallographisch nachgewiesene Spezies sind mit einem Kasten hinterlegt.

37a

Reaktionsschritts für die Addition von 2 an Si2Cl6, und kann durch eine [1,2]-Chloridwanderung barrierefrei zu 36a isomerisieren, das thermodynamisch stabiler ist (Schema 33a). Ausgehend von 36a ist die Bildung von 38a mittels SiCl4 -Extrusion mit einer effektiven Aktivierungsbarriere von 15.7 kcal mol–1 kinetisch bevorzugt gegenüber der Bildung von 3, die mit einer effektiven Aktivierungsbarriere von 21 kcal mol–1 (36a bis TS_36f_36e) behaftet ist. Wie bereits oben diskutiert, ist die kinetisch bevorzugte Alternative zur Addition von 2 an Hexachlordisilan eine Umsetzung mit dem höheren Silan Si3Cl8 (Schema 33b). Zusätzlich zu der geringeren Aktivierungsbarriere isomerisiert das Produkt der Reaktion 37a mittels Berry-Pseudorotation nahezu barrierefrei in einem exergonen Schritt zu dem röntgenkristallographisch bei tiefen Temperaturen charakterisierten Silikat 37b. Bei 37b handelt es sich auch in den Rechnungen um eine thermodynamische Senke. Die Aktivierungsbarrieren für die Silanidbildung aus 37b sind bei Raumtemperatur leicht zu überwinden und führen je nach Richtung der initialen Silylwanderung und nach Abspaltung von Si2Cl6 zu den Silaniden 38a und 3. Dabei stellt jeweils die Silylwanderung den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt dar. Die Bildung von 38a ist mit einer Aktivierungsbarriere von 20 kcal mol–1 behaftet, also kinetisch günstiger als die Bildung des stabileren Silanids 3, dessen Erzeugung mit einer Barriere von 23 kcal mol–1 einhergeht.

Da Silikate leicht isomerisieren können und damit eine Verzweigung des Siliciumrückgrats denkbar ist, stellt sich ganz allgemein die Frage, welche Isomere der Silanide generell stabil sind. Für acyclische perchlorierte Silane von Si4Cl10 bis Si8Cl16

haben wir in Kapitel 1.4 gezeigt, dass die Stabilität der Silane mit dem Grad ihrer Verzweigung zunimmt. Ein Vergleich der relativen Stabilitäten der Silanidkonformere Si3Cl7, Si4Cl9, Si5Cl11 und Si6Cl13 führt zu ähnlichen Erkenntnissen. Verzweigte Silanide sind ganz allgemein stabiler als die korrespondierenden linearen Spezies (Schema 34). Vor der Verzweigung der Substituenten ist die Natur des zentralen, subvalenten Siliciumatoms entscheidend für die Stabilität der Konformere. Die Stabilität der Silanide steigt mit der Anzahl der Silylsubstituenten am anionischen Zentrum, in Analogie zur organisch-chemischen Nomenklatur steigt die Stabilität von Silaniden in der folgenden Reihenfolge: primäre Silanide < sekundäre Silanide <

tertiäre Silanide. Diese Beobachtung lässt sich leicht durch einen negativen induktiven Effekt der Silylreste auf das anionische Zentralatom erklären, eine genaue bindungstheoretische Analyse des jeweils einfachsten primären, sekundären und tertiären Silanids (1, 2 und 3) findet sich in Kapitel 3.3. Relativ zu dem

Schema 34. Stabilität der Konformere von (a) Si3Cl7, (b) Si4Cl9, (c) Si5Cl11 und (d) Si6Cl13; SMD-RI-M06-L/6-31+G(d,p); Solvens = Dichlormethan, ∆G298 in kcal mol–1.

Cl Si

entsprechenden primären Silanid mit einer unverzweigten Seitenkette sind primäre Silanide mit verzweigten Seitenketten um 3 bis 8 kcal mol–1 stabilisiert, sekundäre Silanide um 5 bis 12 kcal mol–1 und tertiäre Silanide um 15 bis 17 kcal mol–1. Dabei sind Silanide mit verzweigten Seitenketten gegenüber solchen mit unverzweigten Substituenten energetisch bevorzugt. Am einfachsten lässt sich diese Beobachtung anhand von Si4Cl11 nachvollziehen, da genau ein primäres subvalentes Silanid mit unverzweigter Seitenkette (25), eines mit verzweigter Seitenkette (38a), sowie ein sekundäres Silanid (38b) und ein tertiäres Silanid (3) existieren (Schema 34b). Die Stabilität der Silanide steigt in der Reihe 25 < 38a < 38b < 3 entsprechend der oben beschriebenen Regeln.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Bildung der kristallographisch charakterisierten (verzweigten) Silikate 20b, 21b und 37b durch eine Reihe von reversiblen Additions- und Isomerisierungsreaktionen erklären lässt, die in der Bildung der Silanide 23, 2, 38a und 3 resultieren können. Die Bildung von 3 ist thermodynamisch bevorzugt, aber mit höheren effektiven Aktivierungs-barrieren behaftet als die Bildung der anderen drei Silanide 23, 2 und 38a.